Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber, Dr.Kropfitsch, Dr.Zehetner und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz K*****, vertreten durch Dr.Gernot Kusatz, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagten Parteien 1.) Franz H*****, 2.) Johann W***** GmbH, *****,
3.) ***** Versicherung*****, alle vertreten durch Dr. Johannes Kirschner, Rechtsanwalt in Wels, wegen S 98.900,-- s.A., infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 11. September 1991, GZ 16 R 139/91-23, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 2. April 1991, GZ 1 Cg 182/90-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen, die im übrigen als unbekämpft unberührt bleiben, werden im Zuspruch eines Betrages von S 72.047,25 s.A. sowie im Kostenpunkt aufgehoben; dem Erstgericht wird eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des bisherigen Verfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Am 9.2.1989 ereignete sich gegen 20 Uhr auf der Bundesstraße 25 im Gemeindegebiet von B***** außerhalb des Ortsgebietes ein Verkehrsunfall, an dem Michael K***** als Lenker des PKW Citroen, behördliches Kennzeichen ***** und der Erstbeklagte als Lenker des LKW-Zuges MAN, Kennzeichen des Zugfahrzeuges *****, Kennzeichen des Anhängers *****, beteiligt waren. Der Kläger war Halter des PKWs, die zweitbeklagte Partei Halterin des bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten LKW-Zuges. Der Lenker des PKWs des Klägers wurde verletzt, die beiden Fahrzeuge wurden beschädigt.
Der Erstbeklagte wurde mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Ybbs vom 18.10.1989, U 68/89-18, wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. Seiner Berufung wurde nicht Folge gegeben. Über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erkannte der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 18.6.1991, 11 Os 55, 56/91-6, dahin, daß die Urteile das Gesetz in der Bestimmung des § 88 Abs 1 StGB iVm § 14 Abs 1 StVO verletzen, hob beide Urteile auf und erkannte in der Sache selbst dahin, daß der Erstbeklagte von der Anklage, als Lenker eines Lastkraftwagens mit Anhänger an einer nicht geeigneten Stelle umgekehrt zu haben, freigesprochen wurde.
Der Kläger begehrte den Ersatz seines Schadens von S 98.900,-- sA. Er brachte vor, der Erstbeklagte habe mit dem LKW-Zug ein Reversiermanöver durchgeführt, dabei den Vorrang der Verkehrsteilnehmer auf der Bundesstraße verletzt und dem Lenker seines Fahrzeugs, dem eine Abwehr gegen dieses Manöver nicht mehr möglich gewesen sei, die Fahrbahn versperrt. Das Alleinverschulden treffe den sein Fahrmanöver rücksichtslos durchführenden Erstbeklagten. Er hätte wissen müssen, daß die Lenker von Fahrzeugen auf der Bundesstraße am querstehenden LKW-Zug weder dessen Beleuchtung, noch "Katzenaugen" wahrnehmen können. Darüber hinaus habe er durch seine Fahrweise eine grobe Vorrangverletzung zu verantworten. Letztlich habe es der Erstbeklagte unterlassen, im Zuge des Reversiermanövers sich eines Einweisers zu bedienen.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten ein, daß der Lenker des PKWs des Klägers den Unfall allein verschuldet habe. Der Erstbeklagte habe auf einen am linken Fahrbahnrand befindlichen Umkehrplatz einfahren wollen, um dort umzukehren und in der Gegenrichtung zurückzufahren. Er habe zunächst angehalten und sei losgefahren, nachdem aus der Gegenrichtung kein Fahrzeug wahrzunehmen gewesen sei. Er sei mit dem Zugfahrzeug bereits zur Gänze außerhalb der Bundesstraße gewesen, als es zur Kollision mit dem PKW gekommen sei. Dieser sei zwischen Zugfahrzeug und Anhänger gegen die Deichsel gestoßen. Der PKW-Lenker sei trotz Dunkelheit mit einer Geschwindigkeit von zumindest 100 km/h gefahren und hätte bei aufmerksamem Fahren den Verkehrsunfall verhindern können. Er habe offensichtlich eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und zu spät reagiert. Der Erstbeklagte habe für das Einbiegemanöver mindestens 13 Sekunden benötigt. Da die Sicht etwa 180 m betragen habe, sei zu Beginn seines Manövers der PKW des Klägers noch nicht im Sichtbereich gewesen. Aufrechungsweise wendeten die beklagten Parteien den Sachschaden am LKW-Zug von S 8.511,-- gegen die Klageforderung ein.
Das Erstgericht erkannte die Klageforderung mit S 74.175,--, die Gegenforderung mit S 2.127,75 als zu Recht bestehend, sprach dem Kläger den Betrag von S 72.047,26 sA zu und wies das Mehrbegehren von S 26.852,75 sA ab.
Es traf folgende Feststellungen:
Die Bundesstraße 25 hat im Unfallsbereich eine 7,6 m breite Asphaltfahrbahn. Beiderseits sind Randlinien vorhanden, die etwas unterschiedlich zu den Asphalträndern aufgebracht sind. In der geometrischen Fahrbahnmitte verläuft eine Leitlinie. In Fahrtrichtung Y***** gesehen beschreibt die Fahrbahn eine langgezogene Linkskurve, die mehr als 200 m vor der Unfallstelle beginnt und ca 80 m nach der Unfallstelle endet. In dieser Kurve besteht ein Quergefälle zum Kurveninnenrand von ca 4 %. In Richtung Y***** besteht nur ein unwesentliches Längsgefälle von unter 1 %.
Ein Fahrzeuglenker, der in Richtung W***** fährt, hat vom Lenkersitz aus vor Beginn eines beabsichtigten Wendemanövers unter Bedachtnahme darauf, daß kurveninnenseitig an dort stehenden Sträuchern kein Laub vorhanden ist, zu einem aus Richtung W***** entgegenkommenden Fahrzeug Sicht auf ungefähr 170 m.
Bei Tageslicht besteht in Fahrtrichtung Y***** Sicht über die gesamte Breite der rechten Fahrbahnhälfte von ca 200 m. Der rechte Fahrbahnrand ist aus ungefähr 250 m zu sehen. Unter Bedachtnahme auf die Linkskrümmung der Bundesstraße ergibt sich für einen von W***** in Richtung Y***** fahrenden PKW ab einer Distanz von 100 m durch eingeschaltetes Fernlicht eine Ausleuchtung des Unfallsbereiches über die gesamte Fahrbahnbreite.
Am Unfallstag lenkte Michael K***** den PKW bei Finsternis und nasser Fahrbahn von W***** in Richtung Y*****. Er hielt eine Geschwindigkeit von 90 km/h ein und hatte das Fernlicht eingeschaltet. Der Erstbeklagte hatte am Nachmittag des Unfallstages den Anhänger des LKW-Zuges auf einem in Richtung W***** gesehen rechts neben der Bundesstraße befindlichen Parkplatz abgestellt; am Abend kehrte er dann mit dem Zugfahrzeug zurück, kuppelte den Anhänger wieder an das Zugfahrzeug an, fuhr dann vom Parkplatz auf die Bundesstraße und wollte auf dieser unter Einbeziehung eines zweiten schräg gegenüber links neben der Bundesstraße liegenden Parkplatzes umkehren, um in der Folge die Bundesstraße 25 in Richtung Y***** zur Westautobahn zu befahren.
Nachdem sich der Erstbeklagte überzeugt hatte, daß weder Nachfolgeverkehr noch Gegenverkehr vorhanden waren, leitete er das beabsichtigte Umkehrmanöver mit einer Fahrgeschwindigkeit von 4 bis 5 km/h ein; zum Zeitpunkt, als er sein Wendemanöver begann, war der "Lenker des Fahrzeuges des Klägers noch nicht in seiner Sicht". Als er dann in den Sichtbereich des Erstbeklagten einfuhr, versperrte der Erstbeklagte infolge des fortgeschrittenen Wendemanövers mit dem Zugwagen bereits die Gegenfahrbahn, also den rechten Fahrstreifen in Richtung Y*****. Etwa 68 m vor der späteren Unfallstelle entschloß sich der Lenker des Fahrzeuges des Klägers zu einer Vollbremsung, obwohl er den ein Hindernis darstellenden LKW-Zug der beklagten Partei auf zumindest 100 m Entfernung erkennen hätte können. Nachdem der Erstbeklagte mit seinem LKW ab Beginn der Linksbogenfahrt eine Fahrstrecke von 16 m zurückgelegt hatte, kam es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge. Der LKW der beklagten Parteien befand sich im Kollisionszeitpunkt im Stillstand, wobei nicht mehr feststellbar ist, ob er gerade erst oder schon länger stillstand. In dieser Position versperrte der LKW-Zug der beklagten Parteien jedenfalls die Bundesstraße 25 zur Gänze. Dem Lenker des Fahrzeuges des Klägers gelang es durch eine Vollbremsung, seine Ausgangsgeschwindigkeit von 90 km/h auf eine Kollisionsgeschwindigkeit von maximal 30 km/h zu reduzieren. Sein Teilanhalteweg betrug 68 m (rechnerisch 67,7 m), seine Teilanhaltezeit 3,6 Sekunden. Unter Zugrundelegung einer Bremsverzögerung von 6,0 m/sec2, einer Vorbremszeit von 0,2 Sekunden und einer Reaktionszeit von 0,7 Sekunden hätte der Anhalteweg bei 90 km/h Ausgangsgeschwindigkeit 73,5 m und seine Anhaltezeit 5,0 Sekunden betragen.
Der PKW stieß mit der Stirnseite gegen die linke Seite des LKW-Zuges, und zwar so, daß es zwischen dem Heck des Zugwagens und der Stirnseite des Anhängers zum Eindringvorgang kam, wobei die Hauptanstoßstelle am LKW-Zug bei der Deichsel des Anhängers lag. 5 Sekunden vor der Kollision befand sich der PKW-Lenker knapp über 100 m von der Unfallstelle entfernt, also in einem Bereich, in dem er infolge des Fernlichtes den LKW-Zug der beklagten Parteien sehen und erkennen hätte können. Tatsächlich entschloß er sich 3,6 Sekunden vor der Kollision zur Vollbremsung. Für den Lenker des Fahrzeuges des Klägers wäre der Unfall vermeidbar gewesen bzw. ein kontaktfreies Anhalten vor dem LKW möglich gewesen, wenn er aus einer Entfernung von 73,5 m vor dem späteren Kollisionspunkt bzw um 0,23 Sekunden früher als tatsächlich reagiert hätte. Es wäre somit gar nicht eine sofortige Reaktion aus einer Entfernung von 100 m erforderlich gewesen.
Dem Kläger entstand durch den Unfall ein Schaden von S 98.900,--, der zweitbeklagten Partei ein solcher von S 8.511,--.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß dem Erstbeklagten ein Verstoß gegen § 14 Abs 1 StVO zur Last falle, weil er bei den gegebenen örtlichen, zeitlichen und witterungsmäßigen Bedingungen von der Durchführung des beabsichtigten Umkehrmanövers Abstand zu nehmen gehabt hätte. Daran vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, daß der Lenker des Fahrzeugs des Klägers noch nicht im Sichtbereich des Erstbeklagten gewesen sei, als letzterer das Umkehrmanöver begonnen habe. Der Erstbeklagte habe unter allen Umständen damit rechnen müssen, daß er vor allem wegen der Länge seines Fahrzeugs für den Abschluß eines Wendemanövers einen so großen Zeitraum benötigen werde, daß jederzeit Fahrzeuge aus Richtung W***** kommen könnten. Dem Lenker des Fahrzeugs des Klägers sei ein Beobachtungsfehler anzulasten. Er habe eine Fahrgeschwindigkeit eingehalten, bei der er mit dem Fernlicht durchaus auf Sicht hätte anhalten können; daran vermöge auch nichts zu ändern, daß der mehr oder weniger quer über die Fahrbahn stehende LKW-Zug der beklagten Parteien für den Lenker des Klagsfahrzeuges ein im wesentlichen unbeleuchtetes Hindernis darstellte. Der Beobachtungsfehler des Lenkers Michael K***** habe zu einer Reaktionsverspätung geführt, weshalb auch ihn ein Verschulden am Zustandekommen dieses Unfalles treffe. Eine Verschuldensteilung im Ausmaß von 3:1 zugunsten der klagenden Partei sei gerechtferigt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien nicht Folge und ließ die Revision zu. Das Fahrmanöver des Erstbeklagten sei nicht als Umkehren, sondern als Einbiegen nach links zum Parkplatz zu beurteilen. Dabei wäre der Vorrang des aus W***** kommenden Verkehrsteilnehmers zu beachten gewesen. Bei den konkreten Verhältnissen einer viele Sekunden lang dauernden vollständigen Blockierung der Fahrbahn der Bundesstraße 25 durch den in Querfahrt befindlichen oder querstehenden LKW-Zug sei als unfallverhütende Maßnahme des entgegenkommenden geradeaus fahrenden Lenkers ein Ablenken seines Fahrzeuges ebenso ausgeschieden wie ein bloßes Herabsetzen seiner Fahrgeschwindigkeit. Um aus einer Fahrgeschwindigkeit von 90 km/h auf einer Strecke von etwas über 100 m anhalten zu können, habe es einer Bremsverzögerung von 4 m/sec2 bedurft, was einer mittleren Bremsverzögerung entspricht; auf 94,4 m hätte der Verzögerungswert 4,5 m/sec2 betragen. Es sei also eine durchgehende Bremsung bis zum Stillstand mit einer jedenfalls mittleren Betriebsbremsung erforderlich gewesen, sodaß eine Nötigung zur Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit nach § 19 Abs 7 StVO vorgelegen sei.
Der Rechtssatz, daß die Verletzung der Vorrangbestimmungen des § 19 StVO durch einen nach Abs 7 dieser Gesetzesstelle Wartepflichtigen die Wahrnehmbarkeit des bevorrangten Fahrzeuges voraussetzte, werde in dieser absoluten Form vom Berufungsgericht nicht geteilt. Die Vorsichtsmaßnahmen des § 19 Abs 7 StVO seien auch dann einzuhalten, wenn die Fahrbahn der bevorrangten Straße nicht in jenem Ausmaß überblickt werden kann, das erforderlich ist, um mit Sicherheit beurteilen zu können, daß durch das Einfahren in die bevorrangte Verkehrsfläche keine Fahrzeuge, die dort herankommen könnten, behindert werden. Dem wartepflichtigen Erstbeklagten wäre daher nur dann keine Vorrangverletzung zur Last gefallen, wenn er mit Sicherheit hätte davon ausgehen können, daß er sein Linkseinbiegemanöver nicht nur beginnen, sondern auch durchführen kann, ohne hiedurch einen bevorrangten Fahrzeuglenker im Gegenverkehr im Sinne des § 19 Abs 7 StVO zu beeinträchtigen. Davon könne unter den gegebenen Verhältnissen nicht die Rede sein. Den Erstbeklagten treffe daher der Vorwurf einer Vorrangverletzung, wogegen dem Lenker des Fahrzeuges des Klägers eine auf einen Beobachtungsfehler zurückzuführende Reaktionsverspätung zur Last falle. Die Verschuldensteilung des Erstgerichtes sei daher gerechtfertigt.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der beklagten Parteien aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen.
Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Wie das Berufungsgericht zunächst richtig erkannte, könnte von einem Umkehren des Erstbeklagten iS des § 14 Abs 1 StVO mit dem Ziel einer Weiterfahrt in entgegengesetzte Richtung nur dann gesprochen werden, wenn das Wenden mit dem Fahrzeug auf der Fahrbahn selbst, also ohne Wechsel der Fahrbahn, vor sich gegangen wäre (ZVR 1992/107 ua). Dies war hier nicht der Fall; der LKW-Zug-Lenker wollte vielmehr dieses Ziel durch Einbiegen von der Bundesstraße nach links auf den dortigen Parkplatz unter Einbeziehung desselben erreichen. Bei diesem Fahrmanöver hatte er grundsätzlich auf die Vorrangregel des § 19 Abs 5 StVO Bedacht zu nehmen, wonach Fahrzeuge, die ihre Fahrtrichtung beibehalten oder nach rechts einbiegen, den Vorrang gegenüber entgegenkommenden Fahrzeugen zu wahren haben.
Es ist jedoch ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß die Vorrangbestimmungen die Wahrnehmbarkeit des anderen Fahrzeuges voraussetzen (ZVR 1973/125; ZVR 1979/164; ZVR 1985/154; ZVR 1991/5; SSt 52/2 uza); dies gilt freilich nur für den Fall, daß es dem Wartepflichtigen auch bei gehöriger Vorsicht und Aufmerksamkeit nicht möglich ist, das andere Fahrzeug wahrzunehmen (ZVR 1980/210; ZVR 1984/185; 2 Ob 42/85 uza).
Nach den Feststellungen des Strafverfahrens (vgl Sachverhalt zu 11 Os 55, 56/91, wiedergegeben in ZVR 1992/49) war das Fahrzeug des Michael K***** für den Erstbeklagten zu Beginn des Abbiegemanövers noch 200 bis 250 m von der späteren Unfallstelle entfernt und "somit durch den Erstbeklagten (noch) nicht sichtbar". Der Sachverständige im Zivilverfahren führte demgegenüber aus, daß die angenommene Sicht von 250 m nur für den sich nähernden Michael K***** bei Tageslicht galt, während "die Sicht des Erstbeklagten zum Gegenverkehr - und zwar auf die erleuchteten Lichtscheiben (nicht etwa den Lichtstrahl)" - (bloß) 170 m betrug (AS 43). Die Vorinstanzen stellten schließlich fest, daß die Sicht des Erstbeklagten "auf das entgegenkommende Fahrzeug" 170 m betrug (AS 65 und 97) bzw der Erstbeklagte mit seinem Abbiegemanöver begann, "als der Lenker des Klagsfahrzeuges noch nicht in seiner Sicht war" (AS 66 und 98).
Alle diese Feststellungen unterstellen aber in Wirklichkeit Verhältnisse bei Tag oder beziehen sich äußerstenfalls auf die "Lichtscheiben" des sich nähernden PKWs, ohne zu berücksichtigen, daß der Kläger mit Fernlicht fuhr und der Lichtstrahl des PKWs möglicherweise - wie dies der Sachverständige jedenfalls andeutet - für den abbiegenden Erstbeklagten durchaus früher sichtbar war. Wäre dies aber der Fall, könnte nicht mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der Erstbeklagte zu einem Zeitpunkt mit dem Abbiegen begann, zu welchem das Gegenfahrzeug nicht wahrnehmbar war; die Wahrnehmbarkeit stellt ja nicht bloß auf die Umrisse des Fahrzeuges (AS 65 und 97) oder gar auf den Lenker des Fahrzeuges (vgl die insoweit irreführenden Feststellungen AS 66 und 98) ab, sondern ist auch dann gegeben, wenn die vom Fahrzeug ausgehenden Lichtquellen seine Annäherung erkennen lassen.
In diesem Fall hätte sich der Erstbeklagte jedenfalls vergewissern müssen, ob sein - wie das Berufungsgericht insoweit nun wieder richtig ausführt - viele Sekunden in Anspruch nehmendes Linksabbiegen unter den gegebenen, die Blockierung der Fahrbahn für längere Zeit bewirkenden, Umständen noch gefahrlos möglich sein werde, ohne den Vorrang des sich nähernden Fahrzeuges des Klägers zu verletzen.
Die dargestellten Grundsätze erfordern demnach die Überprüfung der Frage der für den Erstbeklagten gegebenen Wahrnehmbarkeit des Fahrzeuges des Klägers unter Berücksichtigung des von diesem eingeschalteten Fernlichtes. Erst aufgrund der in dieser Richtung ergänzend zu treffenden Feststellungen wird mit der für das Zivilverfahren erforderlichen Genauigkeit die Fahrweise beider Fahrzeuglenker in Relation zu setzen und demgemäß zu beurteilen sein, ob auch dem Erstbeklagten ein Verschulden an dem Unfall anzulasten ist.
Die Urteile der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und wie im Spruch zu erkennen.
Der Kostenausspruch beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E30582European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00024.92.0909.000Dokumentnummer
JJT_19920909_OGH0002_0020OB00024_9200000_000