TE OGH 1992/6/30 10ObS150/92

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Veröffentlicht am 30.06.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Georg Reichl aus dem Kreis der Arbeitgeber und Helmut Stöckelmayer aus dem Kreis der Arbeitnehmer in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Annemarie S*****, vertreten durch Dr.Markus Freund, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Gewährung eines höheren Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Dezember 1991, GZ 34 Rs 178/91-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4.Juni 1991, GZ 16 Cgs 29/91-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit 1.811,52 S (darin 301,92 S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 28.1.1948 geborene Klägerin bezieht von der beklagten Partei neben einer Berufsunfähigkeitspension den Hilflosenzuschuß, der ihr in der sich aus § 105a Abs 2 ASVG ergebenden Höhe bezahlt wurde und wird. Die Klägerin stellte am 18.12.1990 den Antrag, den Hilflosenzuschuß auf den Betrag der ihr durch die Hilflosigkeit erwachsenden Aufwendungen in der Höhe von 11.500 S bis 12.000 S zu erhöhen. Die beklagte Partei teilte ihr in einem nicht als Bescheid bezeichneten, jedoch unbestritten als Bescheid zu wertenden Schreiben mit, daß eine Erhöhung des ihr bezahlten Hilflosenzuschusses im Hinblick auf § 105a ASVG nicht möglich sei.

Die Klägerin brachte in ihrer Klage vor, daß der Aufwand für die wegen ihrer Krankheit erforderlichen Betreuung und Hilfe monatlich 11.500 S betrage und die Höhe der ihr einschließlich des Hilflosenzuschusses gewährten Pension übersteige. Die Entscheidung der beklagten Partei beruhe auf der Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, weil § 105a ASVG gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin ab dem Tag der Antragstellung einen monatlichen Hilflosenzuschuß von 11.500 S zu bezahlen, mit der Begründung ab, daß der der Klägerin gewährte Hilflosenzuschuß dem § 105a Abs 2 ASVG entspreche und die von ihr geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken im Verfahren erster Instanz nicht beachtet werden könnten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, wobei es die darin geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 105a ASVG nicht teilte.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinn des Klagebegehrens abzuändern, in eventu, gemäß Art 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung des § 105a ASVG wegen der nicht verfassungskonformen beitragsmäßigen (gemeint wohl: betragsmäßigen) Beschränkung des Hilflosenzuschusses zu stellen.

Die beklagte Partei beantragte, der Revision ohne Unterbrechung des Verfahrens keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat sich schon in zwei Entscheidungen mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 105a ASVG beschäftigt und in beiden Entscheidungen verfassungsrechtliche Bedenken verneint. In der Entscheidung SSV-NF 5/74 hat er das Verhältnis des § 105a ASVG zum § 27 PG beurteilt und es wegen der Verschiedenheit der Rechtsgebiete als verfassungsrechtlich nicht bedenklich angesehen, daß im § 105a ASVG die Höhe des Hilflosenzuschusses von der Höhe der Pension abhängt, während sie im § 27 Abs 2 und 3 PG in drei Stufen nach der Pflegeintensität abgestuft ist. In der bisher noch nicht veröffentlichten Entscheidung vom 28.4.1992, 10 Ob S 372/91 hat er ausführlich begründet, daß weder der (nur noch in geringem Maß) von der Höhe der Pension abhängige Hilflosenzuschuß noch aber auch ein für alle Pensionsbezieher gleich hoher Hilflosenzuschuß verfassungsrechtlich bedenklich sei. Der Gesetzgeber könne nämlich eine Durchschnittsbetrachtung anstellen. Im Durchschnitt werde aber der den Pensionsbeziehern durch die Hilflosigkeit verursachte Mehraufwand in gleichem Ausmaß ausgeglichen. Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Erkenntnis auch zum Ausdruck gebracht, daß wegen der unterschiedlichen Zielsetzung der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen weder der Umstand, daß der Hilflosenzuschuß in der Unfallversicherung höher als der Hilflosenzuschuß in der Pensionsversicherung sein könne, noch die vom ASVG abweichende Regelung der Pflege-, Hilflosen- und Blindenzulage nach den §§ 18, 18a und 19 KOVG geeignet seien, verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 105a ASVG hervorzurufen.

Die Revisionsausführungen bieten keinen Anlaß, von der dargestellten Auffassung abzugehen. Sie werden in erster Linie auf die Unterschiede zu den Leistungen nach dem KOVG gestützt. Schon das Berufungsgericht hat aber zutreffend auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg 4331 hingewiesen, in dem dieser hervorgehoben hat, daß zwischen der Versorgung nach den Systemen der Sozialversicherung und jener nach dem KOVG, bei der es sich um Fürsorgemaßnahmen zugunsten von Kriegsopfern handle, ein wesentlicher Unterschied bestehe, der es rechtfertige, die Versorgung für die beiden Systeme verschieden zu behandeln. Es ist nicht zu erkennen, warum diese Aussage heute nicht mehr gelten sollte, zumal sich weder die Gesetzeslage noch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs in den hier maßgebenden Punkten geändert hat. In dem von der Klägerin ins Treffen geführten Erkenntnis vom 6.12.1991, G 223/88 ua (= JBl 1991, 372 = RdA 1991, 380 = ÖJZ 1991, 358 = ZAS 1992, 61), hat der Verfassungsgerichtshof zwar die Meinung vertreten, das System der Pensionsversicherung beruhe auf dem Versorgungsgedanken. Es ergibt sich aber gerade aus diesem Erkenntnis, daß dieses System nach Meinung des Verfassungsgerichtshofes auch auf dem Versicherungsprinzip beruht. Darin besteht aber der Unterschied zum System nach dem KOVG, in dem das Versicherungsprinzip überhaupt nicht zum Tragen kommt. Die in der Revision aufgestellte Behauptung, daß beide Systeme (gemeint wohl: reine) Versorgungssysteme seien, entspricht daher nicht der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes.

An dem Gesagten vermag die Europäische Sozialcharta (kundgemacht im BGBl 1969/460) schon deshalb nichts zu ändern, weil sie wegen des vom Nationalrat gemäß Art 50 Abs 2 B-VG beschlossenen Erfüllungsvorbehaltes keine innerstaatlichen Rechtswirkungen hat (vgl Walter-Mayer, Verfassungsrecht7 Rz 240). Für die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 105a ASVG ist es somit schon aus diesem Grund ohne Bedeutung, daß den Behinderten in der Europäischen Sozialcharta im Teil I unter Z 15 und im Teil II im Art 15 Rechte ohne Rücksicht auf Ursprung und Art der Behinderung zugestanden werden. Es mag zutreffen, daß dasselbe, wie die Klägerin in der Revision meint, "grundsätzlich" auch im Fall der Hilflosigkeit gelten sollte; die Europäische Sozialcharter macht aber eine abweichende Regelung nicht verfassungswidrig.

Der Oberste Gerichtshof hat somit gegen den von ihm anzuwendenden § 105a ASVG aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit keine Bedenken, weshalb für ihn kein Anlaß besteht, gemäß Art 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung dieser Bestimmung zu stellen. Da in der Revision nicht in Zweifel gezogen wird, daß die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgrund des § 105a ASVG richtig sind, muß hiezu nicht weiter Stellung genommen werden.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG; die rechtlichen Schwierigkeiten rechtfertigen den Zuspruch der halben Kosten des Revisionsverfahrens.

Anmerkung

E29440

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00150.92.0630.000

Dokumentnummer

JJT_19920630_OGH0002_010OBS00150_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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