Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Schwarz und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anton R*****, vertreten durch Dr.Manfred Schnurer, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Lieselotte St*****, vertreten durch Dr.Gerald Stenitzer, Rechtsanwalt in Graz, sowie des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Harry G*****, vertreten durch Dr.Peter Semlisch und Dr.Wolfgang Klobassa, Rechtsanwälte in Voitsberg, wegen S 1.768.414,35 s.A., (Revisionsinteresse S 1.477.501,01 s.A.), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 20. Dezember 1991, GZ 2 R 203/91-75, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtsachen Graz vom 29. April 1991, GZ 23 Cg 42/89-66, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben. Es werden die Entscheidungen der Vorinstanzen, soweit sie nicht den unangefochten gebliebenen Zuspruch von S 290.913,34 samt Anhang betreffen, aufgehoben. In diesem Umfang wird die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Am 22.11.1985 verkaufte der Kläger dem Beklagten ein Restgrundstück in der KG F***** um S 2,5 Millionen. Im unterfertigten und vom Kläger angenommenen Kaufanbot verpflichtete sich die Beklagte, eine Anzahlung von S 500.000,-- bis 29.11.1985 und den Restkaufpreis am 20.12.1985 zu leisten. In der Folge hat sich die Beklagte geweigert, den vom Notar über Auftrag des Klägers entworfenen Kaufvertrag zu unterfertigen. Sie hat weder die Anzahlung noch den Restkaufpreis geleistet. Sie stellte sich auf den Standpunkt und wendete dies im vorliegenden Prozeß auch ein, sie sei vom Kläger über das Ausmaß der verkauften Liegenschaft in Irrtum geführt worden. Im vorliegenden Verfahren wurde jedoch festgestellt, daß die Beklagte das Grundstück "wie es liegt und steht" kaufte, wobei die Schätzungen über das Liegenschaftsausmaß zwischen 3.000 und 7.000 m2 lagen. Mit dem am 22.11.1985 unterfertigten Kaufvertrag hat die Beklagte auf Irrtumsanfechtung verzichtet.
Da der Kläger in der Folge seinen Kreditverbindlichkeiten nicht nachkommen konnte, wurde die Liegenschaft am 16.9.1988 um S 1.410.000,-- versteigert.
Mit der am 11.2.1987 eingebrachten Klage verlangte der Kläger ursprünglich S 500.000,-- an Zinsenbelastungen für Kredite, die er mangels Kaufpreiszahlung aufnehmen hätte müssen. Infolge Nichterhalts des Kaufpreises stehe eine Versteigerung der Liegenschaft unmittelbar bevor. Er sei nach wie vor bereit, der Beklagten die Liegenschaft zu den Bedingungen des Kaufvertrages zu übertragen, wobei er bei Erhalt des Kaufpreises in der Lage wäre, die Lastenfreistellung entsprechend der Kaufvereinbarung vorzunehmen.
Nach Versteigerung der Liegenschaft (16.9.1988) dehnte der Kläger in der Tagsatzung vom 20.10.1988 das Klagebegehren auf S 1.686.515,30 aus. In diesem Betrag seien S 26.000,-- für die bezahlten Vertragserrichtungskosten sowie die Zinsen für einen aufgenommenen Kredit für die Zeit vom Jänner 1986 bis 17. Oktober 1988 im Betrag von S 142.414,35 enthalten. Mit dem vereinbarten Kaufpreis von S 2,5 Mill. hätte der aufgenommene Kredit abgedeckt werden sollen. Für diesen seien in der Zwischenzeit Zinsen von S 428.101,05 aufgelaufen. Das restliche Klagebegehren entfalle auf die Differenz zwischen dem Preis des Zuschlages von S 1.410.000,-- und dem vereinbarten Kaufpreis von S 2,5 Mill., sohin S 1.090.000,--. Diese Beträge werden unter dem Titel des Schadenersatzes geltend gemacht.
Das Erstgericht sprach dem Kläger lediglich die für die Vertragserrichtung aufgelaufenen Kosten von S 14.580,-- zu. Das Berufungsgericht erhöhte den Zuspruch unter Abweisung des Mehrbegehrens auf S 290.913,34. Es ließ die Revision nicht zu.
Die Vorinstanzen gingen von der Feststellung aus, daß irgendeine Grundstückgröße bei Ankauf der Liegenschaft nicht vereinbart war. Die Beklagte hat die Liegenschaft vielmehr nach Besichtigung in Kenntnis ihres Aussehens und ihrer Größe in der Natur gekauft. In dem am 22.11.1985 unterfertigten Kaufvertrag hat sie auf Irrtumsanfechtung verzichtet.
Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, bezüglich des Differenzbetrages sei eine Schadenersatzpflicht der Beklagten schon deshalb nicht gegeben, weil nicht erwiesen sei, daß die Beklagte den Zweck des Kaufvertrages, nämlich Abwendung einer Zwangsversteigerung, gekannt habe. Ein derartiger Schaden sei daher nicht adäquat.
Was die Kreditzinsen anlange, so könne der Gläubiger höhere als die gesetzlichen Zinsen nur bei schuldhaftem Verzug des Schuldners verlangen. Das Fehlen eines Verschuldens habe gemäß § 1298 ABGB der Schuldner zu beweisen. Im vorliegenden Fall sei der Verzögerung jedoch nur auf eine Prozeßführung der Beklagten zurückzuführen. Bloße Prozeßführung an sich begründe auch dann kein Verschulden, wenn der Schuldner letztlich mit seiner Rechtsansicht nicht durchgedrungen sei. Aus diesem Grunde gebühren dem Kläger nur die gesetzlichen Zinsen.
Die vom Kläger gegen den abweisenden Teil der Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtssache einerseits in der grundsätzlichen Frage des Verschuldens durch Prozeßführung und andererseits bezüglich der Adäquanz unrichtig beurteilt hat.
Die Revision ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Daß nach den getroffenen Feststellungen die nicht rechtzeitige Zahlung des Kaufpreises rechtswidrig war, bedarf keiner weiteren Begründung und wird auch im Revisionsstadium nicht mehr bestritten.
Grundsätzlich sind die Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes bezüglich der Schadenersatzpflicht des säumigen Vertragspartners richtig. Den Ersatz eines über die gesetzlichen Zinsen hinausgehenden Nachteiles der nicht rechtzeitigen Zahlung setzt auf jeden Fall einen schuldhaften Zahlungsverzug voraus. Hiebei hat der säumige Schuldner nach § 1298 ABGB den Beweis zu erbringen, daß ihn kein Verschulden trifft (Reischauer in Rummel Rz 7 zu § 921 ABGB, JBl. 1986, 371, JBl. 1989, 175 uva). Nicht geteilt kann allerdings die Ansicht des Berufungsgerichtes werden, daß die Führung eines Prozesses im vorliegenden Fall nicht als Verschulden zu werten sei. Die Schuldhaftigkeit eines Handelns kann nämlich nicht dadurch eine andere Beurteilung erfahren, daß sie in die Form einer Prozeßhandlung gekleidet wird. Nach materiellen Regeln rechtswidriges Verhalten wird nicht schon dadurch gerechtfertigt, daß es in die Gestalt von Verfahrenshandlungen gesetzt wird. Da man jedoch einer Person das Recht, strittige Rechtsfragen durch das Gericht abklären zu lassen, nicht absprechen kann, wird im Ergebnis für Fahrlässigkeit jeden Grades nur gehaftet werden, wenn der Schädiger von der nach allgemeinen Regeln erforderlichen Erkennbarkeit der Rechts- und Normverletzung abgesehen bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, daß sein Prozeßstandpunkt aussichtslos (nicht etwa bloß zweifelhaft) ist (vgl. F. Bydlinski, Schadenersatz wegen materiellrechtswidriger Verfahrenshandlungen, JBl. 1986, 635; JBl. 1987, 102 ua). Grundgedanke dieser Erwägungen ist, daß Rechtsfragen oft nicht sofort eindeutig abgeklärt werden können und man daher berechtigt ist, ihre Klärung der Entscheidung des Gerichtes zu überlassen. Man wird also dem Schuldner bezüglich der Tolerierbarkeit seines Rechtsstandpunktes einen weiten Spielraum zubilligen müssen. Diese Erwägungen werden aber in der Regel nur auf die Klärung von Rechtsfragen zutreffen. Führt dagegen der Schuldner unter der Aufstellung falscher Tatsachenbehauptungen einen Prozeß, wird ihm dies in der Regel als schuldhaftes Verhalten anzulasten sein. Berücksichtigt man die Bestimmung des § 1298 ABGB, so kann in einem solchen Fall von einem fehlenden Verschulden des Schuldners nur dann ausgegangen werden, wenn er beweist, daß ihn an dem Aufstellen falscher Tatsachenbehauptungen kein Verschulden trifft. Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Es wurde bewiesen, daß jene Tatsachenbehauptung, die die Beklagte im vorliegenden Verfahren aufgestellt hat, unrichtig ist. Damit erweist sich aber ihre durch die Prozeßführung bewirkte Verzögerung der Kaufpreiszahlung als schuldhaft, wobei im Hinblick darauf, daß die Beklagte ihre Behauptung als eigene Wahrnehmung darstellte und sich nicht etwa nur auf allenfalls glaubwürdige Mitteilungen dritter Personen berief, zumindestens eine grobe Fahrlässigkeit vorlag.
Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes mußte daher bei Entscheidung des vorliegenden Falles von einer schuldhaften (sogar grob fahrlässigen) vertragswidrigen Nichtzahlung des Kaufpreises ausgegangen werden.
Im Hinblick auf die schuldhafte Nichtzahlung des Kaufpreises haftet die Beklagte dem Kläger für alle durch ihre Unterlassung verursachten adäquaten Schäden. Richtig hat das Berufungsgericht erkannt, daß es sich bei der Geltendmachung der Kreditzinsen um einen Verzögerungsschaden handelt. Ein solcher Schaden wird im allgemeinen durch die gesetzlichen Verzugszinsen vergütet. Bei schuldhaftem Verzug ist jedoch die Geltendmachung höherer Ansprüche möglich. Über die gesetzlichen oder vertraglichen Verzugszinsen hinausgehende Zinsennachteile sind positiver Schaden, daher auch bei Verschulden zu ersetzen. Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob hier der Judikatur (PlB SZ 5/53 uva) oder der gegenteiligen Meinung Reischauers (in Rummel Rz 5 zu § 1333 ABGB) zu folgen ist, weil die Nichtzahlung einer fälligen Geldschuld lediglich unter Aufstellen nachgewiesen falscher Tatsachenbehauptungen, die auf angeblich eigenen Wahrnehmungen beruhen, über das Ausmaß leichter Fahrlässigkeit hinausgeht. Es ist demnach von einem grob fahrlässigen Verzug der Beklagten auszugehen. Die Beklagte hat daher dem Kläger die Zinsen für einen Kredit zu ersetzen, der zur Abwendung der durch die Nichtzahlung des Kaufpreises drohenden Schäden aufgenommen worden ist.
Was den durch die Zwangsversteigerung erlittenen Verlust anlangt, hat sich das Berufungsgericht mit Recht mit der Frage der Adäquanz auseinandergesetzt. Richtig ist, daß aus dem Schutzzweck der die Haftung begründeten Norm bzw. dem Sinn und Zweck des Vertrages eine Begrenzung der Schadenszurechnung stattzufinden hat, damit die Haftung nicht uferlos wird. Bei Vertragsverletzung ergibt sich der Rechtswidrigkeitszusammenhang aus den Interessen, die der Vertrag schützen sollte. Zuerst ist auf das von den Parteien direkt Bezweckte abzustellen (Reischauer in Rummel, Rz 8 zu § 1295 ABGB, Koziol, JBl. 1986, 105, SZ 57/173 ua). Im vorliegenden Fall ist es zwar richtig, daß nach den Verfahrensergebnissen nicht davon ausgegangen werden kann, daß der Kaufvertrag zu dem für die Beklagte erkennbaren Zweck der Abwendung einer Zwangsversteigerung abgeschlossen worden ist. Wären daher später keine weiteren Umstände hinzugetreten, könnte die Adäquanz der Nichtzahlung des Kaufpreises für den durch die Zwangsversteigerung erlittenen Schaden bezweifelt werden. Im vorliegenden Fall hat der Kläger jedoch bereits in der Klage vom 11.2.1987 ausdrücklich darauf verwiesen, daß infolge der Nichtzahlung des Kaufpreises die Versteigerung der Liegenschaft drohe. Ungeachtet dieses Umstandes hat die Beklagte die ihr obliegende Zahlung weiterhin nicht geleistet. Durch das Klagsvorbringen mußte ihr aber klar sein, daß ihr rechtswidriges Verhalten einen konkret benannten Schaden verursachen könne. Ab diesem Zeitpunkt muß daher das vertragswidrige Verhalten der Beklagten als adäquat für jene Schäden angesehen werden, deren Entstehen ihr nunmehr als mögliche Folge für ihre Unterlassung bekanntgegeben worden waren. Wenn daher die Zwangsversteigerung auf die Nichtzahlung des Kaufpreises zurückzuführen war, so hat die Beklagte die dadurch entstandenen Schäden zu ersetzen.
Geht man von der aufgezeigten Rechtsansicht aus, so erweist sich das bisherige Verfahren als mangelhaft. Es muß nämlich nunmehr festgestellt werden, ob der Kläger infolge der Nichtzahlung des Kaufpreises vorerst tatsächlich gezwungen war, einen Kredit aufzunehmen und zutreffendenfalls welche Belastungen ihm hiedurch entstanden sind. Ferner wäre zu prüfen, ob die Zwangsversteigerung der Liegenschaft eine Folge der Nichtzahlung des Kaufpreises war. Diesbezüglich liegt nämlich eine Bestreitung der Beklagten vor, nach der die Zwangsversteigerung auch im Falle der rechtzeitigen Zahlung des Kaufpreises nicht zu vermeiden gewesen wäre.
Aus den aufgezeigten Erwägungen waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E30457European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0070OB00583.92.0709.000Dokumentnummer
JJT_19920709_OGH0002_0070OB00583_9200000_000