Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Fritz Stejskal (AG) und Dr.Theodor Zeh (AG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H***** B*****, vertreten durch Dr.Hans Pritz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, vertreten durch Dr.Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Alterspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.März 1992, GZ 34 Rs 1/92-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 15.November 1991, GZ 7 Cgs 189/91-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der am 16.4.1930 geborene Kläger ist bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft pensionsversichert. Am 25.3.1991 stellte er den Antrag auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer. Mit Schreiben vom 15.5.1991 modifizierte er diesen Antrag dahin, daß er die Gewährung der Alterspension, in eventu der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer begehre.
Die beklagte Partei wies mit Bescheid vom 11.6.1991 den Antrag des Klägers auf Gewährung der Alterspension mit der Begründung ab, daß der Kläger das 65. Lebensjahr nicht vollendet habe und daher die Voraussetzungen für diese Leistungen gemäß § 130 GSVG nicht erfüllt seien.
Das Erstgericht wies das auf Gewährung einer Alterspension ab 1.5.1991 gerichtete Begehren des Klägers ab; dieser habe das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet, so daß der begehrte Anspruch nicht zu Recht bestehe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Den vom Kläger geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken hielt es entgegen, daß nach dem im Verfassungsrang stehenden Art I des Bundsgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Versicherten, BGBl 1991/627, gesetzliche Regelungen über verschiedene Altersgrenzen, durch die sich der Kläger beschwert erachte, zulässig seien. Wohl haber der Verfassungsgerichtshof gesetzliche Bestimmungen über unterschiedliche Altersgrenzen von Männern und Frauen zuvor nur in anderen Sozialversicherungsgsetzen, nicht jedoch im GSVG als verfassungswidrig aufgehoben, doch sei durch die im Verfassungsrang stehende Bestimmung des zitierten Bundesgesetzes auch die Regelung des § 130 GSVG saniert.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern. Dabei wiederholt der Kläger im wesentlichen die in der Berufung vorgetragenen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 130 GSVG.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Da der Oberste Gerichtshof Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 130 GSVG in der im hier maßgeblichen Zeitpunkt in Kraft gestandenen Fassung hatte, stellte er an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, im § 130 Abs 1 GSVG, BGBl 1978/560 idF des Sozialrechtsänderungsgesetzes 1991 BGBl 157 die Wortfolge "nach Vollendung des 65. Lebensjahres, die Versicherte" als verfassungswidrig aufzuheben oder auszusprechen, daß in der angeführten Bestimmung diese Wortfolge in der Zeit vom 1.4.1991 bis 30.11.1991 verfassungswidrig war.
Mit Erkenntnis vom 2.12.1992, G 189/92-6, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß die Wortfolge "nach Vollendung ds 65. Lebensjahres, die Versicherte" im § 130 Abs 1 des Bundesgesetzes vom 11. Oktober 1978, BGBl 560/1978, über die Sozialversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen (Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz - GSVG) idF des Art II Z 6 lit a des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991, BGBl 157/1991, bis zum Ablauf des 30.11.1991 verfassungswidrig war.
An den Spruch des Verfassungsgerichtshofes sind nach Art 140 Abs 7 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden gebunden. Die Bestimmung, deren Verfassungswidrigkeit festgestellt wurde, ist nach Art 140 Abs 7 B-VG auf alle in ihren Geltungsbereich fallenden Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles anzuwenden. Anlaßfall ist dabei die Rechtssache, die den Verfassungsgerichtshof zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bewogen hat (VfSlg 3103). Die Rückwirkung des Ausspruches des Verfassungsgerichtshofes für den Anlaßfall besteht darin, daß dieser so zu entscheiden ist, als ob die aufgehobene Bestimmung im für die Entscheidung des Anlaßfalles maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr bestanden hätte (VfSlg 3961, 4072), so daß sie im Anlaßfall nicht mehr anzuwenden ist (VfSlg 8934).
Damit ergibt sich für den vorliegenden Fall, daß der Umstand, daß der Kläger das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, dem erhobenen Anspruch auf vorzeitige Alterspension nicht entgegensteht. Die altersmäßige Voraussetzung für die begehrte Leistung ist erfüllt, weil der Kläger das 60. Lebensjahr überschritten hat.
Es fehlen jedoch die für eine Beurteilung des Vorliegens der übrigen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch erforderlichen Feststellungen. In diesem Punkt erweist sich das Verfahren ergänzungsbedürftig.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E32330European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1993:010OBS00324.92.0112.000Dokumentnummer
JJT_19930112_OGH0002_010OBS00324_9200000_000