Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Egermann, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Firma W***** KG Altheim, Linzerstraße 24, vertreten durch Dr. Estermann und Dr. Wagner, RAe in Mattighofen, wider die beklagte Partei Firma M***** GesmbH, Vorchdorf, Feldham 7, vertreten durch Dr. Georg Pammesberger, RA in Gmunden, wegen S 690.218,70 s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 17. September 1991, GZ 4 R 231/90, 4 R 195, 196 und 203/91-54, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 8. 6. 1990, GZ 4 Cg 112/89-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben und die angefochtene Berufungsentscheidung, soweit sie nicht in ihrem Punkte A I a) unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ist, hinsichtlich ihrer Punkte A I b) und A II) aufgehoben und dem Berufungsgericht in diesem Umfang eine neue Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei nach neuerlicher Berufungsverhandlung aufgetragen. Die Revisionswerberin wird mit ihren weiteren Rechtsmitteln auf diese Entscheidung verwiesen.
Die Revisionskosten bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die beklagte Partei teilte der klagenden Partei den Auftrag zur Erstellung einer Decke in einer Holzleim-Konstruktion für ihre Sägehalle in V*****. Nach Lieferung und Montage legte die klagende Partei eine Schlußrechnung über S 726.526,--. Abzüglich eines 5 %igen Haftrücklasses ergibt dies den Klagsbetrag, den sie nun von der beklagten Partei begehrt.
Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wendete unter anderem - die anderen Einwendungen sind nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens - ein, die Leimbinder seien mangelhaft ausgeführt, weil sie nicht der vertraglich vereinbarten Ö-Norm 4000
4. Teil, die eine Maximalschneebelastung von 120 kg/m2 vorsehe, entsprächen und daher nicht den Schneeverhältnissen in V***** standhalten könnten. Eine Behebung dieser Mängel sei faktisch unmöglich, sie könne nur durch eine Neuanfertigung vorgenommen werden. Die beklagte Partei begehre daher Wandelung. In der Folge wendete sie auch mangelnde Fälligkeit der Werklohnforderung ein.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren unter Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens statt. Es stellte fest, daß sich die Parteien über die Dimension der zu liefernden und montierenden Leimbinder auf die damals bereits überholte Ö-Norm 4000 4. Teil einigten. Die von der Klägerin gefertigte Deckenkonstruktion entspricht diesen Bedingungen. Offenbare Mängel liegen nicht vor. Die Arbeit wurde ordnungsgemäß ausgeführt. Darüber hinaus stellte das Erstgericht aber fest: "Die Schneelast für V***** ist mit 120 kg/m2 gegeben, eine höhere Schneelast für V***** gibt es nicht. Selbst unter Berücksichtigung der (nunmehr neuen) Ö-Norm B 4013 ergibt sich kein höherer Wert". Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Erstgericht aus, daß von einer Vereinbarung, wonach die Leimbinder einer Schneelast von 120 kg/m2 standhalten müßten, nicht die Rede war (AS 128 f). Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß die Klägerin ihre Leistung auftragsgemäß durchgeführt habe und die Werklohnforderung daher fällig sei.
In ihrer Berufung rügte die beklagte Partei, daß bei einer für V***** unangefochten mit 120 kg/m2 festgestellten Regelschneelast die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes unerfindlich sei, daß die Leimbinder der Auftragsvereinbarung entsprechen, weil nach den Verfahrensergebnissen hervorgekommen sei, daß diese nur einer Schneelast von 100 kg/m2 standhielten.
Nach Zustellung der Berufung beantragte die klagende Partei die Berichtigung der oben in Anführungszeichen wiedergegebenen Feststellung des Erstgerichtes, sodaß diese zu lauten habe: "Die Schneelast für V***** ist mit 100 kg/m2 gegeben". Es läge eine offenbare Unrichtigkeit bzw. ein Schreibfehler vor. Dieses Berichtigungsbegehren wurde in der Berufungsbeantwortung wiederholt.
Das Erstgericht wies mit Beschluß vom 14. 9. 1990 (ON 41) das Berichtigungsbegehren der klagenden Partei mit der Begründung zurück, die Feststellung, über die für V***** gegebene (Maximal-) Schneelast von 120 kg/m2 sei zwar unzutreffend, eine Berichtigung wäre jedoch nicht möglich, weil damit ein derart weitgehender Eingriff in die angefochtene Entscheidung vorgenommen werde, daß der Entscheidungswille dadurch verändert würde. Es liege daher kein Irrtum oder Schreibfehler des Erstgerichtes vor.
Mit der angefochtenen Entscheidung wies das Berufungsgericht die Berufung der beklagten Partei, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, unter Punkt A I a zurück und berichtigte unter Punkt A I b das Ersturteil dahin, daß er auf der S. 7 der Urteilsausfertigung das Wort "120 kg/m2" durch "100 kg/m2" ersetzt wird. Unter Punkt A II gab es der Berufung in der Hauptsache nicht Folge und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig. Nach Entscheidung über Rekurse gegen Gebührenbeschlüsse des Erstgerichtes sowie eines Kostenrekurses der beklagten Partei wies es im Punkt B III den Rekurs der klagenden Partei, der sich gegen die Abweisung des Berichtigungsbegehrens wendet, zurück und erklärte den Revisionsrekurs für unzulässig. Rechtlich folgerte das Berufungsgericht, es liege ein offenbarer und sohin berichtigungsfähiger Schreibfehler des Erstgerichtes bei Feststellung der maximalen Schneebelastung für V***** vor. Wenn eine Diskrepanz zwischen dem Gewollten und Erklärten vorliege, müsse auch eine Berichtigung einer Urteilsfeststellung möglich sein, wofür etwa § 477 Abs. 1 Z 9 ZPO eine Stütze biete. Zur Nichtstattgebung der Berufung der beklagten Partei führte das Berufungsgericht aus, mit der vorgenommenen Berichtigung diesem Rechtsmittel weitestgehend der Boden entzogen. Eine maximale Belastbarkeit der Leimbinder mit einer Schneelast von 100 kg/m2 entspreche der zwischen den Streitteilen getroffenen Vereinbarung, das Werk sei mängelfrei, der Werkslohn daher fällig. Zufolge vollzogener Berichtigung mangle es der klagenden Partei an einer Beschwer, weshalb ihr Rekurs gegen die Versagung der Berichtigung zurückzuweisen sei.
Die gegen den dem Klagebegehren stattgebenden Teil dieser Entscheidung erhobene Revision (deren integrierender Bestandteil ein Rekurs der beklagten Partei gegen die vorgenommene Berichtigung ist) ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 419 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, das das Urteil gefällt hat, jederzeit Schreib- und Rechenfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten im Urteil oder dessen Ausfertigungen oder Abweichungen der Ausfertigung von der gefällten Entscheidung berichtigen. Sie hat ihre theoretische Grundlage in der Tatsache, daß der materielle Gehalt der Entscheidung durch den Entscheidungswillen des Gerichtes bestimmt wird (Fasching, Kommentar zu den ZP-Gesetzen III, 807). Die offenbare Unrichtigkeit, welche einer Berichtigung im Sinne des § 419 Abs. 1 ZPO zugänglich ist, darf nur die Wiedergabe des zur Zeit der Entscheidung bestehenden Entscheidungswillens des erkennenden Richters nach außen betreffen; es muß sich um eine Diskrepanz zwischen Gewolltem und Erklärtem handeln. Der Irrtum muß sich aus dem ganzen Zusammenhalt für das Gericht und für die Parteien in dem Sinne ohne weiteres derart ergeben, daß schon nach dem Inhalt der Entscheidung offenkundig ist, daß das, was ausgesprochen wurde, dem Willen des Gerichtes zur Zeit der Fällung der Entscheidung nicht entsprochen hat (vgl. 8 Ob 35/85 mwN).
Im vorliegenden Fall lag dem Berichtigungsbeschluß des Berufungsgerichtes eine falsch getroffene Feststellung des Erstgerichtes zugrunde, der aber streitentscheidende Bedeutung zukommt. Mit seinem Beschluß ON 41 hat das Erstgericht - zu Recht oder zu Unrecht, kann dahingestellt bleiben - eine Berichtigung abgelehnt und löste daher in der Frage der Berichtigungsfähigkeit eine Bindungswirkung aus, indem es entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichtes klarlegte, daß zwar ein Fehler, aber keine Diskrepanz zwischen Gewolltem und Erklärtem vorliegt. Die Frage, ob dennoch zu berichtigen ist, hätte daher in einer dem Berufungsverfahren vorausgehenden Entscheidung über den Rekurs der klagenden Partei gelöst werden müssen. Es hätte der beklagten Partei nach erfolgter Berichtigung die Gelegenheit geboten werden müssen, die erhobene Berufung entweder zu ergänzen oder durch eine neue zu ersetzen (vgl. MGA ZPO14, § 419/24, 28 f). Hinter der von der Rechtsprechung auch einer Rechtsmittelinstanz eingeräumten Möglichkeit, eine erstgerichtliche Entscheidung zu berichtigen (vgl. JBl. 1989, 312 mit Anm. von Böhm, 7 Ob 559/89, 7 Ob 101/75 und 4 Ob 80/83) steht nur der Gedanke, daß durch die Behebung einfach erkennbarer Fehler, die von den Parteien auch meist als solche zugestanden werden, die aber einer meritorischen Erledigung entgegenstehen und daher zu einer Aufhebung der erstgerichtlichen führen könnten, sich niemand für beschwert erachten kann (vgl. Böhm aaO). Dadurch darf aber nie das Recht der Parteien auf Behandlung ihrer Tatsachenrüge durch Überprüfung der erstgerichtlichen Beweiswürdigung geschmälert werden (vgl. in diesem Sinne auch Fasching, LB2 Rz 1567). Will daher das Berufungsgericht eine streitentscheidende Feststellung, deren Berichtigung das Erstgericht abgelehnt hat, in einer anderen Form als einer Abänderung der Entscheidung über den Berichtigungsantrag treffen, so kann dies nur im Wege einer Beweiswiederholung erfolgen. Die Rechtsprechung, wonach Berichtigungsbeschlüsse der Berufungsinstanz unanfechtbar sind (MGA ZPO14 § 519/9), ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Der vorliegende Berichtigungsbeschluß stellt einen integrierenden Bestandteil der Berufungsentscheidung dar, wurde mit ihm doch faktisch über die Tatsachen- und Beweisrüge der beklagten Partei entschieden. Mit dieser Entscheidungsform wurde der Rechtsmittelwerberin die ihr sonst zustehende Möglichkeit, ihr Rechtsmittel zu ergänzen oder neuerlich zu erheben, abgeschnitten. Damit wurde aber das Rechtsmittelrecht der beklagten Partei unzulässigerweise eingeschränkt. Durch die meritorische Erledigung der Berufung durch das Berufungsgericht ist es diesem verwehrt, über die nunmehr ergänzte Berufung der beklagten Partei zu entscheiden. Die angefochtene Berufungsentscheidung, deren integrierender Bestandteil der Berichtigungsbeschluß ist, war daher aufzuheben und dem Berufungsgericht nach Abhaltung einer neuen Berufungsverhandlung eine neuerliche Entscheidung über die (ursprünglich erhobene) Berufung der beklagten Partei aufzutragen. Aus den dargelegten Gründen steht auch die in Rechtskraft erwachsene Zurückweisung des Rekurses der klagenden Partei gegen die verweigerte Berichtigung nicht der vorliegenden Erledigung entgegen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E33209European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0070OB00570.92.0903.000Dokumentnummer
JJT_19920903_OGH0002_0070OB00570_9200000_000