TE OGH 1993/1/12 10ObS291/92

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Veröffentlicht am 12.01.1993
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Fritz Stejskal (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Renate Klenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Henriette D*****, vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschusses infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.September 1992, GZ 31 Rs 121/92-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11.März 1992, GZ 19 Cgs 152/91-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil der ersten Instanz wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen die einschließlich 603,84 S Umsatzsteuer mit 3.623,04 S bestimmten Kosten der Revision zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 20.6.1991 einen Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Nach den Feststellungen bestehen bei der am 16.6.1926 geborenen Klägerin eine Osteoporose, eine Fehlhaltung der Wirbelsäule, die in einzelnen Abschnitten mittelgradig eingeschränkt und sicher vermindert belastbar ist, wobei wechselnde Beschwerden durchaus glaubhaft sind, ein Abnützungsleiden beider Kniegelenke und eine statische Insuffizienz. Weiters bestehen ein Zustand nach Herzklappenersatz, eine koronare Herzkrankheit, eine Herzvergrößerung, ein niedriger Blutdruck mit erheblicher Regulationsstörung, Herzjagen und eine medikamentöse Hemmung der Blutgerinnung.

Die Klägerin kann sich an- und auskleiden und waschen, bedarf aber zur Ganzkörperreinigung, die sich auch aus medizinischer Sicht in unseren Breiten täglich empfiehlt, der Hilfe. Sie kann die Toilette aufsuchen und leichte häusliche Verrichtungen ohne Bücken, wie Waschen der kleinen Leibwäsche, Staubwischen, Zubereitung einfacher Speisen, durchführen, aber nicht aufräumen, das Bett nicht machen und auch keine Lebensmittel beischaffen. Unter Zubereitung einfacher Speisen ist zu verstehen, daß diese keiner wesentlichen Ausdauer, keiner aufwendigen Präparation und keiner wesentlichen Anstrengung bedürfen. Zum Beispiel ist Nudelkochen für eine Person gerade noch möglich. Die Klägerin kann auch einen Topf mit einem viertel bis halben Liter Wasser hin- und hertragen, Gemüse für eine Person putzen oder Salat waschen und auch Karotten schälen. Das Zubereiten einer Suppe und Hauptspeise im Sinn einer einfachen Hausmannskost wäre für sie aber bereits zuviel, weil dafür zu viele Arbeitsgänge notwendig wären. Sie könnte auch ein Stück Fleisch braten oder dünsten und allenfalls Salat dazu richten. Eine zweite frisch zuzubereitende Beilage könnte sie aber nicht mehr machen. Auch das Auftauen von Tiefkühlkost wäre zu anstrengend, weil dabei entweder darauf geachtet werden muß, daß diese Kost nicht anbrennt; wenn sie aber im Wasserbad aufgetaut werden muß, kann die Klägerin ein solches nicht herrichten. Hinsichtlich des Bettenmachens kann sie nur mehr im Sitzen das Leintuch gerade streichen und die Bettdecke zum Auslüften zurückschlagen. Das Überziehen des Bettes oder auch nur eine korrekte Spannung des Leintuchs ist ihr jedoch nicht mehr möglich.

Wegen dieser Behinderungen nahm das Erstgericht nach seiner Lebenserfahrung an, daß die Klägerin pro Woche für die Ganzkörperpflege etwa 4,5 Stunden, für die Wohnungsreinigung etwa 4 Stunden und für die Nahrungszubereitung etwa 2 Stunden, insgesamt daher etwa 10,5 Stunden und pro Monat etwa 45,5 Stunden eine Hilfskraft beanspruchen müsse, deren Stundenlohn mindestens 80 S betrage. Weil die mit etwa 3.600 S anzunehmenden monatlichen Kosten den beantragten Hilflosenzuschuß deutlich überstiegen, gebühre der Klägerin nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes ein Hilflosenzuschuß.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und wies die Klage ab.

Nach Meinung der zweiten Instanz seien die Verrichtungen, welche die Klägerin nicht selbst ausführen könne, nämlich das Duschen oder Baden, das Aufräumen, Bettenmachen und Herbeischaffen von Lebensmitteln mit Ausnahme des Bettenmachens nur in mehr oder weniger großen Zeitabständen notwendig. Der festgestellten Unmöglichkeit, ein Leintuch zu spannen, werde die Klägerin durch den Ankauf eines im Handel billig erhältlichen Spannleintuches begegnen können. Für eine dem allgemeinen Standard angepaßte menschengerechte Lebensführung sei einmal täglich die Einnahme einer ordentlich gekochten Mahlzeit erforderlich. Dazu zählten aber auch in großer Vielfalt angebotene handelsübliche Tiefkühlkost oder Konserven, die nur gewärmt werden müßten. Die Verwendung solcher Speisen sei der Klägerin, wenn auch nicht ständig, so doch in größerem Umfang zumutbar, so daß fremde Hilfe zum Kochen nur im Abstand von mehreren Tagen erforderlich sei. Auch wenn man berücksichtige, daß die Klägerin darüber hinaus für die in größeren Zeitabständen anfallende grobe Hausarbeit, für das Bettenüberziehen, das Herbeischaffen von Lebensmitteln und die Ganzkörperreinigung fremder Hilfe bedürfe, so könne ausgeschlossen werden, daß die dafür insgesamt erforderlichen Kosten die Höhe des monatlichen Mindesthilflosenzuschusses erreichten.

Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil durch Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige Revision ist berechtigt.

Es entspricht zwar der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates, daß das Erfordernis von Hilfe nur für die gründliche Reinigung der Wohnung, die Besorgung der großen Wäsche und das Einkaufen der Lebensmittel und sonstigen Gegenstände des täglichen Bedarfes einen Pensionisten nicht hilflos im Sinn des § 105a Abs 1 ASVG macht (zB SSV-NF 2/12, 3/15, 4/12 uva).

Im vorliegenden Fall kommt aber dazu, daß die Klägerin auch bei der Ganzkörperreinigung der Hilfe bedarf, worunter - entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes - nicht nur das Duschen oder Baden, sondern auch das normale Waschen des ganzen Körpers verstanden wird. Berücksichtigt man darüber hinaus, daß der Klägerin nur mehr leichte häusliche Arbeiten ohne Bücken möglich sind, so daß sie nicht nur zur gründlichen Wohnungsreinigung, sondern zu vielen anderen Hausarbeiten Hilfe in Anspruch nehmen muß, zB zum Her- und Wegräumen von nicht im Tischniveau aufbewahrtem Geschirr und Speisezutaten, und berücksichtigt man weiters, ihre weitgehenden Einschränkungen bei der Zubereitung ausreichender Mahlzeiten, dann ergibt sich insgesamt ein monatlicher Mehraufwand, der den begehrten Hilflosenzuschuß erreicht.

Deshalb ist die Klägerin hilflos im Sinn des § 105a Abs 1 ASVG, so daß ihr nach der zit Gesetzesstelle zur Pension ein Hilflosenzuschuß gebührt.

Das angefochtene Urteil war daher durch Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.

Anmerkung

E32309

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:010OBS00291.92.0112.000

Dokumentnummer

JJT_19930112_OGH0002_010OBS00291_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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