TE OGH 1992/10/22 8Ob631/92

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Veröffentlicht am 22.10.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien J***** und B***** Sch*****, beide vertreten durch Dr.Gerhard Götschhofer, Rechtsanwalt in Vorchdorf, wider die beklagte Partei H***** H*****, vertreten durch Dr.Georg Pammesberger, Rechtsanwalt in Gmunden, wegen Räumung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 9. Dezember 1991, GZ R 1048/91-24, womit infolge Berufungen beider Teile das Urteil des Bezirksgerichtes Gmunden vom 19.Juli 1991, GZ 2 C 701/90z-16, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die hinsichtlich des Zahlungsbegehrens als Teilurteile unberührt bleiben, werden hinsichtlich des Räumungsbegehrens aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Das Haus der Kläger ist ein altes aus drei Wohnungen bestehendes Bauernhaus. Die nunmehrige Mietwohnung des Beklagten war 1987 nicht benützbar. Zwischen September 1987 und Jänner 1988 renovierten der Erstkläger und der Beklagte, ein gelernter Maurer, die nunmehrige Mietwohnung des Beklagten in Eigenregie. Es wurde ua eine neue Mittelmauer errichtet, der Estrich erneuert, die Wohnung verputzt, die Elektroinstallationen zum Großteil erneuert, das Bad und das WC neu eingerichtet, sodaß sie dem zeitgemäßen Standard entsprechen, neue Türstöcke mit Türblättern eingesetzt und die vorhandene Heizung derart ergänzt, daß die Wohnung nun über eine Zentralheizungsanlage verfügt.

Im Jänner 1988 zog der Beklagte mit seiner Familie in die Wohnung ein. Für seine Mitarbeit bei der Renovierung der Mietwohnung wurde er teils in Naturalien entlohnt, teils sollten seine Arbeitsleistungen auf den künftigen Mietzins in Anrechnung gebracht werden. Überhaupt einigten sich die Streitteile grundsätzlich darauf, daß der Beklagte keinen Geldmietzins zahlen sollte, sondern als Gegenleistung für die Wohnungsbenützung dem Erstkläger Dienstleistungen erbringt. Übereinstimmend gingen der Erstkläger und der Beklagte davon aus, daß eine Arbeitsstunde mit S 100 zu veranschlagen sei; allerdings vereinbarten sie nicht, auf welcher Basis eines monatlichen Mietzinses die Arbeitsleistungen des Beklagten verrechnet werden sollten. Bis Dezember 1989 erbrachte der Beklagte in nicht näher bekanntem Ausmaß Arbeitsleistungen für die Kläger.

Am 31.12.1989 legte der Erstkläger dem Beklagten einen Zettel vor, wonach die Mietwohnung im Monat S 3.764 koste. Bei dieser Berechnung legte jener den ihm vom Haus- und Grundbesitzerbund genannten "mittleren Mietzins" von monatlich S 2.700 zugrunde und nahm weiters an, daß die monatlichen Betriebskosten rund S 1.000 ausmachen würden, die er auf verschiedene Betriebskostenkategorien (Heizkosten S 550, Wasserkosten S 400, Müllabfuhr S 35 und Kaminfegegebühr S 79) aufteilte. Außerdem wies er dem Beklagten eine Aufstellung über die nach seiner Ansicht geleisteten Arbeitsstunden und die danach nach seiner Meinung verbleibende Restforderung an Mietzins vor. Der Beklagte meinte, die insgesamt erbrachten Arbeitsleistungen müßten jedenfalls die Mietzinse bis zum Abrechnungszeitraum Ende 1989 abdecken. Da sich der Erstkläger und der Beklagte bei einer nochmaligen Durchrechnung nicht einigen konnten, vereinbarten sie grundsätzlich, daß der Beklagte in Zukunft einen Geldmietzins zahlen solle. Der Beklagte bemängelte ausdrücklich den Betrag von S 400 an Wassergebühren mit der Begründung, die Warmwasseraufbereitung laufe ohnedies mit der Heizung mit. Im übrigen erklärte er nicht, daß er für die Zukunft mit einem monatlichen Mietzins- und Betriebskostenbeitrag von S 3.764 einverstanden sei. Er nahm zwar von diesem Treffen Zahlscheine des Klägers mit, teilte ihm jedoch noch am Abend desselben Tages telefonisch mit, daß ihm der monatliche Betrag zu hoch sei und er diesen nicht zahlen werde.

Der Beklagte zahlte in den Folgemonaten lediglich S 550 als Heizkosten und S 35 für die Müllabfuhr. Einigkeit wurde schließlich darüber erzielt, daß die Mietzinse und Betriebskosten bis einschließlich Dezember 1989 jedenfalls durch die Arbeitsleistungen des Beklagten abgegolten sind.

Mit der vorliegenden Klage begehren die Kläger vom Beklagten nach Klageeinschränkung und Klageausdehnung letztlich die Zahlung von S

21.327 sA und die Räumung der von ihm benützten Wohnung. Sie brachten dazu im wesentlichen vor, daß der Beklagte bis zuletzt nur einen Teil des mit ihm vereinbarten, jedenfalls angemessenen Mietzinses und der Betriebskosten von insgesamt monatlich S 3.764 bezahlt habe, was zur Vertragsauflösung nach § 1118 ABGB berechtige. Eine Beschlußfassung über die Höhe des Mietzinses im Sinn des § 33 Abs 2 und 3 MRG erübrige sich, weil die anfängliche, grundsätzliche Zahlungsverweigerung durch den Beklagten ein grobes Verschulden darstelle.

Der Beklagte beantragte Klageabweisung und wendete im wesentlichen ein, daß ihm an einem allfälligen Zahlungsrückstand jedenfalls kein grobes Verschulden treffe; es sei daher im Sinn des § 33 Abs 2 und 3 MRG mittels Teilurteils zunächst über das Begehren auf Mietzinszahlung zu entscheiden, um ihm die Entkräftung der Auflösungserklärung durch Nachzahlung zu ermöglichen. Nach einem nochmaligen vergeblichen Antrag, mit Teilurteil über das Begehren auf Mietzinszahlung zu entscheiden, zahlte er in der letzten mündlichen Streitverhandlung S 26.000 als Mietzins (13 x S 2.000), die der Kläger lediglich als Teilzahlung auf die offenen Mietzins- und Betriebskostenforderungen annahm.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren mit S 926,90 sA und dem Räumungsbegehren Folge; das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer S 20.400,10 sA wies es ab. Es meinte, der angemessene Mietzins für das Mietobjekt betrage nach seiner Fläche und der Ausstattungskategorie A S 2.071,30. Der Beklagte habe einen qualifizierten Mietzinsrückstand auflaufen lassen und es hafte bis zuletzt ein - wenngleich geringfügiger - Rest von S 926,90 aus. Da der Beklagte von Jänner 1990 bis 11.1.1991 überhaupt keine Mietzinszahlung erbracht habe, treffe ihn an der Nichtzahlung ein grobes Verschulden, weshalb sich ein Teilurteil über die Höhe des ausständigen Mietzinses erübrige und das Räumungsbegehren berechtigt sei. Das auf die Betriebskosten entfallende Mehrbegehren sei abzuweisen, weil die Kläger bis zuletzt keine ordnungsgemäße Betriebskostenabrechnung erstellt hätten.

Gegen dieses Urteil erhoben beide Teile Berufung. Die Kläger bekämpften das Ersturteil im Umfang der Abweisung ihres Leistungsbegehrens, der Beklagte im Umfang der Stattgebung des Räumungsbegehrens; der Zuspruch von S 926,90 sA blieb unangefochten.

Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung aus deren Gründen und ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof nicht zu.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten, mit der er die Abänderung im Sinn der Klagsabweisung, hilfsweise die Aufhebung und Rückverweisung an das Erstgericht beantragt. Die Kläger beantragen, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungs- und Rückverweisungsantrages auch berechtigt.

Wenn auch die Frage, ob im Einzelfall grobes Verschulden vorliegt, in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage darstellt, gibt es zur Frage des groben Verschuldens am Mietzinsrückstand, wenn nur ein angemessener Mietzins vereinbart, über dessen Höhe aber keine Einigung erzielt wurde, und insbesondere welche Bedeutung in einem solchen Fall § 33 Abs 2 letzter Satz MRG beizumessen ist, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung. Die Revision ist daher zulässig.

Zutreffend haben die Vorinstanzen unter Hinweis auf die ständige oberstgerichtliche Rechtsprechung die Erfordernisse einer Beschlußfassung oder eines Teilurteiles im Sinn des § 33 Abs 2 und 3 MRG und die allgemeinen Merkmale des groben Verschuldens im Sinn dieser Gesetzesstelle dargelegt; durch die Art ihrer Anwendung auf den Fall der Nichteinigung über die Höhe des angemessenen Mietzinses verletzen sie jedoch deren Grundsätze.

Nach der gemäß § 33 Abs 3 MRG in Rechtstreitigkeiten über Räumungsklagen nach § 1118 zweiter Fall ABGB sinngemäß anzuwendenden Bestimmung des § 33 Abs 2 MRG hat das Gericht - wenn die Höhe des geschuldeten Betrages strittig ist - vor Schluß der Verhandlung darüber durch Beschluß zu entscheiden. Zweck dieser Beschlußfassung ist es, klar zu stellen, welchen Betrag der Mieter dem Vermieter schuldet, damit jener, sofern ihm an der bisherigen Nichtzahlung kein grobes Verschulden trifft, noch vor Schluß des Verfahrens erster Instanz die Möglichkeit erhält, durch Zahlung des rückständigen Mietzinses die auf § 30 Abs 2 Z 1 MRG gestützte Kündigung oder die Stattgebung des auf den zweiten Fall des § 1118 ABGB begründeten Räumungsbegehrens abzuwenden.

Wird in Ansehung des Mietzinsrückstandes, auf dem die dem Räumungsbegehren zugrunde gelegte Auflösungserklärung nach § 1118 ABGB gestützt wird, ein Zahlungsbegehren erhoben, ist eine neben dem urteilsmäßigen Ausspruch über das Zahlungsbegehren parallel dazu gefällte beschlußmäßige Entscheidung im Sinn des § 33 Abs 2 letzter Satz MRG überflüssig. Das Urteil über das Begehren auf Zahlung des Mietzinsrückstandes ersetzt für das auf § 1118 zweiter Fall ABGB gestützte Räumungsbegehren die beschlußmäßige Entscheidung nach § 33 Abs 2 letzter Satz MRG. Dem Urteil muß aber in Ansehung des Räumungsbegehrens dieselbe Funktion wie einer beschlußmäßigen Entscheidung über die Höhe des geschuldeten rückständigen Mietzinses zukommen. Es muß daher dem Beklagten auch hier - sofern ihn nur an der Nichtzahlung kein grobes Verschulden trifft - durch Fällung eines Teilurteils über das Zahlungsbegehren die Möglichkeit geboten werden, nach bindender Klärung dieser rechtlichen Streitfrage durch Nachzahlung des Mietzinsrückstandes die Auflösungserklärung nach § 1118 ABGB im Sinn des § 33 Abs 2 und 3 MRG wieder zu entkräften (RZ 1988, 112 ua).

Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung (MietSlg 29.400;

38.504 uva) setzt grobes Verschulden begrifflich ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodaß der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt. Hingegen können Zweifel über die wahre Rechtslage ebenso wie ein Irrtum über das Vorliegen eines Zahlungsrückstandes in der Regel nur leichte Fahrlässigkeit begründen; erst das Beharren auf einem bei sachlicher Überlegung als unrichtig erkennbaren Standpunkt kann deutlich machen, daß es kein fehlerhaftes Vorstellungsbild, sondern Rechthaberei gewesen sein muß, die den qualifizierten Zahlungsrückstand herbeigeführt hat.

Der Fall, daß keine Einigung über den angemessenen Mietzins erzielt wurde, ist am ehesten dem des Zweifels über die wahre Rechtslage oder der Verkennung derselben vergleichbar. Es kann dem Beklagten nicht als grobes Verschulden angelastet werden, daß er infolge des Umstandes, daß er die Höhe des geschuldeten Betrages nicht kannte, weder den von den Klägern geforderten Betrag - der sich in der Folge auch als unangemessen hoch herausstellte - noch einen ihm angemessen erscheinenden Betrag, sondern (außer gewissen Betriebskosten) gar nichts zahlte. In einer solchen Vorgangsweise kann bei Nichteinigung über einen angemessenen Mietzins schon deshalb keine Nichtzahlung aus Willkür, Streitsucht, Rechthaberei udgl. gesehen werden, weil anderenfalls, nämlich wenn zumindest eine angemessene Teilzahlung gefordert würde, sich der Streit, ob grobes Verschulden vorliege oder nicht, nur in der Richtung verlagerte, daß beurteilt werden müßte, ob die vom Beklagten geleistete Teilzahlung ausreichend hoch sei, um sein der strittigen Rechtsfrage vorgreifendes Verhalten noch als vertretbar anzusehen. Vom Beklagten kann auch nicht verlangt werden, über die Angemessenheit vorweg gutachtliche Auskünfte einzuholen; ist die Höhe des geschuldeten Betrages mangels Einigung über einen angemessenen Mietzins strittig, ist nach § 33 Abs 2 letzter Satz MRG vorzugehen.

Demnach hätte dem Beklagten mangels groben Verschuldens an der Nichtzahlung des Mietzinses vor Stattgebung des Räumungsbegehrens die Möglichkeit gegeben werden müssen, nach bindender Klärung der rechtlichen Streitfrage über die Höhe des angemessenen Mietzinses durch Nachzahlung des Rückstandes die Auflösungserklärung nach § 1118 ABGB wieder zu entkräften. Das wäre im vorliegenden Fall umsomehr angezeigt gewesen, als der Beklagte, nachdem er nochmals vergeblich um Fällung eines Teilurteils über die Höhe des angemessenen Mietzinses ersucht hatte, noch vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz die letztlich als schuldig erkannten Mietzinse - bis auf einen geringfügigen Restbetrag von nicht einmal 5 % - bezahlt hat.

Die Urteile der Vorinstanzen über das Räumungsbegehren sind daher aufzuheben. Die Rechtssache ist in diesem Umfang an das Erstgericht zurückzuverweisen, das im fortgesetzten Verfahren lediglich festzustellen haben wird, ob der Mietzinsrückstand bezahlt wurde oder nicht und dementsprechend durch Endurteil das Räumungsbegehren abzuweisen oder ihm stattzugeben haben wird (RZ 1988, 112).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E30196

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0080OB00631.92.1022.000

Dokumentnummer

JJT_19921022_OGH0002_0080OB00631_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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