Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Fritz Stejskal und Dr.Theodor Zeh in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Leopold G*****, vertreten durch Dr.Hans Pritz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen Alterspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26.Juni 1992, GZ 31 Rs 89/92-8, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 10.März 1992, GZ 5 Cgs 281/91-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Mit Bescheid vom 25.10.1991 lehnte die Beklagte den am 18.9.1991
gestellten Antrag des am 4.5.1931 geborenen Klägers auf
Alterspension zum Stichtag 1.10.1991 mit der Begründung ab, daß er
das 65.Lebensjahr noch nicht vollendet habe.
Die dagegen fristgerecht erhobene Klage richtet sich auf die abgelehnte Leistung im gesetzlichen Ausmaß ab 1.10.1991 und stützt sich auf die Verfassungswidrigkeit des ungleichen Pensionsalters für die Frauen und Männer.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der nach der geltenden Gesetzeslage unbegründeten Klage.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil der eingeklagte Anspruch nach der geltenden Gesetzeslage nicht begründet sei.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge.
Durch die Verfassungsbestimmung des Art I des Bundesgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten BGBl 1991/627 sei bis 31.12.1992 eine allfällige Verfassungswidrigkeit dieser unterschiedlichen Altersgrenzen saniert,
weshalb § 130 Abs 1 GSVG derzeit als verfassungsgemäß zu gelten habe.
Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, beim Verfassungsgerichtshof die Überprüfung der Verfassungsgemäßheit des § 130 Abs 1 GSVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 zu beantragen und das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig; sie ist auch berechtigt.
Weil der erkennende Senat gegen die hier präjudizielle Wortfolge im § 130 Abs 1 GSVG BGBl 1978/560 idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 BGBl 157 "nach Vollendung des 65.Lebensjahres, die Versicherte" verfassungsrechtliche Bedenken hatte, stellte er mit Beschluß vom 15.9.1992 10 Ob S 225/92 beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, diese Wortfolge als verfassungswidrig aufzuheben oder auszusprechen, daß sie in der Zeit vom 1.April bis 30.November 1991 verfassungswidrig war.
Mit Erkenntnis vom 2.12.1992 G 132/92-8 ua sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß die erwähnte Wortfolge bis zum Ablauf des 30.November 1991 verfassungswidrig war.
An diesen Spruch des Verfassungsgerichtshofes sind nach Art 140 Abs 7 Satz 1 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht (Satz 2 leg cit).
Die vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erklärte Wortfolge im § 130 Abs 1 GSVG ist daher im vorliegenden Anlaßfall nicht mehr anzuwenden, in dem für den Kläger ausnahmsweise als Anfallsalter für die Alterspension das vollendete 60.Lebensjahr genügt.
Damit steht aber nur fest, daß der Kläger am Stichtag diese eine Voraussetzung für den Anspruch auf die begehrte Alterspension erfüllt hat.
Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen des § 130 Abs 1 und 2 GSVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 wurden bisher weder behauptet, noch erörtert, noch außer Streit gestellt noch festgestellt.
Deshalb waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, und war die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 499, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO).
Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Revision beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.
Anmerkung
E32334European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1993:010OBS00328.92.0112.000Dokumentnummer
JJT_19930112_OGH0002_010OBS00328_9200000_000