TE OGH 1992/12/16 9ObA307/92

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Veröffentlicht am 16.12.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith und Dr.Maier als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Vesely und Mag.Dirschmied in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** P*****, Lehrling, *****, vertreten durch ***** , Rechtsanwalt *****, wider die beklagten Parteien 1. Möbel J***** Gesellschaft mbH & Co KG, und 2. Möbel J***** Gesellschaft mbH, beide *****, vertreten durch , Rechtsanwalt *****, wegen S 11.451,26 s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15.September 1992, GZ 13 Ra 51/92-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 24.März 1992, GZ 20 Cga 10/92-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, den Beklagten zur ungeteilten Hand die mit S 3.189,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 531,52 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Erstbeklagten ( - die Zweitbeklagte ist die Komplementärgesellschaft der Erstbeklagten - ) ab 1.8.1991 als Lehrling im Lehrberuf Tischler beschäftigt. Ab 2.9.1991 besuchte der Kläger die - lehrgangsmäßig geführte - Berufsschule in Kuchl. Dieser Berufsschulbesuch hätte zwei Monate gedauert; in dieser Zeit wurde der Kläger im Betrieb der Erstbeklagten nicht ausgebildet und erbrachte dort keine Dienstleistungen. Am 11.9.1991 löste die Erstbeklagte das Lehrverhältnis gemäß § 15 Abs 2 BAG einseitig auf.

Der Kläger behauptet, daß die einseitige vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses nur im ersten Monat der Ausbildung im Betrieb zulässig gewesen wäre, weil er seine Schulpflicht ab 2.9.1991 in einer lehrgangsmäßig geführten Berufsschule erfüllt habe. Der Kläger begehrt eine Kündigungsentschädigung (samt Urlaubsabfindung) in der Höhe des Entgelts für drei Monate im (außer Streit gestellten) Betrag von S 11.451,56 netto.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Das Lehrverhältnis könne innerhalb der ersten zwei Monate vom Lehrberechtigten gemäß § 15 Abs 2 BAG einseitig aufgelöst werden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der im Einschubsatz des § 15 Abs 2 BAG geregelte Sonderfall komme nur zur Anwendung, wenn ein Lehrling schon mit dem vertraglich vereinbarten Beginn des Lehrverhältnisses zur Erfüllung seiner Berufsschulpflicht in einen Lehrgang an der Berufsschule einberufen werde, ohne daß die Lehrvertragsparteien die Möglichkeit hatten, tatsächliche Erfahrungen über die Ausbildung und die Beschäftigung im Betrieb zu gewinnen. Um dies zu verhindern, gewähre das Gesetz beiden Seiten jedenfalls einen Mindestzeitraum von einem (weiteren) Monat, innerhalb dessen eine "Probe" tatsächlich stattfinden könne. Während des gesamten Zeitraumes der ersten zwei Monate des Lehrverhältnisses sowie während einer solchen zusätzlichen Frist dürften beide Seiten von ihrem jederzeitigen Lösungsrecht Gebrauch machen. Der Gesetzgeber habe beabsichtigt, die Probezeit bei Erfüllung der Schulpflicht in einer lehrgangsmäßig geführten Berufsschule flexibel zu gestalten, nicht jedoch, sie noch weiter zu verkürzen. Innerhalb der ersten beiden Monate des Lehrverhältnisses dürften beide Parteien den Vertrag einseitig lösen. Das gebiete auch eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die Revision nach § 46 Abs 1 Z 1 ASGG zulässig sei.

Aus dem Wortlaut des § 15 Abs 2 BAG ergebe sich, daß beide Vertragsparteien das Lehrverhältnis während der ersten zwei Monate einseitig auflösen dürften; erfülle jedoch der Lehrling in dieser Zeit seine Schulpflicht in einer lehrgangsmäßig geführten Berufsschule, so dürfe das Lehrverhältnis (noch) während des ersten Monates der Ausbildung im Betrieb aufgelöst werden. Durch die BAG-Novelle 1978 sei die Probezeit von drei auf zwei Monate verkürzt und eine Sonderregelung für den Fall des Besuches einer lehrgangsmäßig geführten Berufsschule durch den Lehrling in den ersten zwei Monaten getroffen worden. Der Einschubsatz regle einen Sonderfall, in dem das Lehrverhältnis auch später als während der ersten zwei Monate des Lehrverhältnisses aufgelöst werden dürfe. Diese Vorschrift habe den Zweck, beiden Seiten zu ermöglichen, tatsächliche Erfahrungen über die Ausbildung und die Beschäftigung im Betrieb zu gewinnen. Die Vorschrift bezwecke, die Probezeit bei Abwesenheit des Lehrlings wegen Erfüllung der Schulpflicht in einer lehrgangsmäßig geführten Berufsschule flexibel zu gestalten, nicht aber, sie noch weiter zu verkürzen. Eine andere Auslegung dieser Bestimmung widerstreite der offenkundigen Absicht des Gesetzgebers. Der Fall der teilweisen Erfüllung der Schulpflicht in einer lehrgangsmäßig geführten Berufsschule innerhalb der ersten zwei Monate des Lehrverhältnisses, aber nach einer mindestens einen Monat dauernden Ausbildung im Betrieb des Lehrherrn sei im Wege der teleologischen Reduktion vom Anwendungsbereich des Einschubsatzes des § 15 Abs 2 BAG auszunehmen.

Der Kläger bekämpft die Entscheidung des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil zur Auslegung des unklar gefaßten § 15 Abs 2 Satz 1 BAG eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt. Aus der Revision des Klägers geht klar hervor, daß er die Entscheidung der zweiten Instanz in ihrem gesamten Umfang bekämpft.

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionswerber vertritt die Auffassung, daß § 15 Abs 2 BAG die Auflösung des Dienstverhältnisses während der ersten zwei Monate nur dann ermögliche, wenn der Lehrling während der ersten zwei Monate eine lehrgangsmäßig geführte Berufsschule besuche. Das Wort "jedoch" am Beginn des zweiten Halbsatzes bringe klar zum Ausdruck, daß das Dienstverhältnis nur während des ersten Monats aufgelöst werden dürfe, wenn eine Ausbildung im Betrieb stattfinde. Die Auslegung durch die Vorinstanzen verstoße gegen § 6 ABGB; sie stehe auch in einem Wertungswiderspruch zu § 19 AngG, der bei Dienstverhältnissen eine jederzeitige Auflösung durch beide Teile nur im ersten Monat zulasse.

Diese Ausführungen sind nicht berechtigt. § 15 Abs 2 Satz 1 BAG idF der BAG-Nov 1978 lautet:

"Während der ersten zwei Monate - sofern in dieser Zeit der Lehrling seine Schulpflicht in einer lehrgangsmäßigen Berufsschule erfüllt, jedoch während des ersten Monates der Ausbildung im Betrieb - kann sowohl der Lehrberechtigte als auch der Lehrling das Lehrverhältnis jederzeit einseitig auflösen."

Die Bestimmung besteht daher aus einem Hauptsatz, der für den Regelfall gilt, daß der Lehrling in dieser Zeit im Betrieb ausgebildet wird, und einem Einschubsatz (Beisatz; Apposition), der dann anzuwenden ist, wenn der Lehrling seine Schulpflicht in einer "lehrgangsmäßigen" (besser: lehrgangsmäßig geführten) Berufsschule erfüllt. Die Worte "in dieser Zeit" beziehen sich auf die Worte "während der ersten zwei Monate" im Hauptsatz und treffen zunächst nur den Fall, daß der Lehrling während der ersten zwei Monate des Lehrverhältnisses infolge der Erfüllung seiner Schulpflicht ständig vom Betrieb abwesend ist und dort nicht ausgebildet werden kann. In diesem Fall darf das Lehrverhältnis auch noch während des ersten Monats "der Ausbildung im Betrieb" einseitig aufgelöst werden. Das wird regelmäßig der dritte Monat des Lehrverhältnisses sein (so auch Berger-Fida-Gruber, BAG 308). Da der Gesetzgeber aber auf den ersten Monat der Ausbildung im Betrieb abstellt, erscheint es nicht ausgeschlossen, daß die "Probezeit" noch später endet, wenn etwa der Lehrling nach dem zweimonatigen Berufsschulturnus erkrankt war (diese Frage muß aber hier nicht abschließend geklärt werden).

Der Revisionswerber trennt mit seiner Auslegung den Einschubsatz - grammatikalisch unrichtig - in zwei Teile und ordnet die Rechtsfolge, daß das Lehrverhältnis nur während des ersten Monats der Ausbildung im Betrieb aufgelöst werden kann, anscheinend allen Fällen zu, in denen in dieser Zeit eine Ausbildung im Betrieb stattfindet; er übersieht jedoch, daß dieser Fall durch den Hauptsatz geregelt wird, der allgemein eine zweimonatige Probezeit vorsieht.

Zweifelhaft können nur jene Fälle sein, in denen der Lehrling irgendwann nach dem Anfang, aber noch während der ersten zwei Monate des Lehrverhältnisses mit der Erfüllung seiner Berufsschulpflicht in einer lehrgangsmäßig geführten Berufsschule beginnt. Tritt dies im ersten Monat des Lehrverhältnisses ein, steht den beiden Lehrvertragsparteien nach Beendigung des Berufsschullehrganges nur mehr jene Zeit als Probezeit zur Verfügung, die zum Zeitpunkt des Beginnes der Schulpflicht in der lehrgangsmäßig geführten Berufsschule noch bis auf die Zeitspanne von einem Monat der Ausbildung im Lehrbetrieb gefehlt hat. Wird also zB der Lehrling 15 Tage nach Beginn der Ausbildung im Lehrbetrieb in einen Berufsschullehrgang einberufen, so schließt sich an seine Rückkehr in den Betrieb noch ein Probezeitraum von weiteren 15 Tagen an (Berger-Fida-Gruber aaO 308), weil es sich bei der zusätzlichen Probezeit um einen "beweglichen" Zeitraum handelt (Winkler, Die arbeitsrechtlichen Neuerungen der Berufsausbildungsgesetznovelle 1978, 179). Eine Einberufung im zweiten Monat des Lehrverhältnisses hat zwar zur Folge, daß sich nach dem Berufsschullehrgang keine zusätzliche Probezeit mehr anschließt, aber nicht, daß die Probezeit schon während des ersten Monates der Ausbildung im Betrieb geendet hätte (diesbezüglich unklar Berger-Fida-Gruber aaO 308).

Dies ergibt sich aus dem Zweck des Gesetzes. Die Probezeit soll dem Lehrling die Möglichkeit bieten, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob er mit seiner Wahl des Lehrberufes und des Lehrberechtigten die richtige Entscheidung getroffen hat und ob ihm die Verhältnisse im Lehrbetrieb zusagen. Ebenso soll der Lehrberechtigte die Möglichkeit haben, den Lehrling als Person und in seinem Verhalten kennenzulernen und ihn auf seine Eignung für den gewählten Lehrberuf zu prüfen, bevor das Lehrverhältnis in ein nur mehr erschwert auflösbares Stadium tritt (Berger-Fida-Gruber aaO 303 f). Diese Möglichkeit wird durch einen Berufsschullehrgang (abgesehen von der Prüfung der Bewährung des Lehrlings in der Berufsschule) zunichtegemacht, wenn der Lehrling schon mit dem vertraglich vereinbarten Beginn des Lehrverhältnisses zur Erfüllung seiner Berufsschulpflicht zu einem Lehrgang an der Berufsschule einberufen wird. Die Prüfungsmöglichkeit wird auf unzureichende Zeiträume verkürzt, wenn der Lehrling im ersten Monat des Lehrverhältnisses einen Berufsschullehrgang beginnt. Um dies zu verhindern, stellt das Gesetz beiden Seiten jedenfalls einen Mindestzeitraum von einem Monat zur Verfügung, innerhalb dessen eine solche "Probe" tatsächlich stattfinden kann. Die allgemeine zweimonatige Probefrist wird aber dadurch nicht berührt. Eine andere Auslegung dieser Bestimmung widerstreitet der offenkundigen Absicht des Gesetzgebers. Diese lag darin, für den Fall der Abwesenheit des Lehrlings vom Betrieb aufgrund der Erfüllung der Schulpflicht in einer lehrgangsmäßig geführten Berufsschule die Probezeit flexibel zu gestalten, nicht jedoch darin, sie überhaupt noch weiter zu verkürzen (Winkler aaO 179). Auf Fälle, in denen der lehrgangsmäßige Berufsschulbesuch nur während eines Teils der ersten zwei Monate des Lehrverhältnisses stattfindet, ist der Einschubsatz des § 15 Abs 2 Satz 1 BAG nicht uneingeschränkt anzuwenden, sondern teleologisch zu reduzieren. Es wäre unverständlich, daß den Lehrvertragsparteien eine zweimonatige Probezeit zur Verfügung steht, wenn in diese Zeit kein Berufsschullehrgang fällt, die Probezeit aber bereits nach einem Monat nach Beginn des Lehrverhältnisses abgelaufen wäre, wenn der Lehrling im zweiten Monat (überraschend) in eine solche Berufsschule einberufen wird. Dazu hat schon das Erstgericht zutreffend auf das Erfordernis einer verfassungskonformen Auslegung der Bestimmung verwiesen.

Auch ein Wertungswiderspruch zu § 19 AngG (§ 1158 Abs 2 ABGB) liegt nicht vor. Das Lehrverhältnis ist ein Ausbildungsverhältnis, bei dem der gesetzlich (unabdingbar) festgesetzten Probezeit eine besondere Funktion zukommt. Dem Lehrling soll sie die richtige Wahl des Lehrberufes und damit die künftige Berufsentscheidung ermöglichen; der Lehrberechtigte soll die Eignung des Lehrlings für den erst zu erlernenden Beruf entsprechend prüfen können. Bei einem Lehrverhältnis ist daher das beiderseitige Interesse an einer sofortigen Auflösbarkeit stärker als bei einem Dienstverhältnis, bei dem eine obligatorische Probezeit gesetzlich nicht vorgesehen ist und nur für die Dauer eines Monats vereinbart werden kann. Die unterschiedliche Regelung der Dauer der Probezeit bei Dienst- und Lehrverhältnissen ist daher sachlich gerechtfertigt.

Die Erstbeklagte war daher auch im zweiten Monat des Lehrverhältnisses des Klägers berechtigt, das Lehrverhältnis jederzeit einseitig aufzulösen. Daraus folgt, daß dem Kläger die begehrte Kündigungsentschädigung nicht gebührt.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E32171

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:009OBA00307.92.1216.000

Dokumentnummer

JJT_19921216_OGH0002_009OBA00307_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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