TE OGH 1992/10/13 14Os126/92

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Veröffentlicht am 13.10.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13.Oktober 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner, Hon.Prof.Dr.Brustbauer, Dr.Massauer und Mag.Strieder als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Held als Schriftführer, in der Strafsache gegen Johann K***** wegen des Verbrechens des Beischlafes mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 10.Juni 1992, GZ 8 Vr 15/92-30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann K***** des Verbrechens des Beischlafes mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in Oberwart mit den nachstehend genannten unmündigen Personen den außerehelichen Beischlaf unternommen, und zwar

1. zu nicht näher feststellbaren Zeitpunkten im Frühjahr oder Sommer 1986 zweimal im Abstand von etwa einer Woche mit der am 11.August 1975 geborenen Gabriela B*****;

2. zu nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkten im Spätsommer oder Herbst 1986 "zu wiederholten und häufigen Malen phasenweise und monateweise mit einer Frequenz von auch mehr als einmal in der Woche" mit der am 27.November 1978 geborenen Martina B*****.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 4, 5 und 5 a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Berechtigung kommt schon der Mängelrüge (Z 5) zu, insofern dem Ersturteil - unter dem Gesichtspunkt einer unvollständigen Begründung - vorgeworfen wird, es stütze den Schuldspruch auf die "unbedingt glaubwürdigen" Angaben der Franziska B*****, lasse dabei aber die Darstellung der Genannten vor dem Untersuchungsrichter, wonach der Angeklagte als Täter auszuschließen sei, ebenso unerörtert wie die den Angeklagten "zur Gänze entlastende" Aussage des Georg B*****.

Tatsächlich stützte das Schöffengericht die den Schuldspruch tragenden Feststellungen "vor allem auf die unbedingt glaubwürdigen Angaben" der Franziska B***** (US 5, 6). Diese hatte jedoch ihre (auch) den Angeklagten - der die ihm zur Last liegenden Straftaten unter Behauptung einer Verwechslung in Abrede stellt - belastenden Angaben vor der Gendarmerie und in der Hauptverhandlung zwischenzeitig, nämlich bei der fortgesetzten Vernehmung durch den Untersuchungsrichter am 12.März 1992 hinsichtlich des Angeklagten ausdrücklich widerrufen (vgl. S 367-369) und in Ansehung der minderjährigen Martina B***** schon davor zum Ausdruck gebracht (vgl. S 363), sie wisse nicht, ob der Angeklagte auch mit dieser Tochter den Beischlaf unternommen habe. Bei dieser Sachlage wäre das Schöffengericht jedenfalls gehalten gewesen, sich auch mit den obigen Angaben der Franziska B***** auseinanderzusetzen, dies umso mehr, als annäherend im gleichen Zeitraum gleichartige sexuelle Angriffe gegen die beiden Mädchen (zumindest) auch von (deren Vater) Georg B***** sowie von Julius N***** und Emil Be***** gesetzt worden sind (US 6). Das Schöffengericht hätte sich demzufolge mit der aufgezeigten Divergenz in den Angaben der Franziska B***** im Urteil auseinandersetzen und dartun müssen, warum es ihren den Angeklagten belastende Angaben nichtsdestoweniger eine für die Beweisführung ausreichende Verläßlichkeit beimaß (§ 270 Abs. 2 Z 5 StPO). Gleiches gilt für die Aussage des - abgesondert verfolgten - Georg B*****, dessen den Angeklagten entlastende Angaben vor dem Untersuchungsrichter (S 297) und in der Hauptverhandlung (S 409) ebenfalls zur Gänze unerörtert blieben.

Die aufgezeigten, vom Angeklagten zutreffend gerügten Begründungsmängel machen eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unumgänglich, sodaß nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch zu erkennen war (§ 285 e StPO), ohne daß es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedurfte.

Im zweiten Rechtsgang wird das Erstgericht, welches die Vernehmung der beiden (nunmehr 17 bzw. 13 Jahre alten) Mädchen als Zeugen in der Hauptverhandlung mit der Begründung ablehnte, daß "während der noch aufrechten psychotherapeutischen Behandlung seelische Schäden für den Verarbeitungsprozeß zu befürchten wären" (US 6), Nachstehendes zu beachten haben: Wenngleich es sicherlich zutrifft, daß eine (neuerliche) Einvernahme des (unmündigen) Tatopfers eines Sexualdelikts für das betreffende Kind eine schädigende und neurotisierende Wirkung haben kann - was der Oberste Gerichtshof schon in seiner Entscheidung vom 18.Mai 1989, 12 Os 33/89, gestützt auf das einschlägige Schrifttum (wie etwa Reinhart Lempp "Sexualität und Kriminalität im Kinder- und Jugendalter" in: "Sexualität als Entwicklungsproblem", hrsg. von Husslein, Olechowski und Rett), nicht verkannt hat, so wird - im Interesse der Wahrung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit, aber auch des in Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK jedem Angeklagten zustehenden Rechts, Fragen an einen Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen - von einer solchen (neuerlichen) Einvernahme des Kindes nur dann Abstand genommen werden können, wenn das erkennende Gericht auf Grund konkreter, idR von einem jugendpsychiatrischen Sachverständigen zu attestierender Umstände die Überzeugung gewinnt, daß diese Vernehmung auch bei einer entsprechend behutsamen, die kindliche Psyche berücksichtigenden Fragestellung eine fortdauernde psychische Schädigung des Kindes befürchten läßt, die durch die eigentümliche psychische Beschaffenheit eben dieses Kindes bedingt ist. Nur wenn diese Voraussetzung gegeben ist, hat - im Interesse des unmündigen Tatopfers - das Gebot der Unmittelbarkeit und des tunlichst uneingeschränkten Fragerechts des Angeklagten zurückzutreten (NRsp 1990/89 = 16 Os 45/89). Im übrigen wird auch § 153 Abs. 2 StPO zu beachten sein.

Daß die der Hauptverhandlung beigezogene psychologische Sachverständige Dr.Karafiat eine Befragung der minderjährigen Martina B***** "nach der Frequenz und der Dauer der Vorfälle" für vertretbar hielt (vgl. S 403) und die Frage des Verteidigers, inwieweit durch die Vernehmung der beiden Mädchen als Zeugen in der Hauptverhandlung "Rückschläge in der Psychotherapie" zu besorgen wären, dahin beantwortet hat, dies nicht sagen zu können, weil "sie nicht der Psychotherapeut" ist (S 409), sei in diesem Zusammenhang der Vollständigkeit halber noch abschließend bemerkt.

Anmerkung

E31468

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0140OS00126.9200007.1013.000

Dokumentnummer

JJT_19921013_OGH0002_0140OS00126_9200007_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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