TE OGH 1993/1/14 15Os129/92

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Veröffentlicht am 14.01.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.Jänner 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch, Dr.Hager und Mag.Strieder als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Munsel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christian V***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB, AZ U 907/91 des Bezirksgerichtes D*****, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes F***** als Berufungsgericht vom 5.August 1992, AZ Bl 85/92, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Jerabek, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Landesgerichtes F***** als Berufungsgericht vom 5. August 1992, AZ Bl 85/92 verletzt insoweit das Gesetz in der Bestimmung des § 88 Abs. 1 StGB iVm § 6 Abs. 1 StGB und § 38 Abs. 4 zweiter Satz StVO, als in den Urteilsgründen die Rechtsansicht vertreten wird, 2,5 Sekunden nach Beginn der Grünphase und dem verkehrsgerechten Anfahren könne auch von einem pflichtgetreuen Kraftfahrer nicht verlangt werden, darauf zu achten, ob ein durch rotes Licht zum Anhalten verpflichteter Kraftfahrer vorschriftswidrig die Kreuzung zu queren trachten werde.

Text

Gründe:

Christian V***** wurde mit dem Urteil des Bezirksgerichtes D***** vom 21. April 1992, GZ U 907/91-8, des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer (bedingt nachgesehenen) Geldstrafe verurteilt.

Den erstgerichtlichen Urteilsannahmen zufolge fuhr der Angeklagte am 8. November 1991 bei Nacht in Dornbirn mit seinem PKW (als erstes Fahrzeug) vorschriftsmäßig nach Aufleuchten des Grünlichtes (für seine Fahrtrichtung) von der vor dem gekennzeichneten Fußgängerübergang angebrachten Haltelinie der Brückengasse in die ampelgeregelte "sehr großzügig ausgebaute und sehr gut ausgeleuchtete" Kreuzung mit der Lustenauerstraße ein, um seine Fahrt geradeaus in die Raiffeisenstraße fortzusetzen. Er unterließ es aber, ca. 2,5 Sekunden später auf das bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennbare Fehlverhalten des von rechts aus der Lustenauerstraße in die für ihn durch Rotlicht gesperrte Kreuzung einfahrenden PKW-Lenkers (Wieslaw B*****) zu reagieren, worauf es im Kreuzungsbereich zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge kam, bei dem die Beifahrerin des Angeklagten leicht verletzt wurde.

In Stattgebung der von Christian V***** aus dem Grund des § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a (§ 468 Abs. 1 Z 4) StPO gegen diesen Schuldspruch erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit gelangte das Landesgericht F***** - ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen und "unter Verweis auf eine jüngst ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (EvBl. 1992/47)" - mit dem Urteil vom 5.August 1992, AZ Bl 85/92 (ON 16) aus nachfolgenden rechtlichen Erwägungen zum Freispruch des Angeklagten gemäß § 259 Z 3 StPO:

"Jedenfalls kann ca. 2,5 Sekunden nach Beginn der Grünphase und bei verkehrsgerechtem Anfahren von einem pflichtgetreuen Kraftfahrer mit Fug nicht verlangt werden, darauf zu achten, ob ein durch rotes Licht zum Anhalten verpflichteter Kraftfahrer sein Fahrzeug im Bereich einer sehr großzügig ausgebauten Kreuzung der in Rede stehenden Art vor der für ihn geltenden Haltelinie noch zum Stillstand bringen oder vorschriftswidrig die Kreuzung zu queren trachten werde."

Diese Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes steht nach Ansicht des Generalprokurators mit dem Gesetz nicht im Einklang. In der deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt er dazu aus:

"Nach § 38 Abs. 4 zweiter Satz hat der Lenker eines Fahrzeuges bei Grünlicht weiterzufahren, wenn es die Verkehrslage zuläßt; die Befugnis, eine ampelgeregelte Kreuzung während der Grünphase zu durchfahren, wird sohin nur nach Maßgabe der jeweils aktuellen Verkehrssituation eingeräumt (vgl. zuletzt EvBl. 1992/47 = ZVR 1992/63). Ein Kraftfahrer, der bei Grünlicht in eine Kreuzung einfährt, kann zwar grundsätzlich darauf vertrauen, daß aus der nunmehr gesperrten Querrichtung niemand mehr in die Kreuzung einfährt, er hat aber dessen ungeachtet weiterhin der Verkehrslage im gesamten Kreuzungsbereich die nach Lage des Falles gebotene und zumutbare Beachtung zu schenken. Im Falle der Erkennbarkeit der Vorschriftswidrigkeit des Verhaltens eines anderen Verkehrsteilnehmers verliert nämlich der Vertrauensgrundsatz seine Wirksamkeit (vgl. Benes, Messinger, StVO8, ENr. 35, 36, 38, 39, 43, 46 zu § 3 StVO). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes gilt die Vorschrift des § 38 Abs. 4, zweiter Satz StVO, bei Grünlicht nur weiterzufahren, wenn es die Verkehrslage zuläßt, keineswegs nur für das Einfahren (in den Kreuzungsbereich), sondern für den gesamten, durch Lichtzeichen geregelten Kreuzungsbereich, sohin auch für das Weiterfahren auf einer solchen Kreuzung. Demnach ist aber auch das Weiterfahren in einem ampelgeregelten Kreuzungsbereich nur erlaubt, wenn dies die Verkehrslage zuläßt.

Nach den Urteilsfeststellungen des Bezirksgerichtes Dornbirn als Erstgericht, von denen das Berufungsgericht mangels Beweiswiederholung oder Beweisergänzung bei seiner rechtlichen Beurteilung auszugehen hatte, war für den im Kreuzungsbereich befindlichen Beschwerdeführer Christian V***** das verkehrswidrige Verhalten des an dem nachfolgenden Zusammenstoß beteiligten Lenkers des polnischen Fahrzeuges bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennbar. Die Kollision beider Fahrzeuge wäre für den Beschwerdeführer bei rechtzeitiger Reaktion ab Erkennbarkeit der Gefahr leicht vermeidbar gewesen (er hätte nur die weitere Beschleunigung seines Fahrzeuges unterlassen müssen; vgl. S 69/70 dA). Das Unterlassen einer dem Beschwerdeführer jedenfalls zumutbaren Reaktion in einem Zeitpunkt, in dem er das verkehrswidrige Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers erkennen konnte, stellte sich demnach als ein dem Beschwerdeführer zurechenbarer objektiver und subjektiver Sorgfaltsverstoß im Sinne des § 6 StGB dar, zumal er zur Beobachtung der Verkehrslage auch noch bei der Weiterfahrt im Kreuzungsbereich verpflichtet war (§ 38 Abs. 4 zweiter Satz StVO), die Einhaltung dieser Verpflichtung das Maß jener Sorgfalt, die der Gesetzgeber bei jedem durchschnittlichen Kfz-Lenker voraussetzt, keineswegs überschreitet und ihm unter den gegebenen Umständen ein zur Abwendung der Gefahr gebotenes Verhalten auch zumutbar war."

Rechtliche Beurteilung

Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde die oben wiedergegebene Passage aus der Begründung des Berufungsurteils als rechtlich verfehlt rügt, ist sie im Recht.

Denn in der Tat gilt das Gebot des § 38 Abs. 4 StPO, bei grünem Licht nur dann weiterzufahren oder einzubiegen, wenn es die Verkehrslage zuläßt, nicht bloß für das Einfahren, sondern für das Passieren der Kreuzung überhaupt. Daher genügt es nicht, daß sich der Lenker eines Kraftfahrzeuges lediglich vor dem Einfahren in die für ihn freigegebene Kreuzung davon überzeugt, ob dies die Verkehrslage zuläßt; er hat vielmehr auch während des Durchfahrens insbesondere einer (wie hier) großflächigen Kreuzung die Verkehrslage (weiter) zu beobachten, damit er gegebenenfalls ab Erkennbarkeit des Fehlverhaltens eines anderen Verkehrsteilnehmers - wodurch der Vertrauensgrundsatz seine Wirksamkeit verliert - entsprechend reagieren kann.

Demnach steht die vom Landesgericht Feldkirch in der Begründung des Berufungsurteils vertretene davon abweichende Rechtsansicht, die in der hiefür ins Treffen geführten, indes eine andere Fallkonstellation betreffenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (EvBl. 1992/47) keine Stütze findet, mit dem Gesetz nicht im Einklang. Daher war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde diese vom Generalprokurator (primär) gerügte Gesetzesverletzung festzustellen.

Ob der vom Berufungsgericht gefällte Freispruch insgesamt der Sach- und Rechtslage entsprochen hat, sah sich der Oberste Gerichtshof hingegen nicht zu beurteilen veranlaßt, weil in den bezughabenden Urteilen entscheidende Feststellungen, die eine abschließende Beurteilung ermöglichen würden, fehlen.

Somit war spruchgemäß zu entscheiden.

Anmerkung

E33289

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:0150OS00129.9200006.0114.000

Dokumentnummer

JJT_19930114_OGH0002_0150OS00129_9200006_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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