Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Roman Merth und AR Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J***** H*****, Arbeiter, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt ***** wider die beklagte Partei Firma A***** M***** Bauwarengroßhandel, vertreten durch ***** ua Rechtsanwälte ***** wegen 19.315,-- S brutto sA (Revisionsinteresse 11.532,19 S brutto sA), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.6.1992, GZ 5 Ra 117/92-22, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 28.1.1992, GZ 45 Cga 204/91-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie einschließlich des unangefochten gebliebenen Teiles insgesamt zu lauten haben:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihres Vertreters 19.313,79 S brutto samt 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit 1.7.1991 binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.
Das Mehrbegehren von 1,21 S brutto samt 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit 1.7.1991 wird abgewiesen."
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 10.971,84 S bestimmten Prozeßkosten erster Instanz (darin 1.703,64 S Umsatzsteuer und 750,-- S Barauslagen), die mit 5.429,76 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 704,96 S Umsatzsteuer und 1.200,-- S Barauslagen) und die mit 4.699,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 483,20 S Umsatzsteuer und 1.800,-- S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der beklagten Partei seit 14.5.1990 beschäftigt. Mit Schreiben vom 7.3.1991 kündigte die beklagte Partei dieses Arbeitsverhältnis zum 30.6.1991 auf. Dieses Schreiben enthielt folgende Passage: "Seinen Urlaubsanspruch konsumiert Herr H***** während der dreimonatigen Kündigungsfrist." Bei Ausspruch der Kündigung hatte der Kläger aus dem ersten Urlaubsjahr noch einen offenen Urlaubsanspruch von drei Wochen, den er im Zeitraum vom 22.4. bis 10.5. und am 26. und 27.6.1991 verbrauchte. Bei Ausfolgung des Kündigungsschreibens ersuchte der Kläger um Gewährung von zwei Wochen Urlaub ab dem 22.4.1991. Nach anfänglicher Weigerung wurde ihm ein Urlaub über das ursprünglich begehrte Ausmaß hinaus bis 10.5.1991 bewilligt. Nach der Rückkehr stellte der Kläger keine weiteren Urlaubsansuchen. Am 26. und 27.6.1991 wurde der Kläger von der beklagten Partei "auf Urlaub geschickt"; er war mit diesem Urlaubskonsum einverstanden.
Der Kläger bezog zuletzt einen Bruttomonatslohn von 15.965,-- S und leistete bei einer kollektivvertraglichen Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden regelmäßig Mehrarbeit von 1,5 Stunden pro Woche. Der Kläger erhielt mit der Schlußabrechnung 2.894,-- S unter dem Titel Urlaubsabfindung.
Der Kläger begehrt 19.315,-- S brutto sA aus dem Titel der Urlaubsentschädigung für das zweite Urlaubsjahr. Der Kläger sei von der beklagten Partei nie aufgefordert worden, diesen Urlaub zu konsumieren; die beklagte Partei habe vielmehr die Arbeitsleistungen des Klägers bis zum Kündigungstermin stillschweigend entgegengenommen. Ein Urlaubskonsum sei dem Kläger auch nicht zumutbar gewesen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger sei aufgefordert worden, den gesamten Urlaub während der Kündigungsfrist zu konsumieren; dies sei dem Kläger auch zumutbar gewesen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 7.782,81 S brutto sA statt und wies das Mehrbegehren von 11.532,19 S brutto sA ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß dem Kläger ab Beginn des zweiten Urlaubsjahres am 14.5.1991 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.6.1991 der Verbrauch von weiteren drei Wochen Urlaub zumutbar gewesen sei; der Kläger habe daher Anspruch auf Urlaubsentschädigung für zwei Wochen und auf Urlaubsabfindung für drei Wochen.
Das Berufungsgericht bestätigte das von beiden Parteien angefochtene Ersturteil und sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß dem Kläger zwar für den Verbrauch des gegenständlichen Urlaubes erst der Zeitraum ab 14.5.1991 zur Verfügung gestanden sei; der Gesetzgeber sehe aber bei einer mindestens dreimonatigen Kündigungsfrist eine Zumutbarkeitsprüfung vor und stelle dabei nicht auf das Entstehen des Urlaubsanspruches ab. Da gerade die zweite Maihälfte und der Juni für den Urlaubsverbrauch besonders gut geeignet seien und der Kläger keine schulpflichtigen Kinder habe, sei ihm ein Verbrauch von drei weiteren Urlaubswochen in diesem Zeitraum zumutbar gewesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes und des Revisionsgegners hat der Oberste Gerichtshof mit der Entscheidung ZAS 1991, 53 (kritisch Pfeil) = Arb 10.695 = RdW 1988, 171 = WBl 1988, 372 zur Frage, ob § 9 Abs 1 Z 4 UrlG auf während der Kündigungsfrist entstandenen neuen Urlaub unabhängig davon anzuwenden ist, ob zwischen dem Entstehen des neuen Urlaubsanspruches und dem Ende des Arbeitsverhältnisses ein Zeitraum von mindestens drei Monaten liegt, nicht abschließend Stellung genommen. Zwar wurde in diesem Fall die Zumutbarkeit des Verbrauches des weniger als drei Monate vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses entstandenen neuen Urlaubsanspruches geprüft, aber im Hinblick auf die Unzumutbarkeit des Urlaubsverbrauches nicht zur weiteren Frage Stellung genommen, ob der neue Urlaub unabhängig von der Zumutbarkeit des Verbrauches schon mangels eines hiefür zur Verfügung stehenden Zeitraumes von drei Monaten jedenfalls zu entschädigen gewesen wäre. In der Entscheidung wurde dies mit dem abschließenden Satz zum Ausdruck gebracht, daß das Entschädigungsbegehren des Klägers, soweit es den neuen Urlaubsanspruch betreffe, "daher schon aus diesem Grund" (nämlich wegen Unzumutbarkeit des Verbrauchs) berechtigt sei.
In der Vorentscheidung Arb 10.334 = SZ 57/49 = JBl 1985, 435 = RdW 1984, 316, hatte der Oberste Gerichtshof diese Frage nicht zu prüfen, weil der ab Entstehen des neuen Urlaubes zur Verfügung stehende Zeitraum ohnehin zur Gänze zum Urlaubsverbrauch verwendet wurde.
Die Revision ist auch berechtigt.
In der Lehre wurde zur Anwendung des § 9 Abs 1 Z 4 UrlG auf einen während des Kündigungszeitraumes neu entstehenden Urlaubsanspruch von Dusak (Ausgewählte Probleme des Urlaubsrechtes, ZAS 1985, 54 ff [64]) und Pfeil (Entscheidungsbesprechung ZAS 1991, 55 ff [56]) die Auffassung vertreten, daß die Zumutbarkeit des Naturalverbrauches dieses neuen Anspruches nur dann zu prüfen sei, wenn zwischen seinem Entstehen und dem Ende des Arbeitsverhältnisses mindestens drei Monate liegen; hingegen gehen Klein-Martinek (Urlaubsrecht 114), davon aus, daß die Zumutbarkeit des Verbrauches eines weniger als drei Monate vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses entstandenen Urlaubsanspruches zu prüfen sei, soferne nur die Kündigungsfrist mindestens drei Monate betrage. Die von Klein-Martinek vertretene Rechtsauffassung ist durch den Wortlaut des § 9 Abs 1 Z 4 UrlG gedeckt. Von der Regelung werden (alle) Urlaubsansprüche erfaßt, die vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses - und damit auch noch während der Kündigungsfrist - entstehen und deren Verbrauch während der mindestens dreimonatigen Kündigungsfrist nicht möglich oder nicht zumutbar war; daß zum Verbrauch des während der mindestens dreimonatigen Kündigungsfrist entstandenen neuen Urlaubsanspruches eine (weitere) dreimonatige Frist bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Verfügung stehen müsse, läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen.
Eine "logische" oder "echte" Gesetzeslücke liegt nicht vor, weil § 9 Abs 1 Z 4 UrlG nach seinem Wortlaut auch auf die Fälle anwendbar ist, in denen der Urlaubsanspruch erst während der Kündigungsfrist entsteht. Dies schließt aber das Vorliegen einer "teleologischen" oder "unechten" Gesetzeslücke, bei der der Gesetzeszweck iVm dem Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung auf den gesetzlich nicht unmittelbar geregelten Fall fordert, nicht unter allen Umständen aus. Analogie ist insbesondere dann geboten, wenn der nicht besonders angeführte Fall alle motivierenden Merkmale der geregelten Fälle enthält und das Prinzip der Norm auch in einem ihrem Tatbestand ähnlichen Fall Beachtung erfordert. Nur wenn für einen bestimmten Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge bewußt nicht angeordnet worden ist, fehlt es an der Gesetzeslücke und daher an der Möglichkeit ergänzender Rechtsfindung (Bydlinski in Rummel, ABGB2, Rz 2 zu § 7; siehe Arb 10.560 = DRdA 1987, 428 [zustimmend Cerny] mwH).
Eine solche "teleologische" ("unechte") Gesetzeslücke liegt hier nicht vor. Anders als die Kündigung durch den Arbeitgeber kommt das Entstehen des neuen Urlaubsanspruches während der Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer nicht überraschend, so daß ihm für die Urlaubsplanung über den Gesamtanspruch die volle Kündigungsfrist (allerdings mit der Einschränkung, daß er ohne Zustimmung des Arbeitgebers mit dem Verbrauch des neuen Urlaubs erst ab Fälligkeit beginnen kann), zur Verfügung steht. Damit ist die für eine analoge Anwendung der Dreimonatsfrist des § 9 Abs 1 Z 4 UrlG auf den Zeitraum zwischen Entstehen des Urlaubsanspruches und Beendigung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Übereinstimmung der motivierenden Merkmale der Regelung nicht gegeben; darüber hinaus ist im Fall einer mindestens dreimonatigen Kündigungsfrist das allfällige Entstehen eines neuen Urlaubsanspruches nach Ausspruch der Kündigung so naheliegend, daß dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann, er habe diesen Fall nicht bedacht.
Die Zumutbarkeitsprüfung des § 9 Abs 1 Z 4 UrlG ist daher auf einen erst während der Kündigungsfrist neu entstandenen Urlaubsanspruch auch dann anzuwenden, wenn zwischen dem Entstehen dieses Urlaubsanspruches und dem Ende des Arbeitsverhältnisses weniger als drei Monate zum Verbrauch dieses Urlaubes zur Verfügung stehen.
Dennoch ist die Revision berechtigt.
Ist die Revision zulässig, beschränkt sich die Prüfung der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes gemäß § 503 Z 4 ZPO nicht auf die im Sinne des § 502 Abs 1 Z 1 ZPO (hier § 46 Abs 1 Z 1 ASGG) erhebliche Rechtsfrage.
Die beklagte Partei brachte zwar mit der einseitigen Anordnung "seinen Urlaubsanspruch konsumiert Herr H***** während der dreimonatigen Kündigungsfrist" zum Ausdruck, daß der Kläger nicht nur den damals bereits entstandenen, offenen Resturlaub von drei Wochen, sondern auch noch den während der Kündigungsfrist entstehenden weiteren fünfwöchigen Urlaubsanspruch verbrauchen sollte; dem weiteren Verhalten der beklagten Partei, die trotz der im Kündigungsschreiben enthaltenen Aufforderung zum Urlaubsverbrauch anfänglich sogar den Verbrauch des Resturlaubes verweigerte und nach vereinbarungsgemäßem Verbrauch des Großteils des Resturlaubes den Kläger nicht aufforderte, seinen am 14.5.1991 entstandenen weiteren Urlaubsanspruch zu verbrauchen, sondern die Arbeitsleistung des Klägers entgegennahm, konnte der Kläger aber nicht entnehmen, daß sie eine Vereinbarung auch über den Verbrauch des neu entstandenen Urlaubsanspruches anstrebte, sondern im Gegenteil, daß ein weiterer Urlaubsverbrauch nicht erwünscht war. Angesichts dieses Verhaltens der beklagten Partei, das nicht erkennen ließ, daß sie einen Verbrauch auch des neu entstandenen Urlaubes während der Kündigungsfrist wünschte, erübrigt sich die weitere Prüfung, ob dem Kläger ein solcher Verbrauch zumutbar war (s auch Klein-Martinek aaO 114 f sowie Cerny, Urlaubsrecht5, 168, wonach nur die Verweigerung des möglichen und zumutbaren Urlaubsverbrauches zum Verlust des Anspruches auf Urlaubsentschädigung führt). Der Urlaubsverbrauch ist vielmehr aus betrieblichen Gründen unterblieben (s Cerny aaO 167).
Der Revision war daher Folge zu geben und das angefochtene Urteil - unter Berücksichtigung einer geringfügigen Rechnungsdifferenz - im Sinne des Klagebegehrens abzuändern.
Die Entscheidung über die Kosten sämtlicher Instanzen beruht auf den §§ 41, 43 Abs 2 und 50 ZPO.
Anmerkung
E32049European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1993:009OBA00017.93.0113.000Dokumentnummer
JJT_19930113_OGH0002_009OBA00017_9300000_000