Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Fritz Stejskal und Dr.Theodor Zeh in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elfriede W*****, vertreten durch Dr.Peter Schobel, Rechtsanwalt in St.Pölten, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, wegen Erwerbsunfähigkeitspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. September 1992, GZ 31 Rs 119/92-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 10.März 1992, GZ 5 Cgs 301/91-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dieses Verfahren wird nach § 74 Abs 1 Satz 1 ASGG unterbrochen, bis über die Vorfrage der Versicherungspflicht der Klägerin in der Pensionsversicherung nach dem BSVG während der Zeit, in der sie den land(forst)wirtschaftlichen Betrieb in O***** mit ihrem Ehegatten Leopold W***** auf gemeinsame Rechnung und Gefahr führte, als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen Verwaltungsgerichtshofsverfahrens rechtskräftig entschieden worden ist.
Die Einleitung dieses Verfahrens beim beklagten Versicherungsträger wird nach § 74 Abs 1 2. Satz ASGG angeregt.
Der beklagte Versicherungsträger wird ersucht, den Obersten Gerichtshof von der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens in Verwaltungssachen einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen Verwaltungsgerichtshofsverfahrens unter Anschluß seiner die Klägerin betreffenden Akten zu benachrichtigen.
Text
Begründung:
Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 19.8.1991 die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin festgestellt hatte, lehnte sie deren Antrag auf Erwerbsunfähigkeitspension vom 19.9.1991 mit Bescheid vom 4.10.1991 mangels Erfüllung der Wartezeit ab. Innerhalb der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag (1.10.1991), die durch keine neutralen Monate verlängert würden, lägen keine Versicherungsmonate vor. Die Antragstellerin habe keinen einzigen Beitragsmonat erworben.
Die innerhalb der im § 67 Abs 2 ASGG bezeichnete Frist von drei Monaten ab Zustellung des letztgenannten Bescheides erhobene Klage richtet sich auf die abgelehnte Leistung im gesetzlichen Ausmaß und stützt sich nur auf die nicht näher begründete "Meinung" der Klägerin, "daß sie die Wartezeit schon erfüllt habe".
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Sie gestand die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin zu, wendete aber ein, daß diese, wie durch OZ 19 des Anstaltsaktes bewiesen werde, in der Zeit vom 1.10.1981 bis 30.9.1991 keinen Versicherungsmonat, aber auch vorher keinen Beitragsmonat erworben habe, weshalb die Wartezeit nicht erfüllt sei.
In der Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vom 6.2.1992, bei der die Klägerin mit einem qualifizierten Vertreter iS des § 40 Abs 1 Z 2 ASGG anwesend war, ließ das Erstgericht zum Beweis, ob die Klägerin Versicherungszeiten erworben habe, den Anstaltsakt der Beklagten zu, der verlesen wurde. Im Anspruchsfeststellungsformular OZ 19 dieses Aktes ist im wesentlichen nur festgehalten, daß die am 7.4.1950 geborene Klägerin seit 21.11.1967 mit einem am 21.5.1940 geborenen Mann verheiratet ist, am 11.3.1973 und 17.3.1980 zwei Kinder geboren hat, von Mai 1965 bis Oktober 1967 für die Wartezeit 30 Ersatzmonate, für die Leistung 15 Ersatzmonate nach § 107 Abs 1 Z 1 BSVG, vom 1.10.1981 bis 30.9.1991, in dem keine neutralen Monate liegen, jedoch keinen Versicherungsmonat erworben hat.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Es stellte aus dem Anstaltsakt fest, daß die Klägerin, die mit 17 Jahren einen Landwirt geheiratet hat, der Betriebsführer des gemeinsamen landwirtschaftlichen Betriebes ist, deshalb keinen Versicherungsmonat erworben hat.
Weil ein Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitspension neben der Erwerbsunfähigkeit auch die Erfüllung der Wartezeit voraussetze, an der es hier mangels Versicherungsmonaten fehle, sei das Klagebegehren nicht berechtigt.
Dagegen richtete sich die Berufung der Klägerin, die Mangelhaftigkeit des Verfahrens durch Unterlassung der Vernehmung der Klägerin als Partei und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend machte. Diese sei darin gelegen, daß sich das Erstgericht mit der Richtigkeit der im Anstaltsakt enthaltenen Feststellungen über die Versicherungszeiten der Klägerin überhaupt nicht beschäftigt habe, die Voraussetzungen des § 2a BSVG (in der im vorliegenden Fall noch anzuwendenden Fassung vor dem 1.1.1992) nicht geprüft und diese Bestimmung nicht richtig angewendet habe. Diese Gesetzesstelle habe nicht nur die Klägerin sondern auch viele andere Landwirtinnen benachteiligt und sei wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verfassungswidrig gewesen. Deshalb regte die Berufungswerberin einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof an.
Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.
Es verneinte die geltend gemachte Mangelhaftigkeit. Zur Rechtsrüge führte es im wesentlichen aus: Weil die Vollziehung des die Versicherungszugehörigkeit regelnden § 2a BSVG in den Bereich der Verwaltung falle, hätte sich das Erstgericht mit der Versicherungszugehörigkeit der Klägerin nicht zu befassen gehabt. Für eine Unterbrechung des Verfahrens habe kein Anlaß bestanden, weil die qualifiziert vertretene Klägerin kein Vorbringen erstattet habe, daß die Vorfrage ihrer Versicherungszugehörigkeit strittig sei. Weil die Vorfrage der Versicherungszugehörigkeit nach § 2a BSVG im Verwaltungsverfahren zu klären sei, bestehe auch für das Berufungsgericht kein Anlaß zu der von der Berufungswerberin angeregten Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof.
Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben. Weil der Bescheid der Beklagten durch die Klage zur Gänze außer Kraft getreten sei, wären der Sachverhalt und die Rechtslage, vor allem die Versicherungszugehörigkeit der Klägerin, vom Gericht neuerlich zu prüfen gewesen. Das Berufungsgericht hätte auch den in der Berufung angeregten Antrag an den Verfassungsgerichtshof stellen müssen, der in der Revision neuerlich angeregt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig.
Sie kann jedoch aus folgenden Gründen noch nicht sachlich erledigt werden.
(Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des BSVG.)
Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitspension nach § 123 Abs 1 hat der (die) Versicherte bei dauernder Erwerbsunfähigkeit, wenn die Wartezeit (§ 111) erfüllt ist und er (sie) am Stichtag (§ 104 Abs 2) weder in der Pensionsversicherung nach dem BSVG noch nach dem ASVG noch nach dem GSVG pflichtversichert ist, noch Anspruch auf einen der im § 23 Abs 2 Bezügegesetz bezeichneten Bezüge hat und die für den Versicherten (die Versicherte) in Betracht kommende weitere Voraussetzung des § 121 Abs 2 zutrifft. Eine Pflichtversicherung auf Grund einer Beschäftigung als Hausbesorger iS des Hausbesorgergesetzes und eine Pflichtversicherung auf Grund eines am Stichtag bereits beendeten Beschäftigungsverhältnisses, aus dem dem (der) Versicherten noch ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung oder ein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld anstelle von Kündigungsentschädigung zusteht, haben hiebei außer Betracht zu bleiben.
Erste Anspruchsvoraussetzung ist daher, daß es sich beim Anspruchswerber (bei der Anspruchswerberin) überhaupt um eine(n) in der Pensionsversicherung Versicherte(n) handelt.
Zwischen dem (der) Anspruchswerber(in) und dem Pensionsversicherungsträger muß also ein Versicherungsverhältnis bestehen. So heißt das sozialversicherungsrechtliche Schuldverhältnis so lange, als dem (der) Versicherten lediglich Anwartschaften auf Versicherungsleistungen zustehen. Das österreichische Sozialversicherungsrecht einschließlich des BSVG kennt drei Grundformen des Versicherungsverhältnisses: das Pflichtversicherungsverhältnis (zB §§ 2 ff), das freiwillige Versicherungsverhältnis (zB §§ 8 ff) und das Formalversicherungsverhältnis (zB § 12) (so zB auch Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 Rz 48 ff; Krejci-Marhold in Tomandl, SV-System 5. ErgLfg 39 mwN).
Nach § 2a Abs 1 in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung vor der 16. BSVGNov BGBl 1991/678 war, wenn Ehegatten ein und denselben land(forst)wirtschaftlichen Betrieb auf gemeinsame Rechnung und Gefahr führten, in der Pensionsversicherung nur ein Ehegatte iS des § 2 pflichtversichert, wenn beim anderen Ehegatten die in den Ziffern 1 bis 6 dieses Absatzes bezeichneten Voraussetzungen zutrafen. Trafen diese Voraussetzungen für keinen der beiden Ehegatten oder für beide Ehegatten zu, so war nach § 2a Abs 2 nur ein Ehegatte in der Pensionsversicherung nach § 2 pflichtversichert, und zwar derjenige, der innerhalb von sechs Monaten ab Beginn der gemeinsamen Betriebsführung bzw. nach Wegfall der Voraussetzungen des Abs 1 dem Versicherungsträger bekanntgegeben wurde. Wurde eine solche Erklärung nicht fristgerecht abgegeben oder wurde sie innerhalb dieser Frist für beide Ehegatten abgegeben, so galt als Pflichtversicherter, 1. wenn nur ein Ehegatte vor Eintritt eines Tatbestandes nach Abs 1 in der Pensionsversicherung nach dem BSVG pflichtversichert war, dieser Ehegatte, 2. in allen übrigen Fällen der ältere Ehegatte.
Im Sinn dieses Absatzes dürfte nur der Ehegatte der Klägerin in der Pensionsversicherung nach dem BSVG pflichtversichert gewesen sein.
Die Klägerin hat ihr Begehren nur auf ihre "Meinung" gestützt, daß sie "die Wartezeit schon erfüllt habe", also die erforderliche Anzahl von 60 Versicherungsmonaten erworben habe. Damit meinte sie offensichtlich, deshalb, weil sie mit ihrem Ehegatten einen ihnen je zur Hälfte gehörenden landwirtschaftlichen Betrieb auf gemeinsame Rechnung und Gefahr führte, sei nicht (nur) ihr Ehemann sondern (auch) sie in der Pensionsversicherung nach § 2 pflichtversichert gewesen und habe dadurch (auch) sie Beitragsmonate erworben. Diese Deutung wird auch durch die von der Klägerin in ihren Rechtsmitteln vertretene Rechtsansicht gestützt, § 2a, der trotz gemeinsamer Betriebsführung die Pflichtversicherung auf einen Ehegatten beschränkt, sei verfassungswidrig.
Deshalb ist die Ansicht des Berufungsgerichtes, die Klägerin habe "kein Vorbringen dahingehend erstattet, daß die Vorfrage ihrer Versicherungszugehörigkeit strittig sein könnte", nicht zutreffend.
Ähnlich wie im Fall der vom Berufungsgericht zit E SSV-NF 3/125 ist auch in der vorliegenden Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG die Versicherungspflicht der Klägerin in der Pensionsversicherung als Vorfrage strittig. Nach § 74 Abs 1 Satz 1 leg cit ist das Verfahren zwingend und auch noch in dritter Instanz [Kuderna, ASGG § 3; Fasching in Tomandl, SV-System 6. ErgLfg 727 f mwN] zu unterbrechen, bis über diese Vorfrage als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen Verwaltungsgerichtshofsverfahrens rechtskräftig entschieden worden ist.
Da im Zeitpunkt der Unterbrechung des Verfahrens nach der Aktenlage noch kein Verfahren in Verwaltungssachen anhängig ist, war bei der Beklagten, die nach dem gemäß § 182 BSVG auch hinsichtlich des Verfahrens zur Durchführung dieses Bundesgesetzes geltenden § 409 ASVG iVm § 13 Abs 1 BSVG als Träger der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz für das ganze Bundesgebiet zur Behandlung dieser Verwaltungssache berufen ist, die Einleitung des Verfahrens anzuregen (§ 74 Abs 1 Satz 2 ASGG; Kuderna aaO § 74 Erl 5).
Hingegen kann der Oberste Gerichtshof - entgegen der Anregung in der Revision - hinsichtlich des § 2a BSVG beim Verfassungsgerichtshof keinen Antrag gemäß Art 89 Abs 2 bzw 3 B-VG stellen, weil diese Gesetzesstelle nicht von ihm sondern von den Behörden anzuwenden ist, die über die im unterbrochenen Verfahren als Vorfrage strittige Frage der Versicherungspflicht der Klägerin in der Pensionsversicherung nach dem BSVG als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen zu entscheiden haben.
Die Beklagte wird ersucht, den Obersten Gerichtshof von der rechtskräftigen Erledigung des von ihm angeregten Verfahrens in Verwaltungssachen einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen Verwaltungsgerichtshofsverfahrens zwecks amtswegiger Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens unter Anschluß ihrer die Klägerin betreffenden Akten zu benachrichtigen.
Anmerkung
E32322European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1993:010OBS00316.92.0112.000Dokumentnummer
JJT_19930112_OGH0002_010OBS00316_9200000_000