Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Graf, Dr. Schiemer und Dr. Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache mj. Jette A*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Mag. Johann A*****, vertreten durch Dr. Otto Pichler, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 5. Mai 1992, GZ 43 R 220, 221/92-50, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 6. Februar 1992, GZ 2 P 110/90-43, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Revisionsrekurswerber schuldig ist, zum Unterhalt seines ehelichen Kindes mj. Jette A***** ab 22. März 1990 zu den im Beschluß des Erstgerichtes genannten Zahlungsterminen monatlich den Betrag von S 800,-- bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Der Vater ist gelernter Maurer. Er besuchte drei Semester der Bauhandwerksschule. Am 4. Mai 1983 legte er an der Universität Wien die Berufsreifeprüfung nach der Verordnung vom 3. September 1945, StGBl Nr. 167 ab. Er erwarb dadurch die Berechtigung zum Studium der Geschichte und Völkerkunde, das er auch antrat.
Die 1980 geschlossene Ehe der Eltern wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes H***** vom 7. Dezember 1984, 1 Sch 121/84, einvernehmlich geschieden. Im Scheidungsvergleich vom selben Tag vereinbarten die Eltern, daß die Obsorge für das Kind der Mutter zusteht (dieser Punkt wurde pflegschaftsbehördlich genehmigt). Die Mutter erklärte weiters, daß sie im Hinblick darauf, daß der Vater als Student über kein Einkommen verfüge, derzeit keine Unterhaltsansprüche für das Kind stelle.
Das Diplomstudium beendete der Vater 1987. Seither befindet er sich im Doktoratsstudium. Sein Dissertationsthema ist indonesische Geschichte des 19. Jahrhunderts. Seit 1982 bezog der Vater Studienbeihilfen. Vom März 1990 bis Oktober 1991 hielt er sich zu Studienzwecken in Indonesien auf. Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung gewährte ihm dafür ein Stipendium für 6 Monate a S 10.000,-- sowie den Betrag von S 10.000,-- an Reisekosten. Seit November 1991 studiert er an der Universität Leiden, Niederlande. Er bezieht ein monatliches Stipendium von hfl 1.130. An Unterhalt für das Kind überwies der Vater von September 1989 bis Februar 1990 monatlich S 2.500,-- ab März 1990 monatlich S 800,-- an die Mutter. Weitere Sorgepflichten treffen ihm nicht.
Am 22. März 1990 beantragte der Magistrat der Stadt Wien als Unterhaltssachwalter, den Vater ab 1. September 1987 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 3.600,-- zu verhalten. Der Vater habe sein Studium im Sommer 1987 abgeschlossen, er könne als Historiker mindestens S 20.000,-- netto monatlich verdienen.
Der Vater sprach sich unter Hinweis auf sein Studium gegen diesen Antrag aus. Er erklärte sich jedoch bereit, ab März 1990 S 800,-- an Unterhalt für seine Tochter zu erbringen.
Das Erstgericht setzte den vom Vater zu leistenden Unterhalt für die Zeit vom 1. September 1987 bis 14. April 1989 mit monatlich S 2.400,--, ab 15. April 1989 mit monatlich S 2.700,-- fest. Das Mehrbegehren wies es unangefochten ab. Es stellte fest, die Mutter verfüge als medizinisch-technische Assistentin über ein monatliches Nettoeinkommen von S 20.000,-- einschließlich Familienbeihilfe. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß zwar grundsätzlich jedermann die freie Berufswahl zustehe, dieses Recht jedoch durch bestehende Sorgepflichten beschränkt sein könne. Nach den Angaben der Mutter habe der Vater sein Studium zwar mit ihrer Zustimmung begonnen, diese Zustimmung könne jedoch in der Folge nicht dazu führen, den Unterhalt des Kindes auf noch längere Sicht hinaus zu schmälern. Das Diplomstudium als Historiker und Ethnologe habe der Vater bereits im Jahre 1987 beendet. Dadurch verfüge er über eine Ausbildung, die es ihm ermögliche, die zur Sicherung des Unterhaltsanspruches seiner Tochter erforderlichen Mittel zu erwerben. Ein Doktoratsstudium als Indonesienwissenschaftler könne für eine spätere Berufslaufbahn des Vaters vielleicht erstrebenswert sein, es könne aber nur dann berücksichtigt werden, wenn der Unterhalt des Kindes gesichert wäre. Das Gericht sei der Ansicht, daß der Vater mit seiner derzeitigen Ausbildung bzw. auch in einem ähnlich gelagerten Beruf ein Einkommen von rund S 15.000,-- monatlich erzielen könne. Bei einem solchen Einkommen sei er in der Lage, den ihm auferlegten Unterhalt, der den nach ständiger Rechtsprechung anzuwendenden Prozentsätzen entspreche, zu erbringen.
Gegen diesen Beschluß erhob der Vater Rekurs. Diesem Rekurs war ein Schreiben des Institutes für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien vom 24. Februar 1992 angeschlossen, in dem ausgeführt wird, daß bei Abbruch des Dissertationsstudiums der Vater die Gruppe arbeitsloser, von den Arbeitsämtern als praktisch unvermittelbar eingestufter Historiker vermehren würde, die Stipendien der Universität Wien und Leiden wären dann als Fehlinvestitionen abzuschreiben. Ein beherzter Versuch, aus der Enge des üblichen österreichischen Wissenschaftsbetriebes auszubrechen, wäre gescheitert. Vor allem wäre aber für den Vater die Möglichkeit dahin, in den nächsten zwei bis drei Jahren eine gut bezahlte Universitätsposition zu erlangen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es nicht zu. Es führte aus, der Vater habe mit dem Magisterium das Studium abgeschlossen. Er sei daher in der Lage, sich in das Arbeitsleben einzugliedern. Anhaltspunkte und Behauptungen des Vaters, daß ihm dies nicht möglich wäre, seien nicht gegeben. Die Weiterbildungs- und Studienwünsche des Vaters könnten nicht zu Lasten der Rechte des unterhaltsbedürftigen Kindes gehen. Dem Ruf nach wissenschaftlicher Weiterbildung stehe der ebenso elementare Bedarf des Kindes an Unterhalt gegenüber. Der Auffassung, daß die gegebene Unterhaltspflicht nach § 140 ABGB sofort zur Eingliederung in das Berufsleben fordere und jeglichen Weiterbildungswunsch entgegenstehe, stehe die Ansicht gegenüber, daß jeweils unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu prüfen sei, inwieweit eine weitere Ausbildung noch statthaft sei und dem Kinde zugemutet werden könne. Als wesentliche Kriterien in dieser Richtung seien unter anderem angesehen worden, daß überhaupt noch keine abgeschlossene Ausbildung vorläge, ohne diese keine Berufsaussichten bestünden, die Weiterausbildung sehr kurzfristig sei und der betroffene Elternteil in einem Alter sei, in dem sich auch sonst Ausbildungswillige befinden. All dies treffe beim Vater nicht zu. Er befinde sich mit 35 Jahren in keinem Alter, das noch weitere drei Studienjahre zu Lasten des Kindes rechtfertige.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.
Nach § 140 Abs 1 ABGB hat jeder Elternteil nach seinen Kräften zum Unterhalt der Kinder beizutragen. Die Eltern haben ihre Leistungskraft unter Berücksichtigung ihrer Ausbildung und ihres Könnens auszuschöpfen (Pichler in Rummel2 Rz 6 zu § 140 ABGB). Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, so ist nicht ihr tatsächlich bezogenes, sondern ein nach den Umständen für sie erzielbares fiktives Einkommen der Unterhaltsbemessungsgrundlage zugrundezulegen. Für die Ausmittlung der Höhe des fiktiven Einkommens ist das Verhalten eines pflichtbewußten rechtsgetreuen Elternteiles in der Lage des konkreten Unterhaltspflichtigen maßgeblich (Schlemmer-Schwimann in Schwimann, ABGB Rz 42 zu § 140). Fiktives Einkommen ist der Unterhaltsbemessung etwa dann zugrundezulegen, wenn, ohne daß ein Berufswechsel aus gesundheitlichen Gründen erforderlich wäre, der bisher berufstätige Unterhaltspflichtige seine Beschäftigung aufgibt, um eine andere Berufsausbildung, die Jahre währt, anzustreben. Er kann sich nicht darauf berufen, daß durch die höherwertige Ausbildung in Zukunft eine höhere Unterhaltsleistung zu erwarten wäre (4 Ob 518/91). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Die Eltern haben vielmehr während aufrechter Ehe ihre Erwerbstätigkeit im Sinn des § 91 ABGB dahin geregelt, daß der Vater seine bisherige Beschäftigung aufgab, um ein Geschichtsstudium, von dem zu erwarten war, daß es nicht so bald abgeschlossen sein werde, beginnt, während die Mutter einer Beschäftigung nachging. Daß die Eltern damit gegen das Wohl des Kindes verstoßen hätten, ist nicht ersichtlich. Wurde aber die zweite Ausbildung des Revisionsrekurswerbers während der Ehe mit dem Willen seiner damaligen Gattin aufgenommen, so kann jedenfalls dann, wenn das Studium zielstrebig geführt wird und sich die Einkommensverhältnisse der nunmehr geschiedenen Mutter nicht zu ihrem Nachteil geändert haben, auch von einem pflichtbewußten rechtsgetreuen Familienvater nicht verlangt werden, daß er knapp vor der Fertigstellung seiner Dissertation das Studium abbricht, zumal völlig offen wäre, daß er entgegen der durch den Akteninhalt nicht gedeckten Ansicht des Rekursgerichtes eine seiner nunmehrigen Ausbildung entsprechende Beschäftigung überhaupt fände (vgl. FamRZ 1989, 56; FamRZ 1983, 140; Kalthoener-Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts4 Rz 584).
Ist aber nicht von einem fiktiven, sondern vom tatsächlichen Einkommen des Revisionsrekurswerbers auszugehen, erweist sich schon aus diesem Grund sein Rekursantrag zur Gänze berechtigt.
Textnummer
E34293European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0010OB00603.92.0915.000Im RIS seit
15.06.1997Zuletzt aktualisiert am
29.04.2013