Index
41 Innere AngelegenheitenLeitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durchAusweisung eines Fremden wegen unrechtmäßigen Aufenthalts seitAbschluss des Asylverfahrens infolge fehlerhafter Interessenabwägung;keine Berücksichtigung der während der von der Behörde zuverantwortenden Verfahrensdauer entstandenen familiären BindungenSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.340,-
bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Kamerun,römisch eins. 1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Kamerun,
reiste am 8. Jänner 1999 illegal und schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein. Sein am selben Tag gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. November 1999 gemäß §7 AsylG 1997 abgewiesen. Gleichzeitig wurde gemäß §8 AsylG 1997 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Kamerun für zulässig erklärt. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates (UBAS) vom 14. Dezember 2006 abgewiesen. Die Behandlung der dagegen beim Verwaltungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss vom 23. Februar 2007 abgelehnt. Seitdem hält sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich auf.
Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Lebensgefährtin, einer österreichischen Staatsbürgerin, und ihren vier gemeinsamen Kindern im gemeinsamen Haushalt. Über seinen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen wurde noch nicht entschieden.
2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 13. April 2007 wurde der Beschwerdeführer gemäß §53 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 23. Mai 2007 keine Folge gegeben.
Darin führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich der Beschwerdeführer seit rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Daran ändere auch das anhängige Verfahren betreffend Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen nichts. Seit dem Jahr 1999 halte sich der Beschwerdeführer nunmehr in Österreich auf und lebe mit seiner Lebensgefährtin und ihren vier minderjährigen Kindern im gemeinsamen Haushalt. Ihm sei daher eine entsprechende Integration im Bundesgebiet zuzubilligen, die allerdings insofern zu relativieren sei, als er während der Dauer des Asylverfahrens nicht davon ausgehen konnte, nach Abschluss des Verfahrens in Österreich bleiben zu dürfen.
Die Ausweisung bewirke zwar einen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers iSd §66 Abs1 FPG, der aber zur Erreichung der in Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele dringend notwendig sei. Die öffentliche Ordnung werde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde unerlaubt nach Österreich begeben, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dasselbe gelte für Fremde, die nach Ablauf einer Aufenthaltsberechtigung oder nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen. In solchen Fällen sei die Ausweisung erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte.
3. Die Beschwerde behauptet die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Begründend wird insbesondere ausgeführt, dass die Behörde im Hinblick auf die lange Aufenthaltsdauer und die private Integration des Beschwerdeführers eine fehlerhafte Interessenabwägung vorgenommen habe, da ihm aufgrund seiner familiären Situation ein "individuelles Bleiberecht" zukomme. Zudem hätte die Behörde die Ausweisung nicht vor der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen verfügen dürfen.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -römisch II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -
Beschwerde erwogen:
1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002). 1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte vergleiche VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).
Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der §§53 Abs1 und 66 Abs1 FPG sind aus Anlass der vorliegenden Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof nicht entstanden.
2. Der belangten Behörde ist allerdings ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen.
2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 29. September 2007, B328/07, dargelegt hat, ist die zuständige Fremdenpolizeibehörde stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In der zitierten Entscheidung wurden vom Verfassungsgerichtshof auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht.
2.2. Im Lichte dieser Kriterien erweist sich aber die von der Behörde vorgenommene Abwägung iSd Art8 EMRK als fehlerhaft:
Wie die Behörde zunächst zutreffend festgestellt hat, hält sich der Beschwerdeführer seit geraumer Zeit rechtswidrig im Bundesgebiet auf, weshalb die Ausweisung - unter Beachtung des §66 Abs1 FPG - auf §53 Abs1 FPG gestützt wurde.
Im Ergebnis ist die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, dass die aus der Aufenthaltsdauer und dem Familienleben ableitbare Integration des Beschwerdeführers insofern zu relativieren sei, als er während der Dauer des Asylverfahrens nicht davon ausgehen konnte, nach Abschluss des Verfahrens in Österreich bleiben zu dürfen. Die öffentliche Ordnung werde zudem schwerwiegend beeinträchtigt, wenn Fremde das Bundesgebiet nach Ablauf einer Aufenthaltsberechtigung oder nach Abschluss eines Asylverfahrens nicht rechtzeitig verlassen.
2.3. Vorauszuschicken ist, dass die Ausweisung eines Fremden gemäß §53 Abs1 FPG seinen unrechtmäßigen Aufenthalt voraussetzt. Ob der mit einer Ausweisung regelmäßig verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Betroffenen im Lichte des Art8 EMRK auch zulässig ist, ist unabhängig von der Frage zu prüfen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung vorliegen.
Die Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens zwar persönliche Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber gestellt, das Überwiegen des öffentlichen Interesses aber bloß formelhaft begründet. Damit hat sie im Ergebnis die Interessen in verfassungswidriger Weise abgewogen.
2.4. Es ist davon auszugehen, dass allein der unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers seit Abschluss des Asylverfahrens das Erfordernis einer Gesamtbetrachtung des spezifischen Falles nicht obsolet macht. Die belangte Behörde misst dem Umstand, dass der unbescholtene Beschwerdeführer während der - nicht von ihm zu verantwortenden - Dauer des Asylverfahrens eine Familie gegründet hat, bei der Begründung des Ausweisungsbescheides fälschlicherweise keine entscheidungswesentliche Bedeutung bei. Sie hat außer Acht gelassen, dass die aufgrund der Ausweisung drohende Trennung von seiner Lebensgefährtin und den vier gemeinsamen Kindern, die alle österreichische Staatsbürger sind, einen intensiven Eingriff in die gemäß Art8 EMRK garantierten Rechte des Beschwerdeführers bewirkt.
Angesichts der dargestellten Sachlage verliert der Umstand, dass die familiären Bindungen zu einem Zeitpunkt entstanden sind, in dem sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, insofern an Gewicht, als die Verfahrensdauer primär von den Behörden zu verantworten ist.
3. Dadurch, dass die Behörde die Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet nicht berücksichtigt hat, wurde dieser in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag sind Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,- enthalten.römisch III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag sind Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Fremdenrecht, Fremdenpolizei, Ausweisung, Privat- und FamilienlebenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2008:B1032.2007Zuletzt aktualisiert am
18.08.2010