TE OGH 1992/10/14 3Ob63/92

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Veröffentlicht am 14.10.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Klinger, Dr.Angst und Dr.Graf als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei Johann H*****, vertreten durch Dr.Christoph Leon, Rechtsanwalt in Wien, wider die verpflichtete Partei ***** M***** Gesellschaft *****, vertreten durch Dr.Alois Nussbaumer und Dr.Stefan Hoffmann, Rechtsanwälte in Vöcklabruck, wegen S 1,886.459,10 sA, infolge Revisionsrekurses der verpflichteten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 9.März 1992, GZ 12 Ra 28/92-54, womit der Beschluß des Kreisgerichtes Wels vom 30.Jänner 1992, GZ 24 Cga 30/89-48, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Die betreibende Partei ist schuldig, der verpflichteten Partei die mit S 22.812,92 (darin S 3.802,10 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Im Verfahren 24 Cga 30/89 des Kreisgerichtes Wels begehrt der Kläger (die hier betreibende Partei) die Feststellung, daß sein mit der erstbeklagten (hier verpflichteten) Partei abgeschlossener Geschäftsführervertrag aufrecht bestehe, sowie Zahlung der ab September 1988 aufgelaufenen Geschäftsführerbezüge, Ablöse der Nichtinanspruchnahme des Dienstwagens ab Juni 1988 und Ersatz von Verwaltungsstrafen, die über ihn in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer verhängt worden seien. Das Verfahren wurde in der Besetzung nach § 11 ASGG geführt, weil der Kläger als arbeitnehmerähnlich im Sinne des § 51 Abs 3 ASGG anzusehen ist (Beschluß des OGH vom 14.Februar 1990, 9 Ob A 41/90-17).

Mit Teilurteil vom 14.Juni 1991 stellte das Kreisgericht Wels fest, daß die Klagsforderung mit S 2,364.106,01 zu Recht und mit S 33.248,81 nicht zu Recht bestehe, und verpflichtete die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand, dem Kläger S 2,364.106,01 samt Anhang zu bezahlen. Das Mehrbegehren auf Zahlung von S 33.248,81 samt Anhang wies es ab. Es stellte weiters fest, daß der zwischen dem Kläger und der erstbeklagten Partei mit Geltung ab 1.Mai 1986 abgeschlossene Geschäftsführervertrag aufrecht bestehe. Gegen dieses Urteil haben beide Seiten Berufung erhoben.

Aufgrund des Teilurteils beantragte der Kläger zur Hereinbringung des ihm darin zugesprochenen Betrages die Bewilligung der Fahrnisexekution gegen die erstbeklagte Partei.

Das Erstgericht wies den Antrag unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 17.November 1988, 3 Ob 163/88 (SZ 61/255) mit der Begründung ab, § 61 Abs 1 Z 1 und 2 ASGG gelte nicht für arbeitnehmerähnliche Personen.

Das Rekursgericht bewilligte die beantragte Exekution im Teilbetrag von S 1,886.459,10, bestätigte die Abweisung des Mehrbegehrens und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Die einzige zu dem strittigen Thema bisher ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, SZ 61/255, sei in der Literatur heftig kritisiert worden. Die von Wachter in DRdA 1990, 281 ff, Schima in ZAS 1990, 91 ff und Fink in WBl 1990, 65 ff vorgetragenen Argumente, die in § 51 ASGG verfügte Gleichstellung von arbeitnehmerähnlichen Personen mit Arbeitnehmern umfasse auch die Gleichsetzung des im Gesetz verwendeten Begriffes "Arbeitsverhältnis" mit dem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis, seien überzeugend. Die Gleichsetzung bloß der Begriffe Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Person und nicht auch der Begriffe Arbeitsverhältnis und Rechtsverhältnis mit arbeitnehmerähnlichen Personen würde dazu führen, daß die Zuständigkeit der Arbeits- und Sozialgerichte für Rechtsstreitigkeiten arbeitnehmerähnlicher Personen überhaupt in Frage gestellt werde, da auch § 50 Abs 1 ASGG den Zusammenhang des Rechtsstreites mit dem "Arbeitsverhältnis" erfordere. Der Gesetzgeber trage mit § 61 ASGG der Tatsache Rechnung, daß der Arbeitnehmer typischerweise mit dem laufenden Arbeitsentgelt seinen Lebensunterhalt abdecken müsse und daher häufig ein existentielles Interesse an der möglichst raschen Erfüllung seiner Ansprüche habe; er stelle damit erkennbar auf das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit, nicht der persönlichen Abhängigkeit im Arbeitsverhältnis ab. Auch bei arbeitnehmerähnlichen Personen hänge typischerweise die Bestreitung des Lebensunterhalts von der Beziehung zu ihrem Vertragspartner ab. Zwar erfordere der Begriff der Arbeitnehmerähnlichkeit nur die wirtschaftliche Unselbständigkeit; doch gehe diese in der Mehrzahl der Fälle mit einer wirtschaftlichen Abhängigkeit Hand in Hand. Als Arbeitsentgelt seien allerdings nur der Geschäftsführerbezug, die als Naturalentgelt anzusehende Ablöse der Nichtinanspruchnahme des Dienstwagens sowie die Wertsicherung anzusehen, nicht dagegen die als Schadenersatz zu betrachtenden kapitalisierten Zinsen und der Ersatz von Verwaltungsstrafen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der verpflichteten Partei ist berechtigt.

Nach § 61 Abs 1 ASGG hemmt die rechtzeitige Erhebung der Berufung gegen das erste Urteil des Gerichtes erster Instanz nur den Eintritt der Rechtskraft, nicht jedoch den Eintritt der Verbindlichkeit der Feststellung, den der Rechtsgestaltungswirkung oder den der Vollstreckbarkeit in Rechtsstreitigkeiten unter anderem (Ziffer 1) über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und daraus abgeleitete Ansprüche auf das rückständige laufende Arbeitsentgelt. Nach § 51 Abs 1 ASGG sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes alle Personen, die zueinander in einem privat- oder öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis, in einem Lehr- oder sonstigem Ausbildungsverhältnis stehen oder gestanden sind. Nach § 51 Abs 3 ASGG stehen den Arbeitnehmern gleich 1. Personen, die den Entgeltschutz für Heimarbeit genießen, sowie 2. sonstige nicht mit gewerblicher Heimarbeit beschäftigte Personen, die, ohne in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter Personen Arbeit leisten und wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnlich anzusehen sind. Diese Bestimmungen des § 51 ASGG folgen dem § 50 des Gesetzes, der als Gegenstand der Arbeitsrechtssachen in Abs 1 Z 1 primär die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.....nennt, und ergänzen so die dort gebrauchten Begriffe.

In der bereits von den Vorinstanzen zitierten Entscheidung SZ 61/255 hat der erkennende Senat die Ansicht vertreten, nach den genannten Bestimmungen umfasse das ASGG wohl bei Verwendung des Wortes "Arbeitnehmer" auch Personen, die zwar keine Arbeitnehmer im eigentlichen Sinn sind, diesen aber gleichstehen, nicht aber bei Verwendung des Wortes "Arbeitsverhältnis" ebenso auch die nach § 51 ASGG davon verschiedenen arbeitnehmerähnlichen Verhältnisse. Zu den in § 61 Abs 1 Z 1 ASGG behandelten Ansprüchen aus dem "Arbeitsverhältnis" gehörten also nicht auch Ansprüche aus arbeitnehmerähnlichen Verhältnissen. In dieser Unterscheidung des Gesetzes könne auch ein sinnvoller Unterschied liegen, weil nicht bei allen Ansprüchen arbeitnehmerähnlicher Personen die gleiche Schutzwürdigkeit und Interessenlage bestehen müsse wie bei Arbeitnehmern. § 61 Abs 1 Z 1 ASGG sei deshalb nur auf Ansprüche anzuwenden, die aus einem Arbeitsverhältnis stammen. Diese Auffassung werde auch von Kuderna (Anm 8 und 9 zu § 61 ASGG) vertreten. Unter einem Arbeitsverhältnis verstehe man das Rechtsverhältnis, das durch privates Rechtsgeschäft begründet werde und den Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung für einen anderen verpflichte. Es sei gekennzeichnet durch die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers, die sich vor allem darin äußere, daß ein erheblicher Teil der Person des Arbeitnehmers zur Verfügung des Arbeitgebers stehe. Ein Handelsvertreter (wie im Fall der genannten Entscheidung) sei hingegen typischerweise höchstens wirtschaftlich, nicht aber persönlich vom Arbeitgeber abhängig.

Der erkennende Senat sieht sich ungeachtet der kritischen Besprechungen der Entscheidung SZ 61/255 nicht veranlaßt, von seiner Rechtsansicht abzugehen. Anders als beim Begriff des Arbeitnehmers fehlt im Gesetz eine ausdrückliche Gleichstellung der Begriffe "Arbeitsverhältnis" und "arbeitnehmerähnliches Verhältnis". Die Ansicht, daß sich auch eine solche Gleichstellung aus § 51 ASGG ergebe, ist nicht zwingend, weil diese Bestimmung offensichtlich zur Verdeutlichung der im vorangehenden § 50 ASGG gebrauchten Begriffe gedacht ist. Im Gegensatz zu den kritischen Stimmen in der Literatur hat die in der Entscheidung SZ 61/255 vertretene Rechtsansicht auch nicht zur Folge, daß kaum ein Anwendungsbereich für die Gleichstellung arbeitnehmerähnlicher Personen mit Arbeitnehmern übrig bliebe. In allen jenen, sehr zahlreichen Fällen, in denen Rechtsstreitigkeiten zwischen Auftraggebern und arbeitnehmerähnlichen Personen geführt werden, haben die Gerichte in dem für Arbeitsrechtssachen geltenden Verfahren zu entscheiden.

Zu prüfen bleibt die Frage, ob die Gleichstellungsbestimmung auf den § 61 ASGG analog anzuwenden ist. Hiefür wird von Fink, Schima und Wachter die Übereinstimmung der Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer und der arbeitnehmerähnlichen Personen angeführt.

Eine solche Übereinstimmung ist jedoch in einem die Analogie rechtfertigenden Maße nicht gegeben. Der Normzweck der Gleichstellungsbestimmung besteht darin, arbeitnehmerähnlichen Personen die Durchsetzung ihrer Ansprüche vor den Arbeits- und Sozialgerichten zu ermöglichen, weil sie insoweit in ähnlicher Weise schutzwürdig sind. Über ihre Ansprüche sollen ebenso wie über jene der Arbeitnehmer fachkundige Laienrichter mitentscheiden; den arbeitnehmerähnlichen Personen sollen die Vorteile der Zuständigkeitsregelungen des ASGG ebenfalls zugute kommen. Ob die Schutzwürdigkeit dieser Personen und der Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt der Wirkung erster erstgerichtlicher Entscheidungen gleich oder wenigstens sehr ähnlich ist, muß hingegen für die Frage der Berechtigung der Analogie selbständig geprüft werden.

Eine solche Prüfung ergibt aber entscheidende Unterschiede. Den arbeitnehmerähnlichen Personen fehlt die für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft essentielle persönliche Abhängigkeit. Sie müssen lediglich wirtschaftlich unselbständig sein. Diese wirtschaftliche Unselbständigkeit muß nur gegenüber dem konkreten Auftraggeber bestehen. Ein Betriebsarzt, der im Hauptberuf eine Arztpraxis führt, und ein Rechtsanwalt, der neben seiner anwaltlichen Tätigkeit im Nebenberuf als Konsulent arbeitet, sind weitgehend wirtschaftlich selbständig und nur bezogen auf ihren Auftraggeber wirtschaftlich unselbständig. Gleiches kann auch für Handelsvertreter gelten. Insgesamt betrachtet hat die wirtschaftliche Unselbständigkeit in der Praxis in vielen, jedenfalls bei der Beurteilung der Schutzwürdigkeit nicht zu vernachlässigenden Fällen nur eine sektorale Bedeutung, wie im übrigen gerade der vorliegende Fall eines Geschäftsführers deutlich zeigt. Dadurch unterscheiden sich aber arbeitnehmerähnliche Personen im Grundsatz wesentlich von Arbeitnehmern, die überdies persönlich abhängig sind. Arbeitnehmerähnliche Personen nehmen eine Mittelstellung zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer ein (Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4, 147). Die wirtschaftliche Unselbständigkeit bedeutet nicht, daß die arbeitnehmerähnliche Person ohne die Verdienstquelle des betreffenden arbeitnehmerähnlichen Verhältnisses wirtschaftlich nicht existieren könnte (Schwarz-Löschnigg aaO 148, Arb 9317), was bei Arbeitnehmern aber regelmäßig der Fall ist. Das den Auftraggeber und die arbeitnehmerähnliche Person verbindende Vertragsband ist im allgemeinen lockerer als der Arbeitsvertrag, zumal den Auftraggeber auch keine Fürsorgepflicht für seine arbeitnehmerähnlichen Personen trifft. Ein Analogieschluß ist deshalb nicht gerechtfertigt und eine unterschiedliche Behandlung der Wirkung von Urteilen nicht gleichheitswidrig.

Hinzuweisen ist auch darauf, daß der Gesetzgeber anläßlich der Novellierung des § 61 Abs 1, erster Satz ASGG, mit der er die Sofortwirkung von Leistungsurteilen auf Rechtsgestaltungs- und Feststellungsurteile ausgedehnt und damit auf die entgegengesetzte Judikatur reagiert und ihr den Boden entzogen hat (BGBl 1990/408), eine entsprechende Änderung dieser Bestimmung im Sinne einer Ausdehnung der Anwendung auf arbeitnehmerähnliche Personen nicht vorgenommen hat, obwohl ihm die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 17.November 1988, SZ 61/255, mit der eine solche Anwendung abgelehnt wurde, ebenso bekannt war wie die für die Novelle Anlaß gebende Entscheidung über den Umfang der Sofortwirkung. Es muß daher angenommen werden, daß die genannte Entscheidung der Regelungsabsicht des Gesetzgebers nicht widerspricht.

Auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 61 Abs 1 Z 1 ASGG ist, da sie nach den vorstehenden Ausführungen für die Entscheidung nicht heranzuziehen ist, nicht einzugehen. Gerade deswegen aber, weil die genannte Bestimmung verfassungsmäßig nicht unbedenklich erscheint, ist bei ihrer Anwendung auf eine verfassungskonforme Auslegung zu achten.

Bemerkt sei, daß die den Arbeitnehmern in § 51 Abs 3 ASGG gleichgestellten Personen nicht stets als weniger schutzwürdig angesehen werden können als Arbeitnehmer. Es ist deshalb einer gesonderten Prüfung vorzubehalten, ob eine analoge Anwendung der Bestimmung des § 61 Abs 1 Z 1 ASGG etwa bei Personen, die den Entgeltschutz für Heimarbeiter genießen, möglich ist, obwohl sie in dieser Bestimmung nicht genannt werden.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach § 78 EO und den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E31011

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0030OB00063.92.1014.000

Dokumentnummer

JJT_19921014_OGH0002_0030OB00063_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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