TE Vwgh Erkenntnis 2006/2/16 2006/19/0380

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Veröffentlicht am 16.02.2006
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §68 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Trefil, über die Beschwerde des C, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/10, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. Juli 2005, Zl. 225.652/6-XIV/39/05, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger aus dem Punjab, reiste seinen Angaben zufolge am 17. Juni 2001 in das Bundesgebiet ein und stellte am 19. Juni 2001 einen (ersten) Asylantrag, den er im Wesentlichen damit begründete, von der indischen Polizei wegen seiner Kontakte zu einem Cousin, der sich "den Terroristen" im Punjab angeschlossen habe, verfolgt zu werden.

Diesen Antrag wies die belangte Behörde im Instanzenzug mit Bescheid vom 23. September 2004 - vorrangig wegen mangelnder Glaubwürdigkeit der behaupteten Fluchtgründe, hilfsweise auch wegen Bestehens einer inländischen Schutzalternative - gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG für zulässig. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 20. Jänner 2005, Zl. 2004/20/0455-4, ab.

Mit Schriftsatz vom 22. März 2005, beim Bundesasylamt eingebracht am 11. April 2005, beantragte der Beschwerdeführer neuerlich Asyl. Bei Einvernahmen am 13. und 18. April 2005 brachte er dazu im Wesentlichen vor, er habe von seiner in Indien aufhältigen Frau und einem von ihr kontaktierten Anwalt per Telefax Schreiben erhalten, in denen ihm von einer Rückkehr abgeraten worden sei, "weil die Probleme noch immer" bestünden. Die Polizei könne ihn verhaften und verschwinden lassen. Über Nachfrage bestätigte er, noch immer wegen jener Gründe gesucht zu werden, die er schon im ersten Asylverfahren angegeben habe. Gleichzeitig legte der Beschwerdeführer der Behörde Kopien der (in englischer Sprache verfassten) angesprochenen Schreiben vor.

Dabei handelte es sich zum einen um ein mit 21. März 2005 datiertes Schreiben eines namentlich genannten Anwaltes, in dem dieser - zusammengefasst - bestätigte, die Ehefrau des Beschwerdeführers habe ihm mitgeteilt, dass die Polizei nach dem Beschwerdeführer suche, weshalb er ihr empfohlen habe, der Beschwerdeführer solle nicht nach Indien zurückkehren, zum anderen um eine undatierte (nach den Ausführungen im angefochtenen Bescheid jedoch ebenfalls vom 21. März 2005 stammende) beeidete Erklärung der Ehefrau des Beschwerdeführers, wonach sie vor einigen Tagen ("few days ago") von Personen in Uniform, angesprochen worden sei, die sich als Polizisten des "Intelligence Department of Jammu Police" vorgestellt und ihr erzählt hätten, dass sie nach dem Beschwerdeführer (und seinem Bruder) suchten. Sie hätten erklärt, diese Personen um jeden Preis festnehmen und noch am Tag ihrer Festnahme töten zu wollen ("They further told that they shall caught them at every cost and they cannot be at large anymore and the day when we caught them they shall be done to death ...").

Mit Bescheid vom 29. April 2005 wies das Bundesasylamt diesen (zweiten) Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 68 Abs. 1 AVG "in Verbindung mit § 32 Absatz 8 Asylgesetz 1997" wegen entschiedener Sache zurück.

Die gegen diesen Entscheidung erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG ab.

Nach (gekürzter) Wiedergabe des Verfahrensverlaufes und allgemeinen Rechtsausführungen zu § 68 Abs. 1 AVG begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung im Wesentlichen wie folgt:

"Bereits im ersten Asylverfahren wurde das Vorbringen des Asylwerbers als unglaubwürdig gewertet. Da das Vorbringen des Berufungswerbers im Rahmen seines zweiten Asylantrages in ursächlichen Zusammenhang mit seinem Vorbringen im ersten Asylverfahren steht und dieses als absolut unglaubwürdig qualifiziert, sohin in einer der Rechtskraft fähigen Form abweislich beschieden wurde, liegt kein geänderter Sachverhalt vor, und war das diesbezügliche Sachverhaltsvorbringen auf Grund entschiedener Sache einer neuerlichen Überprüfung nicht zugänglich.

Bezüglich der vom Berufungswerber zum zweiten Asylantrag beigelegten Schreiben seiner Gattin ist auszuführen, dass der Unabhängige Bundesasylsenat bereits im Bescheid vom 23.09.2004 davon ausgegangen ist, dass den vom Berufungswerber getätigten Angaben im damaligen Verfahren bezüglich der Bedrohung seines Lebens kein Glauben geschenkt werde und auch der Verwaltungsgerichtshof dies bestätigt hat, indem er die Behandlung der Beschwerde abgelehnt hat. Da sich das Schreiben ausschließlich auf das ursprüngliche Vorbringen des Berufungswerbers bezieht, über welches bereits rechtskräftig abgesprochen wurde, war auch das diesbezügliche Sachverhaltsvorbringen aufgrund entschiedener Sache einer neuerlichen Überprüfung nicht zugänglich.

Da somit weder in der maßgeblichen Sachlage, und zwar weder im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Berufungswerbers gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen scheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden kann."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde gibt in ihrer Entscheidung das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Begründung des gegenständlichen (zweiten) Asylantrages nur unvollständig wieder. Einerseits bestätigte der Beschwerdeführer zwar, dass seine Probleme immer noch dieselben seien, die er schon in seinem ersten Asylverfahren geschildert hatte. Andererseits legte er jedoch insbesondere eine beeidete Erklärung seiner (in Indien aufhältigen) Ehefrau vor, derzufolge indische Sicherheitskräfte nach dem Beschwerdeführer gesucht und (für den Fall seiner Verhaftung) seine unverzügliche Tötung angedroht haben sollen. Dass diese Verfolgungshandlungen gegen den Beschwerdeführer - wären sie als wahr zu unterstellen - schon vor dem rechtskräftigen Abschluss seines ersten Asylverfahrens stattgefunden hätten (und daher nur in diesem hätten Beachtung finden können), lässt sich dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen, geht die belangte Behörde doch davon aus, dass das Schreiben der Ehefrau vom 21. März 2005 datiert. Die Suche nach dem Beschwerdeführer soll sich jedoch - dem Inhalt des Schreibens nach - nur wenige Tage zuvor ("few days ago") ereignet haben. Auch hat die belangte Behörde diesem Vorbringen weder die grundsätzliche Eignung zur Begründung eines Asylanspruches abgesprochen noch - unter Zugrundelegung der behaupteten neuen Verfolgungshandlungen - ihre Hilfsargumentation im ersten Asylverfahren (inländische Schutzalternative) zur Stützung ihrer Entscheidung herangezogen. Sie argumentiert vielmehr ausschließlich damit, dass die behaupteten Geschehnisse in ursächlichem Zusammenhang mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers im ersten Asylverfahren stünden, das bereits "als absolut unglaubwürdig qualifiziert" worden sei.

Damit verkennt die belangte Behörde, dass das neue Vorbringen des Beschwerdeführers im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes daraufhin zu überprüfen gewesen wäre, ob es einen "glaubhaften Kern" aufwies oder nicht. Dass das neue Vorbringen in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den im Erstverfahren nicht geglaubten Behauptungen stand, ändert an diesem Umstand nichts. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der behaupteten neuen Tatsachen argumentativ von Bedeutung sein, macht eine Beweiswürdigung des neuen Vorbringens aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar - in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden - unzulässig. Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der dem Bescheid der belangten Behörde vom 23. September 2004 zu Grunde liegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedürfte es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 29. September 2005, Zl. 2005/20/0365, mwN; zuletzt etwa auch das hg. Erkenntnis vom 22. November 2005, Zl. 2005/01/0626).

Da die belangte Behörde dies nicht erkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 16. Februar 2006

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006190380.X00

Im RIS seit

22.03.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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