TE OGH 1992/12/16 9ObA257/92

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Veröffentlicht am 16.12.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Herbert Vesely und Mag.Karl Dirschmied als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E***** B*****, Hilfsarbeiterin, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei S***** W*****, Unternehmer, ***** wegen Feststellung (Streitwert S 6.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. Juli 1992, GZ 32 Ra 48/92-8, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11. November 1991, GZ 19 Cga 1517/91-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, daß der Beklagte bei Kündigung des Dienstverhältnisses (im Sinne des § 1159b ABGB) eine mindestens 14tägige Kündigungsfrist einzuhalten habe. Sie sei seit 11. März 1991 im Adressenbüro des Beklagten in der BRD mit einem festen Monatslohn als "Hilfsarbeiterin" beschäftigt. Nach dem schriftlichen Dienstvertrag sei Wien als gewöhnlicher Arbeitsort und ihre Entsendung in die BRD vereinbart worden. Überdies sei die Anwendbarkeit österreichischen Rechts ausdrücklich festgehalten worden; ein Kollektivvertrag sei nicht anwendbar. Im Dienstvertrag sei überdies vorgesehen, daß das Dienstverhältnis gemäß § 77 GewO 1859 beiderseits jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündbar sei. Diese Vertragsklausel sei jedoch wegen Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des § 77 GewO nichtig. Das deutsche Bundesverfassungsgericht habe die unterschiedlichen Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte bereits für verfassungswidrig erklärt; dasselbe gelte für die österreichische Rechtslage.

Der Beklagte stellte das Tatsachenvorbringen in der Klage außer Streit und bestritt die Verfassungswidrigkeit des § 77 GewO.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach der bisherigen arbeitsrechtlichen Judikatur verdränge die (disponible) Regelung des § 77 GewO die zwingende Bestimmung des § 1159b ABGB. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit ordnungsgemäß kundgemachter Gesetze stehe einem Gericht erster Instanz nicht zu.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, den Betrag von S 50.000 übersteige. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 77 GewO keine Bedenken bestünden, da diese nicht gegen den im Art 7 B-VG verankerten Gleichheitsgrundsatz verstoße. Wie sich aus den Kompetenzbestimmungen ergebe, habe der Verfassungsgesetzgeber den Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten grundsätzlich anerkannt. Diesem Unterschied werde von den gesetzlichen und freiwilligen Interessenvertretungen der Arbeitnehmer durch den Abschluß jeweils eigener Kollektivverträge Rechnung getragen. Die Bestimmung des § 77 GewO sei dispositiv und werde durch die in den Kollektivverträgen enthaltenen Kündigungsfristen unwirksam, wodurch die Problematik der Ungleichbehandlung zumindest in quantitativer Hinsicht entschärft sei. Die sich in Ansehung der Kündigungsfristen ergebende Ungleichbehandlung finde auch darin ihre Rechtfertigung, daß im produktiven Gewerbe ein höherer Flexibilitätsbedarf und eine größere Fluktuation bestehe als etwa auf dem Dienstleistungssektor. Daß es dabei in Grenzfällen zu unbefriedigenden Ergebnissen kommen könne, bedeute noch nicht, daß die gesetzliche Regelung als unsachlich angesehen werden könne.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens.

Der Beklagte beteiligte sich weder am Berufungsverfahren noch am Revisionsverfahren.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Den ausschließlich auf die Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen des § 77 GewO 1859 und auch des § 1159b ABGB gestützten Ausführungen der Revisionswerberin ist entgegenzuhalten, daß eine Feststellungsklage nach § 228 ZPO ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen gerichtlichen Feststellung eines Rechtsverhältnisses oder Rechtes und eine tatsächliche Gefährdung der Rechtssphäre der Klägerin voraussetzt. In diesem Sinn besteht ein Bedürfnis nach Zulassung einer Feststellungsklage nur dann, wenn das Feststellungsurteil tatsächlich den Zweck erfüllt, den Streitfall bindend zu klären (vollkommene Bereinigung des streitigen Rechtskomplexes), so daß es aus aktuellem Anlaß geeignet ist, einen künftigen weiteren Rechtsstreit zu vermeiden. Prozessuale Vorteile allein genügen dafür ebensowenig wie die Feststellung von bloßen "Rechtslagen" (vgl. Fasching, ZPR**2 Rz 1096 ff; derselbe, Kommentar III 67 ff, 69).

Diese in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfenden Voraussetzungen (Fasching ZPR**2 Rz 1102) liegen hier nicht vor. Ob die Vereinbarung eines sogenannten Kündigungsausschlusses (vgl. Floretta in Floretta-Spielbüchler-Strasser, ArbR**n I 264) rechtswidrig ist, betrifft im vorliegenden Fall lediglich eine abstrakte Rechtsfrage, deren Lösung auch wegen der Unbestimmtheit des weiteren Verhaltens des Beklagten nicht von vornherein die Eignung der Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten zukommt. Die Klägerin hat nicht einmal behauptet, daß der Beklagte bereits die Absicht habe, sie zu kündigen. Ihr Arbeitsverhältnis kann - wenn überhaupt - ebenso durch Eigenkündigung, einvernehmliche Auflösung, Austritt oder Entlassung enden. Abgesehen davon wäre auch eine Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist durch den Beklagten wirksam, so daß sich durch die begehrte Feststellung keinerlei Bindungswirkung auf das bestehende Rechtsverhältnis und die konkrete Rechtsposition der Klägerin ergeben könnte (vgl. VfGH in ÖJZ 1985, 410; RZ 1984/80; auch Arb 10.029, 9.860, 9.571; 3 Ob 538/79; ZBl 1937/283; ZBl 1917/133 uva).

Während des aufrechten Arbeitsverhältnisses - die Feststellungsklage könnte bloß zur Bestimmung der gegenwärtigen Rechtslage dienen - kommt sohin der Frage der Dauer der Kündigungsfrist keine rechtliche Erheblichkeit zu; eine gegenwärtige Beeinträchtigung der Rechtsposition der Klägerin besteht nicht.

Anmerkung

E33144

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:009OBA00257.92.1216.000

Dokumentnummer

JJT_19921216_OGH0002_009OBA00257_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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