Index
39/03 Doppelbesteuerung;Norm
DBAbk BRD 1955 Art4 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Keidel, LL.M., über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat V) vom 21. November 2001, Zl. RV/097-16/07/98, betreffend Einkommensteuer für die Jahre 1989 bis 1992 (mitbeteiligte Partei: Dr. GG in K, vertreten durch Libra Wirtschaftstreuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in 1014 Wien, Teinfaltstraße 4), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Im angefochtenen Bescheid wird ausgeführt, der in Deutschland ansässige Mitbeteiligte sei in den Streitjahren als Unternehmensberater in Österreich für ein Kreditunternehmen (im Folgenden: Bank) tätig geworden. Er habe einen Wohnsitz sowohl in Deutschland als auch in Österreich gehabt, wobei sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen unbestritten in Deutschland befunden habe. Im Rahmen einer Betriebsprüfung seien die aus der Beratungstätigkeit für die Bank erzielten Einkünfte in Österreich der Besteuerung unterzogen worden. Nach Art. 8 des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) zwischen Österreich und Deutschland stehe Österreich das Besteuerungsrecht zu, weil die freiberufliche Tätigkeit unter Benützung einer in Österreich zur Verfügung stehenden ständigen Einrichtung ausgeübt worden sei. Als ständige Einrichtung seien von der Betriebsprüfung sowohl die Wohnung des Mitbeteiligten in Wien als auch ein von der Bank zur Verfügung gestellter Büroraum gewertet worden.
In der Berufung gegen die auf Grund der Betriebsprüfungsergebnisse ergangenen Einkommensteuerbescheide sei im Wesentlichen vorgebracht worden, dass weder durch die Wohnung des Mitbeteiligten noch den von der Bank zur Verfügung gestellten Büroraum ein Anknüpfungsmerkmal im Sinne einer festen Einrichtung nach Art. 8 DBA erfüllt sei. Außerdem liege eine Doppelbesteuerung vor, weil der Mitbeteiligte die aus dieser Beratungstätigkeit erzielten Einkünfte in Deutschland der Besteuerung unterzogen habe.
Zur "Wohnung" wird im angefochtenen Bescheid festgestellt, der Mitbeteiligte verfüge seit dem Jahr 1985 über eine Mietwohnung in Wien, K.-Gasse 7. Diese habe dem Mitbeteiligten bei seinen Aufenthalten sowohl während der Projektarbeiten als auch bei privaten Aufenthalten in Wien stets als Unterkunft gedient. Zumindest im Jahr 1992 seien bei der Einkommensteuerveranlagung in Deutschland auch anteilige Wohnungskosten für ein "Büro Wien" als Betriebsausgabe abgesetzt worden. In der Wohnung hätten sich außer einem Telefon und einem Schreibtisch keine für die Tätigkeit eines Betriebsberaters notwendigen Büroeinrichtungen befunden.
Zum "Büroraum" traf die belangte Behörde die Feststellung, in den Räumlichkeiten der Bank in Wien sei dem Mitbeteiligten als Mitglied des Projektteams ein Büroraum zur Verfügung gestanden. Jedes Teammitglied habe einen eigenen Büroplatz gehabt, wobei der Mitbeteiligte als Co-Projektleiter über einen eigenen Büroraum verfügt habe. Den Projektmitgliedern sei auch eine übliche Büroausstattung (PC, versperrbare Schränke, Telefon, Fotokopierer etc.) zur Verfügung gestanden. Bei Bedarf habe der Mitbeteiligte den Büroraum auch für sich allein benutzen können. Während seiner Abwesenheit sei die Nutzung des Büroraumes auch durch andere Personen erfolgt.
Die Dauer der Aufenthalte des Mitbeteiligten in Wien habe im Berufungszeitraum 1989 139 Tage, 1990 101 Tage, 1991 75 und 1992 37 Tage betragen (diese von der Betriebsprüfung ermittelte Aufenthaltsdauer decke sich auch mit den Angaben des Mitbeteiligten betreffend die monatliche Anzahl der auf Wien entfallenden Beratungstage). Von den Gesamthonoraren des Mitbeteiligten in den Jahren 1989 bis 1992 seien jeweils rd. 70 % (1989) bis 42 % (1992) auf das Beratungsprojekt bei der Bank entfallen.
Der festgestellte Sachverhalt - so die belangte Behörde weiter im Erwägungsteil des angefochtenen Bescheides - ergebe sich aus den angeführten, gewürdigten Beweismitteln und sei im Übrigen auch unbestritten.
Zu den im Beschwerdefall vorliegenden Einkünften aus selbständiger Arbeit als Unternehmensberater sei aus Art. 8 Abs. 2 DBA abzuleiten, dass Österreich daran das Besteuerungsrecht zustehe, wenn der Mitbeteiligte die selbständigen Einkünfte unter Nutzung einer ihm in Österreich regelmäßig zur Verfügung stehenden ständigen Einrichtung erzielt habe. Zur Auslegung des Begriffes der ständigen Einrichtung könne die Betriebsstättendefinition nach Art. 4 Abs. 3 DBA herangezogen werden.
Nach Ansicht der belangten Behörde erfülle der von der Bank dem Mitbeteiligten zur Verfügung gestellte Büroraum das Kriterium der nicht nur vorübergehenden Verfügungsmacht (wofür die tatsächliche Möglichkeit der Verfügung genüge) und somit die statische Voraussetzung einer Betriebsstätte/ständigen Einrichtung. Der Mitbeteiligte habe nämlich während des gesamten Projektzeitraumes jederzeit die Möglichkeit gehabt, "tatsächlich und exklusiv über diesen Büroraum zu verfügen". Dieser "Raum samt den Arbeitsmitteln" sei damit dem Mitbeteiligten nicht nur fallweise zur Verfügung gestanden. Da vom gegenständlichen Büroraum aus unter Nutzung der zur Verfügung stehenden Infrastruktur die Tätigkeit des Mitbeteiligten ausgeübt worden sei, sei nach Ansicht der belangten Behörde auch das funktionelle Element, also der Zusammenhang mit der Tätigkeit, als Erfordernis einer ständigen Einrichtung erfüllt. Als zeitliche Voraussetzung sei auch notwendig, dass die ständige Einrichtung "regelmäßig zur Verfügung stehe". Die Einrichtung müsse daher nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer angelegt sein. Der Unternehmer müsse über die Einrichtung ständig verfügen können, auch wenn die Räumlichkeiten einem anderen Unternehmen gehörten. Der Zeitraum sei im DBA nicht präzisiert. Nach einer Verständigungsvereinbarung zwischen der österreichischen und der deutschen Finanzverwaltung vom 7. Juni 1991 könne nur dann von einer Betriebsstätte gesprochen werden, wenn sie zumindest für einen Zeitraum von sechs Monaten bestehe. Dieser Zeitraum von sechs Monaten sei auch für das Vorliegen einer ständigen Einrichtung maßgeblich. Der Büroraum bei der Bank sei dem Mitbeteiligten bei seinen Aufenthalten in Wien stets zur Verfügung gestanden und sei von diesem auch in diesem Umfang genutzt worden. Die festgestellte Aufenthaltsdauer ergebe aber, dass sich der Mitbeteiligte allerdings in keinem der Berufungsjahre zumindest für sechs Monate in Wien aufgehalten habe. Nach Ansicht der belangten Behörde sei für die Beurteilung des zeitlichen Elementes auf die Zeitdauer der tatsächlichen Nutzung abzustellen. Während der Zeit, in der sich der Mitbeteiligte nicht in Wien aufgehalten habe, sei ihm demnach der Büroraum tatsächlich nicht zur Verfügung gestanden. Er sei im Gegenteil anderweitig (von Mitarbeitern der Bank) verwendet worden. Auch der Umstand, dass der Mitbeteiligte die Büroraumnutzung jederzeit hätte verlängern können, könne an diesem Umstand nichts ändern. Die tatsächliche Nutzung, an der sich die belangte Behörde bei ihrer Beurteilung orientiere, habe unbestritten in keinem Jahr den Zeitraum von sechs Monaten erreicht. Das zeitliche Element für das Vorliegen einer ständigen Einrichtung durch den Büroraum sei daher nach Meinung der belangten Behörde nicht erfüllt. Noch weniger entspreche die Wohnung in der K.-Gasse 7 den Kriterien einer ständigen Einrichtung. Diesbezüglich sei nämlich nicht einmal das funktionelle Element gegeben, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Tätigkeit des Mitbeteiligten von der Wohnung aus ausgeübt worden sei. Insgesamt sei daher nicht vom Vorliegen einer ständigen Einrichtung in Österreich auszugehen, sodass das Besteuerungsrecht Österreichs an den in Rede stehenden Einkünften nicht gegeben sei. Der Berufung sei daher stattzugeben gewesen.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf § 292 BAO in der Fassung vor dem AbgRmRefG, BGBl. I Nr. 97/2002, gestützte Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift durch den Mitbeteiligten erwogen:
Art. 4 Abs. 1 des im Beschwerdefall noch anzuwendenden Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland vom 4. Oktober 1954, BGBl. Nr. 221/1955 (zuletzt in der Fassung BGBl. Nr. 361/1994), bestimmt betreffend Einkünfte aus Gewerbebetrieb: Bezieht eine Person mit Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten als Unternehmer oder Mitunternehmer Einkünfte aus einem gewerblichen Unternehmen, dessen Wirkung sich auf das Gebiet des anderen Staates erstreckt, so hat der andere Staat das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte nur insoweit, als sie auf eine dort befindliche Betriebsstätte des Unternehmens entfallen.
Nach Art. 4 Abs. 3 DBA ist Betriebsstätte im Sinne dieses Abkommens eine ständige Geschäftseinrichtung, in der die Tätigkeit des Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird.
Bezieht eine natürliche Person mit Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die in dem anderen Staat ausgeübt wird oder ausgeübt worden ist, so hat nach Art. 8 Abs. 1 DBA der andere Staat das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte. Zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit gehören insbesondere die Einkünfte aus freien Berufen.
Die Ausübung eines freien Berufes in dem anderen Staat liegt gemäß Art. 8 Abs. 2 DBA nur dann vor, wenn der freiberuflich Tätige seine Tätigkeit unter Benutzung einer ihm dort regelmäßig zur Verfügung stehenden ständigen Einrichtung ausübt. Diese Einschränkung gilt jedoch nicht für eine freiberuflich ausgeübte künstlerische, vortragende, sportliche oder artistische Tätigkeit.
Der Begriff der "ständigen Einrichtung" in Art. 8 Abs. 2 DBA entspricht dem Grundtatbestand der im gewerblichen Bereich (Art. 4 Abs. 3 DBA) angesprochenen "Betriebsstätte" und ist daher im selben Sinne auszulegen (vgl. Loukota/Jirousek, Leitfaden zum revidierten österreichisch-deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 1994, S. 162, Philipp/Loukota/Jirousek, Internationales Steuerrecht, Allgemeine Erläuterungen, Tz. 11 zu Z 14, sowie das zu vergleichbaren Regelungen des DBA-Schweiz ergangene hg. Erkenntnis vom 18. März 2004, 2000/15/0118). Ob die Aufteilung der Rechte zur Besteuerung der in Rede stehenden Einkünfte aus der Tätigkeit als Unternehmensberater nach der Regelung zu Einkünften aus Gewerbebetrieb (Art. 4 DBA) oder nach der Regelung zu Einkünften aus selbständiger Arbeit (Art. 8 DBA) zu erfolgen hat, ist für den Ausgang des Verfahrens daher unmaßgeblich und kann deshalb dahingestellt bleiben.
In der Beschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht, die belangte Behörde habe bei der Prüfung der Frage, ob eine ständige Einrichtung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 DBA vorliege, die Rechtslage verkannt. Das Bestehen einer ständigen Einrichtung im Inland in Bezug auf die vom Mitbeteiligten für die Bank ausgeübte Beratungstätigkeit hätte nicht allein deshalb verneint werden dürfen, weil dieser den ihm von der Bank zur Verfügung gestellten Büroraum bloß tatsächlich in keinem Jahr sechs Monate genutzt habe.
Es ist für die Annahme einer Verfügungsmacht nicht erforderlich, dass Anlagen, Einrichtungen usw. im Eigentum des Unternehmers stehen oder von diesem gemietet wurden, sondern es genügt vielmehr, dass sie für die Zwecke seines Unternehmens ständig zur Verfügung stehen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 18. März 2004, 2000/15/0118), wobei es auf die Verfügungsmöglichkeit ankommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1997, 96/14/0084).
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid u.a. die Feststellung getroffen, der Mitbeteiligte habe bei der Bank (als "Co-Projektleiter") über den gesamten (mehrjährigen) Tätigkeitszeitraum einen eigenen Büroraum samt üblicher Büroausstattung zur Verfügung gehabt, wobei es ihm jederzeit möglich gewesen sei, "tatsächlich und exklusiv über diesen Büroraum zu verfügen". Damit habe der Mitbeteiligte auch die nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht an diesem Büroraum gehabt. Das Kriterium der regelmäßig zur Verfügung stehenden Einrichtung sei aber in zeitlicher Hinsicht deshalb nicht erfüllt, weil der Mitbeteiligte den Büroraum tatsächlich nicht in jedem Jahr sechs Monate genutzt habe.
Bei dieser Beurteilung übersieht die belangte Behörde, dass es auch bei der Beurteilung der zeitlichen Dauer einer ständigen Einrichtung in erster Linie nur auf die Verfügungsmöglichkeit (und nicht auf die - im Nachhinein betrachtete - tatsächliche Nutzung) ankommt und weiters der Begriff der festen (Geschäfts)Einrichtung auch betriebs- und auftragsbezogen zu sehen ist (vgl. nochmals die hg. Erkenntnisse 2000/15/0118 sowie 96/14/0084). Handelte es sich aber solcherart im Beschwerdefall um eine auf Dauer (für die mehrjährige Beratungstätigkeit) angelegte Geschäftseinrichtung, kann das für eine ständige Geschäftseinrichtung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 DBA auch geforderte zeitliche Element nicht deshalb verneint werden, weil innerhalb der Gesamtdauer der mehrjährigen Tätigkeit die tatsächliche Nutzung in den einzelnen Kalenderjahren nicht das Ausmaß von sechs Monaten erreichte.
Da somit die belangte Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides von einer unrichtigen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war dieser nach § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 15. Februar 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2001130319.X00Im RIS seit
22.03.2006