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82 GesundheitsrechtNorm
StGG Art6 Abs1 / ErwerbsausübungLeitsatz
Keine Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des Apothekengesetzes in der Fassung der Novelle 1984 betreffend die Bedarfsprüfung für eine Apothekenkonzession angesichts verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift über ein MindestversorgungspotentialSpruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid des (damaligen) Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst anhängig, mit dem ein Konzessionsansuchen zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke gemäß §10 Abs2 Apothekengesetz, RGBl. Nr. 5/1907, (im folgenden: ApG), in der Fassung der Apothekengesetznovelle 1984, BGBl. Nr. 502, mangels Bedarfs wegen Nichterreichens der Anzahl von 5.500 zu versorgenden Personen abgewiesen wurde.
2. Aus Anlaß dieser Beschwerde stellt der Verwaltungsgerichtshof den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge aussprechen, daß
"1. in §10 Abs2 erster Satz des Apothekengesetzes, RGBl. Nr. 5/1907, in der Fassung der Apothekengesetznovelle 1984, BGBl. Nr. 502, die Worte 'insbesondere die Anzahl der zu versorgenden Personen unter Berücksichtigung der ständigen Einwohner und',
2. §10 Abs2 zweiter Satz leg. cit. sowie
3. a) in §10 Abs2 dritter Satz Z. 1 leg. cit. die lita (einschließlich der ihr folgenden Gliederungsbezeichnung 'b)'),
b) in eventu in §10 Abs2 dritter Satz leg. cit. die Z. 1 (einschließlich der ihr folgenden Gliederungsbezeichnung '2.'),
verfassungswidrig waren."
3. Zur Rechtslage:
Gemäß §9 ApG ist der Betrieb einer öffentlichen Apotheke, die nicht auf einem Realrecht beruht, nur aufgrund einer besonderen behördlichen Bewilligung (Konzession) zulässig. Die persönlichen Voraussetzungen hierfür sind in §3 leg. cit. geregelt. §10 ApG regelt die sachlichen Voraussetzungen der Konzessionserteilung.
§10 ApG, RGBl. Nr. 5/1907, in der Fassung der Apothekengesetznovelle 1984, BGBl. Nr. 502, lautete (die vom Primärantrag des Verwaltungsgerichtshofs umfaßten Wortfolgen sind hervorgehoben):
"§10. (1) Die Konzession für eine neu zu errichtende Apotheke ist zu erteilen, wenn
1. in der Gemeinde des Standortes der Apotheke ein Arzt seinen ständigen Berufssitz hat,
2. ein Bedarf für eine Apotheke besteht und
3. durch die Neuerrichtung die Existenzfähigkeit bestehender öffentlicher Apotheken nicht gefährdet wird.
(2) Bei der Prüfung des Bedarfes sind insbesondere die Anzahl der zu versorgenden Personen unter Berücksichtigung der ständigen Einwohner und die Entfernung zur nächstgelegenen Apotheke zu berücksichtigen. Ferner sind die Lebensverhältnisse der Bevölkerung sowie der Verkehr im Standort und in der Umgebung, die vorhandenen Krankenanstalten, Heime, Schulen und Erziehungsanstalten, größere gewerbliche und industrielle Betriebe, der Umfang des Geschäftsbetriebes der im Standort und in der Umgebung bestehenden öffentlichen Apotheken sowie deren Turnusdienst in Betracht zu ziehen. Ein Bedarf ist jedenfalls nicht anzunehmen, wenn
1. a) in Orten, in denen keine öffentliche Apotheke besteht, die Zahl der in einem Umkreis von vier Straßenkilometern von der künftigen Betriebsstätte der Apotheke zu versorgenden Personen weniger als 5 500 beträgt oder
b) in Orten, in denen eine oder mehrere öffentliche Apotheken bestehen, die Zahl der von der neuen Apotheke zu versorgenden Personen weniger als 5 500 beträgt und
2. die Entfernung zwischen der künftigen Betriebsstätte der Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen Apotheke weniger als 500 m beträgt. Diese Entfernung darf ausnahmsweise unterschritten werden, wenn es besondere örtliche Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung dringend gebieten.
(3) Eine öffentliche Apotheke gilt in ihrer Existenzfähigkeit gefährdet, wenn der Fortbestand der bestehenden Apotheke durch die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke bei pharmazeutisch ordnungsgemäßer und wirtschaftlich rationeller Betriebsführung nicht gewährleistet erscheint. (...)
(4) Besteht ein zwingender Bedarf der Bevölkerung nach Errichtung einer neuen öffentlichen Apotheke, so ist die Konzession trotz Gefährdung der Existenzfähigkeit einer bestehenden öffentlichen Apotheke zu erteilen."
4. Der Verwaltungsgerichtshof begründet seine Bedenken wie folgt:
"3.0. Bedenken:
Im Verwaltungsverfahren wurde festgestellt, daß die Entfernung der in Aussicht genommenen Betriebsstätte zur Betriebsstätte der nächsten bestehenden öffentlichen Apotheke mehr als 500 Meter (und zwar mehr als vier Kilometer) und die Zahl der zu versorgenden Personen weniger als 5.500 beträgt.
3.1. Es ist zunächst zu fragen, ob ein obiter dictum zur hier anzuwendenden Rechtslage nach der ApGNov 1984 auf Seite 79 des das ApG idF der ApGNov 1990, BGBl. Nr. 362, betreffenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 2. März 1998, G37/97 und Folgezahlen = ZfVB 1998/3/923, so zu verstehen wäre, daß es in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem die Mindestentfernung überschritten ist, auf das Bedarfskriterium des Versorgungspotentials (Zahl der zu versorgenden Personen) überhaupt nicht anzukommen hätte. Bei einer solchen Auslegung wäre die Regelung - da sich auf dem Boden der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Bedenken gegen die Mindestentfernung (§10 Abs2 dritter Satz Z. 2 ApG idF ApGNov 1984) nicht ergeben - unbedenklich. Die betreffende Textstelle im zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (Unterstreichung nicht im Original) lautet:
'Diese Rechtslage ist erst durch die Apothekengesetznovelle 1990, BGBl. 362, geschaffen worden. Die davor geltende (auf der Apothekengesetznovelle 1984, BGBl. 502, beruhende) Fassung des §10 ApG unterschied bei der Konzessionserteilung zwischen der Bedarfsprüfung einerseits und der Gefährdung der Existenzfähigkeit bestehender öffentlicher Apotheken andererseits (§10 Abs1). Bei der Prüfung des Bedarfes war die Anzahl der zu versorgenden Personen und die Entfernung zur nächstgelegenen Apotheke zu berücksichtigen. Ein Bedarf wurde damals als nicht gegeben erachtet, wenn die Zahl der von der neuen Apotheke zu versorgenden Personen weniger als 5.500 und (!) die Entfernung zur nächstgelegenen Apotheke weniger als 500 m betrug. Nach dieser Rechtslage konnte ein Bedarf somit durchaus vorliegen, wenn die Zahl der zu versorgenden Personen unter 5.500 lag, die Entfernung zur nächsten Apotheke aber mehr als 500 m ausmachte oder wenn umgekehrt die Zahl der zu versorgenden Personen mehr als 5.500, die Entfernung zur nächsten Apotheke aber weniger als 500 m ausmachte.'
Die Bedeutung und Reichweite dieser Aussage des Verfassungsgerichtshofes soll zunächst unter Zugrundelegung der Annahme, daß das Wort 'und' in §10 Abs2 dritter Satz leg. cit. zwischen Z. 1 und Z. 2 kumulativ verstanden werden müsse, geprüft werden.
Die vorhin als Deutungsmöglichkeit in Erwägung gezogene rechtliche Aussage hat der Verfassungsgerichtshof nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes in der wiedergegebenen Textstelle tatsächlich nicht getroffen. Der Verfassungsgerichtshof geht erkennbar davon aus, daß die gesetzliche Regelung ein bestimmtes Versorgungspotential (wenn auch von weniger als 5.500 zu versorgenden Personen) fordert, selbst wenn die Mindestentfernung überschritten ist. Der Satz 'Nach dieser Rechtslage konnte ein Bedarf somit durchaus vorliegen, wenn die Zahl ... unter 5.500 lag', bringt dies zum Ausdruck und läßt es offen, welche Zahl diesfalls als ausreichend anzusehen wäre. Jedenfalls wäre es mit dem Gesetz nicht vereinbar, schon ein beliebig geringes Versorgungspotential als ausreichend anzusehen. Der dritte Satz des §10 Abs2 ApG, auf den sich die zitierte Aussage des Verfassungsgerichtshofes bezieht, enthält nämlich nur eine negative Bedarfsumschreibung, wenn dort normiert wird, unter welchen Voraussetzungen ein Bedarf 'jedenfalls nicht anzunehmen' ist. Diese negative Bedarfsumschreibung tritt aber lediglich ergänzend zu der positiven Bedarfsumschreibung des Gesetzes hinzu. §10 Abs1 Z. 2 ApG macht nämlich die Konzessionserteilung - positiv formuliert - vom Vorliegen eines Bedarfes (positive Erteilungsvoraussetzung) abhängig, das nach den Kriterien des §10 Abs2 erster und zweiter Satz leg. cit. zu prüfen ist. Was unter dem Ausmaß dieses Bedarfes, dessen Art im §10 Abs2 erster Satz leg. cit. umschrieben (Berücksichtigung insbesondere der Zahl der zu versorgenden Personen unter Berücksichtigung der ständigen Einwohner und der Entfernung zur nächstgelegenen Apotheke) und dann im §10 Abs2 zweiter Satz noch näher determiniert wurde, zu verstehen ist, ergibt sich aus dem in der Rechtsprechung zum 'Bedürfnis der Bevölkerung' nach der Rechtslage vor der ApGNov 1984 herausgearbeiteten Begriffsinhalt. Unter der 'Anzahl ... der Bevölkerung' im Sinne des §10 Abs2 ApG idF vor der ApGNov 1984 war nicht nur die Bevölkerungszahl im ausersehenen Standort, sondern auch jene in der 'Umgebung', also in dem für die geplante Apotheke in Betracht kommenden Einzugsgebiet zu verstehen. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde eine Zahl von 5.000 bis 6.000 potentiellen Kunden im Standort und in der Umgebung zur Begründung dieses Bedarfskriteriums als noch ausreichend angesehen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. Juni 1969, Zl. 1693/68: 5.000; vom 29. April 1966, Zl. 2143/65: 5.600; vom 31. August 1978, Zl. 2014/77 = ZfVB 1979/2/340: 5.000 unter Einbeziehung von rund 6.000 aus der Umgebung; vgl. dazu Puck, Die Prüfung des Bedarfes bei öffentlichen Apotheken, Winkler-FS 1989, 219).
Dies kommt auch in den Erläuterungen zur RV betreffend die ApGNov 1994 395 BlgNR 16. GP, 13, deutlich zum Ausdruck, wo es dazu heißt:
'Durch die neuen Bestimmungen des Abs2 über die Bedarfsprüfung soll insbesondere bewirkt werden, daß zwei Faktoren bei der Bedarfsbeurteilung eine besondere Bedeutung zugemessen wird. Nämlich der Anzahl der von der neuen Apotheke zu versorgenden Personen und der Entfernung zur nächsten öffentlichen Apotheke. Die jahrzehntelange Verwaltungsübung hat gezeigt, daß gerade diese beiden Kriterien von wesentlichem Interesse bei der Beurteilung des Bedarfes sind. Sie werden daher nunmehr aus den übrigen, selbstverständlich weiterhin zu beachtenden Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle besonders hervorgehoben. Hinsichtlich der Anzahl der zu versorgenden Personen wird davon auszugehen sein - und dies entspricht der bewährten bisherigen Verwaltungsübung und Judikatur des VwGH -, daß für die Annahme eines Bedarfes mindestens 5500 Personen erforderlich sein müssen, von denen der Großteil in dem Ort, in dem die Apotheke errichtet werden soll, ansässig sein muß. Nur unter dieser Voraussetzung scheint eine in jeder Hinsicht einwandfreie Arzneimittelversorgung gewährleistet.'
Die positive Bedarfsumschreibung in §10 Abs2 erster und zweiter Satz ApG idF der ApGNov 1984 hinsichtlich der Zahl der zu versorgenden Personen enthält daher den Begriffsinhalt, wie er sich in der Rechtsprechung und Verwaltungspraxis bis 1984 herausgebildet hat. Die negative Bedarfsumschreibung des §10 Abs2 dritter Satz leg. cit. zieht lediglich eine zahlenmäßig fixierte (dem bisherigen Begriffsinhalt entsprechende) Grenze, bei deren Überschreitung ein Bedarf 'jedenfalls nicht' anzunehmen ist.
Es kann somit §10 Abs2 ApG idF ApGNov 1984 - selbst unter der Prämisse, daß das Wort 'und' im dritten Satz zwischen Z. 1 und Z. 2 kumulativ zu verstehen sei - nicht so ausgelegt werden, daß bei Überschreitung der Mindestentfernung der Apothekenbetriebsstätten zueinander von 500 m eine Bedarfsprüfung hinsichtlich der Zahl der zu versorgenden Personen zu entfallen hätte und es auf dieses Bedarfskriterium überhaupt nicht ankäme.
3.2. Der Verwaltungsgerichtshof geht im übrigen nicht von der Prämisse aus, daß das Wort 'und', welches die Z. 1 und Z. 2 im §10 Abs2 (dritter Satz) ApG idF ApGNov 1984 verbindet bzw. voneinander
trennt ('Ein Bedarf ist jedenfalls nicht anzunehmen, wenn 1. ... die Zahl ... weniger als 5 500 beträgt und 2. die Entfernung weniger als
500 m beträgt") kumulativ zu verstehen wäre. Die Regel des §10 Abs2 dritter Satz leg. cit. wäre damit auf den in der Praxis völlig unbedeutenden Anwendungsfall beschränkt, daß die Mindestentfernung von 500 m und die Mindestpersonenanzahl von 5.500 unterschritten würden. Sie würde also die Gruppe der Konzessionsansuchen in Stadtrandgebieten und in ländlichen Gebieten (wo die Mindestentfernung in aller Regel überschritten wird), also wohl alle Fälle der Z. 1 lita, überhaupt nicht erfassen, obwohl diesen Fällen in der Praxis die überwiegende Bedeutung zukommt. Diese Absicht kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Es sollte hier, den Erläuterungen zur RV 395 BlgNR 16. GP, 13, zufolge, doch nur die bisherige Rechtsprechung festgeschrieben werden. In der positiv formulierten Bedarfsumschreibung des der ApGNov 1984 vorangegangenen Übereinkommens zwischen der Österreichischen Apothekerkammer und der Österreichischen Ärztekammer vom 16. Mai 1984 lautete es noch zutreffend: Vorliegen eines Bedarfes bei mindestens 5.500 Personen und mindestens 500 m Entfernung. So kommt es auch eindeutig in den Erläuterungen zur RV zum Ausdruck. Bei der Umkehrung in eine negative Formulierung wäre daher das Wort 'und' besser durch ein 'oder' ersetzt worden. Das Wort 'und' ist somit nicht kumulativ, sondern alternativ (innerhalb der Aufzählung der negativen Bedarfsvoraussetzungen) zu deuten (vgl. dazu und zur Entstehungsgeschichte der ApGNov 1984 Puck, a.a.O., 220, 222).
Gegen die Erwägung, daß infolge des kumulativ zu verstehenden Wortes 'und' ein Bedarf durchaus gegeben sein könnte, wenn 'umgekehrt die Zahl der zu versorgenden Personen mehr als 5.500, die Entfernung zur nächsten Apotheke aber weniger als 500 m ausmacht', spricht auch der zweite Satz in §10 Abs2 Z. 2 ApG. Diese Bestimmung sieht vor, daß die Entfernung von 500 m ausnahmsweise unterschritten werden darf, wenn es besondere örtliche Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung dringend gebieten. Diese Ausnahmebestimmung wäre in allen Fällen, in denen die Zahl der zu versorgenden Personen 5.500 übersteigt, überflüssig. Daß der Gesetzgeber mit der Ausnahmebestimmung aber diese Fälle (und nicht jene, die nicht einmal das erforderliche Mindestversorgungspotential aufweisen) erfassen wollte, zeigen die bereits zitierten Erläuterungen zur RV, 395 BlgNR 16. GP, 13, wo es heißt:
'Eine Ausnahme von dieser Mindestentfernung wird nur dann gemacht werden können, wenn zB in Orten mit nur einer öffentlichen Apotheke die örtliche Situation - kleiner Ortskern mit Hauptplatz und ähnliches - dergestalt ist, daß die Einhaltung eines Mindestabstandes von 500 m die Neuerrichtung einer zweiten öffentlichen Apotheke unmöglich machen würde. In einem solchen Fall erscheinen die Vorteile einer zweiten öffentlichen Apotheke im Ort - bei Vorliegen aller anderen geforderten Voraussetzungen - ... so gravierend, daß von der ansonsten geltenden Mindestentfernung Abstand genommen werden kann; ...' (Unterstreichung nicht im Original).
Der Verwaltungsgerichtshof geht somit davon aus, daß die Überschreitung der Mindestentfernung zwischen den Betriebsstätten der in Aussicht genommenen öffentlichen Apotheke und der nächsten bestehenden öffentlichen Apotheke auch deswegen die Feststellung des erforderlichen Versorgungspotentials nicht entbehrlich macht, weil jede der beiden negativen Bedarfsvoraussetzungen zu prüfen ist und das Vorliegen jeder der beiden - §10 Abs2 dritter Satz Z. 1 oder Z. 2 - für sich allein dazu führt, daß ein Bedarf jedenfalls nicht anzunehmen ist.
Bemerkt wird abschließend noch, daß Verwaltungspraxis und Rechtsprechung in keinem der Fälle, die nach dem ApG idF der ApGNov 1984 zu entscheiden waren, davon ausgegangen sind, daß das Vorliegen der Mindestentfernung eine Bedarfsprüfung hinsichtlich der Zahl der zu versorgenden Personen entbehrlich mache.
3.3. Präjudiziell sind im vorliegenden Beschwerdeverfahren lediglich die Regelungen der ApGNov 1984 über den Bedarf, und zwar soweit sie das Mindestversorgungspotential für die beantragte neue öffentliche Apotheke von 5.500 zu versorgenden Personen betreffen.
Zu Recht weist die Beschwerdeführerin darauf hin, es sei in der Literatur (Puck, a.a.O., 223) gegen diese Regelung der ApGNov 1984 das verfassungsrechtliche Bedenken geäußert worden, eine solche zum gesetzlichen Existenzgefährdungsschutz für die bestehenden öffentlichen Apotheken hinzutretende Prüfung des Bedarfes für die neu zu errichtende öffentliche Apotheke diene keinen öffentlichen Interessen, die nicht schon durch den sachlich gerechtfertigten Existenzgefährdungsschutz hinreichend berücksichtigt wären. Die - zusätzliche - Bedarfsprüfung greife überflüssig und überschießend in die Freiheit der unternehmerischen Disposition - gegründet auf die eigene Beurteilung des Kundenpotentials und der künftigen Lebensfähigkeit der neuen Apotheke, also auf das eigenverantwortliche Abschätzen von Erfolg und Risiko - ein.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem bereits wiederholt zitierten Erkenntnis vom 2. März 1998, das die in dieser Hinsicht (des Hinzutretens eines Bedarfserfordernisses zum gesetzlich geregelten Existenzgefährdungsschutz für bestehende Apotheken) völlig vergleichbare Rechtslage nach der ApGNov 1990, BGBl. Nr. 362, betraf, ausgeführt (Punkt IV. B.2., Seite 84 ff):
(...)
Der Verwaltungsgerichtshof macht die Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes, die zur Aufhebung des §10 Abs2 Z. 1, Abs3 und einer Wortfolge in Abs5 ApG idF ApGNov 1990 geführt haben, zum Gegenstand seiner Bedenken gegen die im vorliegenden Prüfungsantrag umschriebenen Gesetzesstellen des ApG idF der ApGNov 1984 wegen Verstoßes gegen Art6 Abs1 StGG 1867. Die Gleichartigkeit der Regelung besteht darin, daß zu einer Regelung, die dem Existenzgefährdungsschutz der bestehenden öffentlichen Apotheken dient (§10 Abs3 ApG idF ApGNov 1984), ein Bedarfserfordernis für die neue öffentliche Apotheke, nämlich eine Anzahl künftig von ihr zu versorgender Personen, hinzutritt.
Aus diesen Gründen war der eingangs formulierte Gesetzesprüfungsantrag zu stellen."
5. Unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. März 1998, G37/97 u.a. (VfSlg. 15.103/1998) nahm die Bundesregierung von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Der Verfassungsgerichtshof hält es jedenfalls für denkmöglich, daß der Verwaltungsgerichtshof die mit dem Primärantrag angefochtenen Gesetzesbestimmungen bei seiner Entscheidung anzuwenden hat. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Primärantrag zulässig.
1.2. Der Eventualantrag geht davon aus, daß die nicht präjudizielle Bestimmung des §10 Abs2 (dritter Satz) Z1 litb ApG mit den Regelungen des ersten und zweiten Satzes des §10 Abs2 ApG in einem untrennbaren Zusammenhang steht. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, weil die litb des §10 Abs2 (dritter Satz) Z1 ApG auch bei Aufhebung der vom Primärantrag umfaßten Bestimmungen einen verständlichen Inhalt aufwiese. Der Eventualantrag ist daher nicht zulässig.
2. Der (Primär-)Antrag ist nicht begründet.
2.1. Der Verwaltungsgerichtshof stützt seinen Antrag in der Sache auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 15.103/1998, mit dem §10 Abs2 Z1, §10 Abs3 und die Wortfolge "3 oder" in §10 Abs5 des Apothekengesetzes idF BGBl. Nr. 362/1990 wegen Verstoßes gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung als verfassungswidrig aufgehoben wurden. Nach diesen Bestimmungen bestand ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke nicht, wenn die Zahl der von der künftigen Betriebsstätte der neu zu errichtenden Apotheke aus zu versorgenden Personen weniger als 5500 betrug.
2.2. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes gelte das gleiche auch für die hier angefochtenen Bestimmungen, vorausgesetzt, man verstehe das Wort "und" vor der Z2 des §10 Abs2 ApG idF BGBl. 502/1984 nicht kumulativ, sondern alternativ. Der Verwaltungsgerichtshof legt in seinem Antrag anhand der Entstehungsgeschichte des §10 ApG idF der ApG-Novelle 1984 und der Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung ausführlich dar, weshalb die Z1 und 2 des §10 Abs2 ApG in ihrem Zusammenhalt so zu verstehen seien, daß die Norm bei der Bedarfsfeststellung für eine zusätzliche öffentliche Apotheke beide Voraussetzungen - sowohl die Mindestentfernung von 500 m zwischen den Apotheken als auch die Anzahl der zu versorgenden Personen mit einer Untergrenze von mindestens 5500 - festlegt.
2.3. §10 Abs2 ApG idF BGBl. 502/1984 sieht eine Bedarfsprüfung vor und nennt grundsätzliche Kriterien, die bei den Ermittlungen zu beachten sind. Der Gesetzgeber des Jahres 1984 hat allerdings auch ausdrücklich sowohl für den Fall, daß eine Konzession für einen Ort beantragt wurde, in dem noch keine öffentliche Apotheke besteht (Abs2 Z1 lita), als auch für den Fall, daß eine Konzession für einen Ort beantragt wurde, in dem bereits eine oder mehrere öffentliche Apotheken bestehen (Abs2 Z1 litb), Tatbestände normiert, bei deren Erfüllung jedenfalls kein Bedarf "anzunehmen" sei. Für beide Fallgruppen wurde ergänzend in §10 Abs2 Z2 ApG das Kriterium aufgestellt, daß zwischen den jeweiligen öffentlichen Apotheken - sei es von Ort zu Ort oder innerhalb einer größeren Gemeinde - ein Mindestabstand - der ausnahmsweise auch unterschritten werden könnte - von 500 Metern eingehalten werden müsse. Die Konzeption des §10 Abs2 ApG macht deutlich, daß der Gesetzgeber des Jahres 1984 sichtlich intendiert hat, Meßgrößen festzulegen, die geeignet wären, den zuständigen Behörden die Feststellung des Bedarfs anhand objektiver Kriterien zu erleichtern. Daß es sich dabei um kein starres System handelt, wird auch durch die in §10 Abs2 Z2 ApG formulierte Ausnahme klar.
Die Formulierung des §10 Abs2 ApG idF BGBl. 502/1984 verpflichtet die Behörde zur Überprüfung des Bedarfs und gibt beispielhaft Anhaltspunkte dafür, wie sie dabei vorzugehen hat ("Lebensverhältnisse der Bevölkerung", "Verkehr im Standort und in der Umgebung" etc.). Unter anderem sind auch ein zahlenmäßiges Kriterium (5500 zu versorgende Personen) und ein Entfernungskriterium (500 m von der Betriebsstätte der nächstgelegenen Apotheke) genannt. Ein Bedarf ist danach jedenfalls nicht anzunehmen, wenn von der neu zu errichtenden Apotheke im Umkreis von vier Kilometern weniger als 5500 Personen zu versorgen sind und die Entfernung zur Betriebsstätte der nächstgelegenen Apotheke weniger als 500 m beträgt. Im Fall der Entfernung von 500 m ist im zweiten Satz des Abs2 Z2 ausdrücklich festgelegt, daß diese unter bestimmten Voraussetzungen auch unterschritten werden könnte. Nichts anderes hat auch für das Kriterium der 5500 zu versorgenden Personen zu gelten. Dies hat der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 15.103/1998, S 214, ausgesprochen:
"(...) Die davor geltende (auf der Apothekengesetznovelle 1984, BGBl. 502, beruhende) Fassung des §10 ApG unterschied bei der Konzessionserteilung zwischen der Bedarfsprüfung einerseits und der Gefährdung der Existenzfähigkeit bestehender öffentlicher Apotheken andererseits (§10 Abs1). Bei der Prüfung des Bedarfes war die Anzahl der zu versorgenden Personen und die Entfernung zur nächstgelegenen Apotheke zu berücksichtigen. Ein Bedarf wurde damals als nicht gegeben erachtet, wenn die Zahl der von der neuen Apotheke zu versorgenden Personen weniger als 5.500 und (!) die Entfernung zur nächstgelegenen Apotheke weniger als 500 m betrug. Nach dieser Rechtslage konnte ein Bedarf somit durchaus vorliegen, wenn die Zahl der zu versorgenden Personen unter 5.500 lag, die Entfernung zur nächsten Apotheke aber mehr als 500 m ausmachte oder wenn umgekehrt die Zahl der zu versorgenden Personen mehr als 5.500, die Entfernung zur nächsten Apotheke aber weniger als 500 m ausmachte."
Der Gesetzgeber des Jahres 1990 hat dieses flexible System zugunsten einer starreren Regelung aufgegeben. Er hat - ohne der Behörde ein Ermessen einzuräumen - normiert, daß "ein Bedarf (nicht) besteht (...), wenn" bestimmte zahlenmäßige Größen nicht erreicht werden.
Dazu hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 15.103/1998, S 218 f., folgendes ausgeführt:
"b) Der Verfassungsgerichtshof (...) kann (...) nicht erkennen, warum das öffentliche Interesse an der Heilmittelversorgung durch die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke gefährdet sein könnte, wenn die ordnungsgemäße Heilmittelversorgung durch die bisher bestehenden öffentlichen Apotheken infolge der Neuerrichtung nicht beeinträchtigt wird. Bleibt der Versorgungsbereich der bestehenden öffentlichen Apotheken gesichert (und damit der bisherige Standard der Heilmittelversorgung gewährleistet), so kann die Zulassung weiterer öffentlicher Apotheken letztlich nur zu einer Verbesserung der Heilmittelversorgung führen. (...)
(...) Damit ist auch die im Verfahren verschiedentlich vorgebrachte Behauptung widerlegt, das gegenwärtige System der Bedarfsprüfung garantiere eine flächendeckende Versorgung mit öffentlichen Apotheken (...). Die starre Regelung des §10 Abs2 Z1 ApG bewirkt offensichtlich das genaue Gegenteil.
c) Die Existenzfähigkeit einer solchen neu geschaffenen Apotheke wird allerdings nicht durch den Gesetzgeber 'garantiert', sondern der Einschätzung des Konzessionswerbers überlassen. Er hat zu entscheiden, ob er die mit der Errichtung einer öffentlichen Apotheke verbundenen Verpflichtungen erfüllen und gleichzeitig ein wirtschaftlich lebensfähiges Unternehmen führen kann. Gerade dagegen sind aus dem Gesichtspunkt des Grundrechtes der Erwerbsfreiheit keine Bedenken zu erheben, sofern nur die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Heilmitteln durch die bestehenden öffentlichen Apotheken gesichert erscheint. Der Verfassungsgerichtshof stimmt in diesem Punkt mit dem Verwaltungsgerichtshof überein, daß die zitierte Regelung nicht etwa dem Interesse der Bevölkerung an einer klaglosen Versorgung mit Heilmitteln dient, sondern eher dem Schutz des Konzessionswerbers vor unrentablen Investitionen. Für einen solchen Schutz sind jedoch keine öffentlichen Interessen erkennbar."
Unter Zugrundelegung auch dieser Überlegungen ist das in §10 Abs2 Z1 lita ApG idF BGBl. 502/1984 festgelegte Kriterium von 5500 zu versorgenden Personen von den zuständigen Behörden jedenfalls "flexibel" zu verstehen, das heißt nur als Meßgröße als Hilfestellung bei der Beurteilung eines Bedarfs anzuwenden.
2.4. §10 ApG in der hier angefochtenen Fassung ist folglich verfassungskonform so zu interpretieren, daß eine Konzession nicht schon deshalb versagt werden darf, weil die Zahl der von der neu zu errichtenden Apotheke aus zu versorgenden Personen unter 5500 liegt. Vielmehr ist jedenfalls, wenn die Entfernung zur nächstgelegenen Apotheke mehr als 500 m beträgt, zu prüfen, ob im Sinne der in §10 Abs2 erster und zweiter Satz geregelten Verhältnisse ein Bedarf an der Errichtung einer neuen öffentlichen Apotheke besteht. Ist dies der Fall, so ist die Konzession zu erteilen. Bei einem solchen Verständnis der Regelungen des §10 ApG erscheinen die bekämpften Bestimmungen nicht als verfassungswidrig.
Der Antrag ist daher abzuweisen.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Apotheken, Konzessionserteilung (Apotheken), Auslegung verfassungskonforme, Bedarfsprüfung, ErwerbsausübungsfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:G123.1998Dokumentnummer
JFT_09988790_98G00123_00