Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Köck und Ernst Viehberger (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alois D*****, Landwirt, ***** vertreten durch Dr.Alfons Adam, Rechtsanwalt in Neulengbach, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1030 Wien, Ghegastraße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.Juli 1992, 31 Rs 76/92-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 25. Feber 1992, 5 Cgs 229/91-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 17.11.1988 hatte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Bauern dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 30.8.1988 eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente gewährt. Diese Rente wurde mit Bescheid vom 20.6.1990 mit Ablauf des Monates Juli 1990 (in den Urteilen der Vorinstanzen unrichtig Juli 1991) wieder entzogen. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 25.9.1991 lehnte die beklagte Partei die Gewährung einer Versehrtenrente mit der Begründung ab, daß in den Verhältnissen, die für die letzte Feststellung maßgebend gewesen seien, keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Die Verschlimmerung der Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule werde durch abnützungsbedingte Veränderungen hervorgerufen.
Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren auf Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß seit 2.8.1991 ab. Es stellte fest, daß die Beschwerden des Klägers zum überwiegenden Teil auf unfallunabhängige Abnützungserscheinungen zurückzuführen seien und die rein unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 10 vH liege. Sie erreiche daher nicht das rentenfähige Ausmaß von 20 vH.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.
Nach ständiger Rechtsprechung ist der Grad der durch die Unfallfolgen verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich abstrakt nach dem Umfang aller verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem
gesamten Gebiet des Erwerbslebens (SSV-NF 1/64 = SZ 60/262 = JBl
1988, 259 = DRdA 1989, 128) zu beurteilen und in Beziehung zu allen
Erwerbsmöglichkeiten - und nicht nur den tatsächlich genützten - zu setzen. Unter dem Begriff der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 203 ASVG ist nämlich die Fähigkeit zu verstehen, sich im Wirtschaftsleben einen regelmäßigen Erwerb durch selbständige oder unselbständige Arbeit zu verschaffen (SSV-NF 3/22, 4/122 mwN). Bestehende Behinderungen sind bei Prüfung der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit in ihrer Auswirkung auf alle auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbsmöglichkeiten zu beurteilen. Daß eine Einschränkung, der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine überragende Bedeutung zukommt, den Versicherten bei Ausübung seines konkreten Berufes in größerem Ausmaß behindert, hat bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit aus medizinischer Sicht außer Betracht zu bleiben (10 Ob S 125/92). Die Frage, inwieweit die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten aus medizinischer Sicht, also allein auf Grund der durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit bedingten Leiden, gemindert ist, gehört zum Tatsachenbereich. Insoweit sich die Revision daher gegen die diesbezüglichen Feststellungen wendet, bekämpft sie einerseits in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung, und geht in ihrer Rechtsrüge andererseits nicht von den für das Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen aus (SSV-NF 5/37 ua).
Der Umstand, daß der Revisionswerber allenfalls in seinem Beruf als selbständiger Landwirt durch die Unfallsfolgen in besonderem Ausmaß behindert ist, rechtfertigt auch nicht die Annahme einer über der medizinischen Einschätzung liegenden Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die Ausbildung und der bisherige Beruf des Versicherten - also konkrete Verweisungsmöglichkeiten - sind in Abweichung von der zunächst zugrunde zu legenden medizinischen Einschätzung nur soweit angemessen zu berücksichtigen, als dies zur Vermeidung unbilliger Härten erforderlich ist. Damit ein Härtefall vorläge, müßten den Versicherten infolge der Aufgabe oder erheblichen Einschränkung der bisherigen Tätigkeit beträchtliche Nachteile in finanziell-wirtschaftlicher Hinsicht treffen und eine Umstellung auf andere Tätigkeiten unmöglich sein oder ganz erheblich schwer fallen, wobei im Interesse der Vermeidung einer zu starken Annäherung an konkrete Schadensberechnung ein strenger Maßstab anzulegen wäre (10 Ob S 67/92, 10 Ob S 152/92). Ein solches besonderes berufliches Betroffensein des Klägers, das zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Annahme eines höheren Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtfertigen könnte, ist unter diesen Gesichtspunkten nicht gegeben.
Geht man aber davon aus, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht einmal um 10 vH gemindert ist, dann liegt keine wesentliche Änderung der Verhältnisse vor, die zu einer Neufeststellung der (entzogenen) Rente führen könnte (§ 183 Abs 1 ASVG).
Die gerügten Verfahrensmängel - Beschränkung des Beweisverfahrens auf die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, Nichtvernehmung von zwei sachverständigen Zeugen und des Klägers als Partei - bildeten bereits den Gegenstand der in der Berufung erhobenen Mängelrüge und können mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (SSV-NF 1/32 = SZ 60/197, SSV-NF 3/115, 5/116 ua); sie betreffen übrigens ausschließlich Umstände der Beweiswürdigung.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Anmerkung
E30361European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00265.92.1110.000Dokumentnummer
JJT_19921110_OGH0002_010OBS00265_9200000_000