Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 13.Oktober 1992 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Piska als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta, Dr.Rzeszut, Dr.Hager und Dr.Schindler als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Hadler als Schriftführer, in der Strafsache gegen Leopold M***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs. 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Schöffengericht vom 24. Februar 1992, GZ 29 Vr 893/90-49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugemittelt.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Leopold M***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs. 2 (I. 1.), des Vergehens der Nötigung nach dem § 105 Abs. 1 StGB (I. 2.) und des Vergehens nach dem § 36 Abs. 1 Z 2 WaffenG (II.) schuldig erkannt. Darnach hat er
I. am 29.August 1990 in Thallern
1. außer dem Fall des § 201 Abs. 1 StGB die Anika H***** durch Gewalt, nämlich durch Versetzen von Schlägen gegen den Kopf und Reißen an den Haaren, durch gewaltsames Festhalten im Bett und durch Knien auf ihren Oberarmen sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, nämlich durch Androhung weiterer Schläge durch den gesondert verfolgten Ludwig S*****, zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich zur Durchführung des Mundverkehrs genötigt;
2. Anika H***** durch Schläge gegen den Kopf, durch Zerren an den Haaren und gewaltsames Erfassen an den Oberarmen zu einer Handlung, nämlich zur Rückkehr in ihr Zimmer, genötigt und II. bis zum 29.August 1990 in T***** verbotene Waffen (§ 11 WaffenG), nämlich eine abgesägte Pump-Gun, einen Schlagring und eine Stahlrute, unbefugt besessen.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4, 5, 5 a und 9 (in eventu und der Sache nach Z 10) des § 281 Abs. 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Zunächst versagt die Verfahrensrüge (Z 4), in der sich der Beschwerdeführer durch die Abweisung seines Antrages auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Nachweis dafür, daß der Zeugin Anika H*****, die bei ihr im Krankenhaus St.Pölten festgestellten Verletzungen ausschließlich von Ludwig S***** zugefügt wurden, in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt glaubt, weil es dem Beweisthema entgegen der Beschwerdebehauptung an Relevanz mangelt. Gemäß dem § 281 Abs. 3 StPO kann nämlich (unter anderem) der Nichtigkeitsgrund der Z 4 zum Vorteil des Angeklagten nicht geltend gemacht werden, wenn unzweifelhaft erkennbar ist, daß die Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß üben konnte. Vorliegend gibt es keine Feststellungen darüber, daß die Gewaltanwendung des Angeklagten zu einer Verletzung der Zeugin Anika H***** geführt hat, weswegen der Nachweis, daß die von ihr erlittenen Verletzungen ausschließlich von Ludwig S***** stammen, auf die Lösung der Schuldfrage und dem anzuwendenden Strafsatz im gegenständlichen Verfahren keinen Einfluß haben konnten.
Aber auch die Mängelrüge (Z 5) ist unbegründet.
Der Beschwerdeführer behauptet nach ausführlicher Wiedergabe der Urteilsbegründung deren Unvollständigkeit, wobei er allerdings nicht darzutun vermag, worin sie gelegen sei. Eine Unvollständigkeit im Sinn des angerufenen Nichtigkeitsgrundes liegt nämlich nur dann vor, wenn Beweisergebnisse, die den getroffenen Tatsachenfeststellungen zuwiderlaufen, unerörtert bleiben. Tatsächlich muß der Beschwerdeführer selbst einräumen, daß das Erstgericht sich mit den Beweisergebnissen erschöpfend auseinandersetzte, vor allem aber auch das Gutachten der kriminaltechnischen Zentralstelle des Bundesministeriums für Inneres vom 3.Oktober 1990 (S 101, 103) berücksichtigte. In Wahrheit ist es daher Anliegen der Beschwerde, den in erster Instanz gewonnenen Beweisergebnissen eine andere Bedeutung beizumessen als die Tatrichter es getan haben. Die von der Beschwerde vermißte nähere Erörterung der Umstände und der zeitlichen Abfolge im Zusammenhang mit der Hausdurchsuchung beim Angeklagten hinwieder konnte deswegen unterbleiben, weil die Überlegungen der Tatrichter, daß der Angeklagte seine Unterhose vor dem Eintreffen der Gendarmerie gewechselt haben konnte, auch für den Fall der Einnahme des Beschwerdestandpunktes zuträfen. Insgesamt stellen sich die Ausführungen der Mängelrüge daher als im Nichtigkeitsverfahren unzulässiger Versuch der Bekämpfung der erstrichterlichen Beweiswürdigung dar.
Die Tatsachenrüge (Z 5 a) ist ebenfalls nicht begründet. Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang im wesentlichen seine bisherige Verantwortung wiederholt und vom Schöffengericht ohnedies in seine beweiswürdigenden Überlegungen einbezogene Beweisergebnisse hervorhebt, gelingt es ihm damit nicht, erhebliche Bedenken gegen die dem Schuldspruch zugrunde gelegten Tatsachenfeststellungen zu wecken. Der Oberste Gerichtshof vermochte sich aber auch nicht jenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des § 281 Abs. 1 Z 5 a StPO anzuschließen, die der Beschwerdeführer seiner Anregung eines Vorgehens gemäß Art 140 Abs. 1 B-VG zugrunde legt. Einerseits wurde dem durch Art 2 Abs. 1 des Protokolls Nr 7 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Recht, die Strafurteile von einem übergeordneten Gericht nachprüfen zu lassen, gerade durch die Einführung des Nichtigkeitsgrundes der Z 5 a des § 281 Abs. 1 StPO und die damit verbundene vermehrte Möglichkeit der Anfechtung von schöffengerichtlichen Urteilen verstärkt Rechnung getragen, anderseits besteht dieses Recht lediglich generell darin, die (in den Prozeßgesetzen ohnedies vorgesehene) Überprüfung strafgerichtlicher Urteile durch ein übergeordnetes Gericht herbeizuführen. Von einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes kann im Gegensatz zu der von der Beschwerde vertretenen Auffassung schon deswegen nicht die Rede sein, weil die Differenzierung der Anfechtbarkeit der Urteile der Kollegialgerichte und der Einzelrichter in bezug auf die Beweiswürdigung angesichts der verschiedenen Ausgestaltung der beiden Formen des Erkenntnisgerichtes sachlich begründet ist (siehe dazu schon 13 Os 166/79 = JBl 1980, 607, 11 Os 106/84 sowie 9 Os 76/85 = SSt 57, 47).
Die Rechtsrüge schließlich ist nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt. Wenn der Beschwerdeführer darin nämlich die Auffassung vertritt, das Vergehen der Nötigung nach dem § 105 Abs. 1 StGB (I. 2. des Urteilsspruches) hätte in idealer Scheinkonkurrenz hinter das Verbrechen der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs. 2 StGB (I. 1. des Urteilsspruches) zurückzutreten, entfernt er sich mit der diesem Gedanken zugrundeliegenden Behauptung, die angelasteten (Nötigungs-)Handlungen hätten ebenfalls darauf abgezielt, die Zeugin Anika H***** zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen, von den Urteilsannahmen, wonach ihr der Angeklagte (im Zuge ihres Fluchtversuches) auf den Parkplatz nachkam, ihr dort mehrere Schläge ins Gesicht versetzte, sie an den Haaren und an den Oberarmen ergriff und in ihr Zimmer in der Weinbergsauna zurückzerrte, wo er von ihr neuerlich verlangte, den Thomas K***** anzurufen. Als Folge davon suchte Anika H***** abermals nach ihrem Telefonbuch und fand es auch; erst nachdem sich die Zeugin in der Folge ins Badezimmer zurückzog, folgte ihr der Angeklagte und begann mit seinen zum Schuldspruch wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs. 2 StGB führenden Tathandlungen. Nach diesen Feststellungen stehen die vorangegangenen Nötigungshandlungen nicht in Zusammenhang mit dem im § 201 Abs. 2 StGB spezieller vertypten Täterverhalten, sondern beruhen auf einem selbständigen (sohin echt real konkurrierenden) Willensentschluß des Angeklagten mit völlig anderer Zielrichtung. Die gegenteiligen Annahmen der Beschwerde sind urteilsfremd.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als offenbar unbegründet (§ 285 d Abs. 1 Z 2 StPO), teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt (§ 285 d Abs. 1 Z 1 iVm § 285 a Z 2 StPO) bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.
Über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das demnach hiefür zuständige Oberlandesgericht Wien zu befinden haben (§ 285 i StPO).
Die Kostenentscheidung ist in der angeführten Gesetzesstelle begründet.
Anmerkung
E3447411d00802European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0110OS00080.92.1013.000Zuletzt aktualisiert am
12.02.2009