Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Meier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Theodor Kubek und Franz Murmann als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D***** P*****, Tischler, ********** vertreten durch ********** Rechtsanwälte *****, wider die beklagte Partei E***** S*****, Tischler, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wegen 149.740,60 S brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26.Februar 1992, GZ 31 Ra 12/92-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24.Mai 1991, GZ 19 Cga 27/90-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.226,20 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 1.037,50 S) sowie die mit 19.471,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.245,30 S Umsatzsteuer und 12.000 S Barauslagen) binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war ab 4.Juni 1974 beim Beklagten als Tischler beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete am 20.Februar 1990 durch Entlassung.
Der Kläger war vom 8.Februar 1990 bis 21.Februar 1990 im Krankenstand. Er hatte einen grippalen Infekt mit Fieber. Bei einer derartigen Erkrankung ist Bettruhe erforderlich, bis die Temperatur gesunken ist und der Patient sich wohler fühlt. Der Patient kann üblicherweise zwei bis drei Tage vor dem Ende des Krankenstandes das Bett verlassen. Die restlichen Tage des Krankenstandes sind erforderlich, um dem Patienten eine Erholung von dem durch den fieberhaften grippalen Infekt entstandenen Substanzverlust zu ermöglichen. Am Abend des 19.Februar 1990 hielt sich der Kläger mindestens fünfzehn bis zwanzig Minuten im Gasthaus seiner Gattin auf, rauchte und servierte einigen Gästen Bier. Am 20.Februar 1990 hielt sich der Kläger von 10 Uhr bis zu der vom Beklagten um 12,10 Uhr ausgesprochenen Entlassung ebenfalls in diesem Gasthaus auf. Er saß zunächst mit drei anderen Männern an einem Tisch. Um 10,25 Uhr verließ er das Lokal und kam kurze Zeit später mit einem eingerollten Plastikschlauch in der Hand wieder in das Lokal zurück, trug den Schlauch in die Küche und setzte sich wieder an den Tisch zu den drei Gästen. Nach 10,50 Uhr ging der Kläger dreimal in einen Nebenraum. Um 11,20 Uhr servierte er für sich und einen Gast je ein Cola mit Weinbrand. Um diese Zeit wurden von zwei Bierfahrern der Firma Gösser Getränke geliefert. Der Kläger sperrte den Nebenraum auf und holte einige Kisten heraus; die Bierfahrer brachten volle Getränkekisten in den Nebenraum. Der Kläger servierte dann den beiden Fahrern Getränke, setzte sich zu ihnen, las die Lieferscheine durch und unterschrieb sie. Um 11,50 Uhr kassierte der Kläger von einem der beiden Detektive, die der Beklagte beauftragt hatte, den Kläger an diesem Tag zu beobachten, die Zeche. Dem anderen Detektiv brachte der Kläger die Speisekarte und nahm die Bestellung auf. Die bestellten Speisen wurden von der Serviererin gebracht. Auf diese Weise bediente der Kläger noch vier andere Gäste, die gekommen waren, um zu essen. Nachdem die beiden Detektive dem Beklagten von diesen Beobachtungen berichtet hatten, kam er in das Lokal und entließ den Kläger.
Die vom Kläger im Betrieb seiner Gattin verrichteten Tätigkeiten waren nicht geeignet, die Rekonvaleszenzphase am Ende des Krankenstandes zu verlängern; allerdings sollte das Rauchen während eines grippalen Infektes besser unterbleiben.
Der Kläger begehrte 149.740,60 S brutto sA an entlassungsabhängigen Ansprüchen und brachte vor, die Entlassung sei nicht gerechtfertigt gewesen; er habe im Gasthaus lediglich das Mittagessen einnehmen wollten.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, daß der Kläger nicht krank gewesen sei; sollte der Kläger zu Recht im Krankenstand gewesen sein, habe er durch die Arbeit im Gasthaus seiner Gattin Handlungen gesetzt, die geeignet gewesen seien, den Heilungsprozeß zu verzögern.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und vertrat die Rechtsauffassung, daß ein die Entlassung rechtfertigender Sachverhalt nicht erwiesen worden sei; der Kläger sei tatsächlich arbeitsunfähig gewesen und habe keine zur Verzögerung des Heilungsverlaufes geeigneten Handlungen vorgenommen; dies gelte nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch für das Rauchen des Klägers zwei Tage vor dem Ende des Krankenstandes.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und änderte das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die vom Kläger verrichteten Tätigkeiten im verrauchten Milieu eines Gasthauses schon nach der allgemeinen und zweifellos auch beim Kläger vorhandenen Lebenserfahrung bei einer Erkrankung, die sich hauptsächlich im Bereich der Atemwege abspiele, vermieden werden sollten. Die Handlungen des Klägers hätten daher grob gegen die allgemein verstandenen Gebote üblicher Verhaltensweisen im Krankenstand und in einer Rekonvaleszenzphase verstoßen. Wenn sich der Kläger die Ausübung der Tätigkeit eines Gastwirtes in einem zu vermeidenden Milieu zugemutet habe, hätte er auch seine Arbeit beim Beklagten aufnehmen können. Der Kläger habe auch der Krankschreibung bis 21. September 1990 nicht blind vertrauen dürfen, sondern hätte sich einer neuerlichen ärztlichen Untersuchung unterziehen und den Rat eines Arztes über die während der Rekonvaleszenzphase erlaubten Tätigkeiten und Handlungen einholen müssen. Während der Zeit, in der der Kläger ohne Not wesentliche Tätigkeiten eines Gastwirtes verrichtet habe, habe daher ein gerechtfertigter Krankenstand nicht mehr vorgelegen, sodaß die Versäumung jeglicher Arbeitsleistung durch den Beklagten an diesen Tagen als unbefugtes Verlassen der Arbeit ohne rechtmäßigen Hinderungsgrund im Sinne des § 82 lit f GewO anzusehen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Berufungsgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung vorgenommene Beurteilung des Verhaltens des Klägers ist - wie der Revisionswerber zu Recht rügt - mit den eingangs wiedergegebenen, vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes nicht vereinbar. Nach diesen auch für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen war der Kläger bis 21.Februar 1990 wegen eines grippalen Infektes mit Fieber im Krankenstand und durfte nach Abklingen des Fiebers während der zwei- bis dreitägigen Rekonvaleszenzphase am Ende des Krankenstandes das Bett verlassen.
Der Aufenthalt und die geringfügigen, mit einer nur leichten
körperlichen Belastung verbundenen, kurzzeitigen Tätigkeiten im
Gasthaus seiner Gattin waren nicht geeignet, die Rekonvaleszenz des
Klägers zu verzögern. Der Ansicht des Berufungsgerichtes, das
Verhalten des Klägers habe grob gegen die Gebote üblicher
Verhaltensweisen in der Rekonvaleszenz verstoßen, vermag der Oberste
Gerichtshof daher nicht zu folgen. Daran vermag entgegen der für
seine Beurteilung entscheidenden Auffassung des Berufungsgerichtes
auch das "verrauchte Milieu eines Gasthauses" nichts zu ändern, zumal
derartige Einwirkungen auch in der häuslichen Sphäre nicht
ausgeschlossen werden können und eine - noch dazu beharrliche -
Pflichtenvernachlässigung iS des § 82 lit f GewO zweiter Tatbestand,
nicht zu begründen vermögen. Einer für die Annahme der Beharrlichkeit
grundsätzlich erforderlichen, hier nicht erfolgten Ermahnung hätte es
nur dann nicht bedurft, wenn die Pflichtenvernachlässigung so
offensichtlich für den Arbeitnehmer als solche erkennbar und so
schwerwiegend gewesen wäre, daß eine Ermahnung als bloße Formalität
sinnlos erscheinen müßte (ZAS 1989/5; Kuderna, Das Entlassungsrecht
72 f). Diese Voraussetzungen liegen hier aber schon im Hinblick auf
die Rekonvaleszenz des Klägers nicht vor. Auch die Auffassung des
Berufungsgerichtes, der Kläger hätte statt des Aufenthaltes im
Gasthaus und der dort verrichteten kurzzeitigen, geringfügigen
Tätigkeiten in der Tischlerei des Beklagten arbeiten können, ist
nicht nachvollziehbar. Der Kläger war nämlich nach den Feststellungen
arbeitsunfähig, das heißt, er war während der gesamten Dauer des
Krankenstandes unfähig, die vertraglich geschuldeten Arbeiten als
Tischler zu verrichten. Eine Verpflichtung, sich einer neuerlichen
ärztlichen Untersuchung zu unterziehen und den Rat des Arztes über
die während der Rekonvaleszenz erlaubten Tätigkeiten und Handlungen
einzuholen, besteht grundsätzlich nicht. Besondere Umstände, die eine
solche Vorgangsweise ausnahmsweise dennoch erfordern könnten, lagen
hier jedenfalls nicht vor. Da das Verhalten des Klägers während des
Krankenstandes nicht geeignet war, den Heilungserfolg zu gefährden,
ist seine Entlassung nicht gerechtfertigt (vgl ZAS 1989, 24 = RdW
1987, 268 = WBl 1987, 250; Arb 10.614 = WBl 1987, 195; WBl 1991, 26 =
RdW 1991, 88).
Der Revision war daher Folge zu geben und das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E32093European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:009OBA00202.92.1125.000Dokumentnummer
JJT_19921125_OGH0002_009OBA00202_9200000_000