Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber, Dr.Kropfitsch, Dr.Zehetner und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Miriam F*****, vertreten durch Dr.Gert Kastner und Dr.Hermann Tscharre, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. ***** Bergbahn Gesellschaft mbH & Co KG und 2. ***** Bergbahn Gesellschaft mbH, beide ***** vertreten durch Dr.Heinz Klee, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 898.988 sA und Feststellung (Gesamtstreitwert S 998.988), infolge Revision aller Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 25.Juni 1992, GZ 2 R 121/92-46, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 25.Jänner 1992, GZ 13 Cg 384/89-41 abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der beklagten Parteien wird nicht Folge gegeben.
Der Revision der Klägerin wird teilweise Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Zwischen- und Teilurteil zu lauten hat:
"1. Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen an Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung S 660.000 samt 4 % Zinsen aus S 200.000 vom 1.6.1989 bis 6.10.1989, aus
S 300.000 vom 7.10.1989 bis 4.12.1991 und aus S 660.000 seit 5.12.1991 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, daß die Beklagten der Klägerin zur ungeteilten Hand für künftige Schäden aus dem Unfall vom 4.1.1988 haften, wobei die Haftung mit den zum Unfallszeitpunkt geltenden Höchstbeträgen der §§ 15 und 16 EKHG beschränkt ist.
3. Das Mehrbegehren, die Haftung der Beklagten für künftige Schäden über die Höchstbeträge der §§ 15 und 16 EKHG festzustellen, wird abgewiesen.
4. Darüber hinaus besteht das Klagebegehren in den Positionen Fahrtkosten, Telefonate, Besuchskosten sowie Pflegekosten dem Grunde nach zu Recht, wobei die Haftung mit den zum Unfallszeitpunkt geltenden Höchstbeträgen der §§ 15 und 16 EKHG beschränkt ist."
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 3.4.1981 geborene Klägerin stürzte am 4.1.1988 bei der Talfahrt aus einem von der Erstbeklagten betriebenen Einpersonensessellift und erlitt hiedurch schwere Verletzungen. Sie begehrte nach mehrmaliger Ausdehnung zuletzt die Zahlung eines Schadenersatzbetrages von S 898.988 samt Nebengebühren (darin S 560.000 Schmerzengeld und S 180.000 Verunstaltungsentschädigung), weiters die Feststellung, daß ihr die Beklagten zur ungeteilten Hand für künftige Schäden aus dem Unfall haften. Die Beklagten hafteten aus dem Beförderungsvertrag sowie auf Grund der Vorschriften des EKHG.
Die Beklagten wendeten ein, sämtliche Sicherheitsvorschriften seien eingehalten worden, der Unfall sei darauf zurückzuführen, daß die Klägerin während der Fahrt ohne Grund den Sicherheitsbügel geöffnet habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Die Sicherheitsbügel des Einpersonensesselliftes waren von der Seite zu schließen und mit mitgeführtem Fußraster und Verriegelungsnase ausgestattet. Die Vorrichtung hatte die eisenbahnrechtliche Bau- und Betriebsbewilligung. Nach der Beförderungsordnung dürfen Kinder über sechs Jahre allein ohne Begleitperson den Lift benutzen. Diese Beförderungsordnung war links vom Einstieg in der Bergstation in einem Rahmen gemeinsam mit Fahrplan und Tarifen ausgehängt. Neben diesem Rahmen war die Hinweistafel angebracht, auf der u.a. darauf verwiesen wurde, daß "auf Verlangen des Fahrgastes zum Ein- und Aussteigen mit verminderter Geschwindigkeit gefahren werden kann."
Die Tafel mit der Aufforderung zum Öffnen des Bügels und zum Aussteigen war auf Stütze I im Bereich der Talstation angebracht. Die Liftbenützer konnten das Hinweisschild "Bügel öffnen" beim Herannahen an die Stütze I wahrnehmen und unmittelbar vor Passieren der Stütze I den Aussteigevorgang rechtzeitig und gefahrlos einleiten. Der Aussteigebereich war davon 4 bis 4,5 m entfernt, das ergibt bei einer Fahrgeschwindigkeit von 2 m/sek eine Fahrzeit von ca. 2 Sekunden. Das Liftpersonal fertigt täglich eine Unzahl von Fahrgästen in Sekundenschnelle ab. Es ist ihm dabei nicht möglich, die jeweilige Reife, Geschicklichkeit und Erfahrung bezüglich der Liftbenützung bei jedem einsteigenden Fahrgast individuell einzuschätzen und zu beurteilen, Fahrgäste können von sich aus darauf hinweisen, daß sie die Möglichkeit einer Verringerung der Liftgeschwindigkeit beim Ein- oder Aussteigevorgang in Anspruch nehmen möchten. Die Klägerin hatte den Lift mehrfach bergwärts benutzt, die gegenständliche Fahrt war jedoch die erste allein in Richtung Tal. Objektiv ergibt sich zwischen Bergfahrt und Talfahrt kein Unterschied, da der Sessel durch die bewegliche Aufhängung immer senkrecht hängt. Subjektiv kann bei der Talfahrt durch den vermeintlich größeren Bodenabstand ein Gefühl der Unsicherheit aufkommen. Eine Talfahrt erfordert vom Liftbenutzer nicht mehr Geschicklichkeit als eine Bergfahrt. Die Klägerin wollte mit ihrem Vater, der für sie eine Tageskarte gelöst hatte, um ca. 15.00 Uhr mit der Sektion II A des Liftes talwärts fahren. Sie bestieg unter Mithilfe des Liftwartes den Sessellift und schloß selbst den Sicherheitsbügel. Die Skistöcke hatte sie mitgenommen, ihre Skier hatte ihr Vater, der den nachfolgenden Sessel benützte. Nach einer normal und ruhig verlaufenden Liftfahrt öffnete die Klägerin den Sicherheitsbügel im Bereich der Stütze II, 60 m vor der Ausstiegsstelle. Die Klägerin verlagerte dabei ihren Körperschwerpunkt zu weit nach vorne und hielt sich nicht entsprechend fest. Sie fiel im Bereich der Stütze II vom Sessel des Liftes und stürzte ca. 7 m tief ab. Der Umstand einer erstmaligen Talfahrt ohne Begleitperson war für die Entstehung des Unfalles nicht maßgebend. Auch der Umstand, daß die Sitzflächen der Sessel bei der Bergfahrt ohne Fahrgast möglicherweise nicht hochgeklappt worden waren, beeinflußte das Unfallgeschehen nicht. An den einzelnen Liftsesseln waren Sitzauflagen aus Styropor angebracht. Selbst bei einer vollständigen Durchfeuchtung dieser Sitzauflagen mit Wasser ergibt sich nur eine subjektiv etwas verringerte Reibung. Bei normaler Sitzposition spielt eine etwas geringere Reibung zwischen Kleidung und Sitzauflage keine Rolle, da die Sitzfläche nach hinten geneigt ist. Die Sesselliftanlage befand sich zum Unfallszeitpunkt in einwandfreiem technischen Zustand. Ein Sicherheitsnetz (unterhalb der Stütze II) war nicht montiert und war auch nicht behördlich vorgeschrieben. Es kann nicht festgestellt werden, daß ein Sicherheitsnetz die Verletzungen der Klägerin verhindert oder vermindert hätte. Ein Fehler in der Beschaffenheit oder ein Versagen der Verrichtungen der Sesselliftanlage kann nicht festgestellt werden. Weder der Liftangestellte an der Bergstation noch der an der Aussteigstelle hätten den Unfall der Klägerin verhindern können.
Die Klägerin erlitt bei dem Unfall einen medialen Schenkelhalsbruch rechts mit nachfolgender Schenkelkopfteilnekrose sowie einen Bruch des vorderen und hinteren Schambeinastes rechts, weiters des hinteren Schambeinastes links. Die Klägerin steht in einer Langzeittherapie; weitere Therapien auch operativer Art sind für die Zukunft nicht auszuschließen. Das rechte Bein ist verschmächtigt und 0,5 bis 1 cm verkürzt. Auch der Gesäßmuskel rechts ist schwächer und nicht paretisch. Es verbleibt ein beträchtliches Defektbild auf Dauer im Bereich der Hüfte, das Ausmaß kann allerdings erst nach Abschluß des Wachstums exakt ausgemessen werden.
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß der Unfall ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 EKHG war.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß es zu lauten hat:
"1) Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen des Klagsvertreters an Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung S 330.000,-- samt 4 % Zinsen aus S 100.000,-- vom 1.6.1989 bis 6.10.1989, aus S 200.000,-- vom 7.10.1989 bis 4.12.1991 und aus S 330.000,-- seit 5.12.1991 zu bezahlen.
2) Es wird festgestellt, daß die Beklagten der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für künftige Schäden aus dem Unfall vom 4.1.1988 (Akt BAZ 75/88 des Bezirksanwaltes beim Bezirksgericht Rattenberg) zu 50 % haften, wobei die Haftung mit den zum Unfallszeitpunkt geltenden Höchstbeträgen der §§ 15, 16 EKHG beschränkt ist.
3) Das Mehrbegehren an Schmerzengeld von S 280.000,-- sowie an Verunstaltungsentschädigung von S 130.000,-- samt 4 % Zinsen aus S 100.000,-- vom 1.6.1989 bis 4.12.1991 und aus S 410.000,-- seit 5.12.1991 sowie das Begehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Folgen aus dem Unfallereignis vom 4.1.1988 zu weiteren 50 % werden a b g e w i e s e n.
4) Darüberhinaus besteht das Klagebegehren in den Positionen Fahrtkosten, Telefonate, Besuchskosten sowie Pflegekosten dem Grunde nach zu 50 % zu Recht und zu 50 % nicht zu Recht, wobei die Haftung mit den zum Unfallszeitpunkt geltenden Höchstbeträgen der §§ 15, 16 EKHG beschränkt ist.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten."
Die Revision wurde für zulässig erklärt.
Das Gericht zweiter Instanz erachtete die Beweis- und Tatsachenrüge als nicht berechtigt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, bei Prüfung der Frage, ob den Beklagten der Entlastungsbeweis gelungen sei, sei davon auszugehen, daß von der Unabwendbarkeit eines Ereignisses im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG nur dann gesprochen werden könne, wenn sowohl der Betriebsunternehmer oder Halter als auch die mit seinem Willen beim Betrieb tätigen Personen jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben, und daß diese Sorgfaltspflicht die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt umfaßt (Veit, EKHG5 § 9 E 62). Als Maßstab sei die Sorgfalt eines sachkundigen und besonders umsichtigen Fachmannes heranzuziehen, wobei an die Sorgfaltspflicht nicht billige, sondern strengste Anforderungen zu stellen seien (ZVR 1987/11; 2 Ob 104/89; Veit aaO E 68). Die Sorgfalt, deren Außerachtlassung den Halter der Rechtswohltat der Haftungsbefreiung verlustig gehen lasse, sei nicht die normale Verkehrssorgfalt, sondern eine besonders weitgehende Sorgfalt, welche nur dann zu bejahen sei, wenn besonders überlegene Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart und Umsicht an den Tag gelegt worden sei (Veit aaO E 64, 65). Wesentlich sei weiters, daß diese erhöhte Sorgfaltspflicht nicht erst in der Gefahrenlage einsetze, sie verlange vielmehr, daß von vornherein das Entstehen einer Gefahrenlage vermieden werde (Veit aaO E 66). Der Halter habe nämlich für die Sicherheit während der gesamten Dauer des Betriebes zu sorgen und die zur Wahrung der erforderlichen Betriebssicherheit notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, ohne Rücksicht darauf, ob sie von der Aufsichtsbehörde aufgetragen worden seien oder nicht (vgl ZVR 1969/330). Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall zeige sich, daß die Beklagten bzw die mit ihrem Willen beim Betrieb tätigen Personen nicht jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet hätten. Auszugehen sei davon, daß die Klägerin zum Unfallszeitpunkt ein sechs Jahre und acht Monate altes (122 cm großes) Kind war. Auf Grund dieses Umstandes hätte der Liftwart, der der Klägerin beim Einsteigen in der Bergstation behilflich gewesen sei, mit einem nicht angepaßten sowie fehlerhaften, unvorsichtigen Verhalten der Klägerin rechnen und besondere Vorsicht an den Tag legen müssen. Es sei weder behauptet noch festgestellt worden, daß er der Klägerin zB die Anweisung, den Sicherheitsbügel erst in der Talstation zu öffnen, gegeben und die Ankunft der Klägerin der Talstation avisiert hätte, was leicht möglich und zumutbar gewesen wäre. Diese Unterlassung entspreche nicht einer dem Unterlassungsprofil des § 9 EKHG entsprechenden äußersten Sorgfalt. Bei der Beförderung von Kindern seien eben besondere Anordnungen und Maßnahmen erforderlich (vgl Pichler-Holzer, Handbuch des österreichischen Skirechts Seite 89; Dittrich-Reindl, Die Beförderung von Kindern auf Sesselliften, ZVR 1986, 322). Auch der Umstand, daß gemäß Punkt B 5 der Beförderungsordnung bei der Beförderung von alten, gebrechlichen oder körperbehinderten Personen der Liftsessel gekennzeichnet werden könne, hätte bei der Beförderung eines Kindes von gerade sechs Jahren zu ähnlichen Vorsichtsmaßnahmen führen müssen. Diese den Beklagten bzw dem Liftwart zumutbaren Anordnungen und Maßnahmen seien nicht getroffen worden. Damit sei ihnen der Beweis nicht gelungen, daß der Unfall auf ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 EKHG zurückzuführen sei. Die in ZVR 1981/172 veröffentlichte Entscheidung sei mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Von einem erwachsenen Fahrgast könne in der Tat erwartet werden, daß er der den Betrieb eines Sesselliftes eigentümlichen besonderen Gefahrenlage durch die erforderliche Sorgfalt Rechnung trage. Zu prüfen sei weiters, ob und in welchem Ausmaß die Schadenersatzansprüche der Klägerin wegen eines Mitverschuldens zu kürzen seien. Nach ständiger Rechtsprechung sei nämlich die Bestimmung des § 1304 ABGB auch beim Zusammentreffen von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung anzuwenden (ZVR 1990/24; ZVR 1988/16 ua). Bei der Schadensteilung falle hier vor allem das Alter der Klägerin von nur sechs Jahren und acht Monaten zur Unfallszeit ins Gewicht. Die zivilrechtliche Deliktsfähigkeit im Bereich des Schadenersatzrechtes beginne gemäß § 153 ABGB, soweit nicht ein Fall des § 1310 ABGB vorliege, grundsätzlich mit der Mündigkeit. Kindern, welche das siebente Lebensjahr noch nicht vollendet hätten, könne ein Mitverschulden am Unfall nur in Ausnahmsfällen zugemessen werden (EvBl 1988/95; ZVR 1985/7; EFSlg 38.575, 43.512 ua). Maßgeblich für die Beurteilung des Verschuldens eines Unmündigen sei, ob ihm im gegebenen Fall die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Verhaltens und ein Handeln gemäß dieser Einsicht zuzumuten gewesen sei (Koziol2 II 312; ZVR 1983/215; EFSlg 41.095 ua). Grundsätzlich sei aber das Verschulden von Kindern und unmündigen Minderjährigen milder zu beurteilen als unter sonst gleichen Umständen das Verhalten Erwachsener. Dieselben Grundsätze seien auch dann anzuwenden, wenn es um die Beurteilung der Frage eines Mitverschuldens eines Unmündigen an einem ihm zugefügten Schaden gehe (Koziol2 I 239; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 14 zu § 1310; ZVR 1988/63 ua). Dabei sei zu berücksichtigen, daß das Mitverschulden des Geschädigten an der Herbeiführung seines eigenen Schadens weder Verschulden im technischen Sinne noch die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens, sondern nur die Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern voraussetze (ZVR 1985/28; ZVR 1984/122; SZ 54/85 ua). Für die Beurteilung des Verschuldens von Kindern und Unmündigen stelle die Rechtsprechung ua auf den Zeitpunkt des Schuleintrittes ab, wobei sie regelmäßig davon ausgehe, daß ein Kind im schulpflichtigen Alter bereits die nötige Einsicht besitze, um die einfachsten Vorsichtsmaßregeln, die zB beim Liftfahren anzuwenden seien, zu kennen. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin zum Unfallszeitpunkt bereits die Schule besucht. Sie sei auch schon mehrfach mit dem Lift gefahren. Das Öffnen des Sicherheitsbügels weit vor der Hinweistafel sei der Klägerin jedenfalls als Soglosigkeit gegenüber ihrer eigenen körperlichen Sicherheit zu werten, weshalb es gerechtfertigt sei, gemäß § 7 EKHG in Verbindung mit den §§ 1304 und 1310 ABGB die Schadenersatzansprüche der Klägerin wegen ihres eigenen Verschuldens zu kürzen. Bei Abwägung aller Umstände erscheine dem Berufungsgericht eine Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 gerechtfertigt. Aus diesen Gründen sei der Berufung teilweise Folge zu geben und die Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu 50 % zu bejahen gewesen, wobei allerdings von Amts wegen die Beschränkung der Haftung auf die Höchstbeträge nach den §§ 15, 16 EKHG aufzunehmen gewesen sei (vgl ZVR 1985/69).
Ein Zuspruch einer Entschädigung nach § 1326 ABGB setze nur voraus, daß durch eine Körperverletzung eine Verunstaltung der verletzten Person herbeigeführt worden sei und daß dadurch deren besseres Fortkommen verhindert werden könne. Als Verunstaltung im Sinne dieser Bestimmung sei jede nicht völlig unwesentliche nachteilige Veränderung in der äußeren Erscheiung anzusehen, wobei für die Beurteilung dieser Frage nicht medizinische Gesichtspunkte, sondern Lebensanschauung und ästhetische Vorstellungen maßgeblich seien. Ob die Verunstaltung am normal bekleideten Menschen äußerlich sichtbar sei, darauf komme es nicht an. Bezüglich der Verhinderung des besseren Forkommens sei darauf hinzuweisen, daß für den Zuspruch einer Entschädigung nach § 1326 ABGB die bloße Möglichkeit einer durch die Verunstaltung hervorgerufenen Beeinträchtigung des besseren Fortkommens genüge, wobei schon ein geringer Grad der Wahrscheinlichkeit künftiger Nachteile ausreiche (ZVR 1988/131; EFSlg 48.657, 51.509 ua). Der Natur der Sache nach könnten an die geschädigte Person bezüglich der Behauptungs- und Beweislast keine hohen Anforderungen gestellt werden (ZVR 1984/256). Unter der Behinderung des besseren Fortkommens sei die Gefahr zu verstehen, daß durch eine nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung eine sonst mögliche Verbesserung der Lebenslage, etwa durch beruflichen Aufstieg oder Verehelichung, entfallen könnte (vgl ZVR 1980/74). Daß der Beckenschiefstand mit Beinverkürzung, die Verschmächtigung des rechten Beines und Gesäßmuskels, der hinkende nach außen rotierende Gang sowie die Operationsnarbe an der Außenseite des Oberschenkels insbesondere bei einer Frau als Beeinträchtigung des äußeren Aussehens im Sinne des § 1326 ABGB zu werten seien, liege auf der Hand. Der Anspruch der Klägerin auf eine Entschädigung nach § 1326 ABGB sei daher zu bejahen und im Hinblick auf den Grad der Verunstaltung sowie der nicht auszuschließenden Verhinderung des besseren Fortkommens mit S 100.000 angemessen. Unter Berücksichtigung der Schadensteilung errechne sich damit die zu Recht bestehende Verunstaltungsentschädigung der Klägerin mit S 50.000. Ein Schmerzengeld von S 560.000 sei angemessen, sodaß die Klägerin Anspruch auf S 280.000 aus diesem Titel habe. Die Höhe der Positionen Fahrtkosten, Telefonate, Besuchskosten und Pflegekosten werde im weiteren Verfahren abzuklären sein.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richten sich die Revisionen der Klägerin und der Beklagten.
Die Klägerin bekämpft die Abweisung des Schmerzengeldes von S 280.000 und der Verunstaltungsentschädigung von S 130.000 je samt Zinsen sowie des Begehrens auf Feststellung der Haftung der Beklagten für weitere 50 % der Unfallsfolgen (Punkt 3), weiters den Ausspruch, daß das Klagebegehren in den Positionen Fahrtkosten, Telefonate, Besuchskosten sowie Pflegekosten dem Grunde nach zu 50 % nicht zu Recht bestehe und die Haftung in Punkt 2 und 4 mit den zur Unfallszeit geltenden Höchstbeträgen der §§ 15 und 16 EKHG beschränkt wurde. Sie beantragt Abänderung dahin, daß ein weiterer Betrag von S 410.000 sA zugesprochen, dem Feststellungsbegehren zu 100 % stattgegeben und das Klagebegehren in den Positionen Fahrtkosten, Telefonate, Besuchskosten und Pflegekosten dem Grunde nach zu 100 % zu Recht bestehe und die Haftungsbeschränkung nach dem EKHG zu entfallen habe. Hilfsweise stellt die Klägerin einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagten bekämpfen (nach Verbesserung gemäß § 84 ZPO) die Punkte 1 und 2 zur Gänze sowie Punkt 4 insoweit, als festgestellt wurde, daß die dort genannten Positionen dem Grunde nach zu 50 % zu Recht bestehen. Es wird der Antrag gestellt, daß das Urteil im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abgeändert werde. Hilfsweise stellen auch die Beklagten einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin begehrt, die Revision der Beklagten zurück- oder abzuweisen. Die Beklagten stellen den Antrag, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Beide Revisionen sind zulässig. Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt, die der Klägerin teilweise.
1. Zur Revision der Beklagten:
Die Beklagten führen aus, der vom Berufungsgericht angelegte strenge Sorgfaltsmaßstab würde zu einer Erfolgshaftung führen. Sie vertreten die Ansicht, der Liftwart habe sich darauf verlassen können, daß die in Begleitung ihres Vaters befindliche Klägerin der Liftanlage gewachsen sei. Eine Anweisung an die Klägerin, den Bügel erst in der Talstation zu öffnen, sei nicht erforderlich gewesen und hätte auch keine Wirkung gebracht, eine Markierung des von der Klägerin benützten Sessels wäre nicht geeignet gewesen, den Unfall zu verhindern, da sich dieser schon 60 m vor der Talstation ereignete. Der Oberste Gerichtshof habe in ZVR 1981/172 ausgesprochen, daß das vorzeitige Öffnen des Sicherheitsbügels am Liftsessel durch einen Fahrgast für den Betriebsunternehmer ein unabwendbares Ereignis darstelle, das gemäß § 9 EKHG seine Ersatzpflicht ausschließe. Richtig sei, daß es sich damals um einen erwachsenen Liftbenützer gehandelt habe, der Betriebsunternehmer könne aber auch gegen das Öffnen eines Sicherheitsbügels durch ein Kind nichts unternehmen. Selbst wenn man eine Haftung der Beklagten bejahe, sei eine Schadensteilung von 1 : 1 unangemessen, es wäre eine Teilung im Verhältnis von 1 : 3 oder 1 : 4 zu Lasten der Klägerin vorzunehmen.
Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:
Die Ausführungen des Berufungsgerichtes über die an den Entlastungsbeweis zu stellenden besonders strengen Anforderungen entsprechen der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, auf diese zutreffenden Ausführungen kann verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Die vom Betriebsunternehmer anzuwendende äußerste Vorsicht erfordert es etwa, daß der Liftwart eines Sesselliftes Kindern und älteren Personen beim Ein- und Aussteigen wirksam hilft (Apathy EKHG, Rz 20 zu § 9; ZVR 1983/128; ZVR 1988/112). Der Unfall der Klägerin ereignete sich zwar nicht beim Ein- oder Aussteigen, sondern während der Fahrt 60 m vor der Talstation. Zu berücksichtigen ist aber, daß die schwierigsten Momente der Benützung eines Sesselliftes das während der vollen Fahrgeschwindigkeit durchzuführende Ein- und Aussteigen sind. Für ein Kind im Alter von sechs Jahren und acht Monaten vergrößert sich diese Schwierigkeit durch seine geringe Körpergröße. Dazu kommt, daß es auf einem Einpersonensessellift während der Fahrt allein ist, keine Hilfe und kein beruhigender Zuspruch durch einen Erwachsenen möglich ist und daher eine gewisse psychische Belastung bestehen kann. Daher muß ein Betriebsunternehmer, um den strengen Anforderungen des § 9 Abs 2 EKHG gerecht zu werden, nicht nur die Liftffahrt, soweit dies technisch möglich ist, gefahrlos gestalten, er muß auch zur Vermeidung von unrichtigem Verhalten und Fehlreaktionen dafür Sorge tragen, daß ein alleinfahrens Kind auch den Eindruck einer sicheren Beförderung durch den Lift gewinnt, wozu ein gefahrloses Aussteigen gehört. Das Anbringen einer Markierung auf dem von der Klägerin benützten Sessel hätte wohl für sich allein den Unfall nicht verhindern können. Wäre die Klägerin aber gleichzeitig darauf aufmerksam gemacht worden, daß sie dem Liftwart bei der Talstation avisiert ist und daß ihr dieser beim Aussteigen besonders helfen und die Fahrgeschwindigkeit des Liftes drosseln oder den Lift allenfalls sogar zum Stillstand bringen werde, dann hätte die Klägerin zu einem verfrühten Öffnen des Sicherheitsbügels keinen Anlaß gehabt. Dies insbesondere dann, wenn sie darauf aufmerksam gemacht worden wäre, daß der Sicherheitsbügel nicht verfrüht geöffnet werden darf. Der Liftwart bei der Bergstation unternahm jedoch nichts in diesem Sinne und machte der Klägerin nach dem Einsteigen nicht einmal den Sicherheitsbügel zu. Der Klägerin wurde daher nicht der Eindruck vermittelt, es werde ihr nach der Talfahrt, bei der ohnedies subjektiv ein Gefühl der Unsicherheit aufkommen kann, beim Aussteigen optimale Hilfe gewährt werden. Zutreffend gelangte daher das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, es sei nicht die äußerste Sorgfalt im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG angewendet worden. Der Umstand, daß sich das Kind in Begleitung seines Vaters befand, vermag den Betriebsunternehmer und seine Gehilfen nicht von der Pflicht zur Anwendung äußerster Sorgfalt befreien, zumal etwa die Hilfe beim Einsteigen und Schließen des Sicherheitsbügels allein dem Liftwart oblag. Es mag sein, daß beim Massenskibetrieb eine Belehrung von Kindern durch den Liftwart, eine Markierung des Sessels und eine Drosselung der Geschwindigkeit oder ein Abstellen des Liftes zu Verzögerungen führen kann, über die andere Liftbenützer verärgert sind (vgl Dittrich-Reindl, Die Beförderung von Kindern auf Sesselliften, ZVR 1985, 322), dies vermag die Außerachtlassung besonderer Sorgfalt aber nicht zu rechtfertigen.
Auf die Revisionsausführungen, der Schaden sei nicht 1 : 1, sondern zum Nachteil der Klägerin 1 : 3 oder 1 : 4 zu teilen, braucht im Hinblick darauf, daß der Klägerin - wie noch auszuführen sein wird - kein Verschulden angelastet werden kann, nicht eingegangen zu werden.
2. Zur Revision der Klägerin:
Die Verweisung auf die Berufungsausführungen ist nicht zulässig und daher nicht zu beachten (SZ 23/89, SZ 35/66, SZ 53/89 uva).
Bei der behaupteten Aktenwidrigkeit handelt es sich um eine unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung, als Verfahrensmangel wird ein Feststellungsmangel geltend gemacht, auf den im Rahmen der rechtlichen Beurteilung einzugehen ist.
In ihrer Rechtsrüge vertritt die Klägerin die Ansicht, es treffe sie kein Verschulden. Sie habe den Bügel dort geöffnet, wo dies auch andere Personen tun, auch bei einem Öffnen auf halber Distanz (30 m vor der Talstation) hätten die gleichen Verletzungen auftreten können. Werde der Sicherheitsbügel erst bei der Stütze I, auf der sich die Tafel über das Öffnen befindet, geöffnet, stehe zu wenig Zeit zur Verfügung. Den Liftwart, der beim Einsteigen den Bügel nicht geschlossen habe und der der Klägerin keine Anweisung gegeben und sie der Talstation nicht avisiert habe, treffe ein Verschulden. Außerdem wäre es erforderlich gewesen, Fangnetze anzubringen. Eine Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 sei auf keinen Fall gerechtfertigt. Die Verunstaltungsentschädigung sei in der begehrten Höhe von S 180.000 gerechtfertigt.
Den Revisionsausführungen kann, soweit sie sich gegen die Annahme eines Verschuldens der Klägerin richten, Berechtigung nicht abgesprochen werden. Die Klägerin war trotz ihres Alters unter sieben Jahren zwar gemäß § 1310 ABGB nicht notwendig deliktsunfähig, die Annahme eines Verschuldens ist aber nur ausnahmsweise möglich (EFSlg 48.637 uva). Diese Frage ist in jedem Einzelfall unter Bedachtnahme auf das beim Kind zur Unfallszeit vorhandene Maß an Einsicht bezüglich der konkreten Handlung zu prüfen (EFSlg 54.241 uva). Den Beweis für ein derartiges Verschulden eines Kindes hat der Gegner zu erbringen (Reischauer in Rummel2, Rz 11 zu § 1310 mwN). Nach den Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin aus Leichtsinn den Bügel öffnete und dadurch eine auch für sie erkennbare Gefahr herbeiführte. Naheliegender ist vielmehr, daß sie im Hinblick auf die für sie bestehenden Schwierigkeiten beim Aussteigen und eine subjektive Ungewißheit, ob ihr hiebei ausreichend Hilfe geleistet werde, in Sorge war und verhindern wollte, den Aussteigevorgang zu spät zu beginnen. Das Öffnen des Sicherheitsbügels bereits 60 m vor der Talstation, bei dem sie überdies allenfalls das Verhalten anderer Liftbenützer nachahmte, kann der damals sechs Jahre und acht Monate alten Klägerin daher nicht als Verschulden bzw Sorglosigkeit gegenüber eigenen Gütern angelastet werden. Eine Schadensteilung im Sinne des § 1304 ABGB hat daher nicht zu erfolgen.
Entgegen der Ansicht der Klägerin trifft die Beklagten aber keine Haftung aus Verschulden. Die Anbringung von Fangnetzen in einem Bereich, der 60 m von der Talstation entfernt ist, kann nicht verlangt werden. Auch in der Unterlassung einer entsprechenden Anweisung vor dem Einsteigen kann kein Verschulden erblickt. Daran würde es auch nichts ändern, wenn sich bei dem Lift schon einmal ein ähnlicher Unfall ereignet hätte (die Unterlassung einer derartigen Feststellung rügt die Klägerin als Verfahrensmangel). Der Hinweis auf die Betriebsbedingungen von Mehrfachsesselliften ist nicht zielführend, da Vorschriften über Begleitpersonen am Nebensitz auf einen Einsessellift nicht anwendbar sein können. Die Begrenzung der Haftung mit den Höchstbeträgen des EKHG erfolgte daher zu Recht.
Nicht berechtigt sind auch die Revisionsausführungen zur Höhe der Verunstaltungsentschädigung. Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes kann zwar davon ausgegangen werden, daß ein beträchtliches Defektbild auf Dauer im Bereich der Hüfte besteht, das Ausmaß kann derzeit (vor Abschluß des Wachstums) aber noch nicht beurteilt werden. Unter Bedachtnahme auf die vom Obersten Gerichtshof bei ähnlichen Verletzungsfolgen zuerkannten Beträge (2 Ob 6/86, 2 Ob 36/88, 2 Ob 42/90), kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin durch die Verunstaltung in ihrem besseren Fortkommen (Heiratsaussichten, Berufschancen) derart beeinträchtigt ist, daß eine Entschädigung von mehr als S 100.000 gerechtfertigt wäre.
Das Urteil des Berufungsgerichtes war daher dahin abzuändern, daß die Klägerin keine Mithaftung trifft. Die übrigen Revisionsausführungen der Klägerin sind aber ebenso wie die Revision der Beklagten nicht berechtigt.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E30653European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00056.92.1216.000Dokumentnummer
JJT_19921216_OGH0002_0020OB00056_9200000_000