Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Sinan M*****, geboren *****1978, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Minderjährigen, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11, Amt für Jugend und Familie 6., 7.Bezirk, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 29.Juli 1992, GZ 43 R 422/92-80, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 18.Mai 1992, GZ 6 P 257/78-76, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:
"Dem Minderjährigen Sinan M***** wird ab 1.Mai 1992 ein monatlicher Unterhaltsvorschuß in der Höhe von drei Vierteln des Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 lit c/bb, erster Fall, ASVG, vervielfacht mit dem jeweiligen Anpassungsfaktor (§ 108 f ASVG), das sind derzeit S 3.234, gewährt."
Die erforderlichen Anordnungen hat das Erstgericht zu treffen.
Text
Begründung:
Mit Beschluß vom 19.3.1986, ON 45, trug das Erstgericht dem Vater des Minderjährigen, dem türkischen Staatsbürger Avni K***** - der zuletzt in Istanbul, Carsamba, Lokmaci dede Sek. Nr.26 gewohnt hatte und nunmehr seit Jahren unbekannten Aufenthaltes ist - auf, ab 1.4.1985 monatlich einen Unterhaltsbeitrag von S 2.250 zu zahlen. Dabei ging es - weil der Vater, dem die Aufforderung gemäß § 185 Abs 3 AußStrG persönlich zugestellt worden war (S. 75), keine Einwendungen erhoben hatte -, von der Behauptung des Minderjährigen aus, sein Vater könnte in seinem Beruf als Hotelmanager wenigstens S 12.500 verdienen (S. 63).
Mit der Behauptung, sein Vater könne in seinem Beruf als Hotelmanager wenigstens S 14.000 verdienen, begehrte der Minderjährige am 17.5.1988 die Erhöhung der Unterhaltsverpflichtung ab 1.6.1988 auf monatlich S 2.800 S. 103). Diesen Antrag wies das Erstgericht mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß vom 10.2.1989, ON 58, ab. Nach den Angaben der Mutter habe der Vater ihres Wissens in der Türkei als Hotelmanager gearbeitet. In Österreich sei er bei der ÖFA Akkumulatoren GmbH und beim Österreichischen Agrarverlag sowie zuletzt als Bademeister tätig gewesen. Im Jahre 1979 habe er bei der ÖFA Akkumulatoren GmbH ein monatliches Nettoeinkommen - einschließlich des aliquoten Anteils der Sonderzahlungen - von S 10.000 erzielt. Er habe für ein weiteres 1978 geborenes Kind zu sorgen. Daß der Unterhaltspflichtige nunmehr angeblich in der Türkei wieder als Hotelmanager ein monatliches Nettoeinkommen von S 14.000 erzielen könnte, sei zwar von dem besonderen Sachwalter behauptet worden, jedoch nicht erwiesen und auch auf Grund der Verdienstmöglichkeiten in der Türkei eher unwahrscheinlich. Da der Unterhaltspflichtige in Österreich nur als Arbeiter und Bademeister beschäftigt gewesen sei und ein Beweis dafür, daß er ein höheres Einkommen erzielen könnte bzw als Hotelmanager in der Türkei beschäftigt sei, nicht habe erbracht werden können, sei der Erhöhungsantrag nicht berechtigt. Mit Beschluß vom 12.7.1990, ON 63, wurde dem Minderjährigen für die Zeit vom 1.9.1990 bis zum 31.8.1993 ein Vorschuß in der Höhe von S 2.250 monatlich (§§ 3, 4 Z 1, § 18 UVG) gewährt.
Am 14.4.1992 beantragte der Minderjährige durch den besonderen Sachwalter, ihm ab 1.5.1992 einen Unterhaltsvorschuß gemäß § 4 Z 2 UVG in der Höhe des Festbetrages nach § 6 Abs 2 Z 3 UVG zu gewähren, da der Exekutionstitel älter als drei Jahre sei und eine Erhöhung aus Gründen mißlungen sei, die auf der Seite des Unterhaltsschuldners lägen (S. 145).
Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Der Minderjährige habe eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners nicht behauptet und auch keine ausreichenden Schritte zur Ermittlung des Aufenthaltes des zuletzt in der Türkei lebenden Vaters unternommen. Da der Vater in Österreich als Hilfsarbeiter gearbeitet habe, könne davon ausgegangen werden, daß er hier auf Grund der derzeitigen Arbeitsmarktsituation mit keiner übermäßigen Steigerung seines Einkommens rechnen könnte.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. § 4 Z 2 UVG wolle die Fälle erfassen, in denen die Ungewißheit der Lebensverhältnisse und der unbekannte Aufenthalt des Unterhaltsschuldners für das Kind im Unterhaltsverfahren zu einem Beweisnotstand führen. Solche Fragen stellten sich aber hier nicht; vielmehr könne nicht angenommen werden, daß es dem Unterhaltsschuldner möglich wäre, ein monatliches Einkommen von S 14.000 zu erzielen. Ein Beweisdefizit, das die Bevorschussung nach § 4 Z 2 UVG rechtfertigen könnte, liege somit nicht vor.
Gegen diesen Beschluß wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Minderjährigen mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß ein Unterhaltsvorschuß gemäß § 4 Z 2 UVG gewährt werde.
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Nach § 4 Z 2 UVG sind Vorschüsse ua auch dann zu gewähren, wenn der Exekutionstitel im Sinn des § 3 Z 1 UVG, gerechnet vom Zeitpunkt der Erlassung, älter als drei Jahre ist und die Erhöhung des Unterhaltsbeitrages aus Gründen auf der Seite des Unterhaltsschuldners nicht gelingt, außer dieser ist nach seinen Kräften offenbar zu einer höheren Unterhaltsleistung nicht imstande. Liegen diese Voraussetzungen vor, dann ist - von der hier nicht in Betracht kommenden Ausnahme nach § 7 Abs 1 Z 2 UVG abgesehen - einem Kind ab Vollendung des 14.Lebensjahres monatlich ein Vorschuß in der Höhe von drei Vierteln des Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 lit c/bb, erster Fall, ASVG, vervielfacht mit dem jeweiligen Anpassungsfaktor (§ 108 f ASVG), jeweils aufgerundet auf volle Schillingbeträge, zu gewähren (§ 6 Abs 1 und 2 Z 3 UVG). Nach den Ausführungen in der RV (276 BlgNR 15. GP 9) soll es genügen, daß der Unterhaltsanspruch nicht erhöht werden kann. Vorschüsse sollen demnach gewährt werden, "wenn der Unterhaltsschuldner unbekannten Aufenthaltes ist oder Ungewißheit über seine Lebensverhältnisse herrscht". Die Vorschußleistung soll nur dann ausgeschlossen sein, wenn der Unterhaltsschuldner "offenbar zur Leistung des höheren Unterhalts nicht imstande ist". Eine Bevorschussung nach § 4 Z 2 UVG setzt also voraus, daß der Unterhaltsschuldner an sich, dem Grund nach, in der Lage ist, Unterhalt zu leisten. Die Leistungsunfähigkeit müßte sich auf der eingeschränkten Beweisgrundlage des § 11 Abs 2 UVG durch einen positiven Beweis ergeben. Ein Beweisdefizit und Zweifel über die Leistungsfähigkeit machen die Unfähigkeit nicht offenbar und stehen daher der Bevorschussung nicht entgegen (Knoll, UVG, Rz 6 und 7 zu § 4 Z 2 und 3 UVG; SZ 63/95). Daß dem Unterhaltsberechtigten - wie hier - ein Titelvorschuß (§§ 3, 4 Z 1 UVG) gewährt wird, bildet kein Hindernis für einen Vorschuß nach § 4 Z 2, zweiter Fall, UVG (Knoll aaO Rz 2; 1 Ob 503/91).
Die Frist des § 4 Z 2 UVG - welche mit dem Datum der den Exekutionstitel bildenden Entscheidung zu laufen beginnt (SZ 63/89; 1 Ob 503/91) - ist hier abgelaufen.
Entgegen der Meinung des Rekursgerichtes beruht das Scheitern des Unterhaltserhöhungsantrages vom 14.Mai 1988 sehr wohl auf einem Beweisdefizit, hat doch das Erstgericht im Bemessungsverfahren ausgesprochen, daß die als Grundlage für das höhere Unterhaltsbegehren geltend gemachte Verdienstmöglichkeit nicht erwiesen sei. Daß das Gericht die Möglichkeit eines Verdienstes von S 14.000 in der Türkei für "eher unwahrscheinlich" gehalten hat, bedeutet nicht - wie der Revisionsrekurswerber zutreffend ausführt - daß der - dem durch den OLG-Präsidenten vertretenen Bund obliegende (1 Ob 503/91) - positive Beweis dafür erbracht worden wäre, daß der Vater keinesfalls S 14.000 verdiene. Er ist demnach nicht "offenbar" im oben dargelegten Sinn zur Leistung eines höheren Unterhaltes unfähig.
Der Unterhaltsvorschuß nach § 4 Z 2 UVG ist zwingend nach den pauschalen, in § 6 Abs 2 UVG angeführten ASVG-Sätzen ohne Rücksicht auf die potentielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners zu bestimmen (1 Ob 503/91). Der - im Hinblick auf das Alter des Minderjährigen hier maßgebende - feste Betrag nach § 6 Abs 2 Z 3 beträgt derzeit laut Erlaß des Bundesministers für Justiz vom 16. Dezember 1991, JMZ 4 589/270-I 1/91, JABl 1992 Nr. 1, S. 3234, liegt also höher als der vom Minderjährigen seinerzeit geforderte Unterhaltsbeitrag des Vaters. Diese Besserstellung eines Kindes, dessen Unterhaltspflichtiger eine auch nur geringfügige Unterhaltserhöhung vereitelt, gegenüber einem Kind, dessen Unterhaltspflichtiger seiner Pflicht nachkommt, wird offenbar vom Gesetzgeber zur Erreichung des sozialpolitischen Zwecks der Unterhaltssicherung durch Gewährung des Vorschusses in Richtsatzhöhe nicht als schädlich angesehen (1 Ob 503/91). Sie wäre nur dann ausgeschlossen, wenn bewiesen worden wäre, daß der Unterhaltsschuldner zur Leistung des höheren Unterhaltes nicht imstande ist; das trifft aber nach dem oben Gesagten hier nicht zu.
Aus diesen Erwägungen waren die Beschlüsse der Vorinstanzen in Stattgebung des Revisionsrekurses dahin abzuändern, daß der Unterhaltsvorschuß nach § 4 Z 2 UVG gewährt wird.
Die weiteren erforderlichen Anordnungen (§ 13 UVG) waren in sinngemäßer Anwendung des § 527 Abs 1 ZPO dem Erstgericht vorzubehalten.
Anmerkung
E30094European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0040OB00547.92.1110.000Dokumentnummer
JJT_19921110_OGH0002_0040OB00547_9200000_000