TE OGH 1992/9/9 2Ob34/92

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Veröffentlicht am 09.09.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Georg W*****, vertreten durch Dr. Christian J. Winder und Dr. Klemens Stefan Zelger, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. Ida E*****und 2.

*****Versicherungsaktiengesellschaft, *****vertreten durch Dr. Martin Jöstl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 55.332,38 s.A. infolge Rekursen aller Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 23.April 1992, GZ 2 R 45/92-19, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 27.November 1991, GZ 15 Cg 129/91-12, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs des Klägers wird nicht Folge gegeben.

Dem Rekurs der beklagten Parteien wird Folge gegeben und in der Sache selbst erkannt:

Das Klagebegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen den Betrag von S 55.332,38 samt 11 % Zinsen aus S 96.332,38 vom 22.12.1990 bis 10.1.1991 und aus S 55.332,38 seit 11.1.1991 zu bezahlen wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit S 16.248,67 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin S 2.708,11 Umsatzsteuer), die mit S 12.159,16 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 1.200 Barauslagen und S 1.826,52 Umsatzsteuer) und die mit S 15.567,36 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin S 6.000,- Barauslagen und S 1.594,56 Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 12.9.1990 ereignete sich in Innsbruck auf der Kreuzung Südtiroler Platz/Salurnerstraße/Sterzingerstraße ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger und die Erstbeklagte jeweils als PKW-Lenker beteiligt waren. Die örtliche Situation an dieser Kreuzung ist folgender Skizze zu entnehmen:

Die Ampelanlage war auf gelbes Blinklicht geschaltet. Der Kläger kam aus Richtung Süden von der Sterzingerstraße zur Kreuzung und wollte auf dem Südtiroler Platz auf der "mittleren Fahrbahn" (also der westlich gelegenen der beiden Fahrbahnen), die - offenbar durch straßenbauliche Einrichtungen voneinander getrennt - in Richtung Norden führen, weiterfahren. Der Kläger wollte also auf der Kreuzung nicht einbiegen, sondern seine Fahrtrichtung annähernd beibehalten. In seiner Fahrtrichtung befand sich vor der Kreuzung in der Sterzingerstraße das Vorschriftzeichen "Vorrang geben" samt der aus der Skizze ersichtlichen Zusatztafel, die als Verlauf der Straße mit Vorrang den Straßenzug Südtiroler Platz/Salurnerstraße darstellte. Die Erstbeklagte kam aus der Gegenrichtung auf dem linken Fahrstreifen der westlichen Fahrbahn des Südtiroler Platzes. Vor der Kreuzung war das Vorschriftszeichen "Vorrangstraße" angebracht, ebenso eine Zusatztafel, die den Straßenzug Südtiroler Platz/Salurnerstraße als Verlauf der Vorrangstraße darstellte. In ihrer Fahrtrichtung gesehen setzte sich die Vorrangstraße also nach rechts auf der Salurnerstraße fort. Die Erstbeklagte beabsichtigte aber weder in diese Straße nach rechts einzubiegen noch ihre Fahrtrichtung beizubehalten, sondern wollte auf der Kreuzung nach links zur östlichen Fahrbahn des Südtiroler Platzes abbiegen. Der Kläger fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit, die jedenfalls nicht über 50 km/h lag, in die Kreuzung ein. Er nahm an, die Erstbeklagte, die den linken Blinker eingeschaltet hatte, werde ihm den Vorrang lassen. Die Erstbeklagte setzte ihr Linkseinbiegemanöver aber in der Absicht fort, sie könne das Manöver noch vor Einfahren des Klägers in die Kreuzung beenden. Der Kläger reagierte 1,7 Sekunden bzw 20,4 m vor dem Zusammenstoß, trotzdem kam es auf der mittleren Fahrbahn des Südtiroler Platzes zur Kollision. Die Erstbeklagte erlitt hiebei Verletzungen, beide Fahrzeuge wurden beschädigt. Der dem Kläger entstandene Sachschaden beträgt einschließlich pauschaler Unkosten S 96.332,38, jener der Erstbeklagten S 53.000. Die Zweitbeklagte leistete dem Kläger eine Akontozahlung von S 41.000.

Der Kläger begehrt den Ersatz seines restlichen Schadens von S 55.332,38 samt 11 % Zinsen aus S 96.332,38 vom 22.12.1990 bis 10.1.1991 und aus S 55.332,38 seit 11.1.1991. Er führte aus, er habe sich im Vorrang befunden, die Erstbeklagte treffe das Alleinverschulden. Der Kläger habe die Zweitbeklagte zur Zahlung bis 21.12.1990 aufgefordert, er nehme Bankkredit in Anspruch.

Die Beklagten wendeten ein, die Erstbeklagte habe sich gemäß § 19 Abs 4 zweiter Satz StVO im Vorrang befunden, den Kläger, der überdies eine absolut überhöhte Geschwindigkeit von 60 km/h eingehalten habe, treffe das Alleinverschulden. Die Höhe der begehrten Zinsen werde bestritten, der Beginn des Zinsenlaufes aber mit 22.12.1990 außer Streit gestellt. Außerdem wendete die Beklagte ihren Sachschaden sowie ein Schmerzengeld von S 100.000 aufrechnungsweise ein.

Das Erstgericht sprach aus, daß die Klagsforderung mit S 18.444,12 zu Recht und die Gegenforderung bis zu dieser Höhe ebenfalls zu Recht bestehe und das Klagebegehren daher abgewiesen werde. Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, der Erstbeklagten sei, obwohl sie die Vorrangstraße durch Linksabbiegen verlassen habe, der Vorrang gemäß § 19 Abs 4 StVO zugestanden, es sei ihr aber Unaufmerksamkeit und ein Reaktionsverzug anzulasten. Das Verschulden sei im Verhältnis von 2 :

1 zu Lasten des Klägers zu teilen.

Das Berufungsgericht gab beiden Berufungen Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erkannt. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, die straßenbaulichen Einrichtungen des Südtiroler Platzes seien als Fahrbahnteiler im Sinne des § 57 Abs 1 letzter Satz StVO zu werten, die die Verkehrsfläche nicht in selbständige Straßen zerlegten, sondern einen einheitlichen Straßenzug in drei Fahrbahnen mit entgegengesetzten Fahrtrichtungen aufgliederten, wobei die westliche für den Verkehr Richtung Süden und die mittlere sowie östliche für den Verkehr Richtung Norden bestimmt seien. Allerdings fehlten ausreichende Feststellungen, um die östliche Fahrbahn des Südtiroler Platzes, die zum Bahnhof führe, qualifizieren zu können. Ob eine Verkehrsfläche eine Nebenfahrbahn darstelle, hänge davon ab, ob diese dem Durchzugsverkehr diene (vgl ZVR 1986/43). Die Beklagten hätten eingewendet, die Erstbeklagte habe nach links abbiegen und zum Bahnhof fahren wollen. Sollte sich ergeben, daß es sich bei dieser durch eine straßenbauliche Maßnahme getrennte Fahrbahn um eine Nebenfahrbahn handle, so könne der Erstbeklagten nicht die Begünstigung des § 19 Abs 4 StVO (Verlassen des bevorrangten Straßenzuges mit besonderem Verlauf) zukommen, weil dann das Problem des Umkehrens relevant werde (Benes-Messiner, StVO8 § 14, E 2), also die beabsichtigte Fahrlinie der Erstbeklagten als Umkehren zu beurteilen wäre. Die im Kreuzungsbereich angebrachten Bodenmarkierungen dienten hingegen der Leitung und Ordnung des Verkehrs (§ 55 Abs 1 StVO), ohne daß dadurch zwei Straßenzüge entstünden. Damit sei der gegenständliche Bereich als eine einheitliche Kreuzung gemäß § 2 Abs 1 Z 17 StVO anzusehen (ZVR 1982/398; ZVR 1984/27; ZVR 1974/258). Aus den Feststellungen ergebe sich auch nicht, ob der Erstbeklagten ein Reaktionsverzug anzulasten sei. Auch zu dieser Frage bedürfe es ergänzender Feststellungen.

Sowohl der Kläger als auch die beklagten Parteien bekämpfen den Beschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs. Der Kläger strebt die vollinhaltliche Stattgebung seines Begehrens an, die Beklagten die gänzliche Klagsabweisung.

Die Parteien beantragen jeweils, dem Rekurs der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse sind zulässig, berechtigt ist jedoch nur jener der beklagten Parteien.

1. Zum Rekurs des Klägers:

Gemäß § 19 Abs 4 zweiter Satz StVO haben, wenn auf einer Zusatztafel ein besonderer Verlauf einer Straße mit Vorrang dargestellt ist, die Fahrzeuge, die auf dem dargestellten Straßenzug kommen, den Vorrang unabhängig davon, ob sie dem Straßenzug folgen oder ihn verlassen. Die Erstbeklagte näherte sich der Kreuzung auf der Vorrangstraße, nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes kam ihr daher der Vorrang zu, obwohl sie nicht dem Verlauf der Vorrangstraße nach rechts folgte, sondern durch Linkseinbiegen die Vorrangstraße verließ.

Der Kläger vertritt in seinem Rekurs die Ansicht, der Straßenzug der Vorrangstraße habe auf Grund der Bodenmarkierungen nicht die gesamte Fahrbahn umfaßt. Von den drei Fahrstreifen des in Richtung Süden führenden Fahrbahnteiles hätten nur der Rechte und der Mittlere zum bevorrangten Straßenzug gehört, der Linke, auf dem die Ersthbeklagte gefahren sei, sei ein "normaler" Straßenzug gewesen. Diese Ansicht kann nicht geteilt werden. Die drei Fahrstreifen des Richtung Süden führenden, als Vorrangstraße gekennzeichneten Fahrbahnteiles des Südtirolerplatzes sind zunächst durch Leitlinien getrennt. Dadurch, daß unmittelbar vor der Kreuzung die Trennung durch Sperrlinien erfolgt und der linke Fahrstreifen auf Grund der Bodenmarkierungen zum Linkseinbiegen besimmt ist, ändert sich nichts daran, daß auch der linke Fahrstreifen zur Vorrangstraße gehört. Fahrzeuge, die diesen Fahrstreifen benützen, verlassen erst an der Kreuzung die Vorrangstraße, weshalb ihnen der Vorrang gemäß § 19 Abs 4 zweiter Satz StVO zukommt.

Aus diesen Gründen ist der Rekurs des Klägers nicht berechtigt.

2. Zum Rekurs der beklagten Parteien:

Zutreffend wendet sich dieses Rechtsmittel gegen die Ausführungen des Berufungsgerichtes, es sei zu klären, ob es sich bei der östlichen Fahrbahn des Südtiroler Platzes um eine Nebenfahrbahn handle, in diesem Fall käme der Erstbeklagten nicht die Begünstigung des § 19 Abs 4 StVO zu, es würde das Problem des Umkehrens relevant werden. Die Erstbeklagte benützte den linken Fahrstreifen des südlichen Teiles des Südtiroler Platzes und bog, entsprechend der Bodenmarkierung, nach links ein. Sie wollte nicht etwa auf der mittleren Fahrbahn Richtung Norden fahren, wie dies der Kläger beabsichtigte, sondern war im Begriff, die mittlere Fahrbahn zu queren, um zum Bahnhof zuzufahren. Der Umstand, daß sie auf der östlichen Fahrbahn des Südtiroler Platzes in Richtung Norden gefahren wäre, vermag an dem ihr gemäß § 19 Abs 4 StVO zustehenden Vorrang nichts zu ändern. Für den wartepflichtigen Kläger war es ohne jede Bedeutung, ob das auf der Vorrangstraße entgegenkommende Fahrzeug nach Kreuzen seiner Fahrlinie geradeaus weiter fährt (ob dies überhaupt möglich wäre, kann den Feststellungen nicht entnommen werden), oder ob es in der Folge in eine andere Fahrbahn abermals nach links einbiegt. Die vom Berufungsgericht zur Frage der Qualifikation des Südtiroler Platzes angeordnete Verfahrensergänzung ist daher nicht erforderlich.

Es bedarf aber auch keiner Ergänzung des Verfahrens zur Frage des "Erzwingens des Vorranges bzw eines allfälligen Reaktionsverzuges". Der Kläger stützte sein Begehren darauf, die Erstbeklagte treffe das Verschulden am Unfall, weil sie seinen Vorrang verletzt habe. Wie oben dargelegt, kam ihm aber der Vorrang nicht zu. Eine verspätete Reaktion oder ein "Erzwingen des Vorranges" machte der Kläger der Beklagten nicht zum Vorwurf, weshalb es nicht erforderlich ist, hiezu Feststellungen zu treffen.

Aus diesen Gründen war dem Rekurs der beklagten Parteien Folge zu geben und in der Sache selbst im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens zu erkennen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Berufungs- und des Rekursverfahrens überdies auf § 50 ZPO. Kostenbemessungsgrundlage für die Berufung der Beklagten war nur der Betrag von S 18.444,12, die Teilzahlung von S 41.000 war nicht Gegenstand des Verfahrens.

Anmerkung

E30588

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00034.92.0909.000

Dokumentnummer

JJT_19920909_OGH0002_0020OB00034_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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