TE OGH 1993/1/21 6Ob603/92

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Veröffentlicht am 21.01.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gemeinnützige Bau- und Siedlungsgenossenschaft "E*****" reg. Genossenschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Kurt Klein und Dr.Paul Wuntschek, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Dr.Franz L*****, vertreten durch Dr.Harald Gerl, Rechtsanwalt in Graz, und seiner Nebenintervenienten 1. Eduard K*****, und 2. Elisabeth S*****, beide vertreten durch Dr.Manfred Schnurer, Rechtsanwalt in Graz, wegen 547.259,05 S sA, infolge der Rekurse der beklagten Partei und ihrer Nebenintervenienten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 26.März 1992, GZ 4b R 4/92-18, womit infolge der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 23.Oktober 1991, GZ 22 Cg 126/91-11, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Rekurse werden zurückgewiesen.

Ein Zuspruch von Kosten des Rekursverfahrens findet nicht statt.

Text

Begründung:

Der am 31.Mai 1990 verstorbene Ing. Karl K***** (folgend Hinterleger) - die beiden Nebenintervenienten sind seine Erben - war leitender Angestellter der klagenden Partei, kündigte das Dienstverhältnis zum 30. September 1983 aus Gesundheitsgründen und ließ sich eine Abfertigung von 547.259,05 S auszahlen, über deren Rechtmäßigkeit es zu Differenzen zwischen der klagenden Partei und dem Hinterleger kam. Zur Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung verpflichtete sich der Hinterleger gegenüber der klagenden Partei in der schriftlichen Vereinbarung vom 7.November 1983 Beilage B, bis zur Klärung der Frage, ob er die Abfertigungssumme behalten dürfe oder sie an die klagende Partei zurückzahlen müsse, den strittigen Betrag auf ein bei der Steiermärkischen Sparkasse zu eröffnendes Sparbuch einzuzahlen und die Sparurkunde (folgend auch Sparbuch) beim beklagten (zwischenzeitig emeritierten) Notar, welcher für die klagende Partei bereits mehrfach, vor allem in Ansehung zahlreicher Legalisierungen, tätig geworden war, treuhändig zu hinterlegen. Der Beklagte wurde in der Vereinbarung Beilage B ermächtigt, nach Anweisung durch die klagende Partei entsprechend § 23 Abs 4 AngG, die dem Hinterleger sohin gebührenden Beträge auszuzahlen. Zinsen aus dem Sparbuch gebührten der klagenden Partei, allfällige Notariatskosten gingen zu Lasten des Hinterlegers. Den Vorgang über die Hinterlegung hielt der Beklagte im Protokoll vom 10.November 1983 Beilage 1 fest:

"Es erscheint Herr ... (Hinterleger) und übergibt mir ein Sparbuch ..., Bezeichnung: 'Abfertigung mit Vorbehalt' mit einem Guthabensstand per 10.November 1983 von 547.259,05 S (...). Ich übernehme dieses Sparbuch in Verwahrung. Laut Auftrag des ... (Hinterleger) bleibt dieses Sparbuch so lange in Verwahrung, bis er einen Beleg seiner früheren Dienststelle, das ist die ... (klagende Partei) vorlegt, wonach dieses Sparbuch unverzüglich an ... (Hinterleger) auszufolgen ist. Die Verwahrung des Sparbuches wird voraussichtlich zwei bis drei Monate dauern. Eine Fotokopie des Sparbuches darf an die vorgenannte Dienststelle, ebenso wie eine beglaubigte Abschrift dieses Protokolles übermittelt werden. Hierüber wurde vorstehendes Protokoll aufgenommen, von ... (Hinterleger) unterschrieben."

Die Vereinbarung Beilage B kannte der Beklagte nicht; Kontakte der Streitteile fanden in dieser Angelegenheit nicht statt.

Der vom Hinterleger gegen die klagende Partei am 16.Februar 1984 zu AZ 2 Cr 67/84 des Arbeitsgerichtes Graz angestrengte Arbeitsgerichtsprozeß mit dem Begehren, die klagende Partei sei schuldig, den öffentlichen Notar ... (Beklagter dieses Verfahrens) anzuweisen, das vom Hinterleger bei diesem hinterlegte Sparbuch an den Hinterleger auszufolgen ruht seit 3.September 1984.

Am 16.Juli 1985 schrieb der Beklagte an den Hinterleger: "Bei mir

liegt noch immer das Sparbuch betreffend die Abfertigung. Ich möchte

endlich das Ding loswerden und bitte um Bericht, wann ich das Buch

liquidieren kann. Sollte dies noch längere Zeit dauern, würde ich das

Sparbuch bei Gericht hinterlegen." Über die Ausfolgung des Sparbuches

an den Hinterleger nahm der Beklagte die Niederschrift vom 31.Juli

1985 auf: "... Über Verlangen des ... (Hinterleger) folge ich dieses

Sparbuch aus und bestätigt Herr ... (Hinterleger) die Übernahme

dieses Sparbuchs. Verwiesen wird auf das Protokoll vom 10.11.1983.

..."

Die klagende Partei begehrt vom Beklagten die Zahlung des Betrages von 547.259,05 S sA mit dem wesentlichen Vorbringen, der Beklagte habe das bei ihm treuhändig hinterlegte Sparbuch treuwidrig an den Hinterleger ausgefolgt. Der Vertrag vom 10.November 1983 zwischen dem Hinterleger und dem Beklagten sei auch ein Vertrag zugunsten eines Dritten, nämlich der klagenden Partei, gewesen, weshalb das Sparbuch an den Hinterleger erst nach Zustimmung der klagenden Partei hätte ausgefolgt werden dürfen.

Der Beklagte und die Nebenintervenienten wenden im wesentlichen ein, zwischen ihm und dem Hinterleger sei ohne Mitwirkung der klagenden Partei ein Verwahrungsvertrag zustande gekommen. Eine Treuhandvereinbarung zugunsten der klagenden Partei sei nicht abgeschlossen worden, der Beklagte habe über Auftrag des Hinterlegers das hinterlegte Sparbuch ausgfolgt. Der Beklagte sei passiv nicht legitimiert, der Klagsanspruch sei verjährt. Der Hinterleger sei mangels Überprüfung seiner Abfertigungsansprüche durch die klagende Partei berechtigt gewesen, vom Beklagten die Ausfolgung des Sparbuches zu fordern.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im wesentlichen mit der Begründung ab, zwischen den Parteien sei kein Auftrags- oder Vertragsverhältnis begründet worden, deshalb habe auch keine Treuepflicht des Beklagten gegenüber der klagenden Partei bestanden. Der Hinterleger habe ihm von der klagenden Partei erteilten Weisungen nicht an den Beklagten weitergeleitet.

Das Berufungsgericht hob nach teilweiser Beweiswiederholung das Urteil erster Instanz auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO). In rechtlicher Hinsicht ging es im wesentlichen davon aus, daß der Beklagte mit dem Hinterleger einen Verwahrungsvertrag abgeschlossen habe. Bei sachgerechter Vertragsauslegung ergebe sich, daß dieser Vertrag Elemente eines Vertrages zugunsten eines Dritten, nämlich der klagenden Partei, enthalte. Der Beklagte habe als öffentlicher Notar aus den Angaben des Hinterlegers im Zusammenhang mit dem hinterlegten Sparbuch (Bezeichnung "Abfertigung mit Vorbehalt") sowie der ausdrücklich festgehaltenen Bedingung, daß eine Ausfolgung an den Hinterleger nur dann erfolgen dürfe, wenn die klagende Partei ihre Zustimmung erteile, ableiten müssen, daß der Verwahrungsvertrag nicht im ausschließlichen Interesse des Hinterlegers, sondern auch der klagenden Partei abgeschlossen worden sei, nämlich bis zur Klärung, ob die an den Hinterleger ausbezahlte Abfertigungssumme ihm rechtmäßig zustehe oder nicht. Daß der Beklagte den Verwahrungsvertrag im aufgezeigten Sinn auch gedeutete habe, gehe unmißverständlich aus seinem eigenen Schreiben an den Hinterleger vom 16. Juli 1985 hervor. Die klagende Partei habe durch den Verwahrungsvertrag jedenfalls ein Mitwirkungsrecht, zumindest was die Ausfolgung des Sparbuches betreffe, erworben, daß der Hinterleger nicht mehr ohne Mitwirkung der klagenden Partei und damit einseitig widerrufen habe können. Da sich der Beklagte bei Ausfolgung des Sparbuches über dieses Mitwirkungsrecht der klagenden Partei hinweggesetzt habe, habe er vertragswidrig gehandelt und sei damit der klagenden Partei grundsätzlich zum Schadenersatz verpflichtet.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse des Beklagten und der beiden Nebenintervenienten sind mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen iS der §§ 519 Abs 2, 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Geschäftstätigkeit des Notars läßt sich in die rein notariellen Geschäfte im engeren Sinn, die gerichtskommissionellen und die anwaltlichen Geschäfte gliedern (SZ 43/217 mwN). Letztere Geschäfte, die der Notar neben seiner Amtspflicht ebenfalls ausüben darf, sind im § 5 NotO erwähnt. Zur Amtstätigkeit des Notars gehört auch die Verwahrung ihm anvertrauter Urkunden, die im V. Abschnitt des V. Hauptstücks der NotO (§§ 104 ff) näher geregelt ist. Der Notar kann aber auch eine Urkunde als Parteienbeauftragter im Rahmen eines zivilrechtlichen Verwahrungsvertrages (§§ 957 ff ABGB) in Ausübung seiner "anwaltlichen" Tätigkeit ohne Kontrahierungspflicht übernehmen (SZ 43/217 mwN). Im Einzelfall ist zu beurteilen, in welcher Eigenschaft der Notar in Anspruch genommen und tätig wurde. Im vorliegenden Fall gab der Hinterleger dem beklagten Notar eine Sparurkunde (§ 18 KWG) - deren Rechtsnatur als Wertpapier (Namens- oder Überbringersparbuch, vinkuliert oder nicht; vgl dazu Avancini-Iro-Koziol, Österr. Bankvertragsrecht I Rz 9/31) nicht feststeht - in Verwahrung. Der Beklagte war nicht Treuhänder, weil ihm keine über die Verwahrungsposition hinausgehenden Befugnisse eingeräumt war, sondern bloß Verwahrer eines (zur Sicherstellung des Anspruchs der klagenden Partei auf allfällige Rückzahlung) strittigen Abfertigungsbetrages. Das Wort "treuhändig" im Protokoll Beilage 1 sollte erkennbar nur die Vertrauensstellung des Beklagten hervorheben (vgl EvBl 1980/162). Der Hinterleger und der Beklagte schlossen somit einen nach § 5 NotO privatrechtlichen Verwahrungsvertrag (§§ 957 ff ABGB) ab. §§ 104 ff NotO regeln nur die Verwahrungsübernahme kraft des notariellen Amtes nach § 1 NotO (Wagner, NotO3 246), während hier eine Verwahrung nach § 5 NotO vorliegt.

Ob aber nach dem Kenntnisstand des beklagten Notars aufgrund seiner Information durch den Hinterleger und dem Inhalt des Protokolls Beilage 1 auch ein Vertrag zugunsten Dritter, nämlich der klagenden Partei, vorlag, betrifft nur die vom Berufungsgericht im Einzelfall vorgenommene (durchaus vertretbare) Vertragsauslegung und schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage iS des § 502 Abs 1 ABGB. Bei einer derartigen Vertragsauslegung, wie sie die zweite Instanz vornahm, ist die Ausfolgung der Sparurkunde an den Hinterleger, obwohl die im Protokoll Beilage 1 gesetzte Bedingung (Vorlage eines Beleges der klagenden Partei über die unverzügliche Ausfolgung des Sparbuches an den Hinterleger) nicht erfüllt war, vertrags- und rechtswidrig. Daß diese Bedingung zeitlich befristet gewesen wäre, ergibt sich aus dem Protokoll Beilage 1 nicht. Festgehalten war im Protokoll nur die voraussichtliche Verwahrungsdauer.

Die zweite Instanz hat zur Frage, ob dem Hinterleger ein Abfertigungsanspruch gegenüber der klagenden Partei zustand oder nicht und somit der klagenden Partei ein Vermögensschaden entstanden ist, sowie zur Frage der vom Beklagten eingewendeten Verjährung das Beweisverfahren und die Sachverhaltsfeststellungen für ergänzungsbedürftig gehalten. Der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, kann dem nicht entgegentreten (EFSlg 64.162 uva).

Demgemäß ist spruchgemäß zu entscheiden. Die Kostenentscheidung

beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit der beiden Rekurse nicht hingewiesen.

Anmerkung

E33096

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:0060OB00603.92.0121.000

Dokumentnummer

JJT_19930121_OGH0002_0060OB00603_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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