Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Staatsanwaltschaft Linz, wider die beklagten Parteien 1.) Manfred Christian St*****, geboren am *****, und 2.) Radmila St*****, geborene R*****, geboren am *****, wegen Ehenichtigkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 19.März 1992, GZ 18 R 155/92-18, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 8.Jänner 1992, GZ 1 C 31/91-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Die Beklagten haben am 3.November 1989 die Ehe geschlossen. Der Mann war österreichischer Staatsbürger, die Frau nicht. Die Staatsanwaltschaft Linz begehrt die Aufhebung der Ehe als nichtig, weil diese nur in der Absicht geschlossen worden sei, der Frau einen Befreiungsschein nach § 15 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes zu verschaffen. Eine eheliche Lebensgemeinschaft habe nicht bestanden. Die Voraussetzungen des § 23 EheG seien erfüllt.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte fest, daß die Zweitbeklagte nach wie vor jugoslawische Staatsangehörige ist. Sie führt den Namen ihres Ehegatten. Die beiden Beklagten hatten zu keiner Zeit einen gemeinsamen Wohnsitz. Der Erstbeklagte wohnte seit dem 3.10.1989 in verschiedenen Obdachlosenheimen. Es kam zwischen den Beklagten zu keinem sexuellen Kontakt. Der Erstbeklagte erhielt für seine Bereitschaft, die Zweitbeklagte zu heiraten, einen Geldbetrag von S 6.000,-.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß zwischen den Streitteilen eine eheliche Lebensgemeinschaft nicht begründet worden und damit die erste Voraussetzung des § 23 EheG für eine Nichtigerklärung der Ehe gegeben sei. Die Zweitbeklagte sei jedoch nach wie vor jugoslawische Staatsangehörige, sodaß es offensichtlich nicht der Zweck der Ehe gewesen sei, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erreichen. Die Absicht, einen Befreiungsschein nach § 15 Ausländerbeschäftigungsgesetz zu erlangen, reiche für den Tatbestand des § 23 EheG nicht aus. Eine Namensehe sei von der klagenden Partei, die am Verfahren nicht teilgenommen habe, nicht behauptet worden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei keine Folge:
Der Oberste Gerichtshof habe ausgesprochen, daß durch die Änderung des Staatsbürgerschaftsrechtes im Jahre 1983 dahin, daß nunmehr die Eheschließung nicht mehr kraft Gesetzes zum Erwerb der Staatsbürgerschaft führt, § 23 Abs 1 EheG in seinem zweiten Regelungsfall nicht gegenstandslos geworden, sondern dahin zu lesen sei, daß eine Ehe dann nichtig ist, wenn sie ausschließlich oder überwiegend zu dem Zweck geschlossen ist, einem Ehegatten den Erwerb der Staatsbürgerschaft des anderen zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern. Der Oberste Gerichtshof habe aber nicht zu der Frage Stellung genommen, ob § 23 EheG auch anwendbar sei, wenn die primäre Absicht der Eheschließenden auf die Erreichung anderer Zwecke, wie der Erlangung einer Arbeits- oder Aufenthaltsgenehmigung, gerichtet sei. Der Wortlaut des § 23 EheG "ausschließlich oder vorwiegend" lasse eine Ausdehnung auf solche Fälle nicht zu. Aus dem "Tatsachensubstrat" des Erstgerichtes ergebe sich, daß es nicht Zweck der Ehe gewesen sei, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erreichen. Die Parteienabsicht sei bei der Eheschließung primär (= vorwiegend) auf den Erhalt eines Befreiungsscheines für die Zweitbeklagte gerichtet gewesen. Daß die Beklagten zumindest vorwiegend den Erwerb der Staatsbürgerschaft beabsichtigt hätten, könnte ihnen nur dann unterstellt werden, wenn der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zwingend an die vorherige Erlangung eines Befreiungsscheines geknüpft wäre. Dies sei aber nach den Bestimmungen der §§ 10 und 11 a StbG nicht der Fall.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage nicht vorliege, ob die primär verfolgte Absicht, einen Befreiungsschein nach § 15 Ausländerbeschäftigungsgesetz zu erlangen, auch den späteren Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft indiziere und dadurch der Tatbestand des § 23 EheG erfüllt sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig. Sie ist auch im Sinne einer Aufhebung der Vorentscheidungen berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung SZ 61/262 dargelegt, daß die geänderte staatsbürgerschaftsrechtliche Lage die Regelung nach dem zweiten Fall des § 23 Abs 1 EheG nicht gegenstandslos gemacht hat. Wenn auch die Eheschließung nunmehr nicht kraft Gesetzes (§ 4 StbG 1949) zum Erwerb der Staatsbürgerschaft führt oder diese durch Erklärung des Fremden, der einen Inländer geheiratet hat (§ 9 StbG 1965) herbeigeführt wird, steht doch dem Fremden im Falle der Eheschließung mit einem Inländer bei Vorliegen weiterer gesetzlich umschriebener Voraussetzungen ein Anspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft (§ 11 a StbG idgF) zu. Die Eheschließung ist damit staatsbürgerschaftserwerbsrechtlich erhebliches Tatbestandselement. Sie "ermöglicht" in diesem Sinne den Staatsbürgerschaftserwerb.
§ 23 Abs 1 EheG setzt die Absicht voraus, eine eheliche Lebensgemeinschaft nicht zu begründen; die Absicht der Eheschließenden muß ausschließlich oder vorwiegend auf den Erwerb des Familiennamens oder der Staatsbürgerschaft gerichtet sein. Da das Gesetz nur diese beiden ehefeindlichen Absichten unter Nichtigkeitssanktion stellt, können andere ehefeindliche Absichten nicht zu einer Aufhebung der Ehe wegen Nichtigkeit führen, wenn nicht der im § 23 EheG verpönte Zweck überwiegt (vgl Pichler in Rummel Rz 1 zu § 23 EheG). Die Absicht, durch die Eheschließung nur einen Befreiungsschein gemäß § 15 Ausländerbeschäftigungsgesetz zu erlangen, ohne auch nach Erfüllung der Voraussetzungen die österreichische Staatsbürgerschaft anzustreben, wäre für eine Nichtigerklärung der Ehe daher nicht ausreichend. Die Erlangung eines solchen Befreiungsscheines kann aber auch ein Indiz dafür sein, daß damit nur der erste Schritt zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 11 a StbG getan werden soll, um in der Zukunft die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Zur Absicht der Beklagten fehlt es jedoch an Feststellungen. Die Vorinstanzen haben sich damit begnügt, ihren Entscheidungen das Klagevorbringen zugrundezulegen, die Ehe sei nur geschlossen worden, um der Frau einen Befreiungsschein zu verschaffen, ohne hiezu die Parteien, insbesondere den Erstbeklagten, der die Scheinehe zugegeben hat, hiezu zu befragen und ohne Feststellungen zu treffen. Da nach § 460 Z 4 ZPO im Verfahren über die Nichtigerklärung einer Ehe das Gericht von Amts wegen alle für die Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen Umstände aufzuklären hat, fehlt es im vorliegenden Fall an der nötigen Stoffsammlung und an den erforderlichen Feststellungen. Das Verfahren ist daher noch ergänzungsbedürftig.
Anmerkung
E30077European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0060OB00564.92.0709.000Dokumentnummer
JJT_19920709_OGH0002_0060OB00564_9200000_000