Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Jänner 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Markel, Mag.Strieder und Dr.Mayrhofer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag.Röder als Schriftführer in der Strafsache gegen Ernö T***** und Friedrike M***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Ernö T***** und Friederike M***** gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 29. Juli 1992, GZ 20t Vr 3886/90-124, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Bassler, und der Verteidiger Dr.Winterstein und Dr.Mühl, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten Ernö T***** und Friederike M***** die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am 22.September 1937 geborene Ernö T***** und die am 10.Juli 1941 geborene Friederike M***** wurden auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen im zweiten Rechtsgang des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt. Darnach haben sie ab Jahresbeginn 1990 bis 2. April 1990 (in Wien) "im einverständlichen Zusammenwirken als Mittäter" ihren am 21.Februar 1971 geborenen Sohn Markus U***** getötet, indem sie ihm durch mindestens einen Monat genügende Nahrung und Flüssigkeit versagten und schließlich nach einem Nasenbeinbruch mit Verschiebung der Bruchstücke und eingetretener eitriger Gehirnhautentzündung die rechtzeitige Herbeiholung ärztlicher Hilfe vorsätzlich unterließen.
Im ersten Rechtsgang waren beide Angeklagten nach dem Wahrspruch der Geschwornen des Verbrechens des Quälens und Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1, 2 und 3, zweiter Fall, StGB schuldig erkannt worden. Dieser Wahrspruch und das darauf beruhende Urteil wurden mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 19.März 1992, GZ 12 Os 159/91-7, aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Im Rahmen der Verfahrenserneuerung verneinten die Geschwornen nunmehr jeweils stimmenmehrheitlich (mit sechs gegen zwei Stimmen) die für jeden Angeklagten gesondert gestellten (anklagekonformen) Hauptfragen (1 und 3 betreffend Ernö T*****, 2 und 4 betreffend Friederike M*****) nach dem Verbrechen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen (mit Todesfolge) nach § 92 Abs 1 und 3 StGB sowie (realkonkurrierend) nach § 92 Abs 2 und 3 StGB. Im selben Stimmenverhältnis bejahten sie hingegen die jeweils gesonderten Eventualfragen 2 (betreffend Ernö T*****) und 3 (betreffend Friederike M*****) nach dem Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB (fortlaufende Zahlen VI und VII des Fragenschemas). Die hinsichtlich Ernö T***** gestellten Eventualfragen 1 (V) nach (bloß unterstützender) Beitragstäterschaft (§ 12 dritter Fall StGB) zu den (im Fragenschema dem § 92 StGB unterstellten) Tathandlungen der Friederike M*****, 4 (VIII) nach absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 87 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB) sowie 5 (IX) nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83 Abs 1, 86 StGB) blieben demgemäß unbeantwortet.
Rechtliche Beurteilung
Dieses Urteil bekämpfen die Angeklagten mit getrennt ausgeführten, sich in ihren Argumenten jedoch teilweise überschneidenden - von Ernö T***** auf § 345 Abs 1 Z 6, 8 (gemeint wohl: 7), 10 a und 12 StPO, von Friederike M***** auf die Z 7, 8 und 10 a leg cit gestützten - Nichtigkeitsbeschwerden, überdies die Strafaussprüche jeweils mit Berufung.
Beiden Nichtigkeitsbeschwerden kommt keine Berechtigung zu.
Zunächst trifft es der Auffassung beider Beschwerdeführer zuwider nicht zu, daß die (von den Geschwornen bejahten) Eventualfragen 2 und 3 nach Mord mit Verletzung der Vorschrift des § 267 StPO gestellt wurden. Wie in der in dieser Strafsache ergangenen, oben zitierten kassatorischen Rechtsmittelentscheidung vom 19.März 1992 bereits ausgeführt, blieb das im ersten Rechtsgang zunächst gefällte Unzuständigkeitsurteil (§ 261 Abs 1 StPO) weiterhin (im Sinn des § 261 Abs 2 StPO) wirksam, weshalb auch im zweiten Rechtsgang eine Fragestellung in Richtung § 75 StGB geboten war und eine Überschreitung der (in der letzten Hauptverhandlung modifizierten - 433/II) Anklage durch die gerügte Fragestellung nicht vorlag. Ausgehend von dem Anklagevorwurf, wonach den Angeklagten als Mittäter in der ersten Tatphase die Zufügung körperlicher Qualen durch peinigende Modalitäten der unzureichenden Versorgung und Unterbringung des wegen Schwachsinns wehrlosen Opfers (§ 92 Abs 1 StGB) und in der Folge die gröbliche Vernachlässigung der Fürsorgeverpflichtung durch Unterlassung der Herbeiholung ärztlicher Hilfe (§ 92 Abs 2 StGB) in der Bedeutung angelastet wurde, daß der gesamte Tatkomplex den Tod des Tatopfers zur Folge hatte (§ 92 Abs 3, zweiter Qualifikationsfall, StGB), war die gerügte Fragestellung auf der Basis der im wesentlichen unveränderten Verfahrensergebnisse der erneuerten Hauptverhandlung nach wie vor indiziert (§ 314 Abs 1 StPO). Daß im zweiten Rechtsgang in der Hauptverhandlung am 29.Juli 1992 in bezug auf den ohnedies bereits inkriminierten Sachverhalt (einschließlich des Todes des Tatopfers) eine "Anklageausdehnung" zusätzlich "auf § 75 StGB" unterblieb, bleibt daher - entgegen der in der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten T***** vertretenen Auffassung - ohne strafprozessuales Gewicht §§ 261 Abs 2, 267 StPO). Die Identität der Tat geht aber auch weder durch die Aufnahme einzelner (in der Anklagebegründung konkretisierter) Verletzungen des Tatopfers bzw bestimmter damit verbundener Folgen in die an die Geschwornen gerichteten Fragen noch durch die Einschränkung der Tatzeit laut Anklage von "Anfang 1990 bis 2.April 1990" auf "ein Monat" verloren, weshalb der darauf abstellende Einwand der Angeklagten M***** gleichermaßen versagt.
Die Tatsachenrügen (Z 10 a) beider Angeklagten stellen nicht auf das wesentliche Sachverhaltssubstrat ab, das dem Verdikt der Geschwornen zugrunde liegt. Darnach nahmen die Laienrichter als erwiesen an, daß die Angeklagten mit Tötungsvorsatz ihrem Sohn Markus U***** zunächst genügende Nahrung und Flüssigkeit vorenthielten und in der Folge die - auf Grund des "allgemeinen Zustandes" des Markus Untersmaier gebotene rechtzeitige Herbeiholung ärztlicher Hilfe unterließen, worauf Markus U***** (zumindest auch) an den Folgen dieser Unterlassungen starb. Demgemäß kommt dem Umstand, daß für den Tod des Opfers auch eine eitrige Gehirnhautentzündung nach einem - von den Angeklagten allenfalls nicht erkannten - Nasenbeinbruch mitursächlich war, ebensowenig jene in der Beschwerdeargumentation reklamierte entscheidende Bedeutung zu, wie der aktenkundigen Tatsache, daß Friederike M***** verspätet, nämlich zu einem Zeitpunkt, in dem ihr Sohn Markus U***** nicht mehr gerettet werden konnte, ärztliche Hilfe in Anspruch nahm. Selbst unter der Voraussetzung, daß der kurz vor dem Tod des Tatopfers veranlaßten Verständigung eines Arztes letztlich doch eine Abkehr der Angeklagten M***** von dem zuvor langfristig effektuierten Tötungsvorhaben zugrunde lag, bliebe ihre strafrechtliche Verantwortung für die bis zu diesem Zeitpunkt bereits verwirklichten Mitbedingungen für den Todeseintritt unberührt. Daß dabei auch die vom Angeklagten T***** relevierte Unauffälligkeit der Nasenbeinfraktur für den - mit dem bereits unansprechbaren Opfer konfrontierten - Arzt Dr.L***** keine für die Angeklagten günstigeren Rückschlüsse ergeben mußten, bedarf nach dem Gesagten keiner weiteren Erörterung. Nach Prüfung der im Wahrspruch festgestellten entscheidenden Tatsachen auf der Basis sämtlicher - mit der Annahme einer planmäßig betriebenen "allmählichen" Tötung teils signifikant konformen - Verfahrensergebnisse - 91 ff/I, 93 ff/II; äußeres Erscheinungsbild des Tatopfers nach den aktenkundigen Lichtbildern in Verbindung mit den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen) ergeben sich insgesamt keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des den bekämpften Schuldsprüchen zugrunde gelegten Tatsachensubstrats.
Daraus folgt aber auch, daß - der Auffassung des Beschwerdeführers T***** zuwider - keine Zusatzfrage danach geboten war, ob dieser Angeklagte "hätte erkennen können, daß bei Markus U***** ein Nasenbeinbruch mit Verschiebung der Bruchstücke zu einer eitrigen Gehirnhautentzündung geführt hat" (Z 6), weil die Verantwortungen der Angeklagten mit dem Fehlen einer derartigen Erkennbarkeit bloß eine nicht entscheidende medizinische (Teil-)Diagnose des für beide Angeklagten evident lebensbedrohenden allgemeinen Zustandes des Markus U***** betrafen und solcherart weder einen Strafausschließungs- noch einen Strafaufhebungsgrund indizierten (§ 313 StPO).
Soweit Ernö T***** mit seiner Rechtsrüge (Z 12) einen Schuldspruch bloß wegen "§ 92 Abs 3 erster Fall" (gemeint ersichtlich § 92 Abs 1, 2 und 3, erster Fall, StGB) anstrebt, bringt er den geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgrund, der ein Festhalten an dem sich aus dem Verdikt ergebenden Tatsachengrundlagen verlangt, nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung, weil er damit in Abweichung vom Wahrspruch der Geschwornen davon ausgeht, daß Markus U***** "bei Nichtvorliegen der Nasenbeinfraktur hätte gerettet werden können", sohin "rechtzeitig in das UKH Meidling gebracht wurde".
Als nicht berechtigt erweist sich schließlich auch die Instruktionsrüge (Z 8) der Angeklagten M*****, mit der sie unter Bezugnahme auf die Niederschrift der Geschwornen behauptet, letztere hätten sich infolge unvollständiger Belehrung nicht mit der Frage der "subjektiven Kenntnis der Gefahrenlage" auseinandergesetzt. Legt doch die Rechtsbelehrung insbesondere über den bedingten Vorsatz (S 1 f) in Verbindung mit den Ausführungen über die Begehung strafbarer Handlungen durch Unterlassung (S 3 ff) die für die Annahme vorsätzlicher Unterlassung erforderliche Wissenskomponente (§ 5 Abs 1 StGB) vollständig und richtig dar, zumal vorsätzliches Unterlassen begrifflich die Kenntnis einschließt, daß Anlaß (die "Notwendigkeit") zu erfolgsabwendendem Handeln besteht. Eine Unvollständigkeit haftet vielmehr dem Beschwerdezitat aus der Niederschrift der Geschwornen an, weil sich nämlich gerade daraus ergibt, daß beide Angeklagten ernsthaft mit dem Tod des Markus U***** rechneten, ärztliche Hilfe jedoch dessenungeachtet nicht in Anspruch nahmen.
Die zur Gänze unberechtigten Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen.
Das Geschwornengericht verhängte über die Angeklagten nach § 75 StGB - jeweils unter Beachtung des Verschlimmerungsverbotes (§§ 293 Abs 3, 290 Abs 2, 344 StPO) - an den Strafaussprüchen im ersten Rechtsgang orientierte Freiheitsstrafen, nämlich über Ernö T***** in der Dauer von zehn Jahren und über Friederike M***** in der Dauer von sieben Jahren. Dabei wertete es beim Angeklagten T***** die brutale Verwirklichung des Tatplans und seine (einschlägigen) Vorstrafen, bei der Angeklagten M***** keinen Umstand als erschwerend, als mildernd hingegen allein bei der Zweitangeklagten deren bisher ordentlichen Lebenswandel und das Eingeständnis einer "Vernachlässigung" ihres Sohnes Markus U*****.
Da das in Anbetracht des exzeptionellen Gewichtes der abgeurteilten Tathandlungen an sich unangemessen niedrige Ausmaß der vom Erstgericht ausgesprochenen Freiheitsstrafen allein in der hier aktuellen prozessualen Sachkonstellation seine Begründung hat (Verschlimmerungsverbot mangels für die Angeklagten nachteiliger Bekämpfung der Strafaussprüche im ersten Rechtsgang), konnte den jeweils auf Strafreduktion ausgerichteten Berufungen beider Angeklagten vorweg kein Erfolg beschieden sein.
Anmerkung
E34598European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1993:0120OS00116.9200009.0128.000Dokumentnummer
JJT_19930128_OGH0002_0120OS00116_9200009_000