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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter im Beisein der Schriftführerin Dr. Trefil, über die Beschwerde der N, vertreten durch Dr. Claudia Klimburg, Rechtsanwältin in 8230 Hartberg, Steingasse 1, gegen Spruchpunkt I. des am 17. Dezember 2001 verkündeten und am 21. Februar 2002 schriftlich ausgefertigten Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 217.208/18-I/01/02, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Spruchpunkt wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Afghanistan, reiste zusammen mit drei ihrer sechs Kinder (vgl. die Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zlen. 2006/19/0033 bis 0035) im Februar 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 16. Februar 2000 begründete sie ihren Antrag im Wesentlichen damit, dass ihr als Frau eines ehemaligen Leibwächters von Nadjibullah Verfolgung drohe. Den Kontakt zu ihrem Mann und den nicht mit ihr nach Österreich gekommenen Kindern habe sie bei der Einnahme Mazar-i-Sharifs durch die Taliban verloren.
Mit Spruchpunkt I. des Bescheides vom 17. Mai 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab. Mit Spruchpunkt II. erklärte es ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es hielt die Angaben der Beschwerdeführerin für "frei erfunden".
Über die Berufung der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid verhandelte die belangte Behörde - unter Beiziehung des Sachverständigen Dr. Sarajuddin Rasuly - am 16. November 2000, am 5. Jänner 2001, am 14. Februar 2001 und am 17. Dezember 2001.
Mit Spruchpunkt I. ihres am 17. Dezember 2001 verkündeten Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 AsylG ab. Mit den Spruchpunkten II. und III. erklärte sie die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Afghanistan für nicht zulässig und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
In der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides begründete die belangte Behörde die Abweisung des Asylantrages zunächst damit, es könne nicht festgestellt werden, dass der Mann der Beschwerdeführerin ein Leibwächter von Nadjibullah gewesen sei. In der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes stützte sich die belangte Behörde unter Bezugnahme auf Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv vor allem auf die - von ihr festgestellte - "notorische Tatsache, dass die Taliban zum Zeitpunkt der mündlichen Bescheidverkündung am 17.12.2001 als politisches System nicht mehr existieren". Sie seien "ab dem Zeitpunkt 10.12.2001 vollständig abgezogen". Seitens der Taliban drohe der Beschwerdeführerin keine Gefahr mehr.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat auf den Seiten 3 bis 23 der Bescheidausfertigung den Verlauf der wiederholten Einvernahmen der Beschwerdeführerin wörtlich wiedergegeben. Die Beweiswürdigung in Bezug auf die zentrale Behauptung der Beschwerdeführerin, Ehefrau eines ehemaligen Leibwächters von Nadjibullah zu sein, beschränkt sich aber auf folgende Sätze (Seite 27 der Bescheidausfertigung):
"Die Behauptung der Berufungswerberin, ihr Ehegatte sei ein Leibwächter von Najibullah gewesen, konnte trotz ständigem Nachfragen kein klares Bild zur wahren Identität des Ehegatten ergeben. Die letztendlich vom Sachverständigen durchgeführten Ermittlungen (telefonische Befragung ehemaliger Bediensteter der Abteilung 10 des Staatssicherheitsdienstes, in welcher der Ehegatte der Berufungswerberin gearbeitet haben soll) in seinem ehemaligen - behaupteten Umfeld - haben ebenso nicht darlegen können, dass die von der Berufungswerberin behauptete Tätigkeit ihres Ehegatten von diesem tatsächlich in Afghanistan ausgeübt worden sein soll."
Diese sehr kursorische Bezugnahme auf das - vom Sachverständigen nach Ansicht der belangten Behörde offenbar nicht widerlegte, sondern nur nicht bestätigte - Vorbringen der Beschwerdeführerin reicht auch in Verbindung mit dessen ungekürzter Wiedergabe auf den Seiten 3 bis 23 der Bescheidausfertigung nicht aus, um nachvollziehbar zu begründen, auf Grund welcher Unschlüssigkeiten in ihren Angaben ihrem Vorbringen im zentralen Punkt nicht zu folgen sei. Dabei kommt es auf den in der Beschwerde u.a. gerügten Umstand, dass die Beschwerdeführerin bei ihrer Aussage am 17. Dezember 2001 eindeutig erkennen ließ, wieder Kontakt zu ihrem Ehemann zu haben, worauf die belangte Behörde nicht reagierte (und auch in der Beweiswürdigung nicht einging), nicht entscheidend an. Es braucht daher nicht geprüft zu werden, ob der Ehemann der Beschwerdeführerin - der nach unwidersprochenen Behauptungen in der Beschwerde im Dezember 2001 zusammen mit den restlichen drei Kindern in Österreich eingetroffen war, was "der Behörde bekannt" gewesen sei - zum Beweisthema seiner früheren Tätigkeit von Amts wegen zu vernehmen gewesen oder es Sache der Beschwerdeführerin gewesen wäre, dies zu beantragen.
Kann der angefochtene Spruchpunkt somit insofern, als er auf einer unzureichend begründeten Beweiswürdigung beruht, aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht Bestand haben, so hat die belangte Behörde in ihrer auf den Sturz der Taliban bezogenen Eventualbegründung nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Annahme einer grundlegenden politischen Veränderung im Herkunftsstaat, aus der sich der Verlust einer zunächst aus den von der Beschwerdeführerin behaupteten Gründen gegebenen Flüchtlingseigenschaft ergeben sollte, eine gewisse Konsolidierung der Verhältnisse voraussetzt, für deren Beurteilung es in der Regel eines längeren Beobachtungszeitraumes bedarf (vgl. zuletzt etwa das Erkenntnis vom 1. April 2004, Zl. 2001/20/0286, und die Nachweise in dem darin zitierten Vorerkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 99/20/0171). Die belangte Behörde hat sich stattdessen an dem hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2000, Zl. 99/01/0359, orientiert und nicht erkannt, dass die dort behandelte, auf einem Abkommen beruhende Einrichtung einer UN-Verwaltung im Kosovo mit den Umständen des Sturzes der Taliban in Afghanistan nicht vergleichbar ist (vgl. in diesem Sinn auch die Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zl. 2006/19/0030 und Zl. 2006/19/0045).
Der angefochtene Spruchpunkt war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren (zusätzlicher Barauslagenersatz) findet in diesen Vorschriften keine Deckung.
Wien, am 16. Februar 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2006190032.X00Im RIS seit
17.03.2006