Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Jensik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Klinger, Dr.Schwarz und Dr.Floßmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Pauline H*****, Landwirtin, S*****, vertreten durch die Sachwalterin Karoline K*****, Hausfrau, ***** diese vertreten durch Dr.Alois Kitzmüller, Rechtsanwalt in Liezen, wider die beklagten Parteien 1.) Adolf B*****, Landwirt, und 2.) Gertrud B*****, Landwirtin, beide *****, beide vertreten durch Dr.Heinrich Wallner, Rechtsanwalt in Liezen, wegen Nichtigkeit eines Übergabsvertrages und Einwilligung in die Einverleibung der Löschung des Eigentumsrechtes, infolge Revisionsrekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Leoben als Rekursgerichtes vom 23.März 1992, GZ R 1081/91-85, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Liezen vom 21. Oktober 1991, 2 C 431/89b-79, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung des von ihr im Jahre 1987 mit den Beklagten geschlossenen Übergabsvertrages (ON 1) und die Verurteilung der Beklagten zur Einwilligung in die Einverleibung der Löschung ihres Eigentumsrechtes im Grundbuch (ON 17, AS 112).
Während des zweiten Rechtsganges wurde über Anregung der Tochter der Klägerin für diese die Sachwalterschaft nach § 273 Abs 3 Z 3 ABGB angeordnet und die bisherige Prozeßführung der Klägerin genehmigt. Diese Beschlüsse sind rechtskräftig (SW 3/91/1, 4, 8 und 22 des BG Liezen; 6 Ob 1573/92). Demgemäß erklärte die Sachwalterin, in den Prozeß einzutreten (ON 73).
Nach dem Inhalt des im Prozeß eingeholten Sachverständigengutachtens (ON 56 und 62) war die Klägerin jedenfalls im Jahre 1991 auf Grund ihrer schweren Erkrankungen im Bereiche des Gehirns, der Augen und der Ohren geschäftsunfähig. Die Wahrscheinlichkeit, daß diese Geschäftsunfähigkeit schon im Jahre 1987 bestand, ist größer als die Wahrscheinlichkeit, daß damals die Klägerin noch geschäftsfähig war. Dies gilt umsomehr für das Jahr 1989 (Einbringung der Klage).
Das Erstgericht wies unter gegenseitiger Kostenaufhebung die Klage zurück und hob das Verfahren ab Einbringung der Klage als nichtig auf. Es begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß von vollprozeßunfähigen Personen vorgenommene Prozeßhandlungen nicht dadurch wirksam werden könnten, daß sie nachträglich vom Sachwalter genehmigt würden.
Das Rekursgericht behob diese Entscheidung und trug dem Erstgericht die Entscheidung in der Sache nach allfälliger Verfahrensergänzung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt und daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Es müsse - entgegen Gitschthaler in JBl 1991, 300 f mwN - angenommen werden, daß eine nachträgliche Genehmigung der Prozeßführung durch den später bestellten Sachwalter auch dann in Frage komme, wenn der Betroffene den Gebrauch der Vernunft überhaupt nicht habe. Behinderte Personen verfügten innerhalb des Wirkungskreises ihres Sachwalters über beschränkte Geschäftsfähigkeit gleich einem Minderjährigen über sieben Jahren, und zwar wohl auch dann, wenn sie den Gebrauch der Vernunft nicht hätten. Genehmigungspflichtige Geschäfte, die sie allein abschließen, könnte ihr Sachwalter nachträglich genehmigen. Diese Geschäfte seien also zunächst schwebend unwirksam. Zwischen einem geistig Behinderten, für den noch kein Sachwalter bestellt worden sei, und einem solchen geistig Behinderten, der ohne seinen Sachwalter nicht bloß ein geringfügiges Geschäft des täglichen Lebens abschließe, bestehe kein solcher Unterschied, daß das Geschäft jedenfalls nichtig sein müßte.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage fehlt, ob ein während eines Zivilprozesses gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB bestellter Sachwalter die bisherige Prozeßführung unbeschränkt wirksam genehmigen könne.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der beklagten Parteien mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen; hilfsweise stellen die beklagten Parteien einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin begehrt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 477 Abs 1 Z 5 ZPO ist das Urteil und gegebenenfalls das diesem vorausgegangene Verfahren nichtig, wenn eine Partei gar nicht oder, falls sie eines gesetzlichen Vertreters bedarf, nicht durch einen solchen vertreten war, sofern die Prozeßführung nicht nachträglich genehmigt wurde. Nach § 477 Abs 2 ZPO liegt eine nachträgliche Genehmigung der Prozeßführung insbesondere dann vor, wenn der gesetzlicher Vertreter, ohne den Mangel geltend zu machen, in das Rechtsmittelverfahren eintritt.
Gemäß § 6 Abs 1 ZPO ist zwar der Mangel der Prozeßfähigkeit, der gesetzlichen Vertretung oder der etwa erforderlichen besonderen Ermächtigung zur Prozeßführung in jeder Lage des Rechtsstreites von Amts wegen zu berücksichtigten, doch hat das Gericht nach § 6 Abs 2 ZPO, wenn dieser Mangel beseitigt werden kann, die hiezu erforderlichen Aufträge zu erteilen und zu ihrer Erfüllung von Amts wegen eine angemessene Frist zu bestimmen, bis zu deren fruchtlosem Ablauf der Ausspruch über die Rechtsfolgen des Mangels aufgeschoben bleibt. Ist mit dem Verzug für die prozeßunfähige Partei Gefahr verbunden, so kann diese oder die für dieselbe als Vertreter einschreitende Person noch vor Ablauf der Frist - vorbehaltlich der Beseitigung des Mangels - zur Vornahme der notwendigen Prozeßhandlungen zugelassen werden.
Die genannten Bestimmungen unterscheiden nicht, ob der Mangel der Prozeßfähigkeit aus einer vollständigen Geschäftsunfähigkeit oder aus bloß beschränkter Geschäftsfähigkeit abgeleitet wird. Im Zusammenhang mit der im § 21 ABGB angeordneten Fürsorgepflicht für Personen, die alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten selbst nicht gehörig zu besorgen vermögen, folgt aus den dargelegten verfahrensrechtlichen Bestimmungen, daß das Gericht eine Heilung des mit Nichtigkeit bedrohten Verfahrens in die Wege zu leiten hat, soweit eine Heilung aussichtsreich erscheint (Fasching, Lehrbuch2 Rz 353).
Der von Gitschthaler in JBl 1991, 301 vertretenen, aus der materiellrechtlichen Bestimmung des § 865 Satz 1 ABGB abgeleiteten Meinung, Prozeßhandlungen völlig geschäftsunfähiger Personen könnten nachträglich von einem bestellten Sachwalter nicht genehmigt werden, vermag sich der erkennende Senat aus folgenden Gründen nicht anzuschließen:
Die nach materiellem Recht zu beurteilende Geschäftsfähigkeit kann einer Person gänzlich mangeln (Kinder unter 7 Jahren; Personen, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben - unbeschadet der Bestimmung des § 151 Abs 3 ABGB); sie kann aber auch bloß beschränkt gegeben sein, und zwar für bestimmte Geschäfte schlechthin oder bedingt durch die (wenn auch erst nachträglich) erteilte Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter (§ 865 ABGB). Obwohl Prozeßfähigkeit im allgemeinen nichts anderes ist als die verfahrensrechtliche Seite der Handlungsfähigkeit (= bürgerlichrechtliche Verpflichtungsfähigkeit = Geschäftsfähigkeit; § 1 ZPO), ist eine von der beschränkten Geschäftsfähigkeit abgeleitete "beschränkte Prozeßfähigkeit" der Minderjährigen oder der geistig Behinderten oder psychisch Kranken nicht der beschränkten Geschäftsfähigkeit nach bürgerlichem Recht wesensgleich, weil die vom Minderjährigen oder geistig Behinderten gesetzten Prozeßhandlungen nur entweder rechtswirksam (weil in den sachlichen Bereich der Prozeßfähigkeit fallend) oder nichtig sein können. Dennoch bringt der Begriff der beschränkten Prozeßfähigkeit zum Ausdruck, daß zwar nicht die Wirkung, wohl aber der Bereich der Prozeßfähigkeit beschränkt ist (Fasching, Lehrbuch2 Rz 349 Abs 3). Können aber Prozeßhandlungen nur wirksam oder nichtig sein, dann besteht kein Grund, die im Gesetz ganz allgemein vorgesehene Heilungsmöglichkeit nichtiger Prozeßhandlungen durch nachträgliche Genehmigung (§§ 6 und 477 Abs 1 Z 5 und Abs 2 ZPO) nicht auf alle Fälle der wegen Prozeßunfähigkeit nichtigen Prozeßhandlungen anzuwenden.
Vollständige Geschäftsunfähigkeit im Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht durch die Klägerin an ihren seinerzeit frei gewählten Anwalt verhindert zwar das Zustandekommen eines Bevollmächtigungsverhältnisses. Dieses Rechtsgeschäft könnte auch durch nachträgliche Genehmigung nicht wirksam werden. Dies bedeutet im prozeßrechtlichen Bereich aber nichts anderes, als daß die Klägerin zunächst durch einen negotiorum gestor (Fasching, Kommentar II 155), also gar nicht (§ 477 Abs 1 Z 5 ZPO) vertreten war. Dieser Mangel wird aber - wie bereits gezeigt - durch die nachträgliche Genehmigung des bestellten gesetzlichen Vertreters (hier: Sachwalters) geheilt.
Zu der von den beklagten Parteien an den Obersten Gerichtshof (nachträglich) herangetragenen Anregung, die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des Sachwaltergesetzes und der §§ 280 und 281 ABGB beim Verfassungsgerichtshof zu veranlassen, ist folgendes zu sagen:
Das Prozeßgericht ist zur Bestellung des Sachwalters nicht berufen, hat also die Vorschriften über die Auswahl der Person des Sachwalters oder die Zulässigkeit der Sachwalterbestellung überhaupt nicht zu beurteilen. Die genannten Bestimmungen sind daher für die hier zu treffende Entscheidung des Obersten Gerichtshofes nicht präjudiziell.
Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
Anmerkung
E30614European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0050OB00512.92.1027.000Dokumentnummer
JJT_19921027_OGH0002_0050OB00512_9200000_000