Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon-Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.E.Huber, Dr.Jelinek, Dr.Rohrer und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des am ***** geborenen Josef I***** , vertreten durch Dr.Manfred Lampelmayer, Rechtsanwalt in Wien, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Betroffenen gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 6. Oktober 1992, GZ 44 R 683/92-45, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Purkersdorf vom 18.März 1992, GZ SW 14/91-23, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
In Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen wird der Antrag Regina E*****s, ihr Akteneinsicht zu gewähren, abgewiesen.
Text
Begründung:
Das gegenständliche Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters wurde über Anregung Regina E*****s, die ihrem Vorbringen nach eine Tochter des Betroffenen ist, eingeleitet. Mit Schriftsatz ON 18 beantragte Regina E*****, ihr Akteneinsicht zu bewilligen, denn es bestehe die Möglichkeit, daß sie nach dem NÖ. Landesfürsorgegesetz für den Betroffenen erbrachte Pflegekosten zum Ersatz herangezogen werde; sie habe daher ein rechtliches Interesse, Akteneinsicht zu nehmen, um "über die Situation ausreichend Überblick zu erhalten".
Das Erstgericht bewilligte ihr antragsgemäß Einsicht in den gesamten Sachwalterschaftsakt (einschließlich der Krankengeschichten) und führte zur Begründung seiner Entscheidung an: Das Eltern-Kind-Verhältnis äußere sich über die familiäre Bindung hinaus in gegenseitigen Rechten und Pflichten, die auf seiten des Kindes einerseits finanzielle Beistandsleistung im Notfall oder bei Unterbringung des Betroffenen in einer öffentlichen Heil- oder Pflegeanstalt und andererseits das rechtliche Interesse an einer rationalen Vermögensgebarung als Erb- oder Pflichtteilsberechtigter umfassen.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diesen Beschluß mit folgender Begründung: Die Bestimmung über die Akteneinsicht des § 219 Abs.2 ZPO sei sinngemäß auch im Verfahren außer Streitsachen anzuwenden. Das Recht auf Akteneinsicht werde durch die im Sachwalterschaftsverfahren gemäß § 248 AußStrG bestehende Benachrichtigungs- und Auskunftspflicht nicht eingeschränkt. Die Einschreiterin sei als Tochter gegenüber dem Betroffenen gemäß § 143 ABGB grundsätzlich unterhaltsverpflichtet. Da nach der Aktenlage der Verdacht bestehe, daß der Betroffene sich seines Vermögens begebe, könne eine konkrete Unterhaltsverpflichtung der Tochter für ihren pflegebedürftigen Vater entstehen. Zur Abwehr privatrechtlicher Ansprüche benötige sie daher Akteneinsicht, und zwar auch in Befunde und Gutachten über den geistigen Zustand ihres Vaters, weil nur daraus Rückschlüsse über seine Dispositionsfähigkeit gezogen werden können.
Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen ist zulässig, da zur Frage der Zulässigkeit der Akteneinsicht im Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt; er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Bereits das Rekursgericht hat zutreffend hervorgehoben, daß auf die Akteneinsicht im Außerstreitverfahren die Bestimmung des § 219 ZPO sinngemäß anzuwenden ist (SZ 47/141; JBl. 1973, 581; 1 Ob 623/83). Gemäß § 219 Abs.2 ZPO entscheidet über die Gestattung der Einsicht- und Abschriftnahme mangels Zustimmung der Parteien der Vorsteher des Gerichtes. Diese Entscheidung ergeht nicht im Justizverwaltungsverfahren, sondern stellt eine richterliche Entscheidung dar (1 Ob 623/83; Fasching II 1011).
Dem Dritten kann Akteneinsicht nur insoweit bewilligt werden, als er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht. Dieses rechtliche Interesse muß konkret gegeben sein (vgl. Maurer, Sachwalterrecht 147). Die Einsicht- und Abschriftnahme muß Bedeutung für die rechtlichen Verhältnisse des Dritten haben und die Kenntnis des betreffenden Akteninhaltes muß sich auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Dritten günstig auswirken, sei es auch nur dadurch, daß er instandgesetzt wird, die Beweislage für sich günstiger zu gestalten (Fasching II, 1010). Das rechtliche Interesse kann unter den beschriebenen Voraussetzungen allerdings nur dann anerkannt werden, wenn der Dritte aus dem Akt etwas erfahren will, was er nicht weiß, aber zur Wahrung seiner Interessen wissen muß (SZ 47/141).
Im Bereich des Außerstreitverfahrens erfährt das Recht des am Verfahren nicht Beteiligten auf Akteneinsicht allerdings insoweit eine Modifikation, als auf Wesen und Zweck des Verfahrens Bedacht zu nehmen ist. Die Eigenart der in diesem Verfahren abzuwickelnden Angelegenheiten liegt nämlich darin, daß vielfach Familien- oder Vermögensverhältnisse offengelegt werden, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und daher schützenswert sind (Ott, Rechtsfürsorgeverfahren, 179). Dies ergibt sich auch zwangslos aus dem Grundrecht auf Datenschutz (§ 1 Abs.1 DSG), das sich auch auf nicht automationsunterstützt verarbeitete Daten bezieht (Dohr-Polierer-Weiss, DSG 5 Anm.9). Danach hat jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse insbesondere im Hinblick auf Achtung seines Privat- und Familienlebens hat. Der Oberste Gerichtshof hat daher bereits für das Pflegschaftsverfahren ausgesprochen, daß es den Schutz des Minderjährigen zu gewährleisten, nicht aber einem Dritten Möglichkeiten einzuräumen hat, die ihm sonst nicht zukommen (SZ 47/141).
Für den Bereich des Sachwalterrechtes tritt noch hinzu, daß der Gesetzgeber im § 248 AußStrG eine differenzierte Regelung der Verständigung getroffen hat, womit einerseits dem Gedanken des Verkehrsschutzes Rechnung getragen und andererseits sichergestellt werden sollte, daß nur solche Personen und Institutionen davon in Kenntnis gesetzt werden, die nach den Ergebnissen des Verfahrens ein begründetes oder - außerhalb dieses Personenkreises - ein rechtliches Interesse an der Verständigung haben. Zwar wird durch diese Regelung die Möglichkeit der Gewährung von Akteneinsicht auch im Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters nicht ausgeschlossen (Maurer, Sachwalterrecht, 148), doch erfährt sie insoweit eine Einschränkung, als sie dann nicht zu bewilligen ist, wenn bereits durch die im Gesetz vorgesehene Verständigung dem vom Antragsteller glaubhaft gemachten rechtlichen Interesse hinreichend Rechnung getragen werden kann.
Bei der im Sachwalterverfahren besonders sorgfältig vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen einerseits und dem glaubhaft zu machenden rechtlichen Interesse des Dritten andererseits zeigt sich, daß der Antrag der Einschreiterin nach den dargestellten Grundsätzen nicht berechtigt ist. Ihrem Vertreter wurde der Beschluß über die Sachwalterbestellung mit der wesentlichen Begründung zugestellt. Ein darüber hinausgehendes konkretes Interesse, Einsicht in die Krankengeschichten und die psychiatrischen Gutachten zu nehmen, hat die Antragstellerin nicht darlegen können. Der Hinweis auf die bloß abstrakte Möglichkeit im Sinne des § 143 ABGB, einmal unterhaltspflichtig werden zu können, reicht hiefür nicht aus.
Anmerkung
E31294European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1993:0080OB00511.93.0204.000Dokumentnummer
JJT_19930204_OGH0002_0080OB00511_9300000_000