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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 lita impl;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über den Antrag des H in W, vertreten durch Mag. Dietmar Huemer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausplatz 4, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 12. August 2005, Zl. LGSW/Abt. 3- AlV/1218/56/2005-7280, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 46 Abs. 1 VwGG stattgegeben.
Begründung
Mit dem vorliegenden Antrag begehrt der Antragsteller unter gleichzeitiger Erhebung einer Beschwerde gegen den genannten Bescheid die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist. Der Rechtsvertreter des Antragstellers habe am 24. November 2005 - einen Tag vor Ende der Beschwerdefrist - einen von seinem Rechtsanwaltsanwärter konzipierten Beschwerdeentwurf kontrolliert und abgeändert und sodann seine Sekretärin mit dem Ausfertigen beauftragt. Da er noch am frühen Nachmittag des selben Tages zu einer Dienstreise habe aufbrechen müssen, habe er einen Kanzleipartner gebeten, die ausgefertigten Dokumente zu unterzeichnen. Seiner Sekretärin habe er weiters die Anweisung erteilt, die Schriftstücke nach dem Ausfertigen dem Kanzleipartner zur Unterschrift vorzulegen und die Beschwerde eingeschrieben an den Verwaltungsgerichtshof zu übermitteln. Die Sekretärin sei ausdrücklich auf die Fristgebundenheit der Beschwerde und das Ende der Frist am 25. November 2005 hingewiesen worden. Gemäß den Organisationsrichtlinien der Kanzlei sei beim Einbringen der fristgebundenen Schriftstücke folgender Ablauf einzuhalten:
Zuständig für das Abfertigen des entsprechenden Schriftstückes sei die jeweilige Partnersekretärin. Sie habe das Schriftstück nach der Unterfertigung durch den jeweiligen Rechtsanwalt zu kuvertieren, zu frankieren, in der Poststelle im Hauptsekretariat abzugeben und dort in das Einschreibebuch einzutragen. In der Poststelle würden die Schriftstücke gesammelt und verlässlich zur Post gebracht. Nachdem die jeweilige Partnersekretärin ein Schriftstück in der Poststelle abgegeben habe, habe sie die entsprechende Frist im Fristenbuch auszutragen. Der jeweils zuständige Partner überprüfe dann nochmals anhand des Poststempels im Einschreibebuch, ob das Schriftstück tatsächlich zur Post gebracht worden sei. Kanzleiinterne Recherchen hätten ergeben, dass im vorliegenden Fall die zuständige Partnersekretärin zwar dafür gesorgt habe, dass das Schriftstück zur Post gebracht worden sei und sie auch die Frist im Fristenbuch ausgetragen habe; irrtümlich habe sie jedoch vergessen, den Eintrag im Einschreibebuch vorzunehmen. Das Schriftstück sei folglich nicht als Einschreiben, sondern als einfache Postsendung aufgegeben worden. Der Rechtsvertreter des Antragstellers habe im Rahmen eines Telefonats mit seiner Sekretärin am 25. November 2005 nochmals nachgefragt, ob die Beschwerde tatsächlich unterfertigt und abgeschickt worden sei, was von der Sekretärin bejaht worden sei. Ein gleichzeitig mit der Beschwerde aufgegebenes Informationsschreiben an den Antragsteller sei diesem ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof sei offensichtlich nicht zugestellt und auch nicht an den Absender zurückgeschickt worden.
Die Zustellung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof sei daher auf Grund eines unvorhersehbaren und unabwendbaren Ereignisses nicht erfolgt.
Durch einen Anruf der Volksanwaltschaft am 12. Dezember 2005 habe der Rechtsvertreter des Antragstellers davon erfahren, dass die Beschwerde nicht beim Verwaltungsgerichtshof eingelangt sei. Der Antragsteller habe sich im Zusammenhang mit der beschwerdegegenständlichen Angelegenheit auch an die Volksanwaltschaft gewandt und dabei mitgeteilt, dass eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht worden sei. Die Volksanwaltschaft habe diese Aussage überprüft und festgestellt, dass beim Verwaltungsgerichtshof keine Beschwerde eingelangt sei. Nach dem Anruf der Volksanwaltschaft habe ein Mitarbeiter des Rechtsvertreters des Antragstellers beim Verwaltungsgerichtshof nachgefragt; dabei sei ihm am 13. Dezember 2005 bestätigt worden, dass die Beschwerde nicht eingelangt sei.
Dem Wiedereinsetzungsantrag sind eidesstattliche Erklärungen des Rechtsvertreters des Antragstellers, seiner Sekretärin, eines für ihn tätigen Rechtsanwaltsanwärters sowie jenes Kanzleipartners, der die Beschwerde am 24. November 2005 unterfertigt hat, angeschlossen. In diesen eidesstattlichen Erklärungen wird im Wesentlichen der im Wiedereinsetzungsantrag geschilderte Sachverhalt von den jeweiligen Personen bestätigt. Dem Wiedereinsetzungsantrag ist weiters eine Kopie der Beschwerde vom 24. November 2005 angeschlossen.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, wenn diese durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dabei ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen. Ebenso trifft die Partei ein Verschulden eines mit gleichen Rechten und Pflichten wie der Vertreter der Partei ausgestatteten Substituten (vgl. den hg. Beschluss vom 13. März 1997, Zl. 96/15/0243).
Im vorliegenden Fall hat sich der zum Verfahrenshelfer bestellte Rechtsvertreter des Antragstellers bei der Einbringung der Beschwerde durch eine zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft befugte Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der er selbst als einzelvertretungsbefugter Gesellschafter angehört, vertreten lassen. Wie sich aus § 21e RAO ergibt, konnte die Beschwerde daher zulässigerweise von einem "Kanzleipartner" - einem weiteren einzelvertretungsbefugten Gesellschafter der Rechtsanwaltsgesellschaft, der auch der Vertreter des Antragstellers angehört - unterzeichnet werden.
Überlässt ein Rechtsanwalt nach Unterfertigung eines Beschwerdeschriftsatzes dessen Postaufgabe einer verlässlichen Kanzleikraft und unterläuft dieser hiebei ein Versehen, so liegt dem Rechtsanwalt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Verletzung seiner Sorgfaltspflicht zur Last (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 29. März 2001, Zl. 2001/20/0052). Auch ein weisungswidriges Verhalten von Kanzleiangestellten schließt eine Wiedereinsetzung nicht aus, wenn nicht den Rechtsanwalt selbst ein eigenes relevantes Verschulden trifft (vgl. den hg. Beschluss vom 29. Juli 2004, Zl. 2004/16/0058).
Nach dem mit den vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen übereinstimmenden Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag wurde der Sekretärin ausdrücklich die Weisung erteilt, die Beschwerde eingeschrieben abzufertigen, was diese jedoch nicht veranlasst hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob in der Folge die Zustellung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch Verschulden der Post unterblieben ist, oder ob das Poststück noch im "Hauptsekretariat" der Anwaltskanzlei verloren gegangen ist, da der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit dem weisungswidrigen Verhalten der bisher verlässlichen Kanzleiangestellten nicht rechnen musste und daher auch darauf vertrauen konnte, dass der in der Kanzleiorganisation festgelegte Ablauf bei der Versendung von fristgebundenen Postsendungen durch Einschreiben - deren Nichtzustellung in einem solchen Fall ein vom Rechtsvertreter unverschuldetes, unabwendbares Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG darstellt (vgl. den hg. Beschluss vom 26. Jänner 1996, Zl. 95/02/0292) - eingehalten würde. Unter Berücksichtigung der glaubhaft gemachten bisherigen Verlässlichkeit der Sekretärin ist der Umstand, dass die Kontrolle der tatsächlichen (eingeschriebenen) Postaufgabe durch den Rechtsanwalt anhand des Einschreibebuchs, wie sie nach der im Wiedereinsetzungsantrag dargelegten Kanzleiorganisation vorgesehen ist, im konkreten Fall auf Grund einer Dienstreise unterblieben ist (und auch nicht von einem Kanzleipartner vorgenommen wurde) und lediglich eine telefonische Rückfrage erfolgte, nur als auf einem minderer Grad des Versehens beruhend zu beurteilen, sodass dies gemäß § 46 Abs. 1 VwGG der Bewilligung der Wiedereinsetzung auf Grund des innerhalb der Frist nach § 46 Abs. 3 VwGG gestellten Antrages nicht entgegensteht.
Wien, am 15. Februar 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005080215.X00Im RIS seit
24.05.2006Zuletzt aktualisiert am
18.10.2011