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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AuslBG §28 Abs1 Z1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde der H in D, vertreten durch Dr. Rainer Mutenthaler, Rechtsanwalt in 3370 Ybbs an der Donau, Herrengasse 23, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 6. Mai 2003, Zl. Senat-ME-01-0125, betreffend Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft M vom 1. Juni 2001 wurde die Beschwerdeführerin mit den Spruchpunkten 1. bis 5. der Begehung von fünf Verwaltungsübertretungen nach § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a iVm § 3 Abs. 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) dahingehend für schuldig befunden, sie habe als handelsrechtliche Geschäftsführerin der N Gesellschaft mbH mit dem Sitz in D zu verantworten, dass diese Gesellschaft zu den jeweils näher umschriebenen Tatzeiten die fünf namentlich genannten Ausländerinnen (drei Staatsangehörige der Dominikanischen Republik, zwei rumänische Staatsangehörige) jeweils als Tänzerinnen bzw. Gästeanimateurinnen ohne arbeitsmarktbehördliche Genehmigung beschäftigt habe. Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wurden über die Beschwerdeführerin fünf Geldstrafen in Höhe von jeweils S 20.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafen jeweils fünf Tage) verhängt.
Zur Begründung führte die Bezirkshauptmannschaft M im Wesentlichen aus, anlässlich einer Kontrolle des zuständigen Arbeitsinspektorates und des Landesgendarmeriekommandos für Niederösterreich am 9. August 2000 seien um 21.30 Uhr im Lokal "P" in Kematen die sechs namentlich genannten Personen angetroffen worden. RSr(RS) habe Va(V) als Gogo-Tänzerin und Gästeanimateurin engagiert und habe dafür S 200,-- vereinbart (der Betrag hätte jeden Tag ausbezahlt werden sollen); als Arbeitszeit seien die näher umschriebenen Zeiten festgelegt worden. V habe zum Zeitpunkt der Kontrolle diese Tätigkeit in Ermangelung von Gästen nicht ausüben können. Fn(F) sei von "deren Cousine" zum "P" vermittelt worden und habe dort am 9. August "2001" (gemeint: 2000) erstmals als Tänzerin gearbeitet; über die Höhe und Art der Bezahlung sei noch nichts vereinbart worden. Cz(C), die über Vermittlung einer Freundin in den "P" gekommen sei, hätte Gäste zum Trinken animieren und Stripteasetanzen sollen; für jeden Striptease habe sie S 200,-- pro Abend und von den Gästen Trinkgelder erhalten. Die Prozente des Getränkeumsatzes seien nach Lokalschluss mit der Barfrau abgerechnet und von dieser ausbezahlt worden. Ou(O) sei von der S Gesellschaft mbH an den "P" vermittelt worden; die Entlohnung sei durch die Agentur erfolgt. O hätte zum Getränkekonsum animieren und als Tänzerin arbeiten sollen; sie habe Prozente vom Getränkekonsum erhalten. Die Bezahlung sei grundsätzlich durch die Agentur erfolgt; ausgenommen davon seien die Prozente für den Getränkekonsum gewesen. O habe für Tabledance S 150,-- bekommen; dieser Betrag sei täglich nach Betriebschluss von der Barfrau ausbezahlt worden. Die Vermittlung sei mit Auftragsbestätigung vom 1. August 2000 erfolgt. Nu(N) sei von der S Veranstaltungsagentur mit Auftragsbestätigung vom 16. Juli 2000 an die N GmbH vermittelt worden. N sei ebenfalls wie die anderen Tänzerinnen am Getränkeumsatz beteiligt gewesen. Für den Fall, dass die Tänzerinnen in Ermangelung zahlender Gäste im Lokal keine Einkünfte erzielten, habe die N GmbH eine "Ausfallhaftung" übernommen.
Im Rahmen ihrer Erwägungen zur Beweiswürdigung legte die Bezirkshauptmannschaft M dar, der festgestellte Sachverhalt ergebe sich aus den Niederschriften der genannten Personen; die Niederschriften seien der Anzeige des zuständigen Arbeitsinspektorates angeschlossen gewesen. Die schriftliche Stellungnahme der Beschwerdeführerin stehe im Widerspruch zu den Aussagen von RS; diese sei im "P" als Kellnerin beschäftigt gewesen. Eine weitere Befragung der angetroffenen Tänzerin (der Ausländerinnen) habe entfallen können, weil die Behörde (nach ihrer allgemeinen Lebenserfahrung) an der Richtigkeit der Angaben der Vernommenen nicht zweifle. Hingegen seien die "Angaben" der Beschwerdeführerin, dass kein Arbeitsverhältnis zwischen den Tänzerinnen und der N GmbH bestanden hätte, "lediglich als Schutzbehauptungen zu werten".
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde - ohne zuvor eine mündliche Verhandlung durchzuführen - über die Berufung der Beschwerdeführerin "hinsichtlich der Punkte 1 bis einschließlich 5 des Bescheides" wie folgt entschieden:
"Der Berufung hinsichtlich der Bescheidpunkte 1, 2, 3, 4 und 5 des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft M vom 1. Juni 2001, Zl. 3-15059-00, wird gemäß § 66 Abs. 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG keine Folge gegeben.
Die Berufungswerberin hat zu diesen Bescheidpunkten 1 bis einschließlich 5 gemäß § 64 Abs. 1 und 2 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG EUR 1.453,45 als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens binnen zwei Wochen zu zahlen.
Innerhalb gleicher Frist sind zu diesen Bescheidpunkten 1 bis einschließlich 5 die verhängten Strafbeträge und der anteilige Kostenbeitrag zum Verfahren erster Instanz, nämlich EUR 726,72 (das sind 10 % der verhängten Strafbeträge) zu bezahlen (§ 59 Abs. 2 AVG)."
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Bezirkshauptmannschaft habe den Tatort zutreffend mit D angeführt. In der Bescheidbegründung (des Straferkenntnisses) sei ergänzend zu lesen, dass die Ausländerinnen die Tätigkeit im "P" in K ausgeübt hätten. Der Versuch der Beschwerdeführerin sich mit Unkenntnis von der Anwesenheit der Ausländerinnen zu rechtfertigen, sei nicht geeignet, ihre verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung hintanzuhalten, weil sie das Agieren von Ausländerinnen hätte unterbinden müssen. Zum Fehlen von Wahrnehmungen über eine konkrete Tätigkeit am 9. August 2000 sei auszuführen, dass das angelastete Tatbildmerkmal bereits auf Grund der Dienstleistung der "zweckensprechenden Anwesenheit der angetroffenen Ausländerinnen im Lokal" erfüllt sei; ob eine oder mehrere der Damen Getränke tatsächlich umsetzen hätten können, sei nicht wesentlich. Die Beschwerdeführerin "bagatellisiere" die Beteiligung sämtlicher Damen am Getränkeumsatz "als Zubrot". In dieser Hinsicht werde auf die (im angefochtenen Bescheid näher zitierte) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen. Wie die Bezirkshauptmannschaft gelange auch die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin die angelastete Verwaltungsstraftat der unerlaubten Ausländerbeschäftigung in fünf Fällen begangen habe.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde einen Gegenschrift erstattete, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, und auf die von der Beschwerdeführerin mit Schriftsätzen vom 6. Oktober 2003 und vom 27. Oktober 2003 repliziert wurde, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
§ 51e Abs. 1 bis 5 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) in der Fassung BGBl. I Nr. 65/2002 lautet:
"Öffentliche mündliche Verhandlung (Verhandlung)
§ 51e. (1) Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung entfällt, wenn
1. der Antrag der Partei oder die Berufung zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist;
2. der Devolutionsantrag zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
(3) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von einer Berufungsverhandlung absehen, wenn
1. in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder
2.
sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder
3.
im angefochtenen Bescheid eine 500 EUR nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder
4. sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet
und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Berufungswerber hat die Durchführung einer Verhandlung in der Berufung zu beantragen. Etwaigen Berufungsgegnern ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
(4) Der unabhängige Verwaltungssenat kann ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegensteht.
(5) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden."
Die Beschwerdeführerin rügt unter anderem, die belangte Behörde habe ihre Beweisanträge (begründungslos) übergangen. Da ihre Berufung "über die in § 51e Abs. 3 VStG in den Ziffern 1 bis 4 erwähnten Fälle, die den UVS allenfalls ermächtigen würden, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen, hinausgeht", hätte eine mündliche Verhandlung abgehalten werden müssen. Sie sei in ihrem Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal verletzt worden. Trotz strittiger Tatsachenfragen habe die belangte Behörde (begründungslos) von einer mündlichen Verhandlung abgesehen.
Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin im Recht.
In der Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis wurden von der Beschwerdeführerin (u.a.) Aktenwidrigkeiten und eine unzulängliche Begründung der Beweiswürdigung geltend gemacht. Die Beschwerdeführerin hat konkrete Widersprüche zwischen der Tatumschreibung (im Spruch) und den in der Begründung des Straferkenntnisses getroffenen Sachverhaltsfeststellungen gerügt, und sie hat bestritten, dass die Tänzerinnen "wirtschaftlich unselbstständig" gewesen seien. Dazu hat die Beschwerdeführerin die Einvernahme einer Zeugin (unter Angabe einer inländischen Anschrift) beantragt.
Die belangte Behörde hat angenommen, die Beschwerdeführerin habe die Gewährung eines Anteils an der Getränkeprovision "als Zubrot" in der Berufungsschrift zugestanden. Bei dieser Würdigung hat die belangte Behörde aber unberücksichtigt gelassen, dass in der Berufung vorgebracht wurde, die "beschäftigende Agentur" (also nicht wie die belangte Behörde annimmt die N GmbH) habe dieses "Zubrot" zugestanden. Im Zusammenhang mit dem Vorbringen im vorherigen Absatz der Berufungsschrift ergibt sich daher, dass die Beschwerdeführerin (statt des angenommenen Tatsachengeständnisses) in Wahrheit eine Bestreitung vorgebracht hat bzw. eine Ergänzungsbedürftigkeit des zugrundegelegten Sachverhaltes hinsichtlich eines wesentlichen Umstandes darzutun suchte, wurde von ihr doch bestritten, dass die (von ihr vertretene) N GmbH die Arbeitgeberin der angetroffenen Ausländerinnen gewesen sei. Damit hat die belangte Behörde sich aber nicht auseinandergesetzt. Die (aus dem erstinstanzlichen Straferkenntnis) übernommenen Sachverhaltsfeststellungen sind in dieser Hinsicht - wie die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung zutreffend rügte - unvollständig geblieben.
Da der Sachverhalt bestritten wurde (in der Berufung nicht nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wurde), kein anderer Fall des § 51e Abs. 3 (Z 2 bis Z 4) VStG und auch kein Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorlagen, wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, gemäß § 51e Abs. 1 VStG eine Verhandlung durchzuführen, was sie unterlassen hat (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 20. April 2004, Zl. 2003/02/0221, vom 28. Oktober 2004, Zlen. 2003/09/0071, 0072, und vom 19. Oktober 2005, Zl. 2005/09/0008).
In der durchzuführenden öffentlichen mündlichen Verhandlung hätte die belangte Behörde die in einem Verwaltungsstrafverfahren nach dem AuslBG dem Beschuldigten durch Art. 6 EMRK gewährleisteten Verfahrensgarantien zu wahren gehabt (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 16.624/2002).
Im Fall gesetzmäßigen Vorgehens hätte die belangte Behörde gemäß § 51i VStG (Unmittelbarkeit des Verfahrens) bei ihrer Entscheidung nur auf das Rücksicht nehmen dürfen, was in der Verhandlung vorgekommen ist. Daher beruht der von der belangten Behörde ihrer Entscheidung ausschließlich auf Grund der Ermittlungen des Arbeitsinspektorates (Anzeiger) zu Grunde gelegte Sachverhalt nicht auf einem gesetzmäßigen (mängelfreien) Verfahren.
Diese Verletzung von Verfahrensvorschriften erscheint wesentlich, weil nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Beachtung der Bestimmungen der §§ 51e und 51i VStG und unter Wahrung der der Beschwerdeführerin in der Verhandlung zukommenden Mitwirkungsbefugnisse zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 22. Februar 2006
Schlagworte
"zu einem anderen Bescheid" Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen Beweiswürdigung AntragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2003090093.X00Im RIS seit
23.03.2006