TE OGH 1992/12/16 2Ob44/92

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Veröffentlicht am 16.12.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber, Dr.Kropfitsch, Dr.Zehetner und Dr.Schinko als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anton W*****, vertreten durch durch Dr.Ingrid Gaßner, Rechtsanwalt in Bludenz, wider die beklagten Parteien 1) Milenko P*****, 2) Pirmin B*****, und 3) A***** VersicherungsAG, ***** sämtliche vertreten durch Dr.Wolfgang Ölz, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen 94.196,-- S sA infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 22.April 1992, GZ 3 R 95/92-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 25.Jänner 1992, GZ 8 Cg 158/91-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag des Klägers auf Zuspruch von Kosten für seine Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Am 12.12.1990 ereignete sich im Ortsgebiet von N***** auf der W*****straße im Begegnungsverkehr ein Verkehrsunfall, an dem der von Peter W***** gelenkte, dem Kläger gehörige Omnibus (V *****) und der vom Erstbeklagten gelenkte, bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherte Omnibus des Zweitbeklagten (V *****) beteiligt waren und bei dem beide Fahrzeuge beschädigt wurden. Der dem Kläger dabei entstandene Schaden betrug 188.092,-- S, jener des Zweitbeklagten 4.539,14 S. Die Beklagten leisteten dem Kläger eine Zahlung von 93.896,-- S.

Der Kläger begehrte von den Beklagten den Ersatz des restlichen Schadens im Betrag von 94.196,-- S sA, weil der Erstbeklagte den Unfall dadurch allein verschuldet habe, daß er infolge überhöhter Geschwindigkeit sein Fahrzeug nicht auf der rechten Fahrspur habe halten können, sodaß es auf der Fahrbahnhälfte des Omnibusses des Klägers zur Kollision gekommen sei.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Omnibus des Klägers sei über die Fahrbahnmitte gekommen und habe das ordnungsgemäß rechts fahrende Fahrzeug des Zweitbeklagten gestreift. Bei den prekären, äußerst glatten Fahrbahnverhältnissen hätte der Lenker des Fahrzeuges des Klägers auch nicht davon ausgehen dürfen, daß ein Passieren der Fahrzeuge möglich sein werde; er hätte daher sein Fahrzeug anhalten müssen. Da er dies unterlassen habe, treffe ihn "das Verschulden" an dem gegenständlichen Verkehrsunfall.

Das Erstgericht erkannte im zweiten Rechtsgang - von einem gleichteiligten Verschulden beider Fahrzeuglenker ausgehend - die Klagsforderung - aus Zinsen resultierend - mit 1.332,10 S als zu Recht bestehend und die eingewendete Gegenforderung ebenfalls in dieser Höhe als zu Recht bestehend und wies daher das Klagebegehren ab.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es - ausgehend von einer Verschuldensteilung von 3 : 1 zu Lasten des Erstbeklagten - die Klagsforderung mit 47.173,-- S und die eingewendete Gegenforderung mit dem Betrag von 1.134,78 S als zu Recht bestehend erkannte und dem Kläger deshalb den Betrag von 46.038,22 S sA unter Abweisung des Mehrbegehrens von 48.157,78 S sA zusprach, wobei es die ordentliche Revision für zulässig erklärte.

Dagegen richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO gestützte Revision der Beklagten, mit der die Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes dahin, daß der Berufung keine Folge gegeben werde, beantragt wird.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Die Revision ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht begründete seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision mit dem Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der Frage, ob bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 StVO der in ständiger Rechtsprechung vertretene Grundsatz, daß es genüge, wenn die Fahrzeuglenker vor der Mitte der Sichtstrecke anhalten, auch dann gelte, wenn die Summe der Anhaltestrecken beträchtlich unter der Sichtstrecke liegt und sich die begegnenden Fahrzeuge mit stark unterschiedlicher Geschwindigkeit nähern, wobei es vergleichend auf die Entscheidung ZVR 1985/75 verwies (in der allerdings auf diese Frage mangels Relevanz nicht eingegangen wurde).

Gemäß § 508 a Abs. 1 ZPO ist das Revisionsgericht bei Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs. 2 Z 3 ZPO nicht gebunden. Nach § 502 Abs. 1 ZPO ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Diese Voraussetzungen liegen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes hier nicht vor. Fehlt eine erhebliche Rechtsfrage, so kann sich der Oberste Gerichtshof bei seiner Entscheidung auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs. 3 letzter Satz ZPO).

Es ist ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - und wird in der Revision auch gar nicht bekämpft - daß die Lenker einander begegnender Fahrzeuge nach § 10 Abs. 2 StVO anzuhalten haben, wenn nicht oder nicht ausreichend ausgewichen werden kann - das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig -, und diese Verpflichtung beide Fahrzeuglenker in gleichem Maße trifft. Der Oberste Gerichtshof hat auch schon wiederholt ausgesprochen, daß diese Verpflichtung nicht bedeutet, die Lenker müßten ihre Fahrzeuge unverzüglich bei erster Sicht oder bei Erkennen der Notwendigkeit anzuhalten, zum Stillstand bringen, es vielmehr genügt, wenn sie ihre Fahrzeuge vor der Mitte der Sichtstrecke anhalten. Ob dieser Grundsatz insbesondere auch dann gilt, wenn die Summe der Anhaltestrecken beträchtlich unter der Sichtstrecke liegen und die einander entgegenkommenden Fahrzeuge sich mit stark unterschiedlicher Geschwindigkeit nähern, ist hier nicht zu erörtern, weil der Lenker des Fahrzeuges des Klägers dieses überhaupt nicht angehalten hat, und es somit nicht darum geht, ob er den Unfall hätte verhindern können, wenn er sein Fahrzeug früher angehalten hätte. Nach den für die Prüfung eines Mitverschuldens des Lenkers des Fahrzeuges des Klägers hier maßgeblichen - für ihn günstigeren - Feststellungen der Vorinstanzen stand den beiden Fahrzeugen zur Bewältigung des Begegnungsverkehrs eine von Schneewächten freie Fahrbahn in einer Breite von 5,4 m zur Verfügung. Ausgehend von der Breite der beiden Fahrzeuge (2,5 m und 2,2 m), mußte der Kläger nicht von vornherein annehmen, nicht einmal ein aneinander "Vorbeitasten" werde ausreichen, um den Begegnungsverkehr gefahrlos bewältigen zu können. Als er das entgegenkommende Fahrzeug als Gefahr einschätzte, verringerte er seine Fahrgeschwindigkeit von 20 km/h - die er seit Wahrnehmung des entgegenkommenden Autobusses eingehalten hatte - auf ca. 10 km/h. Aus einer Entfernung von 15 m zur nachmaligen Unfallstelle erkannte er, daß das entgegenkommende Fahrzeug wegen des Quergefälles (auf seine Fahrbahnhälfte) zu rutschen begann, worauf er - bei einer Fahrgeschwindigkeit von etwa 7 bis 8 km/h das Ausweichmanöver nach rechts über die Fahrbahn hinaus einleitete. Unter diesen Umständen kommt es nicht auf den Ort an, an dem der Lenker des Busses des Klägers diesen hätte anhalten sollen, sondern nur darauf, daß er nicht angehalten hat, vielmehr - wenngleich nach rechts ausweichend - weitergefahren ist. Daß den Lenker des Fahrzeuges des Klägers ein Mitverschulden anzulasten ist, steht ohnehin rechtskräftig fest, hat doch der Kläger das Urteil des Berufungsgerichtes nicht mehr bekämpft. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob durch ein durch das Erkennen der unmittelbaren Gefahr ausgelöstes, rechtmäßiges Alternativverhalten des Lenkers des Fahrzeuges des Klägers der Unfall zu verhindern gewesen wäre, oder der Bus des Zweitbeklagten dennoch, diesfalls frontal, gegen den stehenden Wagen des Klägers geprallt wäre. Anderseits haben die Beklagten selbst ein Verschulden des Erstbeklagten an dem Unfall auf sich genommen, zumal sie (nicht nur Teilzahlung geleistet, sondern) sich gegen das vom Erstgericht dem Erstbeklagten zugemessene Mitverschulden von 50 % nicht zur Wehr gesetzt haben.

Nach den für die rechtliche Beurteilung der vorliegenden Rechtssache maßgeblichen Verfahrensergebnissen ist beiden Fahrzeuglenkern ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 10 Abs. 2 StVO anzulasten, weil beide ihr Fahrzeug nicht angehalten haben und letztlich den Begegnungsverkehr nicht gefahrlos bzw. kollisionsfrei zu bewältigen vermochten. Ob der Erstbeklagte bei der von ihm eingehaltenen - letztlich nicht wesentlich unter jener des Gegenfahrzeuges liegenden - Geschwindigkeit in der Lage gewesen wäre, anzuhalten, ist entgegen der Ansicht der Revisionswerber rechtlich unerheblich, weil es eben nur darauf ankommt, daß das Fahrzeug nicht angehalten wurde. Es steht weiters fest, daß der Omnibus des Zweitbeklagten mit seiner linken vorderen Ecke und dem linken Seitenspiegel gegen die linke Seite des im Kollisionszeitpunkt bereits mit etwa der halben Fahrzeugbreite außerhalb der Fahrbahn befindlichen Fahrzeuges des Klägers stieß, wobei im Moment des Zusammenstoßes ein spitzer Winkel zwischen den beiden Fahrzeuglängsachsen bestand. Wenn die Beklagten letztlich meinen, die vom Berufungsgericht - auf der Grundlage dieses Sachverhaltes - vorgenommene Verschuldensteilung im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten der Beklagten sei unrichtig und sie im Sinne der erstinstanzlichen Beurteilung ein gleichteiliges Verschulden angemessen erachten - denn darauf läuft ihre Revision hinaus - so zeigen sie im Hinblick auf die dabei maßgebliche Bedeutung der Umstände des Einzelfalles keine erhebliche Rechtsfrage iS des § 502 Abs. 1 ZPO auf (vgl. Petrasch in ÖJZ 1983, 177; derselbe in ÖJZ 1985, 297).

Da die Beklagten in ihrer Revision auch sonst keine erhebliche Rechtsfrage geltend machen, erweist sich die Revision als unzulässig, weshalb sie ungeachtet der Zulassung durch das Berufungsgericht zurückgewiesen werden mußte.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Da der Kläger auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat, konnten ihm für seine Rechtsmittelgegenschrift keine Kosten zugesprochen werden.

Anmerkung

E30643

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00044.92.1216.000

Dokumentnummer

JJT_19921216_OGH0002_0020OB00044_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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