TE Vfgh Erkenntnis 2001/12/10 B405/99

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Veröffentlicht am 10.12.2001
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art83 Abs2
BundesvergabeG §115
BundesvergabeG §117 Abs2
EG Art234
Richtlinie des Rates vom 21.12.89. 89/665/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentl Liefer- und Bauaufträge Art1, Art2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Verletzung der Vorlagepflicht hinsichtlich einer entscheidungsrelevanten Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts an den EuGH bei Zurückweisung eines Nachprüfungsantrags betreffend die Vergabe eines öffentlichen Auftrags für bestimmte Flugleistungen; Verneinung der Antragslegitimation aufgrund der Annahme mangelnder Darlegung eines rechtlichen Interesses am Vertragsabschluß möglicherweise in Widerspruch zur Rechtsmittelrichtlinie; gemeinschaftsrechtliches Erfordernis der Überprüfbarkeit diskriminierender Ausschreibungsbedingungen

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 29.500,-- (€ 2143,85) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bundesminister für Finanzen hat im Jahre 1998 für den Bund Bedarfsflüge für die Österreichische Bundesregierung und deren Delegationen mit sog. Exekutivjets und anderen Flugzeugen ausgeschrieben. An dem offenen Verfahren hat sich unter anderem die beschwerdeführende Gesellschaft beteiligt und am 27. Jänner 1998 ein entsprechendes Angebot gelegt. Am 3. April 1998 wurde das Vergabeverfahren gemäß §55 Abs2 BVergG widerrufen.

Am 28. Juli 1998 erfolgte unter Einbindung von Experten eine neuerliche Ausschreibung: Anzubieten waren Flugleistungen in vier (durch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Sitzplätze charakterisierten) verschiedenen Kategorien (I-IV). Die beschwerdeführende Gesellschaft hat erneut die Ausschreibungsunterlagen behoben, von der Einreichung eines Angebotes in der Folge aber abgesehen. Am 8. Oktober 1998 beschloß die Bundesregierung, den Auftrag an ein bestimmtes Flugunternehmen zu vergeben. Der Vertragsabschluß erfolgte am 29. Oktober 1998.

Mit am 27. Oktober 1998 beim Bundesvergabeamt (BVA) eingelangtem Antrag begehrte die beschwerdeführende Gesellschaft die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens zur Überprüfung der Vergabe der gegenständlichen Flugleistungen an die namentlich genannte Bieterin.

Mit Bescheid vom 4. Jänner 1999, Z F-22/98-14, wies das BVA diesen Antrag "gemäß §115 Abs1 sowie §113 Abs2 und 3 BVergG" zurück und begründete dies wie folgt:

"Gemäß §115 Abs1 BVergG kann ein Unternehmer, der ein Interesse am Abschluß eines dem Anwendungsbereich des BVergG unterliegenden Vertrages behauptet, die Nachprüfung einer Entscheidung des Auftraggebers im Vergabeverfahren wegen Rechtswidrigkeit beantragen, sofern ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

Im gegenständlichen Fall hat es nun die Antragstellerin unterlassen, ihr rechtliches Interesse hinsichtlich des gesamten Auftrages zu behaupten. Ein solches kann ihr auch aufgrund der vorliegenden Unterlagen nicht zugebilligt werden. Vielmehr ist dem Antrag sowie dem Vorbringen in der Verhandlung vom 11. Dezember 1998 zu entnehmen, daß sich das (wirtschaftliche) Interesse der Antragstellerin auf die Flugleistungen der Kategorie I und II beschränkt. Bezüglich der beiden übrigen Kategorien wird seitens der Antragstellerin auf Seite 3 des Antrages eingeräumt, daß ein Bedarfsluftfahrtunternehmen wie sie nicht über Flugzeuge dieser Größenordnung verfüge. Zugleich wird moniert, daß es nicht gestattet sei, Teilleistungen anzubieten. Es kann somit der Antragstellerin bestenfalls ein rechtliches Interesse hinsichtlich der Flugleistungen der Kategorien I und II zugesprochen werden. Ein Anspruch eines einzelnen Unternehmers auf getrennte Ausschreibung besteht jedoch nicht.

Das Bundesvergabeamt hat hiezu bereits in seiner Entscheidung vom 10. Juni 1998, Zl. N-4/98 festgehalten, daß das BVergG in §24 Abs1 vom Grundsatz der gemeinsamen Vergabe zusammengehöriger Leistungen ausgeht. §24 Abs2 BVergG gebietet nur dann eine getrennte Vergabe, wenn es sich, anders als im gegenständlichen Fall, um Leistungen verschiedener Wirtschaftszweige handelt. Zudem vermag auch der Verzicht der Antragstellerin, in der zweiten Ausschreibung ein Anbot zu legen, nicht den Eindruck eines rechtlichen Interesses an der Ausschreibung in der gegenständlichen Form zu erwecken. Es war daher der Antrag der (beschwerdeführenden Gesellschaft) auf Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens mangels einer §115 Abs1 BVergG entsprechenden Antragslegitimation zurückzuweisen.

Abgesehen von der mangelnden Antragslegitimation wird zum weiteren Begehren der Antragstellerin auf Nichtigerklärung der Vergabe an (den namentlich genannten Zuschlagsempfänger) festgehalten, daß dem Bundesvergabeamt gemäß §113 Abs2 und 3 BVergG nach erfolgtem Zuschlag eine solche Zuständigkeit nicht eingeräumt ist."

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz, Unversehrtheit des Eigentums sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen und beantragt, die gegenständliche Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der dem Verfahren als mitbeteiligte Partei beigezogene Bund hat, vertreten durch die Finanzprokuratur, eine Äußerung erstattet, in der er den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die beschwerdeführende Gesellschaft erachtet sich in den bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten zunächst durch die Feststellung des BVA als verletzt, wonach sie es unterlassen hätte, ihr rechtliches Interesse hinsichtlich des gesamten Auftrages zu behaupten und sich dieses nur auf Flugleistungen der Kategorie I und II beschränkt habe. Die beschwerdeführende Gesellschaft hätte nicht nur ihr rechtliches Interesse ausreichend unter Beweis gestellt, auch ihre Leistungsfähigkeit hätte sie ausreichend dokumentiert. Die diesbezüglichen Feststellungen des BVA würden deshalb eine denkunmögliche Würdigung des Sachverhaltes bzw. eine denkunmögliche Gesetzesanwendung darstellen und einen Eingriff in ihre Eigentumsrechte bewirken. Durch Zurückweisung ihres Antrags sei sie in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden. Die Ausschreibung sei spezifisch auf nur einen einzigen Anbieter zugeschnitten gewesen, der letztendlich auch den Zuschlag erhalten habe. Die beschwerdeführende Gesellschaft führt dazu näher aus:

"Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt, daß wir es unterlassen hätten, unser rechtliches Interesse hinsichtlich des gesamten Auftrages zu behaupten. Ein solches rechtliches Interesse kann uns auch nach Ansicht der belangten Behörde aus den vorliegenden Unterlagen nicht zugebilligt werden. Weiters wurde die Zurückweisung damit begründet, daß sich unser Interesse nur auf Flugleistungen der Kategorie I und II beschränkt. Hinsichtlich der übrigen Kategorien sei von uns eingeräumt worden, daß ein Bedarfsluftfahrtunternehmen nicht über Flugzeuge dieser Größenordnung verfüge.

Dieser Ansicht der belangten Behörde muß widersprochen werden.

Wir haben in unserem Antrag und in der Verhandlung vor dem Bundesvergabeamt sehrwohl unser Interesse dargelegt. Wir haben erklärt, daß wir an der Erlangung des Auftrages ein eminentes Interesse haben und daß wir auch zur Erbringung der Leistungen in der Lage sind.

Die Ausschreibung ist allerdings aus folgenden Gründen so zugeschnitten, daß einzig und allein die (...) Luftfahrt AG als einziger Anbieter aller Leistungen in Frage kommt. Von der Anbotlegung sind aufgrund der Ausschreibung alle übrigen europäischen Luftfahrtunternehmungen ausgeschlossen. Dies aus folgenden Gründen:

a) Als Ort der Leistungserbringung sind Flüge ab Wien angeführt. Auf Seite 17 der Ausschreibung ist normiert, daß der Auftragnehmer garantiert, daß für Flugleistungen in der Kategorie I und in der Kategorie II (das bedeutet bis 20 Sitzplätze) binnen zwei Stunden ab Auftragserteilung die abgerufene Flugleistung so bereitgestellt wird, daß der Flug durchgeführt werden kann (Reaktionszeit), wobei zu den vorgenannten zwei Stunden jene Zeiten hinzuzurechnen sind, welche aus Gründen der Verfügbarkeit von Slots und aus Gründen allfälliger Überflug- und Einfluggenehmigungen, die nicht vorab besorgt werden können, erforderlich werden.

Hiezu ist zu sagen, daß hierunter eine Dauerbereitschaft zu verstehen ist, wobei diese Verpflichtung nur ein Unternehmen eingehen kann, welches seine Luftfahrzeuge auf dem Flughafen Wien stationiert hat. Ein Luftfahrtunternehmen, welches beispielsweise seinen Sitz und demnach seine Luftfahrzeuge in Innsbruck, Graz oder Salzburg hat, ist nicht in der Lage, diese Verpflichtung einzuhalten, da diese Flughäfen in der Nacht geschlossen sind. Ebenso sind Luftfahrtunternehmungen ausgeschlossen, die ihre Luftfahrzeuge auf deutschen Flughäfen stationiert haben, da beispielsweise sogar der Flughafen Frankfurt am Main für Zubringerflüge in der Nacht gesperrt ist.

Wegen des ausgedehnten Nachtflugverbotes auf fast allen europäischen Flugplätzen ist eine Stellung eines Luftfahrzeuges innerhalb der von der Republik geforderten Reaktionszeit unmöglich.

b) Die Ausschreibung beinhaltet weiters die Forderung, daß auch Leistungen mit Luftfahrzeugen der Kategorie III und IV, also bis 80 Sitzplätze, angeboten werden müssen. Luftfahrzeuge mit 80 Passagierplätzen werden von reinen Bedarfsluftfahrtunternehmen tatsächlich nicht betrieben. Derartige Luftfahrzeuge werden nur von Linienunternehmungen offeriert. Wenn Linienunternehmungen im Charterverkehr tätig sind, haben diese zumindest die Berechtigung im Bedarfsluftverkehr, also als Lufttaxi tätig zu werden. In Österreich existieren drei Linienunternehmungen, die Luftfahrzeuge der Kategorie IV zur Verfügung stellen können, nämlich die (...) Luftverkehrsgesellschaft AG, die (...) Luftfahrt AG und die (...). Diese Linienunternehmungen sind gesellschaftlich untereinander verflochten, sodaß diese als ein Anbieter anzusehen sind. Einen anderen Anbieter, außer dem Anbieter (...), ist es daher nicht möglich, für dieses Anbot mit diesen Gesellschaften eine Kooperation einzugehen, sodaß wieder nur ein Anbieter, nämlich die (...) übrig bleibt."

Die beschwerdeführende Gesellschaft behauptet schließlich weitere Mängel in der Ausschreibung; insbesondere bemängelt sie den Umstand, daß Flugzeuge, die nicht in Österreich registriert seien, gemäß den Ausschreibungsunterlagen an sichtbarer Stelle die österreichischen Staatsfarben zu tragen hätten, wodurch ein Zuchartern von Luftfahrzeugen, die in einem anderen EU-Staat zugelassen seien, unmöglich gemacht werde. Dadurch werde sie gehindert, an der Ausschreibung auch im Rahmen einer Kooperation teilzunehmen.

2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10.374/1985, 11.405/1987, 13.280/1992).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl. zB VfSlg. 14.390/1995, 14.889/1997, 15.507/1999) verletzt der Bescheid einer Verwaltungsbehörde auch dann das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, wenn die bescheiderlassende Behörde als vorlagepflichtiges Gericht im Sinne des Art234 Abs3 EG eingerichtet ist und es verabsäumt, eine entscheidungsrelevante Frage der Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Ein solcher Fehler ist dem BVA, an dessen Qualifikation als vorlagepflichtiges Gericht keine Zweifel bestehen (vgl. etwa EuGH vom 28.10.1999, Rs C-81/98, Alcatel Austria AG u.a.) bei Erlassung des hier bekämpften Bescheides unterlaufen:

3. Mit dem bekämpften Bescheid hat das BVA einen Nachprüfungsantrag eines Bieters gemäß §115 Abs1 BVergG zurückgewiesen, da es die beschwerdeführende Gesellschaft unterlassen habe, "ihr rechtliches Interesse hinsichtlich des gesamten Auftrags zu behaupten" und ihr ein solches auch aufgrund der vorliegenden Unterlagen "nicht zugebilligt" werden könne.

§115 Abs1 BVergG lautet:

"Ein Unternehmer, der ein Interesse am Abschluß eines dem Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes unterliegenden Vertrages behauptet, kann die Nachprüfung einer Entscheidung des Auftraggebers im Vergabeverfahren wegen Rechtswidrigkeit beantragen, sofern ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht."

Fraglich ist im vorliegenden Fall sohin die Antragslegitimation eines Bewerbers, der die Rechtswidrigkeit einer Ausschreibung wegen Verstoßes gegen §36 Abs2 BVergG behauptet und dem das BVA entgegenhält, daß er kein Interesse am Abschluß eines dem Anwendungsbereich des Bundesvergabegesetzes unterliegenden Vertrages behauptet habe bzw. ihm ein solches nicht zugestanden werden könne.

Der Verfassungsgerichtshof hat sich schon in seinem Erkenntnis zu B707/00 vom 8. März 2001 mit der Frage der gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an ein nationales Vergaberechtsschutzverfahren im Hinblick auf die Frage der Antragslegitimation von Bewerbern bzw. Bietern auseinandergesetzt. Unter Bezugnahme auf die einschlägige Judikatur des EuGH zur Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Vergaberechts, wonach u.a. die Erfordernisse einer der Richtlinie entsprechenden Auslegung des nationalen Rechtes und eines effektiven Schutzes der Rechte des Einzelnen es dem nationalen Gericht gebieten, "zu prüfen, ob dem Einzelnen aufgrund der einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts ein Anspruch auf Nachprüfung der Vergabe (...) zuerkannt werden kann" (EuGH Rs C-54/96, Dorsch-Consult, Slg. 1997, I-4961, Rz 46) und der vom EuGH betonten Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art1 Abs1 der Rechtsmittelrichtlinie, ABl. 1989 L 395, 33 idF ABl. 1992 L 209, 1 (in der Folge: RM-RL) "wirksame und möglichst rasche Nachprüfungsverfahren einzuführen, um sicherzustellen, daß die Gemeinschaftsrichtlinien im Bereich des öffentlichen Auftragswesens beachtet werden" (EuGH Rs C-81/98, Alcatel Austria AG u.a., Slg. 1999, I-7671, Rz 34, 35), hat er die Auffassung vertreten, daß die Legitimation zur Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens nach Art1 Abs3 RM-RL weit zu verstehen sein und deshalb jedem zustehen dürfte, der einen bestimmten zur Vergabe anstehenden öffentlichen Auftrag erhalten will (Öhler, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in der Europäischen Union, 1997, 156 f.). Daß die tatsächliche Teilnahme am Vergabeverfahren durch Stellung eines Anbotes nicht ausschlaggebend ist, wenn nach Meinung eines Unternehmers diesen schon die Ausschreibung diskriminiert und daher rechtswidrig ist, erhellt schon daraus, daß auch einem Bewerber - also einem Unternehmer, der sich (noch ohne Legung eines Anbots) an der Ausschreibung beteiligen will - die Antragslegitimation jedenfalls gemäß §117 Abs2 BVergG eingeräumt wird, um die Nichtigerklärung von Ausschreibungsbedingungen (Leistungsmerkmalen) erwirken zu können. Schon insofern vermag das vom BVA angezogene Argument, daß der "Verzicht der Antragstellerin, in der zweiten Ausschreibung ein Anbot zu legen, nicht den Eindruck eines rechtlichen Interesses an der Ausschreibung in der gegenständlichen Form zu erwecken (vermag)", die Zurückweisung des Antrags nicht zu begründen.

Die beschwerdeführende Gesellschaft hat mehrere Bedingungen der Ausschreibung - insbesondere die zusammenhängende Vergabe mehrerer Kategorien von Flugleistungen bzw. die behauptete Verpflichtung zum Führen des österreichischen Staatswappens an den bereitzustellenden Flugzeugen, was ihrer Ansicht nach eine Kooperation von Bedarfsluftfahrtunternehmen mit ausländischen Fluggesellschaften unmöglich mache - beim BVA als diskriminierend bzw. vergabegesetzwidrig angefochten. Das BVA hat bei der Prüfung der Zulässigkeit dieses Antrags die Ansicht vertreten, daß es der beschwerdeführenden Gesellschaft deshalb an der Antragslegitimation fehle, da sie die in der Ausschreibung definierte Form der Leistung nicht erbringen könne und es deshalb am für die Antragslegitimation konstitutiven Element des darzulegenden Interesses am Vertragsabschluß mangle. Das BVA hat sohin die Frage der Zulässigkeit des Antrags der beschwerdeführenden Gesellschaft mit der Frage ihrer Leistungsfähigkeit gerade im Hinblick auf jene Teile der Ausschreibung verknüpft, deren behauptete Rechtswidrigkeit Gegenstand des Antrags ist. Auch darf der beschwerdeführenden Gesellschaft die Unterlassung der Beteiligung an der (zweiten) Ausschreibung nicht von vornherein als Mangel rechtlichen Interesses zur Last gelegt werden und zur Zurückweisung ihres Rechtsschutzgesuches führen, wenn sie das Vorliegen einer §36 Abs2 BVergG zuwiderlaufenden, sie diskriminierenden Ausschreibung behauptet.

Die Zurückweisung ihres Nachprüfungsantrags durch das BVA dürfte nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs deshalb im Widerspruch zu den dargelegten Anforderungen durch die RM-RL stehen, weil jenen zufolge auch einem Bewerber - also einem Unternehmer, der sich an einem Vergabeverfahren beteiligen will, aber noch kein Angebot gelegt hat - die rechtliche Möglichkeit eingeräumt werden soll, eine von ihm als rechtswidrig bzw. diskriminierend erachtete Ausschreibung überprüfen zu lassen. Das ist auch aus Art2 Abs1 litb) RM-RL zu schließen, der ausdrücklich dazu verpflichtet, daß das Nachprüfungsverfahren die Möglichkeit der Streichung diskriminierender Ausschreibungsbestimmungen umfaßt. Ein Verständnis, wonach die Antragslegitimation zur Bekämpfung diskriminierender Ausschreibungsbestimmungen davon abhängt, daß der Antragsteller die bekämpften Anforderungen im einzelnen erfüllen kann, wäre in sich widersprüchlich und dürfte der (gemeinschaftsrechtlichen) Zielsetzung der Gewährleistung umfassenden und effektiven Vergaberechtsschutzes zuwiderlaufen. Die - Art1 Abs3 der RM-RL entnommene - Voraussetzung des vom Antragsteller darzulegenden "Interesses" am Vertragsabschluß dürfte nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen dahin zu interpretieren sein, daß sie zwar nationale Regelungen ermöglicht, um Popularanträge auszuschließen: Im Wege einer Plausibilitätsprüfung sollen jene Anträge, die offenkundig ohne subjektiv-vergaberechtlichen Bezug des Antragstellers zu einem Vergabeverfahren gestellt werden, das heißt, bei denen aus der Vergabeentscheidung dem Antragsteller keinesfalls ein Schaden erwachsen kann, unzulässig sein. Dahinter steht der Gedanke, daß ein Nachprüfungsverfahren der Durchsetzung subjektiver Interessen und daraus resultierender Teilnahmerechte eines Bieters - und eben auch eines Bewerbers - dienen soll, nicht aber der Sicherung der objektiven Rechtmäßigkeit von Vergabeverfahren (vgl. auch Thienel, Wbl. 1993, 376). Ein sich nicht nur auf Fälle evident fehlenden (subjektiven) Interesses am Vertragsabschluß (mangels abstrakter Möglichkeit eines Schadenseintritts) beschränkender Ausschluß vom Nachprüfungsverfahren - wie ihn das BVA im vorliegenden Fall durch extensive Deutung des §115 Abs1 BVergG als angebracht erachtet - dürfte deshalb im Widerspruch zu den Zielsetzungen der RM-RL stehen: Art1 Abs3 RM-RL und insb. das darin bezogene Antragserfordernis des darzulegenden Interesses am Vertragsabschluß ist nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs in Verbindung mit Art2 Abs1 litb RM-RL (über die notwendige Überprüfbarkeit diskriminierender Ausschreibungsbestimmungen) zu verstehen. Einem Flugunternehmen, das glaubwürdig behauptet, am Zustandekommen eines Vertrags über Flugleistungen interessiert zu sein und das sich durch die Form der Ausschreibung jener Flugleistungen als diskriminiert erachtet, dürfte ein rechtliches Interesse im Sinne des §115 Abs1 BVergG und damit das Recht auf Überprüfung der behauptetermaßen rechtswidrigen Ausschreibungsbedingungen zustehen, weil es anders die seiner Meinung nach rechtswidrige Ausschreibung und den ihm daraus möglicherweise entstandenen Schaden nicht geltend machen kann.

Die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags der beschwerdeführenden Gesellschaft mangels rechtlichen Interesses könnte aber auch nicht ohne weiteres damit begründet werden, daß es der beschwerdeführenden Gesellschaft zumutbar gewesen wäre, die von ihr behauptete Rechtswidrigkeit der Ausschreibung in einem früheren Stadium des Vergabeverfahrens geltend zu machen: Das BVA hat nämlich selbst mit Beschluß vom 11. Juli 2001 zur Zahl F-7/00-12 die Rechtsfrage zum Gegenstand eines Verfahrens vor dem EuGH gemäß Art234 EG gemacht, ob die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags eines Bieters, der sich schon während des Vergabeverfahrens gegen behauptete Rechtswidrigkeiten hätte wehren können, nach Zuschlagserteilung wegen mangelnden rechtlichen Interesses zulässig ist.

Das BVA hätte daher die Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität der von ihm vorgenommenen Auslegung des §115 Abs1 BVergG dem EuGH zur Vorabentscheidung gemäß Art234 EG vorlegen müssen. Da das BVA letztlich aber den Antrag - ohne über etwaig entgegenstehende gemeinschaftsrechtliche Aspekte zu erwägen - zurückgewiesen hat, ist ihm der Vorwurf zu machen, eine entscheidungsrelevante Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts unter Verletzung seiner Vorlagepflicht nach Art234 Abs3 EG nicht vorgelegt zu haben. Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde daher in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

4. Der Bescheid war daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 4.500,-- (€ 327,03) sowie eine Eingabegebühr gemäß §17a VerfGG in der Höhe von S 2.500,-- (€ 181,68) enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

EU-Recht Richtlinie, Rechtsschutz, Vergabewesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B405.1999

Dokumentnummer

JFT_09988790_99B00405_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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