TE OGH 1992/11/11 1Ob638/92

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Veröffentlicht am 11.11.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Dietmar H*****, infolge außerordentlichen Rekurses der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land, Jugendwohlfahrt-Außenstelle Lambach, als Unterhaltssachwalter namens des Minderjährigen gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Rekursgericht vom 8. September 1992, GZ R 679/92-35, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Lambach vom 3. August 1992, GZ P 7/80-32, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Vater des Minderjährigen, Ernst H*****, vom 1.9.1992 an zur Zahlung monatlicher Unterhaltsbeiträge von S 1.300,-- verpflichtet wird.

Das Mehrbegehren, den Vater zur Zahlung weiterer Unterhaltsbeträge von monatlich S 100,-- von diesem Tag an zu verhalten, wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Der Minderjährige wohnt bei seiner Mutter. Sein Vater ist seit 1.6.1989 zu monatlichen Unterhaltsleistungen von S 2.000,-- verpflichtet; sein Einkommen als Kraftfahrer beträgt derzeit monatlich netto S 15.000,-- (zuzüglich der aliquoten Sonderzahlungen). Seit 29.7.1991 ist der Minderjährige als Maschinenschlosserlehrling beschäftigt und bezieht seit August 1992 unter Einschluß der anteiligen Sonderzahlungen eine Lehrlingsentschädigung von monatlich rund S 5.700,--, muß aber selbst für die Ausbildungskosten aufkommen, die - auf den Monat umgelegt - S 680,-- betragen.

Der Vater beantragte angesichts des Eigeneinkommens seines Sohnes vom 1.9.1992 an die Befreiung von seiner Unterhaltspflicht; der Unterhaltssachwalter des Minderjährigen trat diesem Antrag entgegen, erklärte jedoch sein Einverständnis, die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters auf S 1.600,-- herabzusetzen.

Das Erstgericht minderte die Unterhaltsverpflichtung des Vaters vom 1.9.1992 an auf monatlich S 500,--, wies dessen Mehrbegehren ab und führte aus, der Minderjährige könne mit seinem Einkommen bloß seine geldwerten Bedürfnisse bestreiten, benötige aber weiterhin die Betreuung durch seine Mutter; er sei somit noch nicht selbsterhaltungsfähig. Der Wert des Betreuungsaufwandes sei mit einem Drittel des nach dem sozialversicherungsrechtlichen Richtwert mit monatlich S 7.500,-- zu bemessenden Gesamtaufwands anzusetzen. Davon sei zunächst die Familienbeihilfe abzuziehen; der nicht gedeckte Differenzbetrag sei den Eltern im Rahmen deren Leistungsfähigkeit aufzuerlegen. Daraus lasse sich der Unterhaltsbeitrag errechnen, den der Vater noch zu leisten habe.

Das Gericht zweiter Instanz setzte die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters lediglich auf S 800,-- herab, wies dessen Mehrbegehren ab und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die gänzliche Befreiung des Unterhaltspflichtigen komme erst in Betracht, wenn der Unterhaltsberechtigte selbsterhaltungsfähig geworden sei. Solange dieser noch der elterlichen Wohnungsgewährung bzw. Betreuung bedürfe, habe er seine Selbsterhaltungsfähigkeit noch nicht erlangt. Reichten die Eigeneinkünfte des Minderjährigen zur vollen Deckung seiner Bedürfnisse unter Einschluß der Betreuung nicht aus, sei die Unterhaltsverpflichtung lediglich zu mindern, die Minderung müsse jedoch beiden Elternteilen zugutekommen. Bei der Beurteilung der Frage, wann der Minderjährige seine Selbsterhaltungsfähigkeit erlange, orientiere sich die Rechtsprechung an der Höhe der Ausgleichszulage im Sinne des § 293 Abs.1 ASVG. Der Betreuungsaufwand für einen Lehrling sei mit einem erheblich geringeren Geldwert zu veranschlagen als der zur Deckung der anderen Bedürfnisse erforderliche Geldbetrag. Die Eigeneinkünfte des Unterhaltsberechtigten seien daher in größerem Maß zur Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen heranzuziehen. Angemessen sei demgemäß die Reduktion der monatlichen Unterhaltsverpflichtung des Vaters auf S 800,--.

Der dagegen vom Unterhaltssachwalter namens des Minderjährigen erhobene (außerordentliche) Revisionsrekurs, mit dem die Anhebung der monatlichen Unterhaltsverpflichtung des Vaters auf S 1.400,-- angestrebt wird, ist größtenteils berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat als verstärkter Senat mit Beschluß vom 26.8.1992, 1 Ob 560/92, ausgeführt, wohl ordne § 140 Abs.2 erster Satz ABGB an, daß der Elternteil, der den Haushalt, in dem er das Kind betreut, führt, dadurch seinen Beitrag leiste, doch beziehe sich diese Bestimmung nur auf das Verhältnis zwischen den beiden Elternteilen, ohne damit auch deren Beiträge für die Erfüllung der gemeinsamen Unterhaltsverpflichtung den Unterhaltsberechtigten gegenüber zu gewichten. In den Materialien zum Bundesgesetz über die Neuordnung des Kindschaftsrechts, BGBl. 1977/403 (JAB, 587 BlgNR 14.GP, 4 f), würden als Betreuungsleistungen zwar nur die Zubereitung der Nahrung, die Instandhaltung der Kleidung und Wäsche sowie die Pflege im Krankheitsfall aufgezählt, der in Wahrheit jedoch viel weitere Begriff der Betreuung umfasse indessen nicht nur die für die körperliche Pflege des Minderjährigen notwendigen Leistungen, sondern auch die Überlassung der Wohnung zur Mitbenützung und vor allem auch die geistig-seelischen Erziehungsmaßnahmen, die sich in Geld nicht ausdrücken ließen. Für die Gewichtung der beiderseitigen Unterhaltsleistungen als Grundlage der Anrechnung des Eigeneinkommens des Unterhaltsberechtigten sei bei einfachen Lebensverhältnissen wie im vorliegenden Fall das Verhältnis zwischen Mindestpensionshöhe (§ 293 Abs 1 lit a sublit bb und b ASVG) und Durchschnittsbedarf von besonderer Bedeutung. Werde der Minderjährige im allgemeinen als selbsterhaltungsfähig angesehen, verfüge er über eigene Einkünfte in Höhe des genannten Richtsatzes, und sei der Durchschnittsbedarf ganz allgemein jener Bedarf, den jeder Minderjährige einer bestimmten Altersstufe in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern an Nahrung, Kleidung und Wohnung sowie zur Bestreitung seiner weiteren Bedürfnisse hat, müsse die Differenz zwischen diesen beiden - als Orientierungshilfen für die im Tatsachenbereich zu ermittelnden, in Geld abzudeckenden Bedürfnisse des Minderjährigen und dessen Selbsterhaltungsfähigkeit herangezogenen - Richtwerten zwangsläufig auf jenen Aufwand entfallen, der dem Minderjährigen erwachse, wenn er sich selbst erhalten und deshalb auch für die sonst vom betreuenden Elternteil erbrachten Naturalleistungen aufkommen muß. Es erscheine deshalb angemessen, bei einfachen Lebensverhältnissen das Eigeneinkommen des Minderjährigen auf die Leistungen des geldunterhaltspflichtigen und des betreuenden Elternteils im Verhältnis zwischen Durchschnittsbedarf der Altersgruppe, der der Minderjährige angehört, und dessen Differenz zur Mindestpensionshöhe anzurechnen; für die Annahme davon abweichender Anrechnungsgrundsätze fänden sich weder im Gesetz Anhaltspunkte noch sonst brauchbare Erfahrungswerte.

Da der Durchschnittsbedarf in der Altersgruppe des Minderjährigen (15 bis 19 Jahre) annähernd die Hälfte des Richtsatzes gemäß § 293 Abs 1 lit a sublit bb und lit. b ASVG (derzeit monatlich unter Einschluß der Sonderzahlungen rund S 7.600,--) beträgt, ist die Anrechnung seiner Lehrlingsentschädigung auf die Unterhaltsleistungen der Eltern zu gleichen Teilen gerechtfertigt. Da der Minderjährige eine anrechenbare Lehrlingsentschädigung von geringfügig mehr als S 5.000,-- bezieht, reduziert sich sein Unterhaltsanspruch demgemäß auf S 2.600,-- und damit, soweit er auf Geldzahlung durch seinen Vater gerichtet ist, bei gleichteiliger Anrechnung seiner Einkünfte auf S 1.300,--; mit einer solchen Unterhaltszahlung vermag der Vater den nach Anrechnung des Eigeneinkommens des Minderjährigen noch verbleibenden, in Geld abzudeckenden Unterhaltsbedarf seines Sohnes zur Gänze zu bestreiten. Über den Durchschnittsbedarf hinausgehende, in Geld abzudeckende Bedürfnisse könnten dem Minderjährigen mit Rücksicht auf die Lebensverhältnisse seines Vaters (also bei dessen unter Einschluß der aliquoten Sonderzahlungen monatlich mit S 17.500,-- zu errechnenden Nettoeinkünften und einer weiteren Sorgepflicht für ein 7jähriges Kind) nicht zugebilligt werden (vgl. hiezu 4 Ob 512/92; Pichler in Rummel, ABGB2 § 140 Rz 5 a; Schlemmer in Schwimann, ABGB § 140 Rz 13 und 14).

In teilweiser Stattgebung des Revisionsrekurses des Minderjährigen ist deshalb die Unterhaltsverpflichtung des Vaters lediglich auf monatlich S 1.300,-- herabzusetzen.

Textnummer

E34310

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0010OB00638.92.1111.000

Im RIS seit

15.06.1997

Zuletzt aktualisiert am

02.05.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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