TE Vwgh Erkenntnis 2006/2/16 2006/19/0031

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Veröffentlicht am 16.02.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Trefil, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Dr. Karlheinz Klema, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rosenbursenstraße 8/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. März 2002, Zl. 218.932/0-IV/29/00, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste im August 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl.

Mit Spruchpunkt I. des Bescheides vom 4. September 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab. Mit Spruchpunkt II. erklärte es die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für nicht zulässig.

Das Bundesasylamt ging davon aus, der Beschwerdeführer sei - wie von ihm behauptet - Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und Schiite und habe die Übergabe seines Dorfes an die Taliban miterlebt. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens des Beschwerdeführers, die Taliban hätten gewusst, dass er ein Kämpfer der Hezb-e Wahdat gewesen sei, und hätten ihn zunächst unbehelligt gelassen, in weiterer Folge aber im Zuge einer Waffensuche verdächtigt und verfolgt, schenkte ihm das Bundesasylamt keinen Glauben.

Über die Berufung des Beschwerdeführers gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides verhandelte die belangte Behörde - unter Beiziehung des Sachverständigen Dr. Sarajuddin Rasuly - am 25. Februar 2002.

Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer - nachdem sich der Sachverständige seiner Kritik an der erstinstanzlichen Beweiswürdigung im Wesentlichen angeschlossen hatte - die durch den Sturz der Taliban geänderte Lage in Afghanistan vorgehalten. Der Beschwerdeführer brachte dazu vor, die Taliban kämpften im Untergrund weiter. Zwar bestehe - wie vom Sachverständigen dargelegt - das Talibanregime nicht mehr, es gebe aber "zwischen den einzelnen ethnischen Gruppierungen nach wie vor Sympathien für die Taliban".

Dies bestätigte der Sachverständige insofern, als es innerhalb der afghanischen Gesellschaft weiterhin Personen gebe, die mit den Ideen der Taliban sympathisierten.

Der Beschwerdeführer brachte weiter vor, auch Leute von anderen Parteien und anderen ethnischen Gruppen hätten für die Taliban gearbeitet. Der Beschwerdeführer habe Probleme mit Leuten, die zuerst bei den Taliban gewesen seien und dann zur Hezb-e Wahdat zurückgekommen seien. Nachdem die Taliban die Heimatregion des Beschwerdeführers übernommen gehabt hätten, hätten einige Hazaras mit ihnen zusammengearbeitet. Als das Talibanregime nicht mehr existiert habe, seien diese Leute wieder zur Hezb-e Wahdat zurückgekehrt. Der Beschwerdeführer habe nicht mit einzelnen dieser Leute, sondern mit dieser Gruppe insgesamt ein Problem. Er fühle sich von diesen Leuten bedroht und fürchte, dass sie ihn im Untergrund töten könnten.

Zu diesem Vorbringen wurde der Sachverständige - der zuvor u. a. ausgeführt hatte, diejenigen Hazaras, Usbeken und Tadschiken, die mit den Taliban gekämpft hätten, seien zum Teil in ihren Heimatregionen geblieben und grundsätzlich sei "die Sicherheitslage in Afghanistan derzeit für die Rückkehr der afghanischen Flüchtlinge ... nicht gegeben" - nicht mehr befragt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde ist in ihrer insgesamt sehr kurz begründeten Entscheidung wie folgt auf die geltend gemachte Bedrohung des Beschwerdeführers eingegangen:

"Der Berufungswerber ist Staatsangehöriger von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazaras an. Der Berufungswerber hat jahrelang als einfacher Soldat, als Kämpfer der Hezb-e Wahdat gegen die Taliban gekämpft. Nachdem seine Gruppe die Waffen an die Taliban übergeben hatte, haben die Taliban nach ihm gesucht, da dieser angeblich noch im Besitz von Waffen sein sollte. Da er befürchtete bei einer Verhaftung durch die Taliban gefoltert zu werden hat er sein Heimatland verlassen. Das Taliban Regime existiert nicht mehr und eine Verfolgung für einen Afghanen, der aus einer nicht paschtunischen Ethnie stammt, durch das Taliban Regime ist nicht mehr gegeben.

...

Aus dem festgestellten Sachverhalt folgt, dass auf Grund der geänderten Lage in Afghanistan eine Gefährdung des Berufungswerbers seitens eines Taliban-Regimes nicht mehr besteht; der Berufungswerber gab selbst an, dass es das Taliban Regime nicht mehr gebe und stimmte auch in der mündlichen Berufungsverhandlung den Ausführungen des Sachverständigen zur geänderten Lage in Afghanistan zu, gab jedoch zu bedenken, dass nach wie vor die Taliban in Afghanistan anwesend seien sowie er nicht glaube, dass in ganz Afghanistan Friede und Sicherheit herrsche. Der Sachverständige führte in der mündlichen Berufungsverhandlung dazu aus, dass wie bei jedem gewaltsamen Regierungswechsel nicht alle Anhänger dieses Regimes aus der Gesellschaft vertrieben worden seien sondern auch Kompromisse geschlossen worden seien.

Sohin war spruchgemäß zu entscheiden."

Mit diesen Ausführungen hat sich die belangte Behörde - wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt - über das vom Beschwerdeführer zuletzt erstattete, für die Beurteilung des Falles nicht irrelevante Vorbringen stillschweigend hinweggesetzt, keine Feststellungen dazu getroffen und es keiner rechtlichen Würdigung unterzogen.

Der angefochtene Bescheid war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren (zusätzlicher Ersatz von Barauslagen) findet in diesen Vorschriften keine Deckung.

Wien, am 16. Februar 2006

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006190031.X00

Im RIS seit

15.03.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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