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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ASVG §49;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Mag. R, Rechtsanwältin in R, als Masseverwalterin im Konkurs über das Vermögen der H. Gesellschaft m.b.H in M, vertreten durch Mag. Regina Erlacher, Rechtsanwältin in 8230 Hartberg, Ressavarstraße 44, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom 21. Juli 2004, Zl. 6-SO-N2400/1-2004, betreffend Beitragsnachverrechnung und Verzugszinsen nach ASVG (mitbeteiligte Partei: Burgenländische Gebietskrankenkasse, 7000 Eisenstadt, Esterhazyplatz 3), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Über das Vermögen der eine Tischlerei betreibenden H. Gesellschaft m.b.H (in der Folge kurz: Gesellschaft), wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt vom 23. Juni 2004 der Konkurs eröffnet und die Beschwerdeführerin zur Masseverwalterin bestellt.
Mit Bescheid vom 26. Jänner 2004 hat die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die Gesellschaft verpflichtet,
"Sozialversicherungsbeiträge einschließlich der Sonderbeiträge, Umlagen und Nebenbeiträge wegen Nichtmeldung bzw. Unterversicherung sozialversicherungspflichtiger Dienstnehmer"
im Betrag von EUR 23.817,07 sowie Verzugszinsen in der Höhe von EUR 3.154,32 zu entrichten. Bis zur Zahlung betrage die tägliche Zinsenbelastung ab 6. Februar 2004 EUR 4,29.
Ferner erklärte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse im Spruch dieses Bescheides die "Aufstellung der Entgelt- und Beitragsdifferenzen vom 19. Jänner 2004" und das "Prüfungsprotokoll" für den Zeitraum vom 1. Jänner 1999 bis 31. Oktober 2003 zu Bestandteilen des Bescheides.
In der Begründung verwies die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse auf die anlässlich der Beitragsprüfung bei der Gesellschaft festgestellten Differenzen, die sich im Einzelnen aus der "Aufstellung der Entgelt- und Beitragsdifferenzen" sowie aus den Erläuterungen im "Prüfungsprotokoll" ergäben. Die Entscheidung über die Verzugszinsen beruhe auf § 59 Abs. 1 ASVG.
In dem dem erstinstanzlichen Bescheid beigefügten Protokoll der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse über die Prüfung des Betriebes der Gesellschaft im Prüfzeitraum 1. Jänner 1999 bis 31. Oktober 2003 heißt es zu der im Beschwerdeverfahren allein noch strittigen Beitragsvorschreibung für den Dienstnehmer Helmut H. unter anderem (Schreibweise wie im Original):
"Differenzart 31: Urlaubszuschuss
...
Differenzart 11: laut Feststellung durch den Beitragsprüfer Änderung der einstufung in D1/6 lt. KV bzw. lt. Tätigkeiten im Betrieb - KV Ang. d.G. IV/im 7. Bj. (eintritt 1995) für 30 Wochenstunden ..."
Auf der ersten Seite des Prüfungsprotokolls findet sich ein handschriftlicher Vermerk, in dem es - in der Deutung dieser Notiz durch die Begründung des angefochtenen Bescheides - zu den Aufgaben von Helmut H. im Betrieb der Gesellschaft heißt:
"Baustellen/Montagekoordination, Aufträge einholen, Verhandlungen mit Auftraggebern, Planung".
Aus der ebenfalls dem erstinstanzlichen Bescheid beigefügten "Aufstellung der Entgelt- und Beitragsdifferenzen" ergibt sich, dass die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - offenbar auf Grund der anlässlich der Beitragsprüfung vorgenommen Einordnung der Tätigkeit von Helmut H. in den im "Prüfungsprotokoll" bezeichneten Kollektivvertrag für Angestellte des Gewerbes - von einem höheren Anspruchslohn als dem von der Gesellschaft gemeldeten, und damit von höheren Beitragsgrundlagen und Beiträgen, ausgegangen ist.
In dem gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Einspruch brachte die Gesellschaft zu der von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse durchgeführten kollektivvertraglichen Einstufung von Helmut H. unter anderem vor, er habe keine Geschäftsführertätigkeiten in den nachverrechneten Jahren ausgeübt; er sei auf eigenen Wunsch als Arbeiter eingestellt worden und habe nebenbei noch andere Tätigkeiten ausgeübt. Ihm fehlten die Voraussetzungen für solche Tätigkeiten. Der Nachverrechnung fehle jede Grundlage, Helmut H. habe nie ein höheres Einkommen bezogen. Zudem würde die Nachverrechnung samt Zinsen das Unternehmen ruinieren.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch teilweise Folge gegeben und den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse dahin abgeändert, dass Sozialversicherungsbeiträge einschließlich der Sonderbeiträge, Umlagen und Nebenbeiträge in der Höhe von EUR 16.111,70 sowie Verzugszinsen in der Höhe von EUR 2.360,04 zu entrichten seien. Die Helmut H. betreffende Nachverrechnung war von der Abänderung nicht betroffen.
Begründend gab die belangte Behörde den Gang des erstinstanzlichen Verfahrens wieder und stellte unter anderem fest, dass der Dienstnehmer Helmut H. seit dem Jahre 1995 bis zumindest Ende Oktober 2003 eigenverantwortlich und selbständig die Baustellen- und Montagenkoordination, das Einholen von Aufträgen, Preisverhandlungen mit potenziellen Auftraggebern und die gesamte Planung für die Gesellschaft durchgeführt habe. Diese Feststellung beruhe auf den im Beitragsprüfungsprotokoll enthaltenen Angaben des handelsrechtlichen Geschäftsführers der Gesellschaft, Hans H.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung - aus, Helmut H. sei auf Grund des festgestellten Sachverhaltes nach dem Kollektivvertrag für "Angestellte des Gewerbes" in die Verwendungsgruppe IV dieses Kollektivvertrages im siebenten Verwendungsgruppenjahr (Tätigkeit seit 1995) einzustufen. Die Beitragsnachverrechnung sowie die Vorschreibung der Verzugszinsen sei daher zu Recht auf Basis des kollektivvertraglichen Anspruchslohns für 30 Wochenstunden vorgeschrieben worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Akten des Einspruchsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat ebenfalls eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die im Beschwerdefall noch strittige Frage nach der Einordnung der Tätigkeit von Helmut H. durch die belangte Behörde unter die Bestimmungen des Kollektivvertrages für Angestellte des Gewerbes und nach der danach bemessenen Höhe von dessen Anspruchslohn wird von der Beschwerdeführerin mit dem Argument bestritten, dass die festgestellten Tätigkeiten von Helmut H. am ehesten jenen eines qualifizierten Facharbeiters nach dem Kollektivvertrag für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe entsprächen.
Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Verfahrensrüge die Auffassung vertritt, die belangte Behörde hätte Erhebungen über die Art der Tätigkeit von Helmut H. im Betrieb der Gesellschaft durchführen müssen, bei denen sich ergeben hätte, dass dieser überwiegend manuelle Tätigkeiten auf den Baustellen verrichtet habe, ist sie darauf zu verweisen, dass der Tätigkeitsbereich von Helmut H. im "Prüfungsprotokoll" umschrieben wurde und die Gesellschaft in ihrem Einspruch dem nichts Konkretes entgegen gesetzt hat. Die belangte Behörde durfte daher - ohne eigene Ermittlungen in diese Richtung durchgeführt zu haben - Feststellungen über die Art der Tätigkeit von Helmut H. auf Grund der Angaben in diesem Protokoll treffen.
Wird erst in der Beschwerde behauptet, H. habe überwiegend manuelle Tätigkeiten auf den Baustellen verrichtet, so handelt es sich dabei um erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgetragene Behauptungen, die wegen des Neuerungsverbotes unbeachtlich sind.
Dennoch ist die Beschwerde im Ergebnis begründet:
Zwar ist der belangten Behörde zuzustimmen, wenn sie die Nachverrechnung anhand des - im Vergleich zum tatsächlich gezahlten bzw. gemeldeten Entgelt - höheren Anspruchslohnes durchführte (§ 49 ASVG). Legt man den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt der Prüfung des angefochtenen Bescheides zu Grunde, ergibt sich jedoch, dass anhand der getroffenen Feststellungen die die Einstufung von Helmut H. betreffende Schlussfolgerung der belangten Behörde rechtswidrig ist:
Die belangte Behörde hat es nämlich verabsäumt, den wesentlichen Inhalt des von ihr herangezogenen Kollektivvertrages für Angestellte des Gewerbes festzustellen. Es finden sich auch im vorgelegten Verwaltungsakt keine Hinweise auf den Inhalt dieses Kollektivvertrages. Der Grundsatz "iura novit curia" ist aber auf einen Kollektivvertrag nicht anzuwenden, weshalb Tatsachenfeststellungen über den Inhalt der im Beschwerdefall relevanten Bestimmungen des gegenständlichen Kollektivvertrages notwendig sind, um die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides prüfen zu können (vgl. das Erkenntnis vom 5. Juni 2002, Zl. 99/08/0048, mwN).
Wegen des Fehlens von solchen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob auf Grund der von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen über die Tätigkeit und Qualifikation von Helmut H. die vorgenommene Einstufung in die Verwendungsgruppe IV des Kollektivvertrages zutreffend ist (zumal auch nicht festgestellt wurde, dass dieser etwa handelsrechtlicher Geschäftsführer sei - vgl. dazu das Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 93/08/0137). Da dem Verwaltungsgerichtshof somit im Ergebnis die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Beitragsnachverrechnung nicht möglich ist, bedarf der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung, weshalb der angefochtene Bescheid - mangels Teilbarkeit zur Gänze - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben war.
Im Hinblick darauf war auf das weitere Beschwerdevorbringen nicht mehr einzugehen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333. Das auf den Ersatz der Eingabengebühr gerichtete Mehrbegehren war wegen der auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden sachlichen Gebührenfreiheit (§ 110 ASVG) abzuweisen.
Wien, am 15. Februar 2006
Schlagworte
Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2004080203.X00Im RIS seit
13.03.2006