Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 4.August 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner, Hon.Prof.Dr.Brustbauer, Dr.Massauer und Mag.Strieder als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Götsch als Schriftführer in der Strafsache gegen Friedrich P***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Neutralitätsgefährdung nach § 320 Abs. 1 Z 3 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 26.März 1992, AZ 9 Bs 77/92, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr.Wasserbauer jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz vom 26.März 1992, AZ 9 Bs 77/92, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 320 Abs. 1 StGB.
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Salzburg hat zur AZ 29 Vr 2478/91 des Landesgerichtes Salzburg am 24.Februar 1992 u.a. auch gegen Friedrich P********** Anklage wegen des Verbrechens der Neutralitätsgefährdung nach § 320 Abs. 1 Z 3 StGB erhoben. Nach der Anklagebegründung hat er in der Nacht vom 5. auf den 6.Oktober 1991 in Wals und anderen Orten Österreichs gemeinsam mit weiteren vier Beschuldigten wissentlich im Inland während des Krieges in Jugoslawien zwischen Serbien und Kroatien, an dem die Republik Österreich nicht beteiligt gewesen sei, Kampfmittel entgegen den bestehenden Vorschriften des Kriegsmaterialiengesetzes (BGBl. 1977/540 idF BGBl. 1982/358 und 1991/30a) und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnung (BGBl. 1977/624) durch das Inland durch- und aus dem Ausland ausgeführt, indem er 33 Sturmgewehre StG 77 des österreichischen Bundesheeres in einen Lieferwagen von Wals bis nach Jugoslawien verbrachte.
Rechtliche Beurteilung
Dem gegen diesen Anklagevorwurf erhobenen Einspruch des Beschuldigten P***** gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluß vom 26.März 1992, AZ 9 Bs 77/92 Folge und wies die Anklageschrift zur besseren Aufklärung des Sachverhalts zurück. Das Oberlandesgericht sah sich nämlich außerstande, "mangels eines entsprechenden Tatsachensubstrates nach der Aktenlage" und mangels "gerichtlicher Notorietät" die im Einspruch aufgeworfene und auch ihm relevant erscheinende Vorfrage zu beantworten, nämlich - wie auch von Völkerrechtslehrern verlangt wird - ob die "Parteien dieses Krieges oder besser dieses bewaffneten Konfliktes als Kriegsführende" im inkriminierten Tatzeitpunkt "anerkannt worden sind".
In seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes führt der Generalprokurator aus:
"Diese Einspruchsentscheidung des Oberlandesgerichtes Linz steht mit dem Gesetz nicht im Einklang, weil die Anerkennung der Parteien eines bewaffneten Konfliktes als Kriegsführende weder Tatbestandsmerkmal des § 320 StGB ist, noch auch aus den fortentwickelten - zeitgemäßen - Regeln des Völkerrechts als Voraussetzung für die Annahme eines bewaffneten Konfliktes zu entnehmen ist.
Denn nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes und dessen Sinngehalt, neutralitätsgefährdende Privathandlungen zu Gunsten Kriegsführender zu verhindern (EBRV 1971, 469), ist das im § 320 Abs. 1 Z 1 bis 5 StGB bezeichnete neutralitätsgefährdende Verhalten strafbar, wenn es während eines - hier nicht anzunehmenden - Krieges oder eines bewaffneten Konfliktes, an denen die Republik Österreich nicht beteiligt ist oder bei unmittelbar drohender Gefahr eines solchen Krieges oder Konfliktes erfolgt; das Wort "Anerkennung" wird hiebei nicht erwähnt.
Gegen das vom Oberlandesgericht Linz gesetzwidrigerweise angenommene Erfordernis solcher Anerkennung spricht übrigens - abgesehen von der ebenso fehlenden gesetzlichen Regelung, durch wen die Anerkennung zu erfolgen hätte - aber gerade auch der Umstand, daß neutralitätsgefährdendes Verhalten bereits bei unmittelbar drohender Gefahr einer solchen gewaltsamen Auseinandersetzung strafbar ist, zu welchem Zeitpunkt aber eine - vorzeitige - Anerkennung völkerrechtswidrig wäre (Verdroß-Verosta-Zemanek, Völkerrecht5, 208).
Das Strafgesetzbuch verlangt sohin weder die Anerkennung der Konfliktspartei als Kriegsführende, noch definiert es den Begriff bewaffneter Konflikt; aber auch in den daher heranzuziehenden einschlägigen völkerrechtlichen Regelungen, wie etwa zuletzt die in den österreichischen Rechtsbestand übernommenen zwei Zusatzprotokolle zu dem Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter und nicht internationaler bewaffneter Konflikte (BGBl. 1982/527), ist zwar keine Rede von der Anerkennung der Konfliktsparteien als Kriegsführende, doch enthält dieser Staatsvertrag die heikle Abgrenzung von bewaffneten Konflikten zu terroristischen Aktivitäten und anderen Störungen der inneren Sicherheit (Zemanek, Das Kriegs- und Humanitätsrecht, in:
Neuhold/Hummer/Schreuer, österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Band I2 RN 2420). Im Protokoll II Teil I Art. 1 Abs. 1 dieses Staatsvertrages wird der Opferschutz auf alle bewaffneten (auch nicht internationale) Konflikte ausgedehnt, die im Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung einer solchen Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes der Vertragsparteien ausüben, daß sie anhaltende koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen. Nach Abs. 2 dieses Art. gelten innere Unruhen und Spannungen, wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als bewaffnete Konflikte. Wenn es sich bei diesem Staatsvertrag auch um spezifisch humanitäres Völkerrecht handelt, so ist er aber wegen seines inneren Zusammenhanges mit dem Neutralitätsrecht und der einheitlichen Betrachtungsweise des Völkerrechts gerade im vorliegenden Fall von wesentlicher Bedeutung.
Damit im Einklang steht auch die völkerrechtliche Literatur, wonach auch eine innerstaatliche gewaltsame Auseinandersetzung, so auch ein Bürgerkrieg, ausgenommen die bloße Bekämpfung revolutionärer Bewegungen oder die Austragung rein interner Machtkämpfe, als bewaffneter Konflikt angesehen wird (siehe Leukauf-Steininger, StGB3, RN 6; Liebscher im WK Rz 4, jeweils zu § 320 StGB; Doralt-Csoklich in ÖJZ 1991, 307; Brandstetter-Loibl, Neutralität und Waffenexporte, 21 f).
Nach den erwähnten, auf einen nunmehr materiellen Kriegsbegriff gestützten (Zemanek aaO RN 2416), völkerrechtlichen Regeln und in Fortentwicklung völkerrechtlichen Verständnisses von gewaltsamen Auseinandersetzungen ist entscheidungswesentliches Kriterium für die Annahme eines bewaffneten Konfliktes nicht die formelle oder schlüssige Anerkennung der Konfliktsparteien als Kriegsführende, sondern vielmehr die Tatsache, daß die Konfliktsparteien - unabhängig von ihrer Anerkennung - zumindest als partielles Völkerrechtsobjekt angesehen werden, was etwa aus einer effektiven Beherrschung eines gewissen Territoriums, auf dem sie sich längere Zeit behaupten ("stabilisierte de facto - Herrschaft") und somit faktisch die Voraussetzungen der Staatlichkeit erfüllen, abgeleitet werden kann (Verdroß-Simma, Universielles Völkerrecht3 240).
Im vorliegenden Falle ist nach den allgemein bekannten historischen Ereignissen davon auszugehen, daß Kroatien, wenn es auch erst am 15. Jänner 1992 als Republik durch die Republik Österreich anerkannt worden war (Schreiben des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten vom 10.April 1992 an Rechtsanwalt Dr.Michael L*****), schon im Tatzeitpunkt (5. bis 6.Oktober 1991) eine tatsächliche Herrschaft nach Art staatlicher Einrichtungen über ein bestimmtes Gebiet ausübte und dort auch anhaltende koordinierte Kampfhandlungen durchführte, so daß Kroatien zu diesem Zeitpunkt durchaus als partielles Völkerrechtsobjekt im dargelegten Sinn anzusehen ist, das übrigens schon lange vorher nach völliger staatlicher Selbständigkeit und Souveränität strebte (vgl. auch Bertel-Schwaighofer, Österreichiches Strafrecht BT II Rz 8 zu § 320 StGB). Hiefür sprechen auch die Schlichtungs- und Befriedungsmaßnahmen internationaler Institutionen, wie vor allem die Resolution 713 (1991) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25.September 1991 (BGBl. 1991/592), die sich unter anderem an alle Parteien und Beteiligten des Konfliktes in Jugoslawien mit der Bitte wendet, sich strikt an die Feuereinstellungsübereinkünfte vom 17.September 1991 und 22. September 1991 zu halten.
Entgegen der auf überholter Literaturauffassung gestützten Ansicht des Oberlandesgerichtes Linz liegen, sohin im gegebenen Falle die Voraussetzungen für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals "bewaffneter Konflikt" im Sinne des § 320 StGB in Ansehung der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Kroatien und Serbien zum Tatzeitpunkt vor, ohne daß es der Anerkennung der Konfliktsparteien als Kriegsführende bedürfte."
Die Beschwerde der Generalprokuratur ist im Recht. Denn im vorliegenden Fall lag zur Tatzeit ein bewaffneter Konflikt im Sinne des § 320 StGB vor. Es bedarf daher keiner besseren Aufklärung des Sachverhaltes.
Zutreffend verweist die Generalprokuratur darauf, daß nicht schon jede mit Waffen ausgetragene Auseinandersetzung, wie das bloße Bekämpfen "revolutionärer Bewegungen" oder die Austragung "rein interner Machtkämpfe" als "bewaffneter Konflikt" angesehen werden kann. Auch das Oberlandesgericht geht davon aus, daß es sich im vorliegenden Fall zur Tatzeit bereits um eine innerstaatliche gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Parteien gehandelt hat. Die Rechtsansicht des Oberlandesgerichtes, daß § 320 StGB voraussetzt, daß die Parteien als Kriegführende anerkannt wurden, steht jedoch mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Daß die Anerkennung als kriegführende Parteien Voraussetzung der äußeren Tatseite des § 320 StGB ist, wird von folgenden Autoren vertreten:
Leukauf-Steininger Komm.3 § 320 RN 6, Liebscher im Wiener Kommentar Rz 4 zu § 320 StGB, Verdroß-Verosta-Zemanek, Völkerrecht5 (1964) S. 205, Brandstetter-Loibl, Neutralität und Waffenexporte, Juristische Schriftenreihe, Band 19, Verlag Österreichische Staatsdruckerei Wien 1990, S. 22, Doralt-Csoklich, Nicht genehmigter Waffenexport - "geradezu Mord" ?, ÖJZ 1991, S. 307.
Hingegen hat sich laut Verdroß-Simma, Universielles Völkerrecht3 (1984) §§ 404 bis 406 (S. 239-241) die Auffassung durchgesetzt, daß alle stabilisierten de facto-Herrschaften eine partielle Völkerrechtssubjektivität unabhängig von ihrer Anerkennung besitzen. Voraussetzung ist eine effektive Beherrschung eines Territoriums durch eine nicht anerkannte Gewalt. Als Beispiele werden die im Gefolge des Zweiten Weltkrieges geteilten Länder Korea und China (früher auch Deutschland und Vietnam) angeführt. Auch Bertel-Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht (1992), BT II RN 8 zu § 320 StGB, S. 220, verstehen unter bewaffneten Konflikten im Sinne des § 320 StGB auch solche innerhalb eines Staates, wobei ausdrücklich Jugoslawien erwähnt wird. Laut Zemanek in Neuhold-Hummer-Schreuer, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts I2 (1991) RN 2422 bis 2424 S. 436 ist das tatsächliche Bestehen von Feindseligkeiten maßgebend. Bei nicht-internationalen bewaffneten Konflikten kommt es darauf an, daß wenigstens eine Partei ihren animus belligerendi zumindest durch Handlungen zum Ausdruck bringt, d. h. tatsächlich die gesamten friedlichen Beziehungen durch kriegerische ersetzt. Nach den EBRV 1971, 30 d.Blg. StP Nr. XIII. GP fallen zwar innerstaatliche bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Parteien, die als Kriegführende anerkannt sind, nicht unter den Begriff des Krieges. Aber auch in Fällen dieser Art liegt es im Interesse eines immerwährend neutralen Staates, Handlungen, die im Kriegsfall als Neutralitätsverletzung im engeren Sinn anzusehen wären, zu verhindern. Der Entwurf (§ 320 StGB) stellt daher darauf ab, daß die Tat während eines Krieges oder eines bewaffneten Konfliktes (oder unmittelbar vorher) begangen wird.
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen: § 320 StGB normiert als Voraussetzung eines bewaffneten Konfliktes nicht die Anerkennung der Parteien als Kriegführende. Ein neutralitätsgefährdendes Verhalten ist vielmehr nach dieser Gesetzesstelle bereits bei unmittelbar drohender Gefahr einer solchen gewaltsamen Auseinandersetzung strafbar, zu welchem Zeitpunkt aber eine - vorzeitige - Anerkennung völkerrechtswidrig wäre (Verdroß-Verosta-Zemanek, aaO, 208). Das Zusatzprotokoll zu dem Genfer Abkommen vom 12.August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II) BGBl. 1982, 527 ordnet im Artikel 1 die Anwendung des Protokolls auch auf alle bewaffneten Konflikte an, die im Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes der Hohen Vertragspartei ausüben, daß sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen (Abs. 1). Nach Abs. 2 dieser Staatsvertragsbestimmung findet dieses Protokoll nicht auf Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen Anwendung, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten.
Im Sinne dieser internationalen Verträge und der modernen Staatenpraxis ist daher eine förmliche (oder auch nur konkludente) Anerkennung der Konfliktparteien als Kriegführende für eine Neutralitätsgefährdung nach § 320 StGB nicht erforderlich. Die stabilisierte de facto-Herrschaft Kroatiens über ein Teilgebiet Jugoslawiens, die anhaltenden, koordinierten Kampfhandlungen unter verantwortlicher Führung bereits im Tatzeitpunkt (5., 6.Oktober 1991) sind notorisch.
Im übrigen ist eine - nach § 320 StGB gar nicht erforderliche - Anerkennung als kriegführende Parteien nicht an Förmlichkeiten gebunden. Sie kann auch konkludent erfolgen (Verdroß-Verosta-Zemanek aaO S. 208).
Im vorliegenden Fall hat der Sicherheitsrat bereits mit Resolution 713 (1991) am 25.September 1991 (in Österreich allerdings erst am 26. November 1991 mit BGBl. 592 kundgemacht) alle Beteiligten an den Kampfhandlungen in Jugoslawien zur Einhaltung der Feuereinstellungsübereinkünfte aufgefordert und somit zumindest konkludent die Parteien als Kriegführende anerkannt. Auch die Verordnung der Bundesregierung vom 10.Juli 1991, BGBl. 374 a, über die Untersagung der Ausfuhr von Kriegsmaterial sowie von zivilen Waffen und ziviler Munition in die SFR Jugoslawien weist in die Richtung einer konkludenten Anerkennung.
Im Tatzeitpunkt lag daher bereits ein (sogar anerkannter) bewaffneter Konflikt im Sinne des § 320 StGB vor, ohne daß es noch ergänzender Feststellungen zur besseren Aufklärung des Sachverhaltes bedurfte.
Die auf eine verfehlte Rechtsauffassung beruhende Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz verrstößt gegen die Bestimmung des § 320 Abs. 1 StPO.
Da diese Gesetzesverletzung dem Beschuldigten nicht zum Nachteil gereicht, war sie nur festzustellen.
Anmerkung
E31441European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0140OS00086.9200009.0804.000Dokumentnummer
JJT_19920804_OGH0002_0140OS00086_9200009_000