Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Zehetner, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Dominik M*****, geboren am*****, in Pflege und Erziehung bei seinem Vater Harald M*****, infolg Revisionsrekurses der Mutter Beate H*****, vertreten durch Dr. Karl Krückl und Dr. Kurt Lichtl, Rechtsanwälte in Linz, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 20.5.1992, GZ 18 R 305/92-98, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz/Land vom 24.4.1992, GZ 6 P 1006/87-93, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird insoweit bestätigt, als der Antrag der Mutter auf Entzug der dem Vater übertragenen Obsorge und auf Übertragung dieser Rechte auf sie abgewiesen wurde. Hingegen werden die Beschlüsse der Vorinstanzen, soweit sie den Antrag der Mutter auf Einräumung eines telefonischen Kontaktes mit dem Kind im Ausmaß von einer viertel Stunde pro Woche abgewiesen haben, aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Die Eltern des am 22.11.1985 geborenen Dominik G*****, durch Namensgebung nunmehr Dominik M*****, trennten sich im Juni 1987. Sie erzielten eine Einigung, daß die Pflege und Erziehung des Kindes dem Vater übertragen werde, der darin von seiner Mutter unterstützt werden sollte.
Mit Beschluß vom 30.10.1987 wies das Pflegschaftsgericht die Pflege und Erziehung des Kindes dem Vater zu. Mit Beschluß vom 25.5.1989 wurde er auch zum Vormund bestellt. Nachdem durch das Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsänderungsgesetzes das Amt des Vaters als Vormund erloschen und auf Grund des Gesetzes der Mutter Beate G*****, nunmehr verehelichte H*****, die Verwaltung des Vermögens und die Vertretung zugefallen war, beschloß das Erstgericht am 6.4.1990 über Antrag des Vaters, daß der Mutter die Obsorge in bezug auf Vermögensverwaltung und -vertretung entzogen und diese dem Vater übertragen werde. Gleichzeitig wurde ein Antrag der Mutter auf Entzug der dem Vater zustehenden Obsorge für das Kind in bezug auf Pflege und Erziehung und Übertragung dieser Rechte auf sie abgewiesen. Dem Rekurs der Mutter wurde keine Folge gegeben, da sich der Vater von Geburt an, also noch während der Lebensgemeinschaft mit der Mutter, selbst um das Kind bemüht und es unter tatkräftiger Mithilfe der väterlichen Großeltern betreut hatte. Die väterliche Großmutter hatte schon fünf Kinder aufgezogen, einen Haushalt geführt und sich wegen der Berufstätigkeit der Mutter auch schon während der noch aufrechten Lebensgemeinschaft der Eltern um das Kind gekümmert. Als die Mutter im Juni 1987 eine Arbeit im Gastgewerbe in der Steiermark aufnahm, kam es zur einvernehmlichen Regelung der Eltern über die Pflege und Erziehung des Kindes. Der Vater und dessen Eltern sorgten fortan liebevoll für den Buben. Die väterliche Großmutter gab auch ihre Berufstätigkeit auf. Nachdem der Vater im September 1989 eine neue Lebensgemeinschaft eingegangen war, befand sich das Kind während der Woche nur mehr zwei- bis dreimal wöchentlich bei der väterlichen Großmutter. Die Wochenenden verbrachte es überwiegend bei seinem Vater, der mehr und mehr jene Aufgaben übernahm, die meist von einer Mutter wahrgenommen werden. Er ist die Hauptbezugsperson des Kindes. Dieses besucht seit 1989 den Kindergarten in Traun. Die Mutter hatte im Herbst 1987 dreimal, im Jahr 1988 ebenfalls dreimal und dann erst wieder zu Ostern 1989 persönlichen Kontakt mit dem Kind. Während eines 14tägigen Urlaubes der Mutter im Jahr 1989 in Traun verbrachte die Mutter die meiste Zeit mit ihrem Kind. Sie hat am 27.10.1989 geheiratet und wohnt in der Schweiz in Brig in einer geräumigen Wohnung. Anläßlich der Hochzeit war das Kind eine Woche bei ihr. Aus Anlaß des vierten Geburtstages am 22.11.1989 besuchte die Mutter das Kind nicht; sie rief nur an und schickte ihm ein Paket, das eine Woche später ankam. Im Jänner 1990 und vom 11.2. bis 17.2.1990 besuchte sie den Buben in Traun. Die Mutter arbeitete im Betrieb ihres Mannes, der in Brig ein Tanzlokal bzw. eine Cafeteria betreibt. Der Ehemann wäre mit der Übernahme der vollen Obsorge durch seine Frau einverstanden gewesen. Der Betrieb ihres Mannes hätte es der Mutter erlaubt, dort nur teilzeitbeschäftigt zu arbeiten.
In der Folge nützte die Mutter ein ihr vom Pflegschaftsgericht eingeräumtes Besuchsrecht vom 2.9.1990 bis 16.9.1990, um bei den Schweizer Gerichten einen rechtmäßigen Verbleib des Kindes über diesen Zeitraum hinaus bei ihr zu erwirken. Über Antrag des Vaters entschied das Instruktionsgericht II des Bezirkes Brig am 24.10.1990 jedoch, daß das Kind zu seinem Vater zurückzubringen sei. Die tatsächliche Rückführung zum Vater gelang erst im März 1991.
Der darauffolgende Antrag der Mutter auf Gestaltung ihres Rechtes auf persönlichen Verkehr mit ihrem Sohn in der Form, daß das Kind in den Weihnachtsferien in die Schweiz komme, wurde abgewiesen, weil nach den vorangegangenen Ereignissen ein solches Besuchsrecht einen so wesentlichen Eingriff in die jetzt ruhige Entwicklung des Kindes beim Vater darstelle, daß es nicht verantwortet werden könne.
Am 21.2.1992 wandte sich die Mutter mit einem Brief an den Erstrichter, in dem sie darlegte, daß es für das Kind besser wäre, wenn es ihrer Obsorge anvertraut würde. Diesem Schreiben folgte am 17.3.1992 ein förmlicher Antrag, ihr die Obsorge zu übertragen, da das Kindeswohl beim Vater extrem gefährdet sei. Das Kind werde zwischen dem Vater, dessen schwerkranker Schwester und der Großmutter hin- und hergeschoben. Die Erziehungsarbeit des Vaters habe zu nicht näher präzisierten massiven Verhaltensauffälligkeiten beim Kind geführt.
Gleichzeitig beantragte die Mutter ein 14tägiges Besuchsrecht in Österreich sowie einen einmal wöchentlich erfolgenden 1/4-stündigen Telefonkontakt durch Anrufe beim Kind.
Das Erstgericht hat die Anträge der Mutter auf Einräumung eines Telefonkontaktes und auf Entzug der dem Vater übertragenen Obsorge und Übertragung dieser Rechte auf sie abgewiesen und darüber hinaus dem Vater aufgetragen, zum Antrag der Mutter auf ein weiteres Besuchsrecht Stellung zu nehmen. Es vertrat rechtlich die Ansicht, ein Telefonkontakt mit dem Kind sei eine Erziehungsmaßnahme, die dem erziehungsberechtigten Vater obliege. Ein Einschreiten des Gerichtes sei so lange unzulässig, als dadurch das Wohl des Kindes nicht erheblich gefährdet sei. Die Einräumung von Telefonkontakten käme außerdem einer Überwachung des Vaters gleich und stellte einen wesentlichen Eingriff in die freie Gestaltung der ausschließlich dem Vater zustehenden Erziehung des Kindes dar. Zur Übertragung der Obsorge führte das Erstgericht aus, die Mutter habe keinerlei Umstände aufzuzeigen vermocht, die eine Gefährdung des Kindeswohles durch den Verbleib in der Sphäre des Vaters bedeuteten.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter keine Folge. Es billigte die Ansicht des Erstgerichtes, daß keinerlei Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung des Kindeswohles bei dessen Verbleib beim Vater und der Unterstützung durch die väterlichen Großeltern gegeben seien und der Antrag der Mutter auf Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens nur auf einen Erkundungsbeweis hinauslaufe. An der bisher bestehenden Situation habe sich nichts geändert; die Mutter habe keinerlei Gefährdung des Kindes aufzuzeigen vermocht. Der behauptete Umstand allein, daß es dem Kind bei der Mutter besser ginge, reiche zu einer Änderung der Obsorge, die nur aus wichtigen Gründen möglich sei, wenn ein Eingriff dringend geboten erscheine, nicht aus.
Aus dem Wortlaut des § 148 ABGB und dem Zweck des Besuchsrechtes folge, daß ein persönlicher Verkehr zwischen dem nicht erziehenden Elternteil und dem Kind stattzufinden habe, der die Anwesenheit beider erfordere. Eine Regelung des Besuchsrechtes in Form von Telefonkontakten unter Berufung auf § 148 ABGB sei daher nicht möglich. Dazu komme noch, daß Verstöße gegen einen vereinbarten Telefonkontakt kaum oder nur sehr erschwert geahndet werden könnten.
Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage nicht vorliege, ob der persönliche Verkehr im Sinne des § 148 ABGB auch in Form von Telefonkontakten geregelt werden könne.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig; er ist auch teilweise berechtigt.
Stehen einem Elternteil nicht die Pflege und Erziehung des minderjährigen Kindes zu, so hat dieser nach § 148 ABGB doch das Recht, mit dem Kind persönlich zu verkehren. Das Gericht hat auf Antrag die Ausübung dieses Rechtes in einer dem Wohl des Kindes gemäßen Weise zu regeln oder nötigenfalls, besonders wenn die Beziehungen des Kindes zu dem Elternteil, bei dem es aufwächst, unerträglich gestört würden, ganz zu untersagen. Diese Bestimmung, die insoweit subsidiär ist, als sie nur dann zum Tragen kommt, wenn die Eltern nicht einvernehmlich eine Lösung finden, regelt das Recht, mit dem Kind "persönlich zu verkehren" und enthält nicht den Terminus "Besuchsrecht", der sich in der Praxis eingebürgert hat. Zutreffend hat das Rekursgericht ausgeführt, daß dieses Recht auf persönlichen Verkehr mit dem Kind unter dem Schutz des § 8 MRK steht und ein Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung ist, das den Zweck verfolgt, den Zusammenhang zwischen Eltern und Kind aufrechtzuerhalten, eine Entfremdung zu verhindern und es dem Berechtigten ermöglichen soll, sich vom körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Aussprache laufend zu überzeugen. Diesem Gesetzeszweck kann aber neben dem unmittelbaren Beisammensein ab einem entsprechenden Alter des Kindes auch ein regelmäßiger Telefonkontakt insbesondere dann dienen, wenn die Aufrechterhaltung des erforderlichen persönlichen Kontaktes wegen besonderer Umstände, so etwa der großen räumlichen Entfernung der Wohnorte, nicht möglich ist. Solche Telefongespräche zwischen Elternteil und Kind lassen sich auch zwanglos unter den vom Gesetzgeber zu einer Zeit, da das Telefon noch keineswegs ein allgemeines Kommunikationsmittel war, gebrauchten Begriff "persönlicher Verkehr" subsumieren. Dies umso mehr, als der Pflegschaftsrichter die Regelung ja immer auf die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles abzustimmen hat. Daß eine Überwachung und Durchsetzung einer solchen Regelung auf Schwierigkeiten stoßen könnte, darf nicht entscheidend sein, weil grundsätzlich unterstellt werden muß, daß gerichtliche Anordnungen auch befolgt werden. Auch das unmittelbare persönliche Besuchsrecht stößt bei mangelnder Bereitschaft des Erziehungsberechtigten vielfach auf große Schwierigkeiten. Es kann auch nicht gesagt werden, daß durch regelmäßige Telefonkontakte ein unzulässiger Eingriff in die Erziehung und in die freie Gestaltung des Tagesablaufes des Erziehungsberechtigten vorliege. Auch wenn dieser das Kind zur Abholung bereithalten und beim Zurückbringen wieder anwesend sein muß, ist eine gewisse Beschränkung der Freizügigkeit und eine Beeinflussung des Kindes durch den nicht erziehungsberechtigten Elternteil dessen dargelegten Rechten unterzuordnen.
Da aber die besonderen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden müssen und der persönliche Verkehr zwischen Mutter und Kind einer Gesamtregelung bedarf, fehlt es noch an Verfahrensergebnissen für eine abschließende Entscheidung. Der Vater wurde zu dem Antrag der Mutter auf regelmäßige Telefonkontakte und auch zum übrigen Antrag auf Regelung des Besuchsrechtes (über welchen noch nicht entschieden ist) noch gar nicht gehört. Wie sich dem Akteninhalt entnehmen läßt, hat er sich bisher einer Regelung der Kontakte der Mutter zum Kind duchaus aufgeschlossen gezeigt und nur nach deren Übergriffen einer Ausübung des Besuchsrechtes in der Schweiz widersprochen. Es ist daher durchaus möglich, daß es einer gerichtlichen Regelung auch der Telefonkontakte gar nicht bedarf. Sollte eine solche erforderlich sein, wird sich die Festlegung einer bestimmten Zeit, die in den Tagesablauf sowohl des Kindes als auch der Erziehungsberechtigten nicht unbillig eingreift, erforderlich sein.
Zur Abweisung des Antrages, dem Vater die Obsorge zu entziehen und diese der Mutter zuzuteilen, genügt es, auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen zu verweisen.
Anmerkung
E32007European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0060OB00574.92.0807.000Dokumentnummer
JJT_19920807_OGH0002_0060OB00574_9200000_000