Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Manfred Dafert und AR Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** A***** AG, ***** vertreten durch Dr.*****, Angestellte der Handelskammer Steiermark, wider die beklagte Partei K***** L*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Dr.*****, Rechtsanwalt *****, wegen nachträglicher Zustimmung zur Entlassung (im Provisorialverfahren: wegen Gewährung des Zutritts zum Betrieb) infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9.Juli 1992, GZ 7 Ra 69/92-14, womit der Beschluß des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 16.April 1992, GZ 23 Cga 13/92-7, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.623,04 (hievon S 603,84 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin entließ den Beklagten, der Mitglied des Betriebsrates ist, wegen erheblicher Ehrverletzung (§ 122 Abs 1 Z 5 ArbVG) und begehrte die nachträgliche Zustimmung des Gerichtes zur Entlassung gemäß § 122 Abs 3 ArbVG.
Der Beklagte brachte vor, daß er zum Verlassen des Werksgeländes aufgefordert und ihm verboten worden sei dieses bis zur Entscheidung des Arbeits- und Sozialgerichtes zu betreten und beantragte, die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, ihm zur Sicherung des Anspruches auf Ausübung der Betriebsratstätigkeit den Zutritt in den Betrieb zu gewähren.
Das Erstgericht entschied im Sinne dieses Begehrens.
Das Gericht zweiter Instanz wies den Sicherungsantrag ab und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 50.000 S nicht übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Beklagten, der unzulässig ist.
Mit dem inzwischen in Rechtskraft erwachsenen Urteil vom 22.9.1992 wies das Erstgericht das Klagebegehren, die nachträgliche Zustimmung zur Entlassung, in eventu zur Kündigung des Beklagten zu erteilen, ab. Der Beklagte ist daher in der Ausübung seiner Betriebsratsfunktion nicht mehr beeinträchtigt.
Rechtliche Beurteilung
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer, also ein Anfechtungsinteresse voraus. Es ist nicht Sache der Rechtsmittelinstanzen theoretisch-abstrakte Fragen zu entscheiden. Die Beschwer muß zur Zeit der Einlegung des Rechtsmittels gegeben sein und zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen (ÖBl 1987, 51; MietSlg 38.836; EvBl 1988/100 = SZ 61/6; RdW 1990, 114; ua).
Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.
Eine Beschwer wegen des Interesses an einer für den Rechtsmittelwerber günstigeren Kostenentscheidung verneinte die bisherige Rechtsprechung (MietSlg 38.836; EvBl 1988/100 = SZ 61/6). Seit der Einfügung des § 50 Abs 2 ZPO durch die EO-Novelle BGBl 1991/628 ist jedoch das nachträgliche Wegfallen des Rechtsschutzinteresses bei einem Rechtsmittel bei der Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nicht zu berücksichtigen; die Kostenentscheidung ist vielmehr so zu treffen, wie wenn das Rechtsschutzinteresse nicht weggefallen wäre, ohne daß damit die Kostenaussprüche der Vorinstanzen wie auch deren Entscheidung in der Hauptsache berührt werden (4 Ob 1024/92, 4 Ob 54/92).
Wäre das Rechtsschutzinteresse nicht (durch die rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache) weggefallen, hätte der Beklagte (- der hier Antragsteller im Sicherungsverfahren war -) für seinen Revisionsrekurs trotz Obsiegens zunächst keinen Kostenersatzanspruch gehabt, weil einstweilige Verfügungen gemäß § 393 Abs 1 EO stets auf Kosten der antragstellenden Partei, jedoch unbeschadet eines ihr (später) zustehenden Anspruchs auf Ersatz dieser Kosten, getroffen werden. Wann und in welchem Verfahren dieser Kostenersatzanspruch geltend zu machen ist, regelt die Exekutionsordnung nicht. Grundsätzlich kommt auch ein Zuspruch im Provisorialverfahren in Betracht, weil die §§ 41, 50 ZPO gemäß §§ 78, 402 EO auch im Provisorialverfahren anzuwenden sind (Heller-Berger-Stix III 2852). Eine Kostenentscheidung (zugunsten des Antragstellers) kann aber erst getroffen werden, wenn über den Bestand des zu sichernden Anspruchs (im Hauptverfahren) endgültig (rechtskräftig) abgesprochen wurde (Heller-Berger-Stix III 2853, 2855). Nach der jüngeren Rechtsprechung sind die nach § 393 Abs 1 EO vorbehaltenen Kosten als Kosten des Hauptverfahrens zu behandeln (Heller-Berger-Stix III 2852; OLG Wien EvBl 1953/515; 3 Ob 596/79; ÖBl 1991/64 [66]). Heller-Berger-Stix sind hingegen der Ansicht, daß die Kosten des Sicherungsverfahrens - so wie die Ersatzansprüche nach § 394 EO - stets in diesem Verfahren zu bestimmen sind (aaO 2853).
Im vorliegenden Fall konnte der Kläger die Kosten seines Revisionsrekurses vom 21.9.1992 gar nicht in dem am 22.9.1992 geschlossenen Hauptverfahren als Bestanteil der Verfahrenskosten erster Instanz verzeichnen, weil das Hauptverfahren eine Rechtsstreitigkeit nach § 50 Abs 2 ASGG war, in der einer Partei gemäß § 58 Abs 1 ASGG ein Kostenersatz an die andere nur im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof zusteht. Er konnte daher seinen Kostenersatzanspruch für den Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof nur im Provisorialverfahren gemäß §§ 41, 50 ZPO iVm §§ 78, 402 EO geltend machen, nachdem der Bestand der gesicherten Hauptforderung rechtskräftig festgestellt war.
Im Hauptverfahren wurde rechtskräftig entschieden, daß eine Zustimmung zur Entlassung bzw Kündigung nicht erteilt wird. Daraus folgt, daß der durch die einstweilige Verfügung gesicherte Anspruch des beklagten Betriebsratsmitglieds auf Betreten des Betriebes zu Recht bestand. Die einstweilige Verfügung war daher berechtigt. Dem Revisionsrekurs wäre daher Berechtigung zugekommen, wenn das Rechtsschutzinteresse nicht weggefallen wäre. Infolge der absolut zwingenden Bestimmungen des § 115 Abs 2 und 3 ArbVG darf das Betreten des Betriebes zur Erfüllung der Betriebsratsaufgaben nicht verboten werden (Floretta-Strasser, HdKomm zum ArbVG 772 f; dieselben, MKK ArbVG2 § 115 Anm 12; 9 Ob A 155/92 mwN).
Daran vermochte auch die Entlassung gegen nachträgliche Zustimmung nichts zu ändern, weil bis dahin die vorzeitige Entlassung schwebend unwirksam ist und daher auch noch kein Erlöschen der Mitgliedschaft zum Betriebsrat zur Folge hat (Floretta-Strasser aaO 362, 819, 821). Das Betriebsratsmitglied ist daher berechtigt, seinen Aufgaben nachzukommen, solange der Schwebezustand dauert.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 58 Abs 1 ASGG, §§ 41, 50 Abs 1 und Abs 2 ZPO sowie § 78 EO.
Anmerkung
E32352European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1993:009OBA00014.93.0224.000Dokumentnummer
JJT_19930224_OGH0002_009OBA00014_9300000_000