TE OGH 1992/9/29 10ObS191/92

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Veröffentlicht am 29.09.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Friedrich Weinke aus dem Kreis der Arbeitgeber und Mag.Wilhelm Patzold aus dem Kreis der Arbeitnehmer in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elisabeth A*****, vertreten durch Dr.Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.April 1992, GZ 12 Rs 36/92-17, womit das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 8.Jänner 1992, GZ 20 Cgs 142/91-14, aufgehoben wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache dahin erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit 3.623,04 S (darin 603,84 S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 5.5.1940 geborene Klägerin erlernte den Beruf einer Damen- und Herrenkleidermacherin und war bis 1970 in diesem Beruf tätig. In der Folge ging sie keiner beruflichen Tätigkeit nach. Erst vom 1.3.1990 bis 28.2.1991 war sie halbtags wieder als Änderungsschneiderin beschäftigt.

Die Klägerin, die vor allem an einem Carpaltunnelsyndrom an beiden Händen und an Involutionsdepressionen leidet, kann noch leichte und mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen in geschlossenen Räumen und im Freien bei einer Arbeitszeit von 8 Stunden täglich verrichten. Alle zwei Stunden sind Arbeitsunterbrechungen in der Dauer von 15 Minuten notwendig, wobei es genügt, daß sie nach zwei Stunden eine Tätigkeit ausübt, die ihr eine psychophysische Erholung erlauben. Bei einer Halbtagsbeschäftigung genügt eine psychische Erholungspause von 10 Minuten alle zwei Stunden. Die Klägerin kann keine Arbeiten mehr ausführen, die eine Kraftleistung im Bereich der Hände erfordern, und es ist ihr deshalb auch nicht möglich, eine Schere mit nur einigermaßen stärkerer Kraftanstrengung zu führen und somit normale Stoffe zuzuschneiden. Auch feinmotorische Tätigkeiten sind über einen längeren Zeitraum eingeschränkt. Sie kann Handnäharbeiten über eine halbe Stunde hinaus nicht verrichten. Wegen ihres Leidenszustandes kann sie weder die Tätigkeit einer Schneiderin noch artverwandte Tätigkeiten (Änderungsschneiderin, Zuschneiderin) ausüben.

Die beklagte Versicherungsanstalt der Angestellten lehnte den von der Klägerin am 26.2.1991 eingebrachten Antrag auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.3.1991 zu gewähren, und trug ihr eine vorläufige Zahlung von 2.000 S im Monat auf. Da die Klägerin ausschließlich Arbeitertätigkeiten verrichtet habe, sei für die Frage ihres Pensionsanspruchs § 255 ASVG analog anzuwenden. Sie habe in den 12 Beitragsmonaten, die sie während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag erworben habe, ausschließlich den erlernten Beruf ausgeübt, könne nunmehr aber weder diesen Beruf noch einen artverwandten Beruf ausüben, weshalb die Voraussetzungen des § 255 Abs 1 ASVG erfüllt seien und sie Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension habe.

Das Berufungsgericht trug dem Erstgericht infolge Berufung der beklagten Partei die neue, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung auf. Für den Berufsschutz nach § 255 Abs 1 ASVG genüge es nicht, daß in den Beobachtungszeitraum überwiegend oder ausschließlich Beitragsmonate aus einer bestimmten Berufstätigkeit fallen, sondern die Ausübung des erlernten Berufes müsse während des Beobachtungszeitraums die Zeiten einer anderen Tätigkeit oder Zeiten ohne Ausübung eines Berufes überwiegen. Die Klägerin habe den früher erworbenen Berufsschutz daher dadurch verloren, daß sie den Beruf während des Beobachtungszeitraums überwiegend nicht ausgeübt habe. Da deshalb die Frage ihres Pensionsanspruchs nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen sei, müsse geklärt werden, welche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angebotenen Berufstätigkeiten ihr noch zugemutet werden könnten.

Der von der Klägerin gegen diesen Beschluß des Berufungsgerichts erhobene Rekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst ist den Vorinstanzen darin beizupflichten, daß für den Anspruch der Klägerin auf Berufsunfähigkeitspension § 255 ASVG maßgebend ist (SSV-NF 3/2 ua). Demgemäß ist die Frage, ob die Klägerin berufsunfähig ist, dann nach § 255 Abs 1 ASVG zu beurteilen, wenn sie überwiegend in dem von ihr erlernten Beruf tätig war. Dies ist gemäß dem nachfolgenden Abs 2 letzter Satz der Fall, wenn die Berufstätigkeit in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt wurde. Ein ähnlicher Gesetzeswortlaut findet sich in § 255 Abs 4 lit c und § 273 Abs 3 lit c ASVG, wonach Voraussetzung für den Pensionsanspruch eines Versicherten, der das 55.Lebensjahr vollendet hat, ist, daß er in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat. Der Oberste Gerichtshof hat zu diesen Bestimmungen in den Entscheidungen vom 24. 3. 1992, 10 Ob S 38/92, und vom 7.4.1992, 10 Ob S 129/91, ausgesprochen, daß der Begriff "Beitragsmonate" nicht berichtigend im Sinn von "Kalendermonaten" ausgelegt werden könne, weil der äußerst mögliche Wortsinn die Grenzen jeglicher Auslegung abstecke. Dies muß auch für den hier anzuwendenden § 255 Abs 2 ASVG gelten, zumal gerade für diese Bestimmung, wie ebenfalls schon in den angeführten Entscheidungen ausgeführt wurde, kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß die Verwendung des Wortes "Beitragsmonate" auf einem Versehen beruht. Dieser Begriff wurde nämlich erst durch die 25.ASVGNov BGBl 1970/385 anstelle des früher verwendeten Wortes "Versicherungsmonate" eingefügt, wobei nach den Gesetzesmaterialien (225 BlgNR 12.GP, 4) dadurch verhindert werden sollte, daß durch neu eingeführte Ersatzzeiten Versicherte des besonderen, im § 255 Abs 2 ASVG begründeten leistungsrechtlichen Schutzes verlustig gehen. Dies wäre aber nicht möglich, wenn der Versicherungsschutz zur Voraussetzung hätte, daß der Versicherte die erlernte oder angelernte Berufstätigkeit während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in mehr als der Hälfte der Kalendermonate ausgeübt haben muß. Der Erwerb von Ersatzzeiten könnte dann nämlich auf den Versicherungsschutz keinen Einfluß haben. Aus den Gesetzesmaterialien ist daher abzuleiten, daß der Gesetzgeber bei der Erlassung der 25.ASVGNov davon ausging, für den Versicherungsschutz seien nur die erworbenen Beitragsmonate und nicht auch die im Beobachtungszeitraum verbleibende Anzahl der Kalendermonate ausschlaggebend. Da die Auffassung des Berufungsgerichtes aber auf das Gegenteil hinausliefe, würde sie mit der aus den Gesetzesmaterialien hervorgehenden Ansicht des Gesetzgebers nicht im Einklang stehen.

Bei dieser Auslegung kann es zwar dazu kommen, daß ein Versicherter, der während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag nur einen Versicherungsmonat erworben hat, Anspruch auf Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit hat und es kann ein Versicherter auch gegenüber anderen Versicherten besser gestellt sein, die nach Ausübung der erlernten oder angelernten Berufstätigkeit Beitragsmonate aufgrund einer freiwilligen Versicherung (vgl hiezu SSV-NV 3/17, 4/87, 4/107) oder aufgrund einer nicht in einem erlernten oder angelernten Beruf ausgeübten Berufstätigkeit erwerben.

Dem ersten Argument ist der Oberste Gerichtshof aber schon in

den Entscheidungen 10 Ob S 129/91 und 10 Ob S 38/92 mit dem Hinweis begegnet, daß Versicherungsverläufe mit bloß einem Beitragsmonat in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag keineswegs die Regel darstellten und es vielfach nicht vom Versicherten zu beeinflussenden Gründen unterliege, warum im Beobachtungszeitraum nicht mehr Beitragsmonate erworben wurden. Wenngleich die gesetzliche Regelung sicherlich in Einzelfällen zu unbilligen Ergebnissen führen könne, sei sie bei durchschnittlicher Betrachtungsweise aber noch als sachgerecht anzusehen. Zum zweiten Argument wurde in diesen Entscheidungen wie schon in der Entscheidung SSV-NF 4/87 bemerkt, der Erwerb weiterer Versicherungszeiten führe in der Regel dazu, daß die Versicherungsleistung überhaupt erst ermöglicht oder zumindest der Höhe nach verbessert wird. Dies rechtfertigt aber eine andere Betrachtungsweise gegenüber Fällen, in denen nach Beendigung der Berufstätigkeit keine Beitragsmonate erworben werden. Beide Argumente vermögen daher die Ansicht des Berufungsgerichtes, die überdies schon am eindeutigen Wortlaut des Gesetzes scheitert, nicht zu stützen.

Der Versicherungsschutz geht auch nicht dadurch verloren, daß der Versicherte während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag nur eine Teilzeitbeschäftigung ausübt; dies ist nur für die Frage von Bedeutung, ob er auf eine Teilzeitbeschäftigung verwiesen werden darf (SSV-NF 5/136 = EvBl 1962/68). Dem kommt hier aber keine Bedeutung zu, weil die Klägerin in dem von ihr erlernten Beruf und dem diesen gleichartigen Berufen auch hiezu nicht imstande ist.

Das Erstgericht hat die Frage des Pensionsanspruchs der Klägerin somit zutreffend nach § 255 Abs 1 ASVG beurteilt. Da nicht strittig ist, daß die in dieser Gesetzesstelle hiefür festgelegten Voraussetzungen bei der Klägerin erfüllt sind, sieht sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlaßt, hiezu näher Stellung zu nehmen. Es bedarf unter diesen Umständen der dem Erstgericht vom Berufungsgericht aufgetragenen Feststellungen nicht, weshalb gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO in der Sache selbst im Sinn der Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichtes zu erkennen war.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Bemessungsgrundlage ist gemäß § 77 Abs 2 ASGG idF der WGN 1989 der Betrag von 50.000 S.

Anmerkung

E30309

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00191.92.0929.000

Dokumentnummer

JJT_19920929_OGH0002_010OBS00191_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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