TE OGH 1992/9/15 11Os91/92

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Veröffentlicht am 15.09.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.September 1992 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer, Dr.Rzeszut, Dr.Hager und Dr.Schindler als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Götsch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Günter M***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB über die von der Generalprokuratur gegen die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Bludenz vom 21.Juni 1991, GZ U 232/91-3, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr.Weiß, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Bludenz vom 21.Juni 1991, GZ U 232/91-3, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 460 StPO.

Diese Strafverfügung sowie der darauf gegründete Beschluß, gemäß dem § 494 a Abs. 1 Z 2 und 7 StPO vom Widerruf der bedingten Nachsicht einer über Günter M***** mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 4. Dezember 1989, AZ 18 E Vr 1123/89, verhängten Strafe abzusehen, gleichzeitig aber die Probezeit auf fünf Jahre zu verlängern, werden aufgehoben und es wird dem Bezirksgericht Bludenz die gesetzmäßige Erneuerung des Verfahrens aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Bludenz vom 21.Juni 1991, GZ U 232/91-3, wurde der am 18.November 1939 geborene Günter M***** auf Grund einer Anzeige des Gendarmeriepostens T***** und des vom Bezirksanwalt gestellten Bestrafungsantrages des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen a 75 S verurteilt.

Zugleich wurde gemäß dem § 494 a (zu ergänzen: Abs 1 Z 2 und Abs 7) StPO vom Widerruf der bedingten Nachsicht einer über den Genannten mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 4.Dezember 1989, AZ 18 E Vr 1123/89, verhängten Strafe abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Inhaltlich der Strafverfügung liegt Günter M***** zur Last, am 2. April 1991 in L***** fremde bewegliche Sachen, nämlich zehn Schalttafeln und drei Holzträger im Gesamtwert von etwa 3.500 S der Baufirma Hans W***** mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich oder einen Dritten durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Nach dem Inhalt der Gendarmerieanzeige wurde das Diebsgut rund einen Monat nach Erstattung der Diebstahlsanzeige auf Grund einer vertraulichen Mitteilung in einem Günter M***** gehörigen, zwanzig Meter vom Anwesen "Alte Krone" entfernt stehenden Schuppen versteckt aufgefunden.

Zur Person des Günter M***** wurde in der Gendarmerieanzeige ausgeführt, daß dieser bis zum Herbst 1990 "Besitzer" der "Alten Krone" in L***** war. Bereits im Jahre 1989 sei Günter M***** wegen einer mietrechtlichen Angelegenheit "entmündigt" worden. Den Verkauf der "Alten Krone" habe bereits die Sachwalterin des Günter M***** abgewickelt. Zum Verkauf des Objektes sei es wegen eines immer größer werdenden Schuldenstandes sowie wegen des Umstandes gekommen, daß Günter M***** die "Alte Krone" an mehrere Gastarbeiterfamilien vermietet hatte und anstehende Mängel nicht beheben ließ. Käufer war die Firma W***** aus L*****, die nach einem im Jänner 1991 aufgetretenen Brand an der "Alten Krone" das beschädigte Gebäude wieder herstellte und die Bauarbeiten selbst ausführte.

Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch einen Gendarmeriebeamten gab Günter M***** zwar die Wegnahme der zehn Schalttafeln und drei Holzträger zu, erklärte jedoch, daß die "Alte Krone" durch seinen Sachwalter "eigentlich gegen seinen Willen" verkauft wurde und er der Meinung sei, daß kein Kaufvertrag existiere. Als nach dem im Jänner 1991 aufgetretenen Brandschaden am Objekt der "Alten Krone" durch die Firma W***** verschiedene, nicht mehr gebrauchte Materialien verkauft wurden, die seiner Meinung nach noch ihm gehörten, habe er das obgenannte Baumaterial genommen, in seinen Schuppen getragen und dort eingelagert, zumal er die Absicht hatte, in diesem Schuppen für sich ein Zimmer auszubauen.

Rechtliche Beurteilung

Die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Bludenz verletzt das Gesetz:

Gemäß dem § 460 StPO darf eine Strafverfügung nur erlassen werden, wenn ein auf freiem Fuß befindlicher Beschuldigter von einer Behörde oder von einem Sicherheitsorgan auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmungen oder eines Geständnisses angezeigt wird oder die durchgeführten Erhebungen zur Beurteilung aller für die Entscheidung maßgebenden Umstände ausreichen.

Vorliegend erstreckten sich die "eigenen dienstlichen Wahrnehmungen" des erhebenden Gendarmeriebeamten RI B***** nur auf die Sicherstellung des entfremdeten Baumaterials, nicht aber auf den Tathergang. Von einem umfassenden Geständnis des Angezeigten, das alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale umschließen muß (vgl. Mayerhofer-Rieder, StPO3 ENr 3 ff zu § 460 StPO), kann keine Rede sein. Der Angeklagte, dessen Schuldfähigkeit an sich angesichts der Bestellung eines Sachwalters schon fragwürdig war, hat sich damit verantwortet, das Baumaterial zum Ausbau seines Zimmers benötigt und sich noch für den Eigentümer der "weggenommenen" Sachen gehalten zu haben. Die der Entscheidung zugrundeliegende Annahme, der Beschuldigte habe - entgegen seiner, die subjektive Tatseite ausschließenden (vgl. Kienapfel, BT II, RN 157 zu § 127 StGB) Verantwortung - das gegenständliche Baumaterial der Firma W***** mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, läßt sich aus den Akten nicht begründen.

Da sich somit aber nicht alle für die rechtliche Beurteilung wesentlichen Umstände aus der vorliegenden Aktenlage ergeben, war es dem Richter jedenfalls verwehrt, ohne weitere Überprüfung des Sachverhaltes eine Strafverfügung zu erlassen. Er wäre vielmehr verhalten gewesen, entweder weitere Erhebungen durchzuführen oder eine Hauptverhandlung anzuberaumen (vgl. SSt 54/5).

Die gesetzwidrig erlassene Strafverfügung und demgemäß auch der darauf gegründete Beschluß gemäß dem § 494 a Abs 1 Z 2 und Abs 7 StPO waren daher aufzuheben und dem Erstgericht die gesetzmäßige Erneuerung des Strafverfahrens aufzutragen.

Anmerkung

E30881

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0110OS00091.9200006.0915.000

Dokumentnummer

JJT_19920915_OGH0002_0110OS00091_9200006_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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