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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des W in H, vertreten durch Winkler - Heinzle Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 20. Jänner 2003, Zl. Ib-277- 167/2002, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 13. September 2001 wurde der Beschwerdeführer wegen § 206 Abs. 1, § 207 Abs. 1 und § 212 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt. Dem Schuldspruch lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am 22. Juli 2001 mit einem Unmündigen
A) eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen habe, in dem er sein erigiertes Glied am After des Kindes rieb und dabei in den After eindrang;
B) außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, in dem er Onaniehandlungen am Glied des Kindes ausführte;
C) durch die unter A) und B) geschilderten Handlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dem seiner Aufsicht unterstehenden Minderjährigen diesen zur Unzucht missbraucht habe.
Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 10. Jänner 2002 wurde die Freiheitsstrafe auf 15 Monate herabgesetzt.
Mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 13. August 2002 wurde der Beschwerdeführer nach Vollstreckung von mehr als der Hälfte der Strafe am 13. August 2002 bedingt entlassen. Der Strafrest von sieben Monaten wurde unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachgesehen und dem Beschwerdeführer die Weisung erteilt, sich einer näher beschriebenen stationären Entwöhnungsbehandlung und daran anschließend einer ambulanten einzelpsychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen. In der Begründung dieses Beschlusses wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer erstmals wegen eines Sexualdeliktes abgeurteilt worden sei und dass er dieses unter Alkoholeinfluss begangen habe. Da er sich schon während des Strafvollzuges einer Entwöhnungsbehandlung unterzogen habe und der weiteren nun aufgetragenen Behandlung zugestimmt habe, sei im Hinblick auf das Bemühen des Beschwerdeführers, mit ärztlicher Hilfe seine Alkohol- und Sexualprobleme zu bekämpfen, von einer positiven Prognose in spezialpräventiver Hinsicht auszugehen.
Im Verwaltungsverfahren legte der Beschwerdeführer Bestätigungen, dass er sich den im zuletzt genannten Beschluss aufgetragenen Behandlungen teilweise bereits unterzogen habe, vor.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 20. November 2002 wurde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Dauer von 12 Monaten ("ab der Abgabe des Führerscheines berechnet") gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 iVm § 7 Abs. 2 und 4 (richtig: Abs. 3) Z. 9 FSG entzogen. Gleichzeitig wurde einer allenfalls dagegen erhobenen Berufung gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid mit der Maßgabe ab, dass die genannte Entziehungsdauer mit der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides (22. November 2002) beginne. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer durch die genannten strafbaren Handlungen eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 Z. 9 FSG verwirklicht habe. Bei der Wertung der angeführten Tatsache sei gemäß § 7 Abs. 4 FSG deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurde, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit zu berücksichtigen. Die Verwerflichkeit der vom Beschwerdeführer begangenen Taten ergebe sich bereits aus dem Ausmaß der verhängten Freiheitsstrafe. Die Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses, um sich an einem minderjährigen Kind zu vergehen, müsse wohl als besonders verwerflich eingestuft werden.
Was die seit der Tat verstrichene Zeit betreffe, so sei zwischen dem Tatzeitpunkt und der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides ein Zeitraum von 16 Monaten verstrichen, den der Beschwerdeführer aber zur Hälfte in Haft verbracht habe. Daher habe der Beschwerdeführer bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides die Verkehrszuverlässigkeit noch nicht erlangt, denn, so die belangte Behörde weiter, "während der Untersuchungs- und Strafhaft hatte er keine Gelegenheit, sich zu bewähren". Im Übrigen orientiere sich die Verkehrszuverlässigkeit entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht an der Einschätzung des Gerichtes über das Vorliegen der Voraussetzungen der bedingten Entlassung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Folgende Vorschriften des Führerscheingesetzes sind gegenständlich maßgebend:
"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung
§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:
...
2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),
...
Verkehrszuverlässigkeit
§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen
1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder
2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.
(2) ...
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:
...
9. eine strafbare Handlung gegen die Sittlichkeit gemäß den §§ 201 bis 207 oder 217 StGB begangen hat;
...
(4) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.
...
5. Abschnitt
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung
Allgemeines
§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1.
die Lenkberechtigung zu entziehen oder
2.
...
Dauer der Entziehung
§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. ...
(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen.
Inkrafttreten und Aufhebung
§ 43.
...
(11) § 35 Abs. 1 und § 36 Abs. 1 in der Fassung des Verwaltungsreformgesetzes 2001, BGBl. I Nr. 65/2002, treten mit 1. Juli 2002, jedoch nicht vor dem vierten der Kundmachung des Verwaltungsreformgesetzes 2001 folgenden Monatsersten in Kraft. Die zu diesem Zeitpunkt anhängigen Verfahren sind nach der vorher geltenden Rechtslage weiterzuführen."
Zunächst ist, was die Zuständigkeit der belangten Behörde betrifft, festzuhalten, dass das gegenständliche Entziehungsverfahren zum gemäß § 43 Abs. 11 letzter Satz FSG maßgebenden Zeitpunkt, nämlich am 1. August 2002 (vgl. den hg. Beschluss vom 25. Februar 2003, Zl. 2003/11/0012), bereits anhängig war.
Die Beschwerde ist, soweit sie mit Blick auf Art. 6 EMRK und unter dem Gesichtspunkt der behaupteten Doppelbestrafung einwendet, die Entziehung der Lenkberechtigung stelle eine Strafe dar, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 20. April 2004, Zl. 2003/11/0311, und die dort zitierte Judikatur zu verweisen.
Mit seinen weiteren Beschwerdeausführungen wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Ansicht der belangten Behörde, er werde erst nach Ablauf der Entziehungsdauer die Verkehrszuverlässigkeit wiedererlangt haben. Er führt dazu ins Treffen, dass er schon vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides vom Strafgericht bedingt aus der Strafhaft entlassen worden sei. Die dafür maßgeblichen Wertungskriterien seien teilweise auch nach § 7 Abs. 4 FSG bei der Entziehung der Lenkberechtigung anzuwenden, sodass die Erwägungen des Strafgerichtes im Beschluss über die bedingte Entlassung im angefochtenen Bescheid hätten berücksichtigt werden müssen. Der Zeitraum der Entziehung der Lenkberechtigung falle in die offene Probezeit des Beschwerdeführers, in der dieser den vom Strafgericht erteilten Weisungen nachkomme. Ein Rückfall sei daher höchst unwahrscheinlich, sodass die Annahme des Fehlens der Verkehrszuverlässigkeit unzutreffend sei.
Zunächst ist der Ansicht der belangten Behörde über die Verwerflichkeit der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten seitens des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu widersprechen.
Die belangte Behörde hat allerdings im angefochtenen Bescheid selbst darauf hingewiesen, dass bei der Wertung der strafbaren Handlung gemäß § 7 Abs. 4 FSG auch die seither verstrichene Zeit und das Verhalten des Betroffenen während dieser Zeit zu berücksichtigen ist. Im vorliegenden Fall hat sie die seit dem Tatzeitpunkt verstrichene Zeit deswegen nicht ins Kalkül gezogen, weil sie die Auffassung vertrat, dass der Beschwerdeführer während der Untersuchungs- und Strafhaft keine Gelegenheit gehabt habe, sich zu bewähren. Diese Rechtsansicht steht aber im Widerspruch mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, nach der die Haftzeiten für die nach den genannten Wertungskriterien zu erstellende Prognose nicht ohne Bedeutung sind. Vielmehr sind die Haftzeiten nach der Rechtsprechung, insbesondere weil die Strafe (neben anderen Strafzwecken) auch spezialpräventiven Zwecken dient, in die Prognose einzubeziehen (vgl. das bereits vor Erlassung des angefochtenen Bescheides ergangene hg. Erkenntnis vom 23. April 2002, Zl. 2001/11/0195, und daran anschließend etwa die Erkenntnisse vom 29. April 2003, Zl. 2002/11/0161, und vom 20. April 2004, Zl. 2003/11/0189).
Aber auch die Rechtsansicht, bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit seien die Erwägungen des Strafgerichtes im Beschluss über die bedingte Entlassung nicht zu berücksichtigen, wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt (vgl. das Erkenntnis vom 24. Jänner 2006, Zl. 2005/11/0159). Dass der Beschwerdeführer aber noch andere kraftfahrrechtlich relevante strafbare Handlungen begangen hätte, die vom Strafgericht unberücksichtigt blieben und die daher trotz der bedingten Entlassung die Annahme des weiteren Fehlens der Verkehrszuverlässigkeit rechtfertigen könnten, hat die belangte Behörde nicht festgestellt.
Nach dem Gesagten durfte die belangte Behörde nicht davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides und darüber hinaus noch für die Dauer von mindestens drei Monaten (vgl. zur Voraussetzung des § 25 Abs. 3 FSG etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 2004, Zl. 2003/11/0015) verkehrsunzuverlässig gewesen ist.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 21. Februar 2006
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2003110025.X00Im RIS seit
03.04.2006