TE Vwgh Erkenntnis 2006/2/23 2005/01/0171

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Veröffentlicht am 23.02.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des OBG in E, geboren 1963, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. Mai 2005, Zl. 234.439/0- IV/44/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist bulgarischer Staatsangehöriger. Er reiste gemäß seinen Angaben am 3. März 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl. Hiezu brachte er - auf das Wesentliche zusammengefasst - vor, dass er von ehemaligen Arbeitskollegen, die ihn für den Verlust ihres Arbeitsplatzes verantwortlich gemacht hätten, mit dem Tod bedroht worden sei. Außerdem werde er (Beschwerdeführer) als Roma "diskriminiert".

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte weiters fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Bulgarien gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde - nach Durchführung einer Berufungsverhandlung, in der der Beschwerdeführer ua. präzisierte, dass auch die meisten seiner ihm nachstellenden ehemaligen Arbeitskollegen der Volksgruppe der Roma angehörten - mit dem angefochtenen Bescheid "gemäß § 7, 8 AsylG" keine Folge.

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer etwa ab 1995 für sich und seine Arbeitskollegen mit gewerkschaftlicher Unterstützung einen Arbeitsrechtsprozess im Zusammenhang mit der erfolgten Schließung einer Betriebsstätte in seiner Firma geführt habe. Nach negativem Ausgang des Verfahrens sei der Beschwerdeführer von seinen Arbeitskollegen dafür (insbesondere für den Verlust des Arbeitsplatzes) verantwortlich gemacht und bedroht worden; 1997 habe ihn ein Arbeitskollege mit einem Messer am Kopf verletzt, im Jänner 2002 sei der Beschwerdeführer, nachdem er seinen Heimatort verlassen und sich in Pleven niedergelassen habe, "durch einen nächtlichen Überfall angegriffen" und verletzt worden. Dass der Beschwerdeführer vor gegen ihn gerichteten kriminellen Angriffen seiner früheren Arbeitskollegen keinen wirksamen Schutz bei den zuständigen Behörden seines Heimatlandes finden könne, werde nicht festgestellt.

Bezüglich der "Situation in Bulgarien" verwies die belangte Behörde auf Erläuterungen im Ministerialentwurf zu § 39 des Asylgesetzes 2005. Sie zitierte daraus - auszugsweise - wie folgt:

"...

Weiters gibt es Berichte über rassistische Äußerungen in der Öffentlichkeit und rassistisch motivierte Übergriffe namentlich gegen Roma ...

Mitglieder von einigen ethnischen und kulturellen Minderheiten, insbesondere die Roma, leben weiterhin am Rande der Gesellschaft. Die praktische Umsetzung des Rahmenprogramms für die gerechte Integration der Roma in die bulgarische Gesellschaft steckt noch in den Anfängen, und Ungleichbehandlung und eine de facto Diskriminierung in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung und öffentlicher Versorgungsdienste ist nach wie vor an der Tagesordnung. Auch über Ausschreitungen der Polizei im Umgang mit den Roma wird weiterhin berichtet. ...

Insgesamt gesehen gibt es eine Reihe von Initiativen, die sich mit der Lage der Roma-Minderheit auseinander setzen, doch es wird noch erheblicher gezielter Anstrengungen bedürfen, bevor von einer wesentlichen Verbesserung der Lebensumstände der Roma die Rede sein kann.

Die Kapazitäten und der Status des für Minderheitenangelegenheiten zuständigen Rats für ethnische und demographische Angelegenheiten im Ministerrat reichen nicht aus, um dem Rat die für einen wirksamen Schutz der Minderheitenrechte erforderliche Machtbefugnis zu verleihen. Die Funktion des Rats innerhalb der bulgarischen Verwaltung bleibt noch zu klären. Zurzeit fehlt es ihm an politischem Einfluss und an Personal, um seinem Auftrag gerecht zu werden.

..."

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich - aus, die in einer Stellungnahme des Beschwerdeführers enthaltene Aussage, staatliche Sicherheitsorgane und die Justiz würden für Angehörige der Roma nicht tätig werden, weshalb er Übergriffen und willkürlichen Maßnahmen schutzlos ausgeliefert sei, wäre unzutreffend, da die Feststellungen über Bulgarien "derartige Aussagen nicht enthalten". Die nicht näher belegten Behauptungen des Beschwerdeführers seien nicht geeignet, die Richtigkeit der Feststellungen über die Situation in Bulgarien in Zweifel zu ziehen.

Wie den Sachverhaltsfeststellungen zu entnehmen sei - so die belangte Behörde rechtlich - habe der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgungsgefahr glaubhaft gemacht. Die befürchtete Bedrohung und Misshandlung durch frühere Arbeitskollegen stelle eine kriminelle Reaktion dar, die nicht auf die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Volksgruppe der Roma zurückzuführen sei. Entgegen Andeutungen des Beschwerdeführers bestünden auf Grund der getroffenen Feststellungen über die Situation in Bulgarien keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die zuständigen Behörden nicht fähig oder nicht willens wären, derartigen kriminellen Angriffen entgegenzutreten. Ein Sachverhalt, der der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Bulgarien entgegenstehe, liege nicht vor.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde - erwogen:

Die belangte Behörde ist den Angaben des Beschwerdeführers über Bedrohungen (letztlich mit dem Tode) und tätliche Angriffe von Seiten seiner ehemaligen Arbeitskollegen gefolgt. Vor dem Hintergrund der auch in der Beschwerde aufgestellten Behauptung, die zuständigen staatlichen Behörden hätten darauf nicht adäquat reagiert und wären untätig geblieben, geht es im vorliegenden Fall somit allein darum, ob dem Beschwerdeführer in ausreichendem Maß behördlicher Schutz zuteil wurde. Diese Frage stellt sich ungeachtet dessen, dass neben dem Beschwerdeführer selbst unstrittig auch die besagten "Arbeitskollegen" mehrheitlich der Volksgruppe der Roma angehören, nicht nur unter dem Blickwinkel des § 8 AsylG, sondern auch aus asylrechtlicher Sicht, geht der Vorwurf des Beschwerdeführers doch dahin, die zuständigen staatlichen Organe seien gerade im Hinblick auf seine ethnische Zugehörigkeit untätig geblieben.

Die belangte Behörde kam letztlich zu dem Ergebnis, es existierten "keinerlei Anhaltspunkte" dafür, dass die bulgarischen Behörden nicht fähig oder nicht willens wären, den kriminellen Angriffen gegen den Beschwerdeführer entgegenzutreten. Dabei berief sie sich wie erwähnt auf Erläuterungen im Ministerialentwurf zu § 39 des Asylgesetzes 2005, die freilich - siehe die oben wörtlich wiedergegebenen Passagen - bezüglich der Situation von Roma ein keineswegs unbedenkliches Bild zeigen. Wenn dort insbesondere davon die Rede ist, dass auch über Ausschreitungen der Polizei im Umgang mit den Roma weiterhin berichtet werde, so stellt dies entgegen der Ansicht der belangten Behörde sehr wohl einen Gesichtspunkt dar, der Bedenken an einer sachdienlichen Vorgangsweise der bulgarischen Behörden im Fall des Beschwerdeführers erwecken muss. Richtig weist die Beschwerde in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Umstand, dass die Sicherheitsbehörden Bulgariens nachweislich durch Feindlichkeit gegenüber Roma aufgefallen seien (vgl. dazu auch die - von der nachfolgenden Entscheidung der großen Kammer vom 6. Juli 2005 nicht in Zweifel gezogenen - Ausführungen des EGMR in seinem Urteil vom 26. Februar 2004, Nachova ua. gegen Bulgarien, §§ 173 und 174), die Schlussfolgerung nahe legt, die Sicherheitsbehörden würden bei Streitigkeiten unter den Roma untätig bleiben. Dass die besagten Erläuterungen nichts über eine derartige Untätigkeit enthalten, ist davon ausgehend nicht aussagekräftig und mag schlichtweg darauf zurückzuführen sein, dass dieser Themenkreis dort keine Behandlung erfahren hat.

Mit den Angaben des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung betreffend seine Anzeigen bei der bulgarischen Polizei hat sich die belangte Behörde im bekämpften Bescheid nicht auseinander gesetzt. In ihrer Gegenschrift verweist sie allerdings darauf, dass ihm gemäß diesen Angaben staatliche Schutzhandlungen für den Fall der konkreten Bezeichnung der - vorerst unbekannten - Täter ausdrücklich in Aussicht gestellt worden seien. Dabei bleiben freilich jene Sätze unerwähnt, in die die betreffende Aussage eingebettet war. So hat der Beschwerdeführer einleitend darauf hingewiesen, die Polizei habe "gesagt", sie würde seine privaten Schwierigkeiten nicht entscheiden; abschließend findet sich im gegebenen Zusammenhang die Äußerung, "die Polizei schiebt die Probleme mit den Zigeunern ab". Auch von daher lässt sich mithin nicht sagen, es hätten keinerlei Anhaltspunkte dafür bestanden, die bulgarischen Behörden hätten den kriminellen Angriffen gegen den Beschwerdeführer nicht entgegentreten wollen, zumal auch Ermittlungen gegen unbekannte Täter - Maßnahmen zur Ausforschung derselben - in Erwägung zu ziehen gewesen wären.

Nach dem Gesagten ist die dem bekämpften Bescheid letztlich zugrundeliegende Annahme, der Beschwerdeführer könne in Bulgarien vor den Angriffen seiner ehemaligen Arbeitskollegen ausreichend Schutz finden, nicht hinreichend begründet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 23. Februar 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005010171.X00

Im RIS seit

23.03.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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