Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Barbara Hopf (Arbeitgeber) und Anton Prager (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E***** K*****, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeiststraße 2, 1020 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2.September 1992, GZ 32 Rs 119/92-36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 5.Mai 1992, GZ 6 Cgs 61/91-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die am 12.2.1943 geborene Klägerin ist Diplomkrankenschwester und war seit 1972 als Kinderkrankenschwester und Säuglingsschwester bei der Gemeinde Wien tätig. Nach der Operation eines Aortenaneurismas im Jahre 1990 können der Klägerin aus prophylaktischen Gründen Hebe- und Trageleistungen über 5 kg nicht zugemutet werden. Es besteht ansonst die Gefahr, daß sich weitere Aortenaneurismen ausbilden und Einrisse in anderen Körperschlagadern ausgelöst werden, was für die Klägerin mit Lebensgefahr verbunden wäre. Im übrigen ist sie in der Lage, leichte und fallweise mittelschwere Arbeiten in der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen zu verrichten und den Arbeitsplatz zu erreichen. Die Klägerin kann den Beruf einer Diplomkrankenschwester in der allgemeinen Krankenpflege nicht mehr ausüben, weil im Hinblick auf die damit verbundenen Hebeleistungen das Leistungskalkül überschritten würde. Aus diesem Grund kann sie auch nicht mehr als Kinderkrankenschwester und Säuglingsschwester oder als Diplomkrankenschwester in Ambulanzen tätig sein. Dem Leistungskalkül der Klägerin entspricht nur mehr die Tätigkeit einer Diplomkrankenschwester im Verwaltungsdienst von Krankenanstalten. Dieser Bereich umfaßt vor allem organisatorische Tätigkeiten wie Niederschrift und Aufbewahrung von Befunden, Krankengeschichten und ärztlicher Korrespondenz, weiters die Bestellung und Verwaltung von Medikamenten und Heilbehelfen sowie die Überwachung des Stations- und Abteilungsbetriebes und dgl. mehr. Für diese Aufgaben werden medizinisch Vorgebildete, wie Diplomkrankenschwestern herangezogen.
Mit Bescheid vom 17.4.1991 wies die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Klägerin begehrt, die beklagte Partei zu verpflichten, ihr die Berufsunfähigkeitspension ab 1.2.1991 zu gewähren.
Die beklagte Partei begehrt die Abweisung der Klage.
Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin ab. Es ging davon aus, daß für Diplomkrankenschwestern im Verwaltungsdienst ein ausreichend großes Angebot an Stellen existiere. Da die Klägerin auf diese Tätigkeiten, die ihrem Leistungskalkül entsprächen, verwiesen weden könne, lägen die Voraussetzungen für die begehrte Leistung nicht vor.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die vom Erstgericht herangezogene Verweisungstätigkeit entspräche der Judikatur des Obersten Gerichtshofes, wobei im übrigen auch noch Tätigkeiten in medizinisch-diagnostischen Untersuchungsanstalten und Ambulatorien herangezogen worden seien. Die Klägerin könne auch ihre bisherige Tätigkeit fortsetzen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung in klagestattgebendem Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Soweit das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangte, die Klägerin könne ihre bisherige Tätigkeit fortsetzen, übersieht es die Feststellung, daß die Klägerin nicht mehr in der Lage ist als Kinderkrankenschwester und Säuglingsschwester tätig zu sein, wovon das Berufungsgericht nur auf Grund einer Beweiswiederholung abgehen durfte.
Es trifft zu, daß der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SSV-NF 5/94 die Verweisung eines Diplomkrankenpflegers auf Tätigkeiten in der Krankenhausverwaltung - Eintragung verschlüsselter Daten auf Diagnosezetteln nach einem Codierungskatalog - für zulässig erachtete. Dieser Entscheidung lag jedoch die dort von den Vorinstanzen getroffene Feststellung zugrunde, daß für diese Aufgaben in der Regel nur medizinisch Vorgebildete wie diplomierte Krankenpfleger bzw. Krankenschwestern herangezogen werden; in der Praxis bestehe ein genügend großes Angebot an derartigen Stellen, in denen geschultes Pflegepersonal im administrativen Bereich eingesetzt werde, zumal bei derartigen Tätigkeiten ein entsprechendes medizinisches Fachwissen von Vorteil sei. Der Kläger hatte in diesem Fall diese Tätigkeit auch tatsächlich ausgeübt. Das Ergebnis dieser Entscheidung kann jedoch auf den vorliegenden Fall nicht unmittelbar übertragen werden. Solange eine Tatsache nicht auf Grund einer Mehrzahl gleichartiger Entscheidungen als offenkundig anzusehen ist, muß sie in jedem Verfahren von den Tatsacheninstanzen geprüft und auf Grund der von ihnen aufgenommenen Beweise neu festgestellt werden, wobei Vorentscheidungen nur im Rahmen der Würdigung der Beweise zum Tragen kommen können (SSt-NF 5/38; 10 Ob S 223/92).
Für die Entscheidung der Frage, ob Verweisungsmöglichkeiten für die Klägerin bestehen, sind daher genaue Feststellungen über die in Frage kommenden Verweisungsberufe erforderlich. Festgestellt wurde hier, daß für diplomierte Krankenpfleger verschiedene Beschäftigungsmöglichkeiten in der Krankenhausverwaltung bestehen und daß für diese Tätigkeiten vor allem medizinisch Vorgebildete, wie Diplomkrankenschwestern herangezogen werden. Wesentlich ist aber die Frage, ob für die Verrichtung dieser Tätigkeiten die medizinische Fachausbildung als Diplomkrankenschwester Voraussetzung ist, sohin diese weitgehend administrativen Tätigkeiten der Berufsgruppe der diplomierten Krankenpfleger zuzurechnen ist, und wieviele Arbeitsplätze in solchen Berufen in Österreich zur Verfügung stehen, an denen Diplomkrankenpfleger mit solchen Tätigkeiten ausschließlich beschäftigt sind. Die Frage, ob ein für die Verweisung ausreichender Arbeitsmarkt besteht, ist eine Rechtsfrage, die auf Grund von Feststellungen über die Zahl der verfügbaren Arbeitsplätze zu lösen ist. Bei der im Rahmen der Tatsachenfeststellung getroffenen Aussage des Erstgerichtes, daß ein genügend großes Angebot an derartigen Stellen bestehe, handelt es sich nicht um eine Tatsachenfeststellung, sondern um eine rechtliche Wertung, für die jedoch das Feststellungssubstrat fehlt. Die Klägerin ist auf die von den Vorinstanzen herangezogenen Tätigkeiten nur dann verweisbar, wenn diese der Berufsgruppe der Klägerin zuzurechnen sind und ein ausreichend großes Angebot an Arbeitsplätzen für diese Tätigkeiten besteht, wozu auch die Feststellung der ungefähren Zahl der Arbeitsplätze erforderlich ist.
Anmerkung
E32311European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00296.92.1215.000Dokumentnummer
JJT_19921215_OGH0002_010OBS00296_9200000_000