TE OGH 1992/8/25 1Ob23/92

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Veröffentlicht am 25.08.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.  Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter R*****, vertreten durch Dr. Eugen Radel und Dr. Willibald Stampf, Rechtsanwälte in Mattersburg, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 72.000,-- s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 27. April 1992, GZ 14 R 45/92-31, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 26. November 1991, GZ 4 Cg 217/90-24, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die beklagte Partei schuldig ist, der klagenden Partei den Betrag von S 72.000,-- samt 4 % Zinsen seit 31.8.1990 und die mit S 47.390,60 bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin S 6.439,60 Umsatzsteuer und S 8.753,- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Ein bei einer Truppenübung des Bundesheeres eingesetzter Lasthubschrauber landete am 15.11.1989 auf dem im Eigentum der Urbarialgemeinde stehenden (alten) Sportplatz; die Eigentümerin war vorher nicht um eine Landegenehmigung ersucht worden. Beim Landeanflug überflog der Pilot das in der Nähe des Landeplatzes liegende Anwesen des Klägers in einer Höhe von etwa 10 m. Durch das mit großem Lärm und starker Luftbewegung verbundene Überfliegen wurden die Vögel des Klägers, der eine Papageienzucht betreibt, derart aufgeschreckt, daß sich ein rotes Araweibchen das Genick brach und ein Gelbbrustara, der soeben zwei Junge ausgebrütet hatte, die frisch geschlüpften Tiere zertrat. Der hellrote Ara hatte einen Wert von S 36.000, die beiden Jungtiere einen solchen von je S 18.000.

Der Kläger begehrte die Verurteilung der beklagten Partei zum Ersatz dieses Schadens. Das schuldhaft rechtswidrige Verhalten der in Betracht kommenden Organe des Bundesheeres sei darin zu erblicken, daß sie nicht erhoben hätten, ob „neuralgische Punkte“, wie Sanatorien oder Tierzuchtbetriebe, vorhanden seien, sondern bloß einen Anschlag an der Gemeindetafel veranlaßt hätten. Selbst wenn der Kläger vom Manöver informiert worden wäre, hätte er mit dem Überfliegen seines Hauses in einer Höhe von bloß 10 m nicht rechnen müssen, zumal das Ortsgebiet vom Hubschrauber ohne weiteres hätte umflogen werden können; auch eine senkrechte Landung wäre möglich gewesen.

Die beklagte Partei wendete vor allem ein, es sei keine luftfahrrechtliche Vorschrift verletzt worden. Danach dürften die Mindestflughöhen unterschritten werden, soweit es zum Abflug oder zur Landung notwendig sei. Wegen der Grenznähe und des damals herrschenden Westwindes hätte die Ortschaft beim Landeanflug überflogen werden müssen. Eine Gefährdungshaftung scheide schon deshalb aus, weil es sich bei dem Vorfall um keinen Unfall im Sinne der einschlägigen Bestimmungen gehandelt habe. Im übrigen sei die Papageienzucht als solche nicht kenntlich gemacht worden.

Der Kläger replizierte darauf, der Vorfall sei als Unfall zu beurteilen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Hälfte statt und wies das Mehrbegehren ab.

Es stellte fest, das Kommando der eingesetzten Einheit habe dem Bürgermeister die geplante Übung am 6.10.1989 schriftlich bekanntgegeben und darauf hingewiesen, daß auch der Einsatz militärischer Luftfahrzeuge und deren Landung im Übungsgebiet vorgesehen sei; die Grundstückseigentümer mögen hievon auf ortsübliche Weise in Kenntnis gesetzt werden; Hinweise und Einwände wären bis 6.11.1989 an eine bestimmte Dienststelle zu richten. Ein ähnliches Schreiben sei auch an die Bezirksverwaltungsbehörde ergangen. Dem Schreiben an den Bürgermeister sei ein Formblatt angeschlossen gewesen, dessen Inhalt mit dem Schreiben an die Gemeinde insofern im Widerspruch gestanden sei, als es darin hieß, der Einsatz tieffliegender militärischer Luftfahrzeuge sowie Landungen im Übungsgebiet seien nicht vorgesehen. Dieses Formblatt sei an der Amtstafel der Gemeinde und an den sonst vorgesehenen Bekanntmachungstafeln angeschlagen worden. Dem Kläger sei die Bekanntmachung nicht zur Kenntnis gelangt; doch habe er gewußt, daß im Raum der Gemeinde eine militärische Übung stattfinden werde. Wäre ihm die vorgesehene Hubschrauberlandung bekannt gewesen, hätte er die Vögel ohne weiteres am Ausfliegen in die im Hof seines Hauses befindlichen Volieren hindern können. Die Lärmempfindlichkeit seiner Papageien sei dem Kläger und seiner Ehegattin bekannt gewesen. Ein Hinweis darauf, daß dort eine Papageienzucht betrieben werde, befinde sich am Haus des Klägers nicht. Der Übung sei eine Besprechung der zuständigen Heeresorgane mit Vertretern der betroffenen Gemeinden, unter anderem auch mit dem Bürgermeister der Gemeinde des Klägers und der in Betracht kommenden Behörden vorangegangen; dort sei mitgeteilt worden, daß auch Hubschrauberlandungen vorgesehen seien. Auf die Frage, ob bei der Übung bestimmte örtliche Bereiche ausgespart bleiben sollten, sei kein Einwand erhoben worden. Der Pilot des Transporthubschraubers sei im Zuge der Übung zweimal in der Ortsgemeinde gelandet. Bei der ersten Landung gegen 10 Uhr habe im Landebereich starker Westwind mit einer Geschwindigkeit von etwa 25 Knoten geherrscht, weshalb der Sportplatz vom Osten her habe angeflogen und außerdem ein verhältnismäßig steiler Hangflugwinkel habe eingehalten werden müssen.

Rechtlich meinte das Erstgericht, den Organen des Bundesheeres sei die unrichtige Bekanntmachung der Übung vorzuwerfen. Ferner sei beim Eigentümer des Landeplatzes keine Landegenehmigung eingeholt worden. Befinde sich eine Vogelzucht mit lärmempfindlichen Vögeln in der Nähe des Landeplatzes, bestünden Aufklärungs- und Verständigungspflichten. Dem Kläger falle zur Last, daß er trotz Kenntnis der Übung beim Gemeindeamt keine entsprechenden Erkundigungen eingezogen habe. Eine solche Erkundigung sei aber geboten gewesen. Den Kläger treffe daher ein gleichteiliges Mitverschulden.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab, sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen und führte in Erledigung der Rechtsrügen beider Teile aus, die eine Erfolgshaftung bei Drittschäden vorsehende Bestimmung des § 19 LuftVG setze voraus, daß beim Betrieb eines Luftfahrzeuges durch Unfall jemand getötet oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Das hier schadensverursachende Ereignis sei aber kein Unfall, also eine auf einen Körper oder eine Sache plötzlich einwirkende Schädigung gewesen; mit dem Betrieb gewöhnlich zusammenhängende schädliche Einwirkungen, wie etwa Lärm, Erschütterungen oder starke Luftbewegungen, wie sie mit dem normalen Betrieb eines Luftfahrzeuges verbunden seien, fielen nicht unter diesem Begriff, sodaß eine Gefährdungshaftung nicht in Betracht komme. Haftungsgrundlage könne daher nur ein schuldhaft rechtswidriges Organhandeln gemäß § 1 Abs 1 AHG sein. Soweit das dem Bürgermeister zur öffentlichen Bekanntmachung übermittelte Formblatt den unrichtigen Hinweis enthalte, daß der Einsatz tieffliegender Luftfahrzeuge sowie Landungen im Übungsgebiet nicht vorgesehen seien, komme Amtshaftung schon deshalb nicht in Betracht, weil der Aushang für den Schaden nicht kausal gewesen sei; der Kläger habe diesen Anschlag nicht zu Gesicht bekommen und hätte daher auch nicht etwa deshalb, weil er auf dessen Richtigkeit vertraut habe, von entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen absehen können. Mangels Kausalität scheide diese Fehlinformation der Öffentlichkeit somit als Haftungsgrundlage aus.

In der Ausführung des Landeanfluges könne kein schuldhaft rechtswidriges Organhandeln erkannt werden. Die bei Flügen über dichtbesiedeltem Gebiet vorgesehenen Mindestflughöhen dürften nämlich beim Abflug und bei der Landung unterschritten werden, soweit dies notwendig sei. In richtiger Auslegung der Lärmverhütungsvorschrift des § 7 Abs 1 LVR sei zur Vermeidung von Lärmbelästigungen die größte mit dem Zweck des Fluges noch vereinbare Flughöhe zu wählen, doch komme dem Sicherheitsgebot Vorrang zu. Ein Verstoß gegen § 7 LVR könne dem Piloten deshalb nicht vorgeworfen werden, weil er angesichts der herrschenden Windverhältnisse, der Windstärke und der nahen Staatsgrenze keinen anderen Anflugweg, aber auch keinen anderen Anflugwinkel hätte wählen können, sodaß er die Ortschaft und damit auch das Anwesen des Klägers „notwendig“ tief habe überfliegen müssen. Auch daß es sich um keinen Flugplatz gehandelt habe, könne an diesem Ergebnis nichts ändern, weil insoweit als Flugplätze Lande- und Wasserflächen gälten, die ganz oder teilweise für Abflüge, Landungen und sonstige Berechtigungen von Luftfahrzeugen vorgesehen sind. Dieser Flugplatzbegriff der Luftverkehrsregeln umfasse daher auch Außenlandeplätze und Außenabflugplätze, auch wenn sie nur im Einzelfall „vorgesehen“ seien. Gemäß § 9 Abs 3 LFG seien Außenabflüge und Außenlandungen von Militärflugzeugen zulässig, wenn andere öffentliche Interessen nicht überwögen. Der Lasthubschrauber des Österreichischen Bundesheeres sei ein Militärluftfahrzeug. Für den Bereich der Militärluftfahrt sei eine bescheidmäßige Bewilligung zur Außenlandung nicht erforderlich. Die gemäß § 9 Abs 3 LFG nicht in Bescheidform zu treffende Entscheidung sei nicht sanktioniert. Die Mißachtung dieser Bestimmung könne mangels formaler Voraussetzungen rechtlich nicht überprüft und gemäß § 146 Abs 2 LFG auch nicht geahndet werden und somit keine behördliche Verfügung aufgrund luftfahrrechtlicher Vorschriften zur Folge haben. Da der Flug von den für die Interessenabwägung zuständigen Organen als erforderlich erachtet worden sei, müsse grundsätzlich von der Zulässigkeit der Landung ausgegangen werden. Entgegenstehende öffentliche Interessen seien auch nicht erkennbar. Allerdings sei die Außenlandung gemäß § 9 Abs 4 LFG überdies nur dann zulässig, wenn der Verfügungsberechtigte der Benützung der Grundfläche zustimme. Eine solche Zustimmung sei aber nicht eingeholt worden. Daraus lasse sich jedoch nichts zugunsten des Klägers ableiten. Fehle die Einwilligung, so löse diese Unterlassung zwar zivilrechtliche Unterlassungsansprüche des Verfügungsberechtigten aus, Interessen Dritter wie des Klägers lägen jedoch außerhalb des Schutzzweckes des § 9 Abs 4 LFG. Auch darauf lasse sich die Haftung der beklagten Partei also nicht gründen. Den Organen falle auch die Vernachlässigung ihrer Erkundungspflicht nicht zur Last, weil der Bürgermeister der Gemeinde und die Bezirksverwaltungsbehörde ohnehin ersucht worden seien, gegen die Benützung des für die Übung vorgesehenen Raumes erhobene Einwände bekanntzugeben. Auch bei der Besprechung der Bundesheeroffiziere mit den Vertretern der Gemeinden und Behörden seien keine Einwände erhoben worden. Weitergehende Verpflichtungen hätten die Organe des Bundesheeres nicht treffen können.

Die Revision des Klägers ist berechtigt.

Er hat seinen Ersatzanspruch der Sache nach sowohl auf die Amtshaftung als auch auf die luftverkehrsrechtliche Gefährdungshaftung des beklagten Rechtsträgers gestützt. Nach Lehre und Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei Schragel, AHG2 Rz 9) schließen einander diese beiden Haftungsgründe nicht aus.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die Haftung der beklagten Partei nach § 19 LuftVG zwar erörtert, jedoch verneint, weil das schadensstiftende Ereignis nicht als eine auf die Sache plötzlich einwirkende Schädigung verstanden und deshalb nicht als Unfall im Sinne dieser Haftungsbestimmungen beurteilt werden könne. Diesen Erwägungen kann jedoch nicht beigepflichtet werden:

Gemäß § 19 Abs 1 des in Österreich sinngemäß (§ 1 Abs 1 der Verordnung über Einführung des Luftverkehrsrechtes in Österreich vom 1.4.1938 dRGBl.I 355) anzuwendenden Luftverkehrsgesetzes (idF der Bekanntmachung vom 21.8.1936 dRGBl.I 653), dessen Vorschriften über die Haftpflicht mit Ausnahme des hier nicht anzuwendenden § 29 m durch § 152 Abs 1 lit. a LFG ausdrücklich aufrecht erhalten wurden, ist der Halter des Luftfahrzeuges verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, wenn bei dessen Betrieb durch Unfall eine Person, die im Luftfahrzeug nicht befördert wurde, getötet, ihr Körper oder ihre Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wurde. Wie der erkennende Senat erst jüngst unter Berufung auf das (deutsche) Schrifttum ausgesprochen hat (EvBl. 1992/35), handelt es sich bei dieser Bestimmung um einen Fall strengster Gefährdungshaftung, die selbst höhere Gewalt einschließt und - anders als etwa § Abs 1 EKHG - auch keinen Entlastungsbeweis zuläßt. Ob der Halter des Luftfahrzeuges bzw. die mit seinem Willen bei dessen Betrieb tätigen Personen die Schädigung bei Beachtung jeder nach den Umständen des Falles geltenden Sorgfalt hätte vermeiden können, ist daher ohne rechtliche Bedeutung.

Daß die beklagte Partei Halter des Militärhubschraubers und dieser ein Luftfahrzeug ist, ergibt sich aus § 29 k LuftVG und § 11 Abs 1 LFG; das bezweifelt die beklagte Partei auch nicht. Sie bestreitet auch nicht, daß der geltend gemachte Schaden beim Betrieb des Luftfahrzeuges zustandekam. Auch das kann nicht zweifelhaft sein, ereignet sich der Unfall doch immer dann (noch) „beim Betrieb eines Luftfahrzeuges“, wenn ein innerer Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung besteht; es genügt daher schon, daß der Betrieb nurt eine der mitwirkenden Ursachen ist (EvBl. 1992/35 mwN). Das trifft hier auch zu, wurde doch das schreckhafte Verhalten der Tiere unmittelbar dadurch ausgelöst, daß der Hubschrauber das Anwesen des Klägers in geringer Höhe überflog. Die beklagte Partei bestritt ihre Haftung aus diesem Grunde allein deshalb, weil die schädigende Einwirkung auf die Tiere nicht als Unfall beurteilt werden könne und überdies die Schädigung nicht auf den eigentümlichen besonderen Gefahren des Luftfahrzeugbetriebes beruhe. Dieser Ansicht hat sich das Gericht zweiter Instanz jedoch zu Unrecht angeschlossen:

Unter einem Unfall wird im Gefährdungshaftungsrecht ganz allgemein ein von außen her plötzlich einwirkendes schädigendes Ereignis verstanden (Koziol, Haftpflichtrecht II2 484 f; vgl. zur hier in Betracht kommenden Haftungsnorm schon RGZ 158, 34, 37). Nach herrschender Auffassung von Lehre und Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland zu dem im Wortlaut übereinstimmenden § 33 Abs 1 dLuftVG muß die Einwirkung jedoch keineswegs „mechanischer“ Art sein, es genügt vielmehr auch die akustische Einwirkung des Triebwerkbetriebes, sodaß auch Schäden, die Menschen oder Tiere durch Erschrecken vor Luftfahrzeugen erleiden, durch einen Unfall im Sinne dieser Haftungsbestimmung entstanden sind (RGZ 158, 34, 37; OLG Düsseldorf in NJW 1968, 555 ua; Schleicher-Reymann-Abraham, Das Recht der Luftfahrt3 II 203; Schönwerth in Geigel, Haftpflichtprozeß20, 1023; Giemulla in Giemulla-Schmid, § 33 LuftVG Rz 12). Dieser Auffassung zu völlig gleicher Rechtslage ist zuzustimmen. Mag auch bei Gesetzwerdung dieser Haftungsbestimmung (im Jahre 1922) in erster Linie nur an Abstürze, Kollisionen mit Bauwerken oder an das Abirren von der Landepiste gedacht worden sein, so gebietet doch der Grund der Gefährdungshaftung - wer eine gefährliche Sache zu seinem Nutzen verwendet, hat auch die daraus entstehenden Nachteile für andere zu tragen (Koziol-Welser, Grundriß9 I 486) - , durch möglichst extensive Auslegung des Unfallsbegriffes auch die modernen Schadensfolgen der Luftfahrt, insbesondere solche aus dem Fluglärm, dem Luftfahrzeughalter zuzurechnen, soweit nur der Schaden adäquat-kausal verursacht und mit der für den Unfallbegriff typischen Plötzlichkeit eingetreten ist. Ob die Plötzlichkeit nur innerhalb des Flugbetriebes oder - wie heute zunehmend - allein beim Geschädigten (etwa durch Erschrecken realisiert wird, muß deshalb unerheblich bleiben (Ruhwedel in NJW 1971, 642).

Steht demnach fest, daß die Tiere, durch das infolge des gänzlich unerwarteten Tiefflugs eines überschweren militärischen Lasthubschraubers plötzlich aufgetretene Fluggeräusch erschreckt, mit voller Wucht gegen das Gitter der Voliere geflogen bzw. die soeben geschlüpften bzw. im Schlüpfen begriffenen Jungen zertreten haben, so war dies ein von außen plötzlich einwirkendes Ereignis, das als Unfall im Sinne des § 19 Abs 1 LuftVG zu qualifizieren ist. Der Fall liegt in Wahrheit gar nicht anders als jener, der der mehrfach zitierten Entscheidung EvBl. 1992/35 zugrundelag: Dort war ein Radfahrer durch den bei der Landung eines Hubschraubers verursachten Wind zum Sturz gekommen. War dort die Einwirkung durch verstärkte Luftströmung bewirkt worden, so geschah sie hier durch übergroßen Schall. Soweit die beklagte Partei zur Widerlegung vorstehender Erwägungen darauf hinweist, die Einwirkung müsse durch „mechanische Gewalt“ geschehen, ist ihr entgegenzuhalten, daß der Begriff der mechanischen Gewalt nicht zu eng verstanden werden darf; im übrigen ist auch die akustische Einwirkung eine der Formen mechanischer Einwirkung (vgl. nur Brockhaus Enzyklopädie19 I 295 und Meyers Enzyklopädisches Lexikon9 I 577 f). Auch die vom Berufungsgericht für seinen Standpunkt ins Treffen geführte Entscheidung des erkennenden Senates vom 13.4.1988, ZVR 1989/94 (in deren Definition des Unfalls die Einwirkung durch „mechanische Gewalt“ übrigens nicht vorkommt), steht den hier angestellten Erwägungen nicht entgegen: Dort wurde lediglich ausgeführt, Einwirkungen durch Abgase, Lärm, Erschütterungen udgl., die mit dem normalen Betrieb des Kraftfahrzeuges verbunden sind, seien jedenfalls dann nicht als Unfall anzusehen, wenn der Schaden durch eine wenn auch relativ kurzzeitige, so doch dauernde Einwirkung eintrat; dann fehlt aber in der Tat das für den Unfallsbegriff wesentliche Moment der Plötzlichkeit.

Auch die Berufung der beklagten Partei auf die Meinung Koziols (aaO 485), scheue ein Tier infolge des Motorenlärms, könne man zwar von einem Unfall sprechen, eine Gefährdungshaftung des Luftfahrzeughalters komme jedoch nicht in Betracht, weil die Schädigung auf keiner von der angeordneten Gefährdungshaftung erfaßten Betriebsgefahr beruhe, verfängt nicht. Der Autor unterstellt dabei sichtlich das vom normalen Betrieb des Luftfahrzeuges ausgehende Geräusch, wovon aber bei einem für den Geschädigten völlig unerwarteten knallartigen Geräusch infolge Tiefflugs eines überschweren Militärlasthubschraubers bloß 10 m über geschlossenem Siedlungsgebiet keine Rede sein kann. So stellen etwa Schädigungen, die durch die Stoßwellenbildung bei Überschallflügen entstehen, auch nach Koziol (aaO 485) einen Schaden im Sinne des § 19 LuftVG dar.

Der Erstrichter hat - allerdings auf der Grundlage der Amtshaftung des beklagten Rechtsträgers - ein Mitverschulden des Klägers angenommen, auf das an sich auch bei Bejahung der Gefährdungshaftung gemäß § 20 LuftVG Bedacht zu nehmen wäre. Die beklagte Partei hat jedoch in erster Instanz weder das Allein- noch ein Mitverschulden des Klägers eingewendet, sondern lediglich vorgebracht, daß ihre Organe weder ein Verschulden treffe noch eine Haftung gemäß § 19 LuftVG in Betracht komme; darin liegt aber kein Mitverschuldenseinwand (ZVR 1978/167; 1 Ob 594/81). Im übrigen käme ein Mitverschulden schon deshalb nicht in Betracht, weil nach dem von der Heeresverwaltung zur ortsüblichen Bekanntmachung übermittelten und auch tastsächlich bekannt gemachten Schriftstück (Beilage A) der Einsatz tieffliegender militärischer Luftfahrzeuge sowie Landungen im Übungsgebiet gar nicht vorgesehen waren. Es hieße dann die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten überspannen, würde man vom Geschädigten noch weitergehende Erhebungen fordern.

Die Haftung der beklagten Partei ist schon im § 19 LuftVG begründet, sodaß eine Stellungnahme zu den eingehenden Ausführungen des Berufungsgerichtes, mit denen es die gleichfalls geltend gemachte Amtshaftung des beklagten Rechtsträgers verneinte, entbehrlich ist. Da die Feststellungen über die Schadenshöhe unbekämpft blieben, ist dem Klagebegehren somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Textnummer

E30661

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0010OB00023.92.0825.000

Im RIS seit

15.06.1997

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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