TE OGH 1992/10/15 7Ob601/92

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Veröffentlicht am 15.10.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Österreichische Bundesforste, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wider die beklagte Partei M*****-GesmbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr.Heinz Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 218.764,-- s. A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 15.Mai 1992, GZ 4 R 101/92-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22.Jänner 1992, GZ 12 Cg 261/90-25, abgeändert bzw.aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Revisionskosten bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 29.3.1988 wurde gegen 9 Uhr durch eine über Auftrag der beklagten Partei durch Sprengung vom Grundstück 2616/2 der EZ 149 II der KG St.Anton ausgelösten Lawine der Wald auf dem der klagenden Partei gehörenden Grundstück 2474/1 er EZ 111 III der KG St.Anton vernichtet. Eigentümer des Grundstückes, auf dem die Sprengladung gezündet worden ist, sind die 2/3-Gerichtsgemeinden des Gerichtsbezirkes Landeck, eine Agrargenossenschaft. Diese hat dieses Grundstück der beklagten Partei in Bestand gegeben bzw. ihr all diejenigen Dienstbarkeiten eingeräumt, die mit der Benützung als Schipiste bzw. Aufstiegshilfe verbunden sind. Unter anderem erlaubten sie der beklagten Partei auch die Vornahme von Lawinensprengungen. Am 29.3.1988 bestand aufgrund der durch dreitägigen Neuschneeanfall auf 2,9 m Höhe angewachsenen Schneedecke Lawinengefahr. Dipl.Ing.P*****, der damalige Betriebsleiter der von der beklagten Partei betriebenen Rendlbahn, erteilte am Unglückstag um 8 Uhr der Helikopterfirma W***** den Auftrag zur Lawinensprengung im Rendlgebiet zur Sicherung des erweiterten Pistrenraumes vom Gampberg bis zum Brandkreuz. Die Firma W***** hat dort früher schon mehrere gleichartige Aufträge durchgeführt. Es fand keine Absprache über die Zusammensetzung der Schneedecke und über die Sprengpunkte statt, es sollte "wie üblich" gesprengt werden. Im betroffenen Gebiet wurden insgesamt vier Sprengsätze abgeworfen, wovon der dritte die Unglückslawine auslöste. Der Sprengsatz selbst wurde von Hermann S*****, einem dazu befugten Sprengmeister, aus dem Helikopter abgeworfen. Es wurde erwartet, daß durch die Sprengung die obere Neuschneedecke bzw. maximal der Schneezuwachs aus der Periode ab dem 24.3.1988, nicht aber die gesamte Schneedecke bis zum Boden abbrechen wird. Die erwartete Lawine wäre wesentlich kleiner als die Unglückslawine gewesen und hätte mit größter Wahrscheinlichkeit keinen Schaden am Wald der Klägerin verursacht. Tatsächlich brach aber insgesamt eine Fläche von 63.000 m2 ab und rutschte in einem Drittel bis zur Hälfte der Schnee bis zum Boden ab. Dadurch wurde auf dem weit unter der Bergstation liegenden Grundstück der klagenden Partei der Wald auf einer Fläche von 1,5 ha vernichtet. Auch die Bergstation der Rendlbahn wurde beschädigt. Ein derartiges Ereignis war nach der lawinenkundlichen Erfahrung nicht vorhersehbar. Die bei der Sprengung beteiligten Personen waren insgesamt fachlich geeignet und dazu befähigt. Allerdings hatte es Dipl.Ing.P***** unterlassen, die zu einer Lawinensprengung erforderliche Zustimmung der sogenannten kleinen Lawinenkommission einzuholen. Diese Zustimmung wäre aber mit größter Wahrscheinlichkeit (90 % oder mehr) erteilt worden. P***** hatte nur einen Antrag dazu gestellt, nicht jedoch die Genehmigung abgewartet.

Die Klägerin hat der Beklagten im Rendlgebiet andere als das betroffene Grundstück zur Benützung als Schipisten in Bestand gegeben.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten den Ersatz des ihr entstandenen Schadens von S 218.746,-- s.A. Sie stützt ihren Anspruch in erster Linie auf die Bestimmungen der §§ 364 f ABGB, dann auf die im Bestandvertrag (über andere Grundstücke) vereinbarte verschuldensunabhängige Haftung für alle Schäden, die aus dem Schiliftbetrieb entstehen, weiters, daß die Sprengung unsachgemäß von hiezu nicht geeigneten Personen ausgeführt worden sei. Daraus ergebe sich die Haftung der beklagten Partei nach den §§ 1313 a und 1315 ABGB. Die Lawinensprengung sei nur zur Vermeidung eines Betriebsausfalles, sohin im eigenen geschäftlichen Interesse angeordnet worden. Es sei verabsäumt worden, die Zustimmung der Lawinenkommission zur Sprengung einzuholen. Die beklagte Partei hafte auch aufgrund des Ingerenzprinzipes, sie habe mit der Sprengung eine Gefahrenquelle geschaffen.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung, sie wendete ein, daß sie keinerlei Haftung treffe, sie sei nicht Eigentümer des Grundes, auf dem die Sprengung vorgenommen worden sei, der Bestandvertrag mit der Klägerin beziehe sich auf ganz andere Grundstücke, über das beschädigte Waldgrundstück seien darin keinerlei Vereinbarungen getroffen worden. Es treffe sie daher auch keine Haftung nach § 1313 a ABGB. Die Sprengung sei von tauglichen und qualifizierten Personen vorgenommen worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Eine Haftung der beklagten Partei aufgrund des mit der Klägerin eingegangenen Bestandvertrages scheide aus, weil dieser ganz andere Grundstücke betreffe. Ein Ausgleichsanspruch nach den §§ 364 f ABGB scheide aus, weil der Schaden der Klägerin in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Betrieb einer der beklagten Partei behördlich genehmigten Anlage stehe. Zwar sei durch die unterlassene Einholung der Genehmigung der kleinen Lawinenkommission von Dipl.Ing.P***** ein Schutzgesetz verletzt worden. Der beklagten Partei sei aber der Beweis gelungen, daß der konkrete Schadenserfolg auch bei ordnungsgemäßer Zustimmung der Lawinenkommission zur Sprengung eingetreten wäre. Die beklagte Partei habe sich durchwegs tauglicher Gehilfen bedient.

Das Berufungsgericht änderte mit dem angefochtenen Zwischenurteil diese Entscheidung im Sinne einer Klagsstattgebung dem Grunde nach ab. Es erklärte die Revision für zulässig. Eine Haftung der beklagten Partei nach den §§ 1313a und 1315 ABGB scheide aus. Die beklagte Partei habe zwar für Dipl.Ing.P***** als ihren Repräsentanten grundsätzlich zu haften, auch wenn er nur ihr Betriebsleiter gewesen sei, weil sie ihn mit der Anordnung der schadensverursachenden Maßnahmen betraut habe. P***** sei jedoch ein tauglicher Erfüllungsgehilfe gewesen. Bei der Helikopterbesatzung der Firma W***** habe es sich durchwegs um Fachleute gehandelt. Die unterlassene Kontaktaufnahme mit dem Bürgermeister und mit der zuständigen Lawinenwarnkommission durch die Leute der Firma W***** stelle zwar einen Verstoß gegen ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB dar, dem aber keine Bedeutung zukomme, weil nach § 1315 ABGB nur der primär Haftpflichtige aus einer derartigen Übertretung herangezogen werden könne. Im übrigen sei die Hubschrauberbesatzung ganz offensichtlich davon ausgegangen, daß der Kontakt mit der Lawinenwarnkommission und dem Bürgermeister durch P***** bereits hergestellt worden sei. Da die Lawine auf ein nicht vom Bestandvertrag zwischen den Streitteilen erfaßtes Grundstück der klagenden Partei niedergegangen und die Schadenswirkung nicht auf eine der Benützung als Schipiste ausgelösten Ereignis eingetreten sei, könne aus der vereinbarten verschuldensunabhängigen Haftung nichts abgeleitet werden. Dipl.Ing.P***** habe mit seinem Sprengauftrag ohne vorhergehende Einholung der Zustimmung der Lawinenwarnkommission und des Bürgermeisters nicht nur gegen eine entsprechende Verordnung der Tiroler Landesregierung, sondern auch gegen § 2 des Tiroler Katastrophenhilfsgesetzes und somit gegen zwei Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB verstoßen. Für eine sofortige Absprengung der Lawine habe keinerlei Anlaß bestanden, es wäre durchaus zumutbar gewesen, den Hubschrauber solange warten zu lassen, bis die Lawinenwarnkommission und der Bürgermeister ihre Zustimmung zur Absprengung erteilten. Durch den Nachweis, daß die Lawinenwarnkommission höchstwahrscheinlich (und auch der Bürgermeister?) dem Sprengansuchen P***** zugestimmt hätten, komme aber der Schutzgesetzverletzung keine Relevanz zu.

Aus dem Tatsachenvorbringen der klagenden Partei lasse sich aber auch die Geltendmachung einer verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung ableiten. Soweit die klagende Partei berechtigt worden sei, Lawinen durch Sprengung auszulösen, betreibe sie einen gefährlichen Betrieb analog jenen, deren Haftung durch das Reichshaftpflichtgesetz, das EKHG, das AtomG und das BergG u.a. geregelt sei. Das Ausmaß einer künstlich ausgelösten Lawine lasse sich im vorhinein nie bestimmen, die Gefahr, daß sich die gesamte abgangsbereite Schneedecke in Bewegung setze, sei regelmäßig gegeben. Demnach liege auch bei einem weit größeren als beabsichtigten Lawinenabgang kein unabwendbares Ereignis vor. Die beklagte Partei treffe daher für ein derartiges nicht unabwendbares Ereignis eine verschuldensunabhängige Haftung in analoger Anwendung des § 9 EKHG. Die beklagte Partei habe nicht bewiesen, daß sie die äußerste von einem sachkundigen, erfahrenen Fachmann zu erwartende Sorgfalt angewendet habe, sodaß jede nicht aufklärbare Ungewißheit zu ihren Lasten gehe. Unter diesem Gesichtspunkt falle ihr die nicht eingeholte Zustimmung zur Sprengung durch die Lawinenwarnkommission zur Last. Die beklagte Partei hafte aber auch noch nach den Bestimmungen der §§ 364 Abs.2 und 364a ABGB. Die Zustimmung des Bürgermeisters und der Lawinenwarnkommission zum Absprengen von Lawinen sei als behördliche Genehmigung im Sinne der letztzitierten Gesetzesstelle anzusehen. Aus dem Umstand, daß die behördliche Genehmigung lediglich infolge eines schuldhaften Verhaltens P***** nicht abgewartet worden sei, könne die beklagte Partei keine günstigeren Rechtsfolgen für sich ableiten. Daß die Lawine ein völlig unerwartet großes Ausmaß angenommen habe, mache sie nicht zu einem Elementarereignis, da grundsätzlich bei einer Lawinensprengung damit zu rechnen sei. Der Anspruch des geschädigten Grundnachbarn nach §§ 364 f ABGB könne auch gegen den Bestandnehmer des Grundstückes, von dem die Immission ausgegangen sei, gerichtet werden.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Haftung für den der klagenden Partei unbestrittenermaßen erwachsenen Schaden ist bereits nach dem geltend gemachten Haftungsgrund nach den §§ 364 ff ABGB gegeben. Gemäß § 364 Abs.2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstückes dem Nachbarn die von dessen Grundstück ausgehenden Einwirkungen (Immissionen) insoweit untersagen, als sie das nach den ortsüblichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigen. Die unmittelbare Zuleitung ist unter allen Umständen unzulässig. Lediglich Zuleitungen aufgrund natürlichen Gefälles oder zufolge von (auch nicht durch Schutzbauten zu verhindenden) Elementarereignissen sind vom Nachbarn, von dessen Grund sie ausgehen, nicht zu verantworten (vgl. SZ 41/150; Pimmer in Schwimann, ABGB § 364 Rz 26). Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß in Form einer durch Sprengung ausgelösten Lawine abgleitender Schnee, der einen Wald vernichtet, eine direkte Zuleitung, die das Maß des Ortsüblichen weit überschreitet, im Sinne der zitierten Norm darstellt. Nach den eben erwähnten Normen steht dem Geschädigten ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch dann zu, wenn sich ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364 a ABGB ergeben. Hiebei ist an die Grundsituation des § 364 a ABGB anzuknüpfen, nämlich daß dem Geschädigten ein Abwehrrecht genommen worden ist, das ihm nach dem Inhalt seines Eigentums "an sich" zugestanden wäre (vgl. Pimmer aaO, Rz 53 mwN). Unbestritten ist, daß es der Klägerin nicht möglich war, das Sprengvorhaben der beklagten Partei zu verhindern. Auch der der beklagten Partei geglückte Nachweis, daß die sogenannte kleine Lawinenwarnkommission von St.Anton mit größter Wahrscheinlichkeit der Lawinensprengung zugestimmt hätte, befreit die beklagte Partei daher nicht von ihrer Verpflichtung zur Leistung eines Ausgleichs. Zum ersten ist eine Zustimmung der Lawinenwarnkommission, der nur beratende Stellung zukommt (vgl. Krejci ÖJZ 1985, 11 ff), keine behördliche Genehmigung im Sinne des § 364 a ABGB. Auch eine Genehmigung durch den Bürgermeister im Rahmen der ihm übertragenen Ortspolizei erfüllt nicht die Voraussetzungen nach § 364 a ABGB, weil der Klägerin keine wirksame Berücksichtigung ihrer Interessen durch Einräumung einer Parteistellung möglich war (vgl. SZ 48/15, zuletzt SZ 55/172). Zum zweiten hätte die durch die Sprenggenehmigung ausgelöste Beeinträchtigung das Maß des Gewöhnlichen weit überschritten (vgl. EvBl. 1951/381; SZ 40/58, Pimmer in Schwimann, ABGB, § 364 a Rz 4). Selbst wenn man von einer behördlichen Genehmigung der Sprengung im nachhinein durch den Bürgermeister ausginge, wäre damit für die beklagte Partei ebenfalls nichts gewonnen. Obwohl sich die beklagte Partei in ihrem Rechtsmittel verschämt als Fremdenverkehrs-GesmbH beschreibt ist klar, daß sie ein Seilbahn- und Liftunternehmen betreibt und zur Sicherung der dazugehörigen Schipisten zur erforderlichen Lawinenverhütung verpflichtet ist. Dazu gehört unter Umständen auch das Absprengen von Lawinen. Dies stellt daher eine typische Betriebstätigkeit dar. Der Behauptung, daß mit der Lawinensprengung die Interessen der Schifahrer und Tourengeher gewahrt werden mußten, ist entgegenzuhalten, daß dies ebenso durch eine Sperre der lawinengefährdeten Hänge geschehen hätte können, die aber nur aus rein geschäftlichen Gründen unterblieben ist. Daß die Lawinensprengung zur Vermeidung anderer Schäden vorgenommen worden sei, hat die dafür beweispflichtige beklagte Partei nicht bewiesen. Selbst wenn ein solcher Fall vorläge, hätte dies die beklagte Partei nicht von ihrer Ersatzpflicht befreit, weil eine derartige Sprengung einem Schaden, der durch einen Schutz- oder Regulierungsbau im Sinne der §§ 41 ff WRG, der an Grundstücken von Unterliegern eintritt, gleichzuhalten wäre, weil sich die Ersatzpflicht aus den allgemeinen Grundsätzen des Nachbarrechtes ergibt (vgl. Pimmer aaO Rz 13).

Nicht nur der Eigentümer des Nachbargrundstückes haftet für den durch Immission im Sinne der §§ 364 f ABGB verursachten Schaden, sondern jeder, der die Beeinträchtigung herbeiführt (MGA ABGB33 § 364/76 ff; Spielbüchler in Rummel, ABGB2 § 364 a Rz 7, Pimmer in Schwimann, ABGB, § 364 Rz 12 f, zuletzt ecolex 1991, 454). Dementsprechend hat die beklagte Partei als Bestandnehmerin, die das Schadensereignis durch ihren Auftrag auslöste, für den Ausgleichsanspruch der klagenden Partei zu haften. Ihrer Revision war daher ein Erfolg zu versagen, ohne daß auf die weiteren geltend gemachten Haftungsgründe eingegangen werden muß.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf die §§ 50, 393 Abs.4 ZPO.

Anmerkung

E30285

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0070OB00601.92.1015.000

Dokumentnummer

JJT_19921015_OGH0002_0070OB00601_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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