TE OGH 1992/12/15 10ObS254/92

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Veröffentlicht am 15.12.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Barbara Hopf (Arbeitgeber) und Anton Prager (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J***** K*****, kfm.Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (Landesstelle Graz), Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.Juli 1992, GZ 8 Rs 30/92-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 10. Dezember 1991, GZ 35 Cgs 196/91-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Da die Begründung des Berufungsgerichtes zutreffend ist, genügt es hierauf zu verweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist auszuführen:

Gemäß § 175 Abs 2 Z 1 ASVG sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit der Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte ereignen. Der Ausgangspunkt bzw Endpunkt des Weges zur bzw von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte wird nicht genannt. Die österreichische Rechtsprechung hat dazu den Standpunkt vertreten, daß grundsätzlich nur Wege vom ständigen Aufenthaltsort zur Arbeitsstätte und umgekehrt geschützt seien (siehe die Darstellung bei Tomandl in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechtes 5.ErgLfg 294), wobei zumeist Bezug darauf genommen wurde, daß die anschließende Regelung des § 175 Abs 2 Z 1 2.Halbsatz ASVG für Versicherte, die wegen der Entfernung des ständigen Aufenthaltsortes in der Nähe der Arbeits- oder Ausbildungsstätte eine Unterkunft benützen, darauf hinweise, daß der Gesetzgeber vom ständigen Aufenthaltsort als Ausgangs- bzw Endpunkt ausgehe. Die Lehre (Tomandl aaO) ist dem im Ergebnis gefolgt. Wenn Tomandl es auch ablehnt, daß der zweite Halbsatz des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG ein taugliches Begründungsargument bilden könne, bejaht er doch den Schutz der Unfallversicherung bei einem anderen Ausgangsort als dem des ständigen Aufenthaltes nur dann, wenn die ständige Wohnung nicht benutzt werden kann, deren Benutzung nicht zumutbar ist, oder wenn der Versicherte außerplanmäßig zur Arbeit gerufen wird. Ständiger Aufenthaltsort in diesem Sinne ist der Ort, an dem sich der Versicherte ständig aufhält und den er zum Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gemacht hat (SSV-NF 2/38).

In der deutschen Judikatur und Lehre wird der Schutz des Weges weiter gesehen als in der bisherigen österreichischen Rechtsprechung und Lehre. Das BSG führte in der Entscheidung vom 10.12.1964 (SozR Nr 56 zu § 543 RVO aF) aus, an die Stelle der Wohnung könne ein anderer Anfangs- oder Endpunkt des Weges treten. Allerdings dürfe dieser Weg nicht wesentlich länger sein, als der normale Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte bzw von der Arbeitsstätte zur Wohnung, da der Versicherte durch die Wahl eines anderen Anfangs- oder Endpunktes des Weges das Versicherungsrisiko nicht beliebig vergrößern dürfe.

Dieses Ergebnis wurde auch im Schrifttum (Benz, Berufsgenossenschaft

1977, 32 ff) mit der Einschränkung gebilligt,  daß der Weg auch

länger sein könne, als der übliche Weg von der Wohnung zur

Arbeitsstätte und umgekehrt,  wenn der Versicherte diesen Ort aus

betriebsbedingter Notwendigkeit aufsuche.  Das Bundessozialgericht

hielt weiterhin grundsätzlich an dieser Judikatur fest, wobei

allerdings die - bei den modernen Verkehrsmitteln immer mehr

schrumpfende - Entfernung immer stärker nur als ein Kriterium

angesehen und ihr nicht die allein ausschlaggebende Bedeutung

beigemessen wurde.  Entscheidend wurde vielmehr in zunehmendem Maße

gewertet,  ob ein innerer Zusammenhang des Weges mit der versicherten

Tätigkeit bestehe;  ausschlaggebend sei,  ob der nicht zwischen

Wohnung und dem Ort der versicherten Tätigkeit zurückgelegte Weg von

dem Vorhaben geprägt gewesen sei,  sich - lediglich von einem anderen

Ort als der Wohnung aus - zur Arbeit zu begeben (siehe die

Zusammenfassung bei Krassney, Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht

1989, 369 ff).  Dem hat Ricke in Kasseler Kommentar § 550 RVO Rz 41

allerdings zu Recht entgegengehalten,  daß die Rechtsprechung, soweit

sie darauf abstelle, ob der Weg vom oder zum dritten Ort vom Vorhaben

geprägt sei,  die Arbeitsstätte zu erreichen,  nichts Brauchbares

aussage.  Zum einen könne diese Prägung immer nur Ergebnis der

Beurteilung und nicht ihr Maßstab sein.  Zum anderen könne kaum einem

Weg zur Arbeit,  von wo immer angetreten,  die zumindest rechtlich

gleich prägende Absicht abgesprochen werden,  die Arbeitsstätte zu

erreichen.  Als einziges Kriterium verbleibe danach die

Risikovergrößerung durch die Wegeverlängerung.  Ob im Sinne der

deutschen Lehre und Rechtsprechung (mit der dargestellten

Einschränkung Rickes) die Zurücklegung eines Weges von der

Arbeitsstätte zu einem anderen Ort als der ständigen Wohnung bzw von

diesem Ort zur Arbeitsstätte dem Schutz der Unfallversicherung

unterliegt,  wenn die Längen dieser Wege nicht wesentlich

differieren,  oder ob dies im Sinne der bisherigen österreichischen

Rechtsprechung und Lehre nur dann der Fall ist,  wenn objektive

Gründe vorliegen,  die den Versicherten veranlassen,  seine

Wohnfunktionen an einem anderen Ort als der ständigen Wohnung

auszuüben,  kann jedoch hier unerörtert bleiben.

Fest steht, daß die Wohnung des Klägers und seine Arbeitsstätte im selben Gebäude liegen. Dort hält sich der Kläger regelmäßig auf;

es handelt sich um seine ständige Wohnung.  In die Wohnung seiner

Mutter kommt er lediglich, wenn es deren Betreuung erfordert.  Auch

wenn dies 2 - 3 x wöchentlich der Fall ist und der Kläger auch im

Rahmen seiner Betreuungstätigkeit in der Wohnung seiner Mutter

gelegentlich nächtigt,  ändert dies nichts daran,  daß diese Wohnung

nicht sein ständiger  Aufenthaltsort  ist.  Liegen aber Wohnung und

Arbeitsstätte im selben Gebäude,  so ist ein Weg im Sinne des § 175

Abs 1 Z 1 ASVG begrifflich überhaupt nicht möglich.  Der

Versicherungsschutz beginnt hier erst mit dem Betreten der

Arbeitsräume (Ricke aaO  § 550 RVO Rz 11).  Selbst  wenn man das

Bestehen des Unfallversicherungsschutzes für Wege zwischen einem

anderen Ort als der ständigen Wohnung und der Arbeitsstätte bejahte,

soferne sich die Länge oder allenfalls das Risiko dieser Wege nicht

wesentlich unterscheidet,  wäre hieraus für den Kläger nichts

gewonnen.  Da er von seiner ständigen Wohnung zu seiner Arbeitsstätte

überhaupt keinen Arbeitsweg im Sinne des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG

zurückzulegen hatte, kann auch der Weg zu einem anderen Ort nicht dem

Schutz der Unfallversicherung unterliegen.

Die Wege,  die der Kläger zurücklegt,  um seine Mutter zu betreuen

sind daher nicht geschützt.  Der Kläger entspricht dabei zweifellos

einer aus dem Familienverband entspringenden sittlichen Pflicht, ist

dabei jedoch in Angelegenheiten  unterwegs,  die nicht in dem für den

Schutz der Unfallversicherung erforderlichen Zusammenhang mit der

betrieblichen Tätigkeit stehen.  Der Versicherungsschutz für Umwege,

die zurückgelegt werden,  um Kinder in den Kindergarten oder zur

Schule zu bringen wurde im Gesetz ausdrücklich normiert.   Es handelt

sich jedoch um Fälle,  die vom vorliegenden so verschieden sind, daß

eine Analogie nicht in Frage kommt.  Aus diesen Bestimmungen ist für

den Standpunkt des Klägers nichts abzuleiten.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen würden, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.

Anmerkung

E32290

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00254.92.1215.000

Dokumentnummer

JJT_19921215_OGH0002_010OBS00254_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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